Wer bin ich? Und halte ich stand?

Predigt am 31. Juli 2011 zu Römer 6,1-5 (Predigtreihe Römerbrief 14)

1 Welchen Schluss ziehen wir nun daraus? Sollen wir weiterhin sündigen, damit sich die Gnade in vollem Maß auswirkt? 2 Niemals! Wir sind doch, was die Sünde betrifft, gestorben. Wie können wir da noch länger mit der Sünde leben? 3 Oder wisst ihr nicht, was es heißt, auf Jesus Christus getauft zu sein? Wisst ihr nicht, dass wir alle durch diese Taufe mit einbezogen worden sind in seinen Tod? 4 Durch die Taufe sind wir mit Christus gestorben und sind daher auch mit ihm begraben worden. Weil nun aber Christus durch die unvergleichlich herrliche Macht des Vaters von den Toten auferstanden ist, ist auch unser Leben neu geworden, und das bedeutet: Wir sollen jetzt ein neues Leben führen. 5 Denn wenn sein Tod gewissermaßen unser Tod geworden ist und wir auf diese Weise mit ihm eins geworden sind, dann werden wir auch im Hinblick auf seine Auferstehung mit ihm eins sein.

Damit wir besser verstehen, worum es in diesem Text geht, möchte ich an die erstaunlichen Dinge erinnern, die sich in der letzten Woche in Norwegen abgespielt haben – nach dem Massenmord an harmlosen Passanten und jungen Leuten. Während hier bei uns sofort die alten Forderungen nach noch mehr Kontrolle und Überwachung kamen (obwohl dieses Attentat auch mit noch mehr Kontrolle nicht zu verhindern gewesen wäre) – wie reagierte Norwegen, das Land, dessen Kinder so brutal ums Leben gekommen waren?

Als der Ministerpräsident vor die Kameras tritt, weiß er, dass die Bombe im Regierungsviertel auch seinem Leben hätte ein Ende machen können. Einige seiner Mitarbeiter sind tot. Und was sagt er? »In einer solchen Stunde«, sagt er, »ist es wichtig für das einzustehen, woran wir glauben. Die werden uns nicht zerstören.« Ich weiß nicht, wie sehr der norwegische Ministerpräsident christlich geprägt ist, aber ich glaube, Paulus hätte diese Reaktion gut gefunden. Wenn es hart auf hart kommt, dann muss man wissen, wer man ist und was man glaubt. In anderen Zeiten sollte man das auch wissen, aber ganz besonders wenn es schlimm kommt, dann ist das die wichtigste Frage: wer bin ich, und was glaube ich?

Wenn man dem Bösen ins Gesicht schauen muss, der Sünde, der Zerstörung, dann helfen nicht ein paar praktische Maßnahmen, ein paar mehr Polizisten oder ein neues Gesetz. Wenn man dem Bösen ins Gesicht schaut, dann muss man wissen, auf welchem Fundament man steht. Sünde ist heute ein Wort, das im normalen Sprachgebrauch höchstens als Karikatur vorkommt, und es geht mir auch nicht um das Wort, aber es ist die Realität, dass wir überall auf eine zerstörerische Macht stoßen, die diese Welt besudelt und uns in ihren Sog ziehen will. Wir begegnen ihr in vielerlei Gestalt: in den hasserfüllten Gedanken eines Massenmörders genauso wie in einem mutwillig abgeknickten Strauch im Park und in der ganzen Spanne dazwischen. Man kann das Wort Sünde gerne beiseite legen, aber die Realität, die damit gemeint ist, ist immer noch da.

Wie kann man dieser Macht widerstehen? Das ist die Frage von Paulus. Und seine Antwort ist: indem wir uns daran erinnern, wer wir sind. Wir sind freie Menschen, befreit durch das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu. In Jesus ist eine neue Art zu leben und zu sterben sichtbar geworden, er ist vorangegangen, er hat dem Bösen ins Gesicht geschaut und ist nicht zurückgewichen: zum ersten Mal, als er in der Wüste versucht wurde, gleich nach seiner Taufe, und das zweite Mal, als sie ihn kreuzigten. Und jedes Mal ist er seinem Weg treu geblieben, seiner Art zu leben, weder mit Verlockung noch mit Druck hat er sich davon abbringen lassen. Er wusste, wer er war: der Sohn seines Vaters im Himmel. Und Gott hat das bestätigt, er hat ihn auferstehen lassen, und jetzt ist der Böse an der entscheidenden Stelle zurückgewiesen, entmächtigt, widerlegt.

