Kontemplative Übungen – Versuch einer theologischen Einordnung (1)

Hier findest du den ersten Teil meiner Überlegungen zum geistlichen Weg nach Franz Jalics. Heute möchte ich versuchen, die „Kontemplativen Exerzitien“ theologisch einzuordnen. Das wird, ich sage es gleich, theologisch im engeren Sinn werden – Theologie ist nun mal mein Job. In den nächsten Posts wird es dann wieder erfahrungsorientierter. In seiner Anleitung „Kontemplative Exerzitien“ […]

Hier findest du den ersten Teil meiner Überlegungen zum geistlichen Weg nach Franz Jalics.

Heute möchte ich versuchen, die „Kontemplativen Exerzitien“ theologisch einzuordnen. Das wird, ich sage es gleich, theologisch im engeren Sinn werden – Theologie ist nun mal mein Job. In den nächsten Posts wird es dann wieder erfahrungsorientierter.

In seiner Anleitung „Kontemplative Exerzitien“ schreibt Franz Jalics relativ wenig zur Theologie, die hinter den Übungen steht. Ausführlichere theologische Überlegungen finden sich in dem kleinen Band „Der kontemplative Weg„. Ich muss sagen, dass mich dieses Buch weniger überzeugt hat als die Anleitungen zu den Exerzitien selbst. Vielleicht liegt es daran, dass Jalics natürlich im Bezugssystem katholischer Theologie spricht, mit dem ich nicht vertraut bin. Nicht, dass es keinen Sinn machen würde oder falsch wäre. Vielleicht ist es das Denken in einer Kontinuität zwischen verschiedenen Stufen (Philosophie und Theologie, verschiedene aufeinander folgende Gnaden), das mich befremdet, weil ich eher von einer Theologie des Bruchs zwischen Wort Gottes und Welt herkomme. Die Verbindung würde ich dann eher als Beziehung, als Dialog und Begegnung sehen, nicht als Übergang zwischen verschiedenen Stufen.

Jedenfalls hatte ich den Eindruck: von meiner theologischen Herkunft her müsste man anders ansetzen. Ich will nicht sagen „das müsste man besser machen“, aber mit meinem Hintergrund muss ich da anders rangehen. Und ich war im Nachhinein froh, dass ich zuerst die praktischen Anleitungen in den „Kontemplativen Exerzitien“ gelesen habe und erst dann die theologischen Hintergründe. So hatte ich schon ganz unbefangen überlegt, wie ich diese Übungen verorten kann.

Mir drängte sich nämlich beim Lesen sofort die Verbindung zum „In Christus – Sein“ auf, zur „Unio cum Christo“, die ich als zentralen Begriff zuerst bei Karl Barth (Kirchliche Dogmatik IV/3, § 71.3) und zuletzt wieder bei Scot McKnight kennen gelernt habe. Dieses „In Christus – Sein“ ist, recht verstanden, die Quelle aller christlichen Güter und Segnungen. Aus einer unauflöslichen Verbindung mit Christus (Luther in der Auslegung zu Johannes 17,11 von 1528: „eins“ bedeutet nicht nur: concors, einträchtig, sondern una res, ein Ding, Kuchen, Leib) fließen alle anderen Gaben des christlichen Lebens: Rechtfertigung, Vergebung, Heiligung, Gehorsam usw.

Karl Barth beschreibt dieses Verhältnis der Christen zu Christus allgemein als Leben durch Glauben, nämlich

ihr sie zugleich befreiendes und bindendes tätiges Wissen darum, dass alle Menschen und so auch sie zu ihm [Jesus Christus] gehören. In dem tätigen Wissen dieses ihres Glaubens antizipieren die Christen die Existenzform, die einst und dort die aller Menschen sein soll. (KD IV/3, 605)

Dass alle Menschen zu Jesus Christus gehören, wissen also vorerst nur
einige. Trotzdem ist die Beziehung auf Jesus Christus der zentrale,
wenn auch unbekannte, Faktor in jedem Menschenleben. Von hier aus ist
jeder Mensch zu verstehen und zu beschreiben. Diese Beziehung auf Christus ist die Mitte jedes Menschen.

Wenn Jalics nun schreibt

Haben wir in uns irgendwo einen Ort, eine Mitte oder einen Grund, in dem wir nur Geist sind (…) ?
(…) In diesem Zentrum trennt uns nur ein hauchdünner Vorhang von der Gegenwart Gottes. Von der Erfahrung dieses reinen Geistes her ordnet sich alles von innen her (…) .
Der kontemplative Weg 27-29 (pass.)

dann würde ich diese Mitte nicht so sehr als vorhandene Instanz im Menschen, sondern von der Beziehung zu Christus her beschreiben. Aber das sind (notwendige) Feinheiten, die vielleicht nur Theologen schätzen.

Wichtiger ist, dass diese Beziehung auf Christus als intensives, enges Miteinander zu denken ist (Luther: nicht nur „einträchtig“, sondern „ein Ding, Kuchen, Leib“). Trotzdem bleibt dabei die Eigenständigkeit jeder Person bewahrt (an diesem Punkt stellt Karl Barth in KD IV/3, 620 Anfragen an die Mystik, die aber Jalics nicht unbedingt treffen). Als Vorbild für dieses enge Miteinander in Eigenständigkeit müsste man wahrscheinlich die Trinität sehen.

