Der Geist braucht offene Türen

Predigt am 19. Mai 2024 (Pfingsten I) mit Johannes 14,19.22-27

Jesus sprach:
19 Nur noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet.

22 Judas – nicht der Iskariot – fragte ihn: Herr, wie kommt es, dass du dich nur uns offenbaren willst und nicht der Welt? 23 Jesus antwortete ihm: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen. 24 Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.
25 Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. 26 Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.

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Am Vorabend des Karfreitags, also am Vorabend seines Todes, bereitet Jesus seine Jünger schon auf Pfingsten vor – also auf das, was nach seinem Tod, seiner Auferstehung und der Himmelfahrt kommen wird. Erst dann ist er mit den Jüngern ans Ziel gekommen: dann werden sie selbständig aufbrechen können in die Welt, zu allen Völkern, bis an die Enden der Erde. Und er wird mit dabei sein.

Aber einer der Jünger stutzt, weil Jesus sagt: die Welt wird mich dann nicht mehr sehen, nur ihr werdet das. Wieso denn das? Sollen denn dann nicht alle Jesus sehen? Er sagt doch selbst, dass er eins mit dem Vater ist, mit dem Gott der ganzen Welt, mit dem Gott aller Menschen. Warum werden ihn dann nur einige sehen? Und heute würden manche vielleicht sagen: Das ist doch religiöse Überheblichkeit, wenn die Christen behaupten, nur sie könnten Jesus – und damit Gott – erkennen. Auch wenn den meisten ja Gott normalerweise nicht besonders am Herzen liegt, aber der Gedanke, man wäre von irgendetwas ausgeschlossen, ist für viele kaum erträglich.

Es kommt drauf an, was wirklich los ist

Warum also diese Exklusivität? Und das ist ja nicht nur das Johannesevangelium, sondern vorhin in der Lesung (1. Korinther 2,12-16) haben wir es von Paulus ganz ähnlich gehört: Der natürliche Mensch nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen. Was für eine Arroganz! würden viele sagen. Andern absprechen, dass sie den Geist Gottes erkennen könnten! Sind denn alle anderen Religionen minderwertig oder falsch? Das kann doch nicht sein! Das ist ja schrecklich intolerant!

Aber da sieht man mal wieder, dass die, die solche Parolen in die Welt setzen, die Bibel nicht verstehen und wahrscheinlich sowieso nicht lesen. Jesus redet hier nicht von Religionen. Er redet von denen, die ihn lieben und sich an seinen Worten orientieren. Das ist ein ganzes Lebenskonzept. Es geht um die Frage, wovon du im Tiefsten geprägt bist und was dein Verhalten steuert, von den großen Lebensentscheidungen bis in die kleinen Alternativen des Alltags hinein. Was treibt dich an? Wem gibst du den Vorzug, wenn es um deine Terminplanung geht? Wobei bist du hellwach, und wann langweilst du dich? Was strahlst du aus, wenn du mit anderen zusammen bist?

Das ist etwas anderes als Religion. Menschen können irgendeiner Religion angehören, die religiösen Vorschriften und Bräuche einhalten und trotzdem Dinge tun, die überhaupt nicht zu dieser Lehre passen. Das erleben wir doch oft genug auch in den verschiedenen Kirchen. Und diejenigen, die sich in ihrem Lebenskonzept von Jesus prägen lassen, tun sich deshalb oft schwer damit, sich mit dem zu identifizieren, was landläufig als Christentum und Kirche gilt.

Jesus spricht hier ja eben nicht von »Christen«, noch nicht mal von seinen Jüngern, sondern von denen, die »ihn lieben und sein Wort halten«. Er redet von dem, was Menschen tatsächlich tun, nicht von irgendeinem Etikett, mit dem Menschen sich selbst oder andere kennzeichnen. Es kommt darauf an, was wirklich los ist, nicht was sich einer als Etikett angepappt hat.

Man weiß nur, was man liebt

Deshalb ist das eigentlich ganz einleuchtend, wenn Jesus sagt, dass zu ihm und zu Gott nur die Zugang haben, die ihn lieben, die an ihm interessiert sind sich von ihm motivieren lassen. Das ist doch auch sonst so, dass du nur dann Zugang zu irgendetwas hast, wenn es dir was bedeutet.

