Realisten üben Hoffnung ein

Predigt bei der Gemeindefreizeit der Mennonitengemeinde Bammental (21. April 2024, 1. Thessalonicher 5,1-8)

Am 19.-21. April 2024 war ich bei der Gemeindefreizeit der Mennonitengemeinde Bammental dabei und habe dort Inputs zur Offenbarung des Johannes eingebracht.
Hier ist meine Predigt aus dem Schlussgottesdienst am 21. April:

Nach unserer Zeit mit der Offenbarung möchte ich heute nicht über die Offenbarung predigen, sondern zu einem Text von Paulus, der auf seine Weise etwas zu den Themen sagt, die dann in der Offenbarung breit entfaltet werden. Es ist eben nicht so, dass die Offenbarung speziellen Nervenkitzel bereithält für die Leute, die es gern etwas dramatischer haben, aber für uns andere, eher ruhige Typen reichen dann auch die „normalen“ Teile der Bibel. Nein, auch z.B. bei Paulus ist die Sache längst da, nur nicht so breit entfaltet wie dann in der Offenbarung. Und das finden wir auch schon im ersten, ältesten Paulusbrief, der uns überliefert ist, im 1. Thessalonicherbrief. Da redet Paulus vom Kommen Jesu mit den Wolken (das ist ein deutlicher Rückgriff auf den Menschensohn von Daniel 7), und dann fährt er fort:

Über Zeiten und Stunden, Brüder und Schwestern, brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau und es gibt kein Entrinnen. Ihr aber, Brüder und Schwestern, lebt nicht im Finstern, sodass euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann. Ihr alle seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein. Denn wer schläft, schläft bei Nacht, und wer sich betrinkt, betrinkt sich bei Nacht. Wir aber, die dem Tag gehören, wollen nüchtern sein und uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf Rettung.

Bild von Chen auf Pixabay

Vermutlich gibt es unter uns einige, die schon mal mit dem Flugzeug den Atlantik in westlicher Richtung überquert haben. Ich selbst habe das noch nicht, aber ich habe gehört, dass es einem passieren kann, dass man dabei die Morgendämmerung überholt und zu nachtschlafender Zeit in Amerika ankommt. Draußen ist noch tiefe Nacht, aber wenn man es geschafft hat, im Flugzeug zu schlafen, dann sagt einem der eigene Körper mit seinem Biorhythmus: Aufstehen! Der Tag hat angefangen! Draußen ist es dunkel, alle anderen schlafen noch, aber du bist schon wach, du bist schon so drauf, als ob es heller Morgen wäre (das hat dann später am Tag auch seine Probleme, aber das soll uns jetzt nicht beschäftigen).

Kinder des Tages in der Nacht der Welt

Denn dieses Bild kann uns helfen, besser zu verstehen, was Paulus meint, wenn er davon spricht, dass Christen und Christinnen „Kinder des Tages“ sind. Die Leute Jesu haben in sich einen anderen „Biorhythmus“, oder besser: eine andere Lebenslogik, und deswegen sind sie anders drauf.

Was heißt das konkret?

Zunächst einmal fallen sie nicht auf die Parole „Frieden und Sicherheit“ herein. „Frieden und Sicherheit“ war die Parole, mit der seit Augustus die römischen Kaiser ihre Herrschaft rechtfertigten. Augustus hatte die Epoche der Bürgerkriege beendet. Die Menschen konnten wieder ohne Angst leben und arbeiten. Aber dieser Friede hatte einen hohen Preis: die Militärmaschine des Imperium Romanum wurde aus den Steuern der unterworfenen Provinzen finanziert. Und an den Außengrenzen gab es weiter Kriege. Und als Paulus diesen Brief schrieb, waren es noch ca. 15 Jahre bis zum Jüdischen Krieg, der mit der Zerstörung der Heiligen Stadt endete und auch die jüdischen Kolonien rund ums Mittelmeer in Konflikte mit ihrer Umwelt brachte. An all das dürfte Paulus gedacht haben, als er mahnte, nicht auf die Parole „Frieden und Sicherheit“ hereinzufallen. Christen wiegen sich nicht in trügerischer Sicherheit. Christen sind vorbereitet. Christen wissen um die Konflikte im Untergrund der Gesellschaft, und sie wissen auch, dass die jederzeit unerwartet aufbrechen können.