Am besten macht man sich das an den Jüngern klar, wie sie sich erst, bei Jesu Kreuzigung, voller Angst verkrochen haben; aber als sie verstanden hatten, dass er wirklich auferstanden war, da wurden sie mutig und fürchteten sich vor nichts mehr. Sie wussten: die Machtverhältnisse haben sich geändert, wir haben den Priestern und Römern und Kaputtmachern etwas entgegenzusetzen.

Als die Jünger erst verstanden hatten, dass sie verbunden waren mit dem Überwinder des Bösen, da verlor es seinen Schrecken. Bei uns, sagt Paulus, ist das passiert, als wir getauft worden sind: da sind wir auf den Boden dieses neuen Lebens gestellt worden. Wir sind verbunden worden mit diesem Widerstandspotential gegen das Böse, die Sünde, die Zerstörung, damit wir ihr nicht zum Opfer fallen, damit wir keine Angst mehr haben, damit wir nicht auch noch von solchen feindseligen Gedanken angesteckt werden, wie sie den Attentäter von Oslo getrieben haben.

Denn solche bösartigen Gedanken gibt es natürlich schon längst, bevor einer sich das Zeug kauft, mit dem man Bomben bastelt. Schon all die Fantasien, dass man eine reine Gemeinschaft herstellen könnte, wo keiner mehr anders ist und stört, ein Land, in dem alles Fremde und anscheinend Unkontrollierbare ausgerottet ist, eine Welt, die ganz unter meiner Kontrolle ist – das sind zerstörerische, böse Gedanken, auch wenn sie zum Glück nicht jeder zu Ende denkt. Gegen diesen Sog des Kontrolldenkens kommt man nicht an mit ein bisschen Nettigkeit. Da muss Radikaleres passieren.

Stell dir vor, du arbeitest in einer ganz abgewrackten Firma. Der Chef zieht die Kunden über den Tisch, er bezahlt seine Leute nicht pünktlich, und ob er die Sozialbeiträge an die Krankenkasse zahlt, weiß kein Mensch. Er verlangt von dir, dass du für ihn lügst und halbkriminelle Dinge deckst, und die Stimmung im Laden ist voller Mobbing und Zynismus. Wenn du da eine Zeit lang arbeitest, merkst du, dass du auch so wirst. Das färbt ab. Da hilft kein gutes Zureden, da hilft nur eins: such dir einen anderen Chef.

Und genau das, sagt Paulus, ist passiert, als wir getauft wurden: wir haben einen anderen Chef bekommen, in der Sprache der Bibel: einen anderen Herrn. Und dadurch sind wir in einer Firma, in der ein ganz anders Klima herrscht, ein angenehmes Klima, in dem es leicht ist, gut zu sein, wir sind in einem Beziehungsnetz, das uns darin fördert, unser Können und unsere Kraft für das Gute einzusetzen.

Dieser Schritt vom einen Zustand zum anderen gelingt nicht mit ein paar guten Vorsätzen oder Grundsätzen, sondern dazu braucht es einen radikalen Schnitt: Kündigen! Viele Leute würden das eigentlich gern, aber sie wissen nicht, ob sie dann anderswo Arbeit finden; und deshalb bleiben sie doch beim alten Chef. Immer noch in diesem Bild gesprochen sagt Paulus: es gibt diese viel bessere Firma, diesen anderen Herrn, ihr könnt sofort bei ihm anfangen. Allein schon, wenn du weißt, es gibt eine Alternative, dann merkst du, wie die Macht bröckelt, mit der diese kaputte Firma dich im Griff hat. Allein dadurch, dass es diese Alternative gibt, wird es schon erträglicher. Aber um wirklich frei zu werden, musst du einen Schnitt machen, du musst dem alten Herrn kündigen, damit du und er wissen, dass er dir nichts mehr zu sagen hat.