Ich weiß noch, als ich zur Schule ging, da gab es viele Jungen, die eine Zeitlang alles über Automarken und Automodelle wissen wollten und darum konkurierten, wer die meisten Details aufsagen konnte. Mich hat das nie interessiert, und deshalb kann ich bis heute nicht auf den ersten Blick sehen, von welcher Marke ein Auto ist. Wenn ich ernsthaft wissen muss, was ich selbst für ein Auto fahre, schaue ich in den Papieren nach. Wenn mir jemand sagen würde: du hast keine Ahnung von Autos! dann ist das keine Diskriminierung, sondern der spricht einfach aus, was Realität ist. Mich interessiert das einfach nicht, und dann ist es doch nur konsequent, dass ich höchstens VW und Mercedes unterscheiden kann. Man weiß nur über die Dinge tiefer Bescheid, die einem wichtig sind. So ist das nun mal. Das ist Realität.

Tiefer in Liebe hineinkommen

Diesen banalen Lebenszusammenhang wendet Jesus nun an auf das Verhältnis zwischen ihm und Gott einerseits und den Menschen andererseits. Und auch da gilt: wir schauen nur dann tiefer, wenn uns Jesus und seine Botschaft am Herzen liegen. Nur dann ist da eine Tür offen, durch die Gott uns erreichen kann. Gott ist ja kein totes Ding wie ein Auto, sondern der lebendige Gott, der antwortet und mit uns in Beziehung sein will.

Deshalb wird niemand in diese Verbindung mit Gott hineinkommen, wenn er nicht wenigstens angefangen hat, das gut zu finden, was Jesus verkörpert. Jesus ist ja das wahre Bild Gottes; an ihm kann man sehen, wie Gott wirklich ist. Für Johannes ist klar, dass Gott Liebe ist, und Jesus hat mit seinem Leben gezeigt, wie Liebe in Wahrheit aussieht. Und wenn du das gut und richtig findest und da tiefer hineintauchen willst, dann kommt der Heilige Geist und sorgt dafür, dass du das mehr und mehr verstehst.

Das ist die Aufgabe des Heiligen Geistes: die Liebe, die Jesus verkörpert, zu allen Zeiten und in allen Situationen immer wieder neu praktisch werden zu lassen. »Liebe« ist ja zunächst mal ein Allerweltswort, unter dem sich jeder was anderes vorstellt. Der Heilige Geist lässt uns verstehen, was Liebe hier und heute genau bedeutet. Und das ist schwierig, weil »die Welt« anders tickt.

Die »Welt« hat Probleme mit Jesus

Die »Welt« ist eins von den Schlüsselworten im Johannesevangelium. »Welt« bedeutet nicht: alles, was es gibt. Es bedeutet auch nicht: alles da draußen jenseits der Kirchenmauern. Wir kommen der Bedeutung schon nahe, wenn wir uns erinnern, dass wir doch auch manchmal von der »modernen Welt« sprechen, oder »der Geschäftswelt«, der »Welt der Musik« oder ähnlichem. »Welt« ist ein Raum, in dem alle einige grundlegende Selbstverständlichkeiten teilen: welche Regeln gelten, wie man sich benimmt, was man tun muss, um ein Ziel zu erreichen.

Und so hatte Johannes wohl damals den griechisch-römischen Kulturraum im Blick, der seit Alexander dem Großen im Osten bis Indien reichte und im Westen irgendwann bis an den Atlantik. Und er sagt: das ist eine Kultur, die sich gegen den Gott Israels sperrt, und die sich dann auch gegen seine Verkörperung in Jesus abschottet, und diese Welt ist auch keine Welt, die von Liebe geprägt ist, noch nicht mal dem eigenen Anspruch nach. Das ist eine Welt, die von Macht und Gewalt regiert wird. Das Geld war damals noch gar nicht so lange erfunden, aber der Mammon hat diese Welt schon bis ins letzte Bergdorf durchdrungen.

Die Menschen kannten es nicht anders und dachten, so müsste die Welt wohl sein. Und dann kamen die Jesusleute und sagten: nein, diese Welt ist zur Liebe geschaffen, zur Solidarität und Verbundenheit untereinander. Das war damals ein ganz unbekannter Gedanke, aber für manche war das ein schöner Gedanke, und sie wollten da tiefer einsteigen. Aber die meisten fanden das entweder völlig daneben oder sogar gefährlich.

Herzlose Normalität

Und darauf bereitet Jesus seine Jünger vor und sagt: der Heilige Geist wird nicht alle erreichen, sondern nur die, die mich lieben und die das lieben, was ich verkörpere. Nur die kann er tiefer hineinführen in die Wahrheit. So lange jemand zur »Welt« gehört, so lange er sich dieser lieblosen und geldgeilen Kultur verschrieben hat, so lange hat der Geist bei ihm keine Chance. Erst wenn Menschen da raus sind, erst wenn sie Abstand gewonnen haben zu diesem Weltsystem, in dem jeder sich selbst der Nächste ist, nur dann kann der Heilige Geist ihnen das wahre Leben zeigen und ihnen helfen, das immer klarer zu verstehen.

