Gott schauen – Kontemplative Übungen nach Franz Jalics

Zu Franz Jalics‘ Buch „Kontemplative Exerzitien“

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Über den Elia-Blog bin ich auf das Buch „Kontemplative Exerzitien“ von Franz Jalics gestoßen. Wie der Titel vermuten lässt, ist Jalics Jesuit und steht in der Tradition des Ignatius v. Loyola. Aber man soll ja ruhig mal auch Unvertrautes anschauen.

Franz Jalics ist Ungar. Weichenstellungen in seinem Leben waren die Zeit des 2. Weltkrieges (in der er ungarischer Offiziersanwärter war und dadurch kurz vor Kriegsende zur Ausbildung nach Deutschland kam) einschließlich der Nachkriegszeit (in der er zunächst einfach nur auf die Rückkehr nach Ungarn warten musste, um anschließend dort unter großen Druck durch die kommunistische Regierung zu kommen) und eine fünfmonatige Entführung durch eine argentinische Todesschwadron 1976.

Jalics bietet den Lesern seines Buches an, entweder nur Leser zu sein oder anhand der Anleitungen im Buch für sich selbst Exerzitien zu halten. Diese Anleitungen sind sozusagen die Quintessenz aus über 700 Kursen, die Jalics bisher gegeben hat. Ich habe mich zunächst für das Lesen entschieden. Dabei bin ich seinen Gedanken mit großem Interesse und vielen Aha-Erlebnissen nachgegangen. Ich gebe hier einige Grundlinien wieder, wobei es sich nicht nur um ein Referat, sondern auch schon um meine Interpretation und Deutung handelt:

  • Grundgedanke ist, die Aufmerksamkeit zu stärken. Dahinter steht die Überlegung, dass sich im Prozess der Zivilisation das Schwergewicht der Geistestätigkeiten zunehmend auf Kosten der Wahrnehmung zum Denken und Tun verlagert hat. Das menschliche Gehirn, das sowieso von seiner Konstruktion her vor allem mit sich selbst spricht, reduziert den Anteil der von außen kommenden Impulse im Gefolge der Moderne immer mehr. Dieser Entwicklung wirken die Übungen entgegen, indem sie den Schwerpunkt auf die Wahrnehmung legen, das Denken aber nicht bekämpfen (das würde ja wieder Denken bedeuten), sondern sozusagen ignorieren.
  • Weil es sich hierbei um Verarbeitungsgewohnheiten handelt, die uns als die einzig möglichen erscheinen, braucht es Übungen und eine längere Zeitspanne, um diese Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und andere Zugänge zur Wirklichkeit zu stärken.
  • Die Erwartung dabei ist, dass diese Stärkung der Wahrnehmung auch ein größeres Fenster öffnet für die Wahrnehmung Gottes. Es geht aber nicht um die Produktion von Vorstellungen und Gedanken, die religiöse Gefühle auslösen (diesen Eindruck habe ich oft im charismatischen Bereich gehabt), sondern gerade um eine Befreiung vom sofortigen Etikettieren und Vernutzen des Wahrnehmungs-Rohstoffs.
  • Die Exerzitien beginnen mit Übungen zur Wahrnehmung der äußeren Natur, wo diese Grundhaltung am leichtesten eingeübt werden kann. Sie setzen sich fort mit Wahrnehmungsübungen am Atem und im Körper, bis sie sich in der zweiten Hälfte des Kurses endgültig auf die Wahrnehmung der Handflächen fokussieren. Parallel dazu gibt es Einführungsvorträge, Anweisungen zur Meditation und Einzelgespräche, von denen eine große Zahl abgedruckt sind. Diese Gespräche beschreiben typische Probleme und Anfragen sowie Jalics Hilfestellung dazu.
  • Im Verlauf dieses Weges kommt es immer wieder zur Wahrnehmung eigener psychischer Engpässe und Verwundungen. Sie werden jedoch nicht analysiert oder aufgearbeitet, sondern nur kurz wahrgenommen und dann mit dem heilenden Zentrum der Person in Verbindung gebracht.
  • Es ist Jalics‘ Überzeugung, dass im Zentrum der Person eine Begegnung mit Gott möglich ist. Dies gelingt aber nur, wenn der Panzer geöffnet wird, den wir uns im Laufe unseres Lebens zugelegt haben, und der uns vor Schmerzen und Ängsten schützen soll. Weil dort im Zentrum der Person auch diese Schmerzen warten, suchen wir das Zentrum nicht auf und gelangen so auch nicht zur Begegnung mit Gott. Werden die Schmerzen jedoch wahrgenommen, dann können sie durch die Begegnung mit dem Personzentrum nach und nach geheilt werden.
  • Die Exerzitien helfen, sich langsam diesem inneren Raum anzunähern. Jalics nennt ihn auch „die Gegenwart“. Nur die Gegenwart können wir unmittelbar erleben, Zukunft und Vergangenheit dagegen lediglich als Konstrukte unseres Hirns. Nur in der Gegenwart können wir auch Gott als echtem lebendigen Gegenüber begegnen.

So weit erst einmal zur Einführung, im nächsten Post mache ich mir Gedanken zur theologischen Einordnung.

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Tinka

    Hallo Walter
    Bin heute auf dein Blog gestossen. Spannend! Bin selber Ex-Reformiert-freikirchlich angehauchte und jetzt Katholisch. Den Wechsel habe ich nach einem langen inneren Weg und einem Jahr bei Franz Jalics in der Hausgemeinschaft vollzogen. Emergent Churches ist ein Thema, über das ich immer wieder mal drübersurfe. Schön, dass es jetzt anfängt Verbindungen zu geben zwischen der kontemplativen Spiritualität und der emergent church.
    Übrigens, in Hildesheim, bzw. im Kloster Marienrode sind einige Benediktinerinnen die auch den kontemplativen Weg gehen und Exerzitien geben.
    Freundliche Grüsse aus der Schweiz
    Tinka – die gerne wieder einen Blick in dein Blog wirft 🙂

  2. tiefebene

    Hallo Tinka,
    ja es ist wirklich toll, welche Verbindungen geografisch und inhaltlich wachsen. In Marienrode waren wir sogar schon mal mit einer Gruppe unserer Gemeinde, aber nur als Besuch mit eigenem Programm. Es gibt noch viel zu entdecken.
    Herzliche Grüße aus der Tiefebene in die Berge!
    Walter

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