Für mich stellen nun die kontemplativen Übungen nach Jalics einen Weg dar, dieses Verhältnis zunächst einmal wahrzunehmen, ohne es sofort wieder zu instrumentalisieren (für Vergebung, Heiligung, Gehorsam, Wachstum etc.).

In meinen Augen ist nämlich das Problem der reformatorischen Theologie, dass sie – obwohl von Luther her eigentlich die „Einheit mit Christus“ als Quelle alles Weiteren klar sein müsste – stärker an den Gaben Christi orientiert war als am Geber selbst. Der Herr selbst wurde weniger wichtig als seine Vergebung und Rechtfertigung. Und daher kommt dann ein nachträgliches Zusammenflicken von Gnade und Ethik, Zuspruch und Anspruch, Sein und Sollen, Indikativ und Imperativ, das nie wirklich funktioniert (vgl. hierzu auch KD IV/3, 631f, wo das alles noch reicher gesagt ist).

Die Ursache unserer gegenwärtigen Schwäche liegt deshalb meines Erachtens nicht im Bereich der Konsequenzen des Glaubens, sondern unsere häufige Inkonsequenz in der Umsetzung hängt mit der Schwächung der Quelle zusammen, aus der eigentlich alles fließen müsste.

Diese Instrumentalisierung der Beziehung zu Christus auf praktische Konsequenzen (vor allem: auf die Sündenvergebung) hin ist vielleicht schon ein spezifisch moderner Zug in der reformatorischen Theologie. Erst jetzt fangen wir langsam an, ihn zu problematisieren. Dann stellt sich aber dringend die Frage, wie diese Beziehung zu Christus selbst (nicht ihre Konsequenzen!) zu praktizieren – wahrzunehmen, zu gestalten, zu feiern – ist.

Darüber mehr im nächsten Post.

Nachtrag: ich sehe gerade, dass francis schon Ende letzten Jahres über den „Kontemplativen Weg“ geschrieben hat. Ich entnehme der folgenden Diskussion, dass es nicht für alle ok ist, sich auf die Brüder von der anderen Fraktion einzulassen …

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. francis

    ich hab den beitrag erst jetzt entdeckt (bin in letzter zeit ja nicht mehr so aktiv), und muss sagen, dass ich zu dem buch einen deutlich naiveren zugang hatte als du. das liegt natürlich in erster linie daran, dass ich kein theologe bin, und deshalb vieles ganz anders (vielleicht auch theologisch gesehen einiges falsch) auffasse und verstehe. aber ich habe geistlich von der lektüre profitiert (deutlich mehr als von vielen us-evangelikalen autoren), und deshalb mochte ich das buch sehr. die „kontemplativen exerzitien“ wollte ich auch immer mal lesen, hab es aber bis heute leider noch nicht geschafft. 🙁
    auf jeden fall danke für deine gedanken, das hat mich nochmal zum nachdenken über das buch angeregt. 🙂

  2. Walter

    @francis:
    Wie du siehst, bin ich ja z.Zt. hier auch nicht besonders aktiv. Aber der praktische Teil kommt auch, ich sammle noch Gesichtspunkte.

  3. biogenesistools

    schön, das hier zu finden. habe vor Jahren auch bei Franz Jalics mehrmals meditiert. zu der Zeit war Lioba die gute Seele des Hauses. gibt es aktuelle neuigkeiten?

    1. Tinka

      Hallo biogenesistools
      Inzwischen hat Franz die Leitung des Hauses Gries abgegeben, lebt aber immer noch dort und gibt auch weiterhin einige Kurse.
      Lioba ist schon länger nicht mehr dort, aber die Hausgemeinschaft gibt es immer noch (war selber 2004/05 ein Jahr mit dabei). Das Haus wird jetzt vom Jesuitenpater Anton Altnöder geleitet.
      Übrigens hat Franz Jalics eine Homepage kontemplative-exerzititen.de
      Gruss von Tinka

  4. Walter

    Hallo, biogenesistools,
    ich bin leider live nie mit Franz Jalics zusammengekommen, habe nur sein Buch nun schon längere Zeit studiert. Vielleicht ergibt es sich ja mal.

  5. Tobias E.

    Hallo Walter,

    wir kennen uns aus dem Emergent Netzwerk und ich habe mich aufgrund deiner Empfehlung auch mit den Exerzitien nach Jalizs beschäftigt (und bin noch dabei). Davor war ich allerdings längere Zeit in einer anderen spirituellen Strömung unterwegs, nämlich bei Eckart Tolle „Jetzt: Die Kraft der Gegenwart“ (im Grunde Buddhismus). Mir kommt dabei sehr Vieles identisch vor mit den christlichen Exerzitien. Besonders die bewusste Gegenwärtigkeit im Hier und Jetzt (oder auch die Stärkung der Ebene der Wahrnehmung) u.v.a.. Ich habe fast den Eindruck, dass es genau das Gleiche ist. Ich weiß, dass der Buddhismus nicht eine personale Gottheit im Sinne eines „Du“ postuliert, ok, aber gibt es sonst eigentlich irgendwelche Unterschiede? (Zur Suche nach einer theologischen Einordnung)
    VG,
    Tobias

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