Und dann ist es eben kein Wunder, dass heute bei uns der christliche Einfluss in der Gesellschaft geringer geworden ist. Das liegt einerseits an den Kirchen, die nicht den Mut haben, sich als Alternative zu einer Welt zu präsentieren, die sich immer stärker entsolidarisiert. Es liegt aber auch daran, dass im Denken der Gesellschaft dieser Geist des Egoismus immer mehr um sich gegriffen hat und viele Menschen nicht einsehen, warum sie sich überhaupt um andere kümmern sollen, etwas abgeben oder Rücksicht nehmen sollen.

Klar, es gibt zum Glück immer noch ziemlich viele Menschen, die nicht bloß an sich selbst denken. Und wenn irgendwo wieder mal die Flüsse nach Starkregen über die Ufer treten und ganze Orte unter Wasser setzen, dann zeigt sich, dass Menschen durchaus bereit sind, andern uneigennützig zu helfen. Und dann erleben sie auch oft, wie gut das tut. Sie kommen in Kontakt mit dem wahren Leben, mit Liebe und Solidarität. Sie erleben, wie gut es tut, wenn wir etwas geben, ohne zu berechnen, was wir dafür zurück bekommen. Solidarität tut uns allen unheimlich gut.

Aber offenbar merken Menschen das nur, wenn es eine Katastrophe gibt und die »normale« Ordnung der Welt für einen Moment aus dem Tritt kommt. Wenn die Katastrophe vorbei ist, gelten wieder die »normalen« Regeln, und alle Versprechen von »unbürokratischer Hilfe« müssen wieder durch die Mühlen der Bürokratie. Anderen Menschen in Not einfach so etwas zu geben, erscheint dann wieder als Gefahr und unbilliges Verlangen.

Egoismus versteht jeder

Und so schottet sich Europa ab gegen die Menschen, die zu uns kommen wollen, weil bei ihnen die Weltwirtschaftsordnung und der Klimawandel das Leben schon viel stärker beschädigt haben als bei uns. Das ist ja die Gemeinheit, dass die Länder, die am wenigsten schuld sind am Klimawandel, am meisten darunter leiden. Und der Egoismus geht ja so weit, dass unser Land noch nicht mal mit Rücksicht auf die nächste Generation entscheidende Schritte gegen die kommenden Katastrophen tut. Die werden ja an unserem Land nicht vorübergehen. Aber noch nicht mal im Interesse unserer eigenen Kinder und Enkel sind echte politische Veränderungen möglich oder auch nur wählbar. Und wenn dann ein paar von den jungen Leuten, die das mal ausbaden müssen, sich für zwei Stunden auf dem Münchener Flughafen festkleben, schreit die Innenministerin gleich nach der ganzen Härte des Gesetzes. Ja, die bayerische Justiz wird sich sicher mit aller Härte ihrer annehmen, aber wir wünschen ihnen jetzt den Frieden, den Jesus verspricht: ein anderer Friede, als die Welt ihn gibt.

Aber wieso war bei den wochenlangen Bauernprotesten kein Ruf nach der Härte des Gesetzes zu hören? Für Egoismus hat anscheinend jeder Verständnis, aber langfristig an die Zukunft denken und an die, die unter unseren jetzigen Entscheidungen leiden werden, das erinnert viele wohl zu sehr an das, was eigentlich getan werden müsste. Ist es ein Wunder, wenn Jesus in so einer Welt nicht erkannt wird?

Gott wird nicht ewig zusehen

»Warum wirst du dich nur uns offenbaren und nicht der Welt?« fragt der eine Jünger. Und Jesu antwortet: es geht nicht. Wenn Menschen zu sind, wenn sie blind gemacht worden sind für den Zusammenhang von Leben und Liebe, wenn ihr Herz verhärtet ist, dann erreiche ich sie nicht. Dann werden sie langfristig noch nicht mal mehr dem Namen nach zu mir gehören wollen. Und dann werden sie am Ende schutzlos und allein dastehen mit ihrem Geld und der schwarzen Null im Haushalt.

Lasst euch also rausbrechen aus der Welt des kurzsichtigen Egoismus. Alle Propheten warnen davor, dass Gott unserer Lieblosigkeit nicht ewig zusehen wird. Wer sich dem Heiligen Geist Jesu öffnet und dem wahren Leben, der Liebe Gottes, wird am Tag des Herrn den Beistand haben, der ihn schützt. Die anderen müssen am Ende zusehen, wo sie bleiben. Auch das ist realistisch.

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