Die Behauptung von Paulus ist ziemlich steil: du kommst gegen das Böse in der Welt nur an, wenn du davon durch einen Schnitt getrennt bist, der so radikal ist wie der Tod. Damit wir das verstehen können, haben wir vorhin das Evangelium gehört, wo Jesu sagt: »Wenn jemand mein Jünger sein will, muss er sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen.« Mit Kreuz meint Jesus nicht, dass all seine Anhänger am Kreuz sterben müssen wie er selbst. Er spricht davon, dass seine Jünger raus müssen aus allem, was bis dahin über ihr Leben bestimmt hat. Das beste Bild dafür war damals, dass sie ihre Familien und ihre Arbeit zurückließen, und mit ihm gingen. Wir Menschen sind so abhängig von unserer Umgebung und unseren Beziehungsnetzen, dass wir oft erst dann offen für Neues sind, wenn wir die alte Umgebung hinter uns lassen und woanders neu anfangen. Und wenn Jesus dann fortfährt: »Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.« meint er damit nicht zuerst, dass wir alle Märtyrer werden sollen, sondern dass wir nicht unseren Lebenszuschnitt und unsere Denkweise festhalten sollen. Ich glaube, dass es für manche Menschen sogar einfacher wäre, ein Martyrium zu erleiden, als ihren Denkhorizont zu verändern. Das ist wirklich wie Sterben: wenn sich unsere Wertvorstellungen radikal ändern.

Deshalb ist die Taufe in ihrer ursprünglichen Gestalt ein Symbol von Leben und Tod: du wirst unter Wasser getaucht, das ist ein Symbol für Sterben und begraben werden; wahrscheinlich haben viele schon mal ein bisschen Todesangst gespürt, als sie im Schwimmbad von jemandem gegen ihren Willen untergetaucht wurden. Der Symbolgehalt der Taufe ist genau in diesem Bereich. Und wenn einer dann wieder auftaucht, dann fängt etwas Neues an. Das ist wie neues Leben: er steigt aus dem Wasser, atmet tief ein und lebt von nun an mit einem anderen Herrn, Jesus Christus.

So werden wir durch die Taufe mit dem Sterben und Auferstehen von Jesus verbunden, damit für uns ein Leben anfängt, mit dem wir dem Bösen widerstehen können. Anders kann man dem Bösen nicht widerstehen, wenn man ihm ins Gesicht blicken muss. Du musst auf einer anderen Grundlage stehen, sonst hast du kein Standing dagegen. Das Böse darf bei dir keinen Fuß in der Tür haben, sonst kannst du es nicht aussperren.

Aber wenn diese Grundlage klar ist, dann geht es darum, dass wir uns immer wieder in Erinnerung rufen: wer sind wir und was glauben wir? Du bringst aus deiner alten Firma schlechte Gewohnheiten mit, vielleicht merkst du schon gar nicht mehr, wenn du lügst, weil du da so oft lügen musstest. Oder auf einmal steht dein alter Chef vor der Tür und behauptet, er bekäme noch Geld von dir, oder du solltest für ihn noch mal einen Job übernehmen. Und dein erster Reflex ist, dass du ihm aus Gewohnheit nachgeben willst. Aber das sind die Augenblicke, wo man sich sagen muss: Stop! Wer bin ich und woran glaube ich? Bin ich dem gegenüber noch zu irgendwas verpflichtet? Nein, und wenn der nicht geht, hole ich die Polizei.

Versteht ihr, wir sind noch in dieser Phase, wo man sich die alten Reflexe abgewöhnen muss. Es ist gut, wenn man das mit anderen zusammen macht; wer glaubt, er könnte das allein, der überschätzt sich. Das ist die Aufgabe einer Gemeinde: eine Gemeinschaft zu sein, wo man lernt, als Angehöriger einer neuen Firma zu arbeiten, als jemand, dessen Herr Jesus Christus ist.

Dem Bösen nicht mit Bösem antworten – das ist die wirkliche Herausforderung. Wenn ich an die Ereignisse in Norwegen denke heißt das konkret: Sich nicht anstecken zu lassen von dem mörderischen Kontrollwunsch des Attentäters, sondern innehalten und fragen: wer sind wir? Was glauben wir? Wohin gehören wir?

Wir gehören dem Herrn, der den Tod besiegt hat und auferstanden ist. Da hat etwas ganz Neues angefangen. Und wenn wir in seinen Spuren gehen, dann entsteht etwas, was an seiner neuen Welt Anteil hat. Und wenn wir selbst eines Tages auferstehen und eintreten in diese erneuerte Schöpfung, dann werden wir sehen, wie alles, was wir auf dieser Grundlage getan haben, mit dabei ist. Gott macht daraus Bausteine für die neue Welt. Und wir werden froh sein über alles, was durch uns entstanden ist.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Martin Halbgewachs

    Lieber Herr Färber,

    jede Zeile ist so kostbar zu lesen. Mutmachend, richtungweisend, glaubensstärkend. Vielen Dank.

    Martin

    1. Walter

      Ich habe es erst jetzt gesehen und freigegeben. Entschuldigung! Und vielen Dank für die Rückmeldung!

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