Das kirchliche Delegationsprinzip

Kein guter Kompromiss

Am Wochenende war bei uns Konfirmation, deswegen hatte ich beim Bloggen eine längere Pause eingelegt. In diesem Jahr ist es gut gelaufen – wir hatten eine Gruppe, die im letzten Jahr richtig gut zusammengewachsen ist, mit den Eltern haben wir uns prima verstanden (bei uns arbeiten Eltern im Konfirmandenunterricht mit – ungefähr 30 % der Familien sind dabei vertreten) und jetzt die Konfirmation war auch sehr schön.
Trotzdem spüre ich – und zwar ganz besonders in den Momenten, wo es gut läuft! – sehr deutlich die Begrenzungen des gesellschaftlichen Musters, nach dem bei uns Christentum funktioniert. Ich versuche es zu formulieren: ihr Kirchenleute erledigt für uns die Sache mit Gott. Irgendwer muss es ja wohl machen. Wir freuen uns, wenn ihr es gut macht, wir schätzen euch dann, wir bezahlen euch, wir machen auch in Grenzen mit – aber bewahrt uns davor, allzu tief da hineingezogen zu werden.
So ist das wohl kaum von jemandem formuliert worden, aber so funktioniert es. Ganz selbstverständlich und ohne dass man da groß drüber nachdenken müsste. Auch relativ unabhängig von der Qualität kirchlicher Arbeit. Alle Gemeindearbeit steht unter diesem Vorzeichen – schön, wenn dann in der Klammer gute Dinge geschehen. Aber die Klammer bleibt.
Das ist der gesellschaftliche Kompromiss zwischen Gesellschaft und Kirche. Er kann von der Kirche nicht einseitig verändert werden, weil es ja ein Gegenüber gibt, das dabei mitspielen muss. Übrigens: auch eine Freikirche kommt da nicht einfach raus. Aber es ist natürlich die Frage, ob die Kirche diesen Status Quo auch selbst akzeptiert und richtig findet.
Wir wissen aus der Paartherapie: wenn von zwei Partnern einer sich ändert, dann kann der andere auf die Dauer auch nicht so bleiben, wie er ist. Also geht es zuerst darum, uns selbst zu verändern. Die Organisationsgeschichte neu zu erzählen. Mit ein bisschen Kosmetik und Modernisierung ist es da wirklich nicht getan.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. pastorsandy

    Ich denke auch verstärkt darüber nach, was es heißt, durch die Konfirmation Teil einer Ausbildungseinrichtung zu sein, die von kirchlicher Seite komplett andere Intentionen vertritt als an Erwartungen von Etern- bzw. Konfirmandenseite.
    Du schreibst, dass man qua Erfahrungen aus der Paartherapie weiß, dass man durch Veränderung der eigenen Herangehensweise auch das Gegenüber beeinflußt.
    Das bedeutet aber auch, dass man wissen muß, was die eigenen Intentionen und Erwartungen sind. Ich stelle einfach mal die böse These auf, dass im landeskirchlichen Bereich die meisten Pastoren die Struktur des Konfi-Unterrichts bzw. der abschließenden Konfirmation prozess-/ amtsmüde nicht mehr reflektieren, sondern einfach laufen lassen.
    Sollen wir uns trauen das „gesellschaftliche Muster“ (wie du es nennst) kritisch zu hinterfragen und daraus ein transparentes System von KU (und auch evtl. begleitendem KU-Eltern Treffen) zu entwickeln die auch unseren Erwartungen entsprechen?

  2. tiefebene

    Ich würde deine „böse These“ noch mal ausweiten und behaupten, dass das nicht nur im Konfirmandenbereich so ist. Und es ist nicht nur im Konfirmandenbereich nötig, sich sehr grundlegend zu verändern, damit der Partner (die Gesellschaft) darauf reagieren muss. Und, genau, das heißt: sehr gut über die eigenen Ziele nachdenken. Nicht das Mainstream-Denken reproduzieren. Damit bleibt man auch selbst gesünder.