Natürlich macht Paulus hier Anleihen bei Jeremia, der den Priestern vorgeworfen hatte, sie würden die Leute mit der Parole „Friede, Friede“ einlullen, so dass sie die Augen verschließen vor der heraufziehenden Katastrophe. Und vielleicht fallen uns ja auch unsere Zeitgenossen ein, die erst die Augen verschließen vor den Gefahren der menschengemachten Klimaveränderung, und die dann irgendwann sagen: jetzt ist es sowieso zu spät. Mal sind sie optimistisch, mal sind sie pessimistisch; Hauptsache: nichts ändern müssen. Das sind die Kinder der Nacht, würde Paulus sagen, die schlafen oder sich sogar in der Nacht betrinken, um ihre Alpträume zu betäuben. Das sind wir nicht, so sind wir nicht, sagt Paulus.

Glaube und Liebe schützen

Auch wir wissen natürlich nicht, was noch genau auf uns zukommt, aber wir sollen, wenn es so weit ist, nicht verwundert sein. Wir sollen nicht zu denen gehören, die kopfschüttelnd sagen: ich verstehe die Welt nicht mehr! Wieso musste das passieren? Warum sind die Menschen nur alle so verrückt geworden? Wir sollen nicht zu denen gehören, die völlig irritiert sind, wenn es plötzlich ernst und gefährlich wird. Wir haben das kommen sehen und wir haben uns hoffentlich darauf vorbereitet.

Was uns schützt, ist nicht die Überzeugung, dass es schon nicht so schlimm kommen wird. Doch, das wird es vermutlich! Aber Paulus nennt uns als Schutz Haltungen. Er spricht vom Panzer und vom Helm – Bilder, die dann später im Epheserbrief breit ausgeführt werden. Glaube und Liebe sind Haltungen, Überzeugungen, die uns davor schützen, zynisch zu werden. Solche Haltungen muss man rechtzeitig einüben; wenn die Krise erst da ist, ist es zu spät. Dann muss man mit dem arbeiten, was man vorher gelernt und geübt hat. Also lasst uns unsere jetzt noch ruhige Gegenwart nutzen, um uns vorzubereiten auf das, was uns bevorsteht. Was also ist der Panzer des Glaubens und der Liebe?

Wir glauben, dass Gott uns in eine gute Welt hineingestellt hat; diese Welt ist für ihn so wertvoll, dass er selbst Teil dieser Welt geworden ist und sich für immer mit ihr verbunden hat. Gott investiert so viel in unsere Welt, er setzt darauf, dass sie trotz allem zu ihrem guten Ziel kommt, für das sie geschaffen ist. Gott glaubt an diese Schöpfung, und wir sollen es ihm nachmachen. Das ist kein billiger Optimismus, weil wir wissen, dass der Weg zu Gottes Ziel durch schreckliche Katastrophen hindurch gehen kann – das können wir in der Offenbarung lesen. Aber zu wissen, dass Gott trotz allem in seine Schöpfung investiert – er investiert Jesus, also sich selbst – das gibt uns das Vertrauen, dass Investitionen in Gottes Schöpfung gut angelegte Energie und Zeit sind.

Die andere Haltung ist Liebe. Gott hat die Welt zur Liebe geschaffen. Liebe ist ihr innerstes Wesen, Liebe ist eingeschrieben in die Fundamente der Welt, und nur wer mit Liebe auf die Welt reagiert, ist Realist. Liebe ist die ureigenste Melodie der Welt, und wenn du ihr diese Melodie vorsingst, wirst du sie zum Tanzen bringen. Liebe schützt uns davor, selbst ein Werkzeug der Zerstörung zu werden. Liebe im Großen wie im Kleinen, Liebe auch zum Feind, das ist die Haltung, die schon jetzt an vielen Orten Heilung und Segen hervorbringt. Diese Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Haltung. Es kann manchmal auch viel Nachdenken kosten, bis man weiß, was Liebe in konkreten Situationen bedeuten kann. Aber wer liebt, findet Wege. Er hat gelernt, auch in verfahrenen Situationen die Risse und Spalten zu finden, wo man ansetzen kann. Und wenn wir unsere kleinen Spielräume nutzen, werden sie größer, und unsere Kräfte wachsen. Und wenn wir das gemeinsam lernen, werden wir noch stärker.