    Gerade wenn es eigentlich gut läuft, merke ich aber besonders, wie sehr mir dieses gesellschaftliche Grundmuster Grenzen setzt. Andererseits: ein bisschen bewegt man doch schon, wenigstens in einer Gemeinde, wenn man lange genug bleibt. Und was Gott dann daraus macht, ist seine Sache.

  3. Ingo

    „Wir freuen uns, wenn ihr es gut macht, wir schätzen euch dann, wir bezahlen euch, wir machen auch in Grenzen mit – aber bewahrt uns davor, allzu tief da hineingezogen zu werden.“

    Hallo Walter,
    mit großer Zustimmung habe ich diesen Beitrag gelesen – und zwar eenfalls nach einer schönen, ‚gelungenen‘ Konfirmation. Dieser Satz beschreibt ziemlich gut die (landes-)kirchliche Wirklichkeit; aber dieses Symptom findet sich modfiziert wohl auch im freikirchlichen Bereich. Allerdings kann sich auch etwas verändern, wenn wir als ein ‚Partner‘ dieses problematischen Paares lange genug wissen, wo wir hinwollen und das auch entsprechend kommunizieren. Manche fordert das vielleicht auch zur ‚Scheidung‘ heraus und sie suchen sich dann eine Gemeinde, wo sie den kirchlichen Service leichter bekommen – aber das sollte unserer Klarheit nicht schaden? Viel schwieriger finde ich es, in der Leitung und im ‚Kern‘ einer landeskirchlichen Gemeinde eine gemeinsame, biblische Klarheit und konkrete Vision zu finden und umzusetzen. Aber auch das kann gelingen!

    Deshalb stimmt deine Antwort: „ein bisschen bewegt man doch schon, wenigstens in einer Gemeinde, wenn man lange genug bleibt. Und was Gott dann daraus macht, ist seine Sache.“ So ist es.

    Segenswunsch aus dem Allgäu in die tiefe Ebene! 🙂

  4. HG Unckell

    Und er ist auch im katholischen Umfeld sehr präsent. Papst Franziskus hat dieses ,,Delegationsprinzip“ bei einer Rede anlässlich des Weltjugendtags 2013 in Brasilien als wesentlichen Problembereich identifiziert. Er schreibt:
    Der Klerikalismus ist ebenfalls eine sehr aktuelle Versuchung in Lateinamerika. Seltsamerweise handelt es sich in der Mehrheit der Fälle um eine sündige Komplizenschaft: Der Pfarrer klerikalisiert, und der Laie bittet ihn höflich, ihn zu klerikalisieren, weil es sich im Grunde für ihn als bequemer erweist.
    Diese Beobachtung gilt ja nicht nur für Lateinamerika, sondern wohl für viele Formen gemeindliches Christseins bei uns.
    Mich spricht in diesem Zusammenhang an, dass Klerikalismus nicht an eine Denomination gebunden ist.
    Ich hatte als Pfarrer mal versucht, ähnlich, wie es im Umfeld von gutem Coaching üblich ist, einen Vertrag zwischen den Familien bei der Kommunionvorbereitung und der Unterstützung durch den Pfarrer (für mich passt da Coach auch gut)
    zu schließen. Diese Offenlegung kam gar nicht gut – die Welle der Emotionen zwang mich, zurückzurudern.
    Was ja auch eine Änderung ist – wenn auch nur halb – freiwillig.
    Natürlich bleibt die Frage: Wie geht gemeindliches Christsein nichtklerikal?
    Und wenn der Papst mit seiner Analyse ,,Bequemlichkeit“ Recht haben sollte, ist auch offen, ob es fair ist, die Gesellschaft für diese Delegation verantwortlich zu machen. Zugegeben, vielleicht fülle ich das Wort Gesellschaft anders – die Frage was hilft, Menschen zum selber Glauben anzuleiten – bleibt in meiner Wahrnehmung bei uns wichtig.

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