Hoffnung ist kein Gefühl, sondern eine Haltung zum Einüben

Ihr habt das Glück, dass ihr eine Gemeinde seid, die sich gut kennt und miteinander im Gespräch ist. Das ist ein ganz großer Vorteil. Zusammen kann man Gefahren viel besser begegnen, und zusammen ist man einfach handlungsfähiger.

Und darum geht es bei der dritten Haltung, bei der Hoffnung. Die ist der Helm, die schützt unseren Kopf und bewahrt uns davor, aus Panik auf ganz verquere Gedanken zu kommen. Hoffnung sagt nicht: es wird schon nicht so schlimm kommen. Hoffnung sagt: auch wenn es schlimm kommt, werden wir immer noch Handlungsspielräume haben. Auch wenn es schlimm kommt, sind wir nicht ohnmächtig. Wir haben einen starken Verbündeten. Dieselbe Kraft der Auferstehung, mit der Gott Jesus aus dem Grab geholt hat, die wirkt auch unter uns. Und sie wird in der Gefahr stärker.

Aber Hoffnung ist auch wie ein Muskel: der muss trainiert werden. Hoffnung kann man einüben, genau wie den Glauben und die Liebe. Wenn wir jetzt in kleineren Problemen lernen, handlungsfähig zu bleiben, mit Vertrauen und Liebe zu reagieren, dann wird uns das für die größeren Aufgaben vorbereiten, die noch kommen werden. Wir haben noch Zeit – Gott sei Dank! Lasst sie uns nutzen, um vorbereitet zu sein. Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt. Wenn wir sie gut nutzen, wird es leichter werden. Wir wollen doch nicht schlafen wie die anderen, die keine Hoffnung haben.

Eine Zeit der Vorbereitung

In der Offenbarung geht es um diese Vorbereitung: versteht, warum wir auf globale Erschütterungen und Krisen zugehen. Lasst euch dadurch nicht erschrecken. Das ist nicht zu vermeiden. Aber ihr sollt geschützt sein, durch Haltungen, die tief verwurzelt sind in eurer Persönlichkeit und in eurer Gemeinschaft. Und dann gibt es in der Offenbarung auch diese Momente, wo dem Chaos gesagt wird: Stopp, halt dich zurück, jetzt werde ich erst etwas für mein Volk tun, für meine Gemeinden. Und dann bereitet Gott seine Erwählten vor und schützt sie. Glaube, Liebe und Hoffnung sind auch deshalb realistisch, weil Gott von seiner Seite aus uns immer wieder entgegen kommt und von seiner Seite aus Spielräume schafft, in denen wir handeln können.

Was für Briefe bekommt wohl im Augenblick der Engel eurer Gemeinde? Ich kenne euch nicht gut genug, um da wirklich etwas sagen zu können. Mein Eindruck bisher ist, dass ihr wahrscheinlich einen sehr freundlichen und fröhlichen Engel habt. Aber was wird ihm geschrieben? Ich kann nur sagen, dass wahrscheinlich im Augenblick ganz viele Gemeindeengel in Deutschland und in der ganzen Welt Briefe bekommen, in denen steht: bereite sie vor! Nutze die Zeit, die noch bleibt! Wenn nötig, weck sie auf! Lehre sie, gemeinsam auf die Zeichen der Zeit zu achten. Denn das ist Prophetie: die Zeichen der Zeit lesen und sie den anderen deuten.

Das Chaos wird nicht siegen. Es kommt nicht an gegen Gott und seinen Christus. Am Ende steht die Neue Welt Gottes. Aber wie lang und wie schmerzlich der Weg dahin wird, das hängt auch daran, ob Gottes Gemeinden klar und wach sind. Wir sind Kinder des Tages. Das trägt man nicht wie einen Orden vor sich her, das schreibt man nicht auf die Webseite, das posaunt man nicht groß heraus. Das meldet man nicht als Anspruch an: ihr müsst alle auf uns hören, weil wir die Kinder des Tages sind!! So was ist albern und dumm.

Aber wir selbst, wir sollen das wissen. Wir müssen wissen, was für eine wichtige Rolle wir spielen in der Geschichte Gottes mit seiner Welt. Egal, ob wir sie gut oder schlecht spielen: wir kommen aus der Nummer nicht raus. Und dann lasst sie uns so spielen, dass unser Engel sich freuen kann und Briefe bekommt, in denen steht: gut gemacht, weiter so!

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