Trost und Hoffnung der Schrift

Predigt am 17. Dezember 2017 (3. Advent) zu Römer 15,4-13

4 Alles, was die Schrift sagt und was doch schon vor langer Zeit niedergeschrieben wurde, sagt sie unseretwegen. Wir sind es, die daraus lernen sollen; wir sollen durch ihre Aussagen ermutigt werden, damit wir unbeirrbar durchhalten, bis sich unsere Hoffnung erfüllt. 5 Denn von Gott kommt alle Ermutigung und alle Kraft, um durchzuhalten. Er helfe euch, Jesus Christus zum Maßstab für euren Umgang miteinander zu nehmen und euch vom gemeinsamen Ziel bestimmen zu lassen.  6 Gott möchte, dass ihr ihn alle einmütig und mit voller Übereinstimmung preist, ihn, den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. 7 Darum ehrt Gott, indem ihr einander annehmt, wie Christus euch angenommen hat. 8 Ich spreche davon, dass ´Christus sowohl für das jüdische Volk als auch für die anderen Völker gekommen ist`. Er ist ein Diener derer geworden, die beschnitten sind, ´ein Diener der Juden,` um die Zusagen, die Gott ihren Stammvätern gegeben hatte, einzulösen und damit die Treue Gottes und die Wahrheit seines Wortes unter Beweis zu stellen.
9 Aber auch die anderen Völker preisen Gott, weil sie ´durch Christus` sein Erbarmen erfahren haben. Das bestätigt die Schrift. Es heißt an einer Stelle (Psalm 18,50):»Darum will ich mich vor den Völkern zu dir bekennen; zum Ruhm deines Namens will ich dir Loblieder singen.«  10 An einer anderen Stelle (5. Mose 32,43) heißt es: »Stimmt mit ein, ihr Völker, in den Jubel seines Volkes!« 11 Wieder an einer anderen Stelle (Psalm 117,1) heißt es: »Lobt den Herrn, all ihr Völker! Alle Nationen sollen ihn preisen.« 12 Und Jesaja sagt (Jesaja 11,10): »´Bald` wird er da sein, der Spross, der aus der Wurzel des Isai hervorwächst; er wird sich erheben, um die Herrschaft über die Völker auszuüben.Auf ihn werden die Völker hoffen.« 13 Darum ist es mein Wunsch, dass Gott, die Quelle aller Hoffnung, euch in eurem Glauben volle Freude und vollen Frieden schenkt, damit eure Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes immer unerschütterlicher wird.

Paulus hat das vor knapp 2000 Jahren geschrieben, und er zitiert Stellen aus dem Alten Testament, die auch damals schon 600 oder mehr Jahre alt waren. Viele Menschen heute würden sagen: was können uns denn so alte Texte heute noch sagen? Wir sind moderne Menschen, wir wollen auch moderne Texte haben!

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Das Werk des einen Gottes

Paulus argumentiert hier genau andersherum: gerade weil diese Texte so alt sind, sind sie eine starke Quelle der Hoffnung. Man kann nämlich an ihnen sehen, dass Gott über eine lange Zeit hin immer wieder sich selbst treu geblieben ist. Zu ganz unterschiedlichen Zeiten hat er unterschiedliche Menschen mit seinem Wort immer wieder in dieselbe Richtung geschoben. Wenn die Bibel in kurzer Zeit fertig geschrieben worden wäre, dann könnte ja jemand einfach nur seine persönlichen Gedanken über Gott niedergelegt haben. Aber kein Mensch kann über viele Jahrhunderte und über viele Generationen hinweg eine so gewaltige Sammlung von Schriften kontrollieren, wie es die Bibel ist. Da haben so viele unterschiedliche Menschen dran gearbeitet – wenn die dann tatsächlich alle irgendwie zueinander passen, liegt das nicht daran, dass sie nach einem einheitlichen Masterplan gearbeitet hätten. Wenn sich da tatsächlich in aller Vielfalt ein einheitlicher roter Faden durchzieht, dann kann das nur dadurch kommen, dass sie es alle mit dem selben Gott zu tun hatten.

Deswegen, sagt Paulus, gibt uns die Bibel Trost und Hoffnung. Wenn wir sehen, wie Gott über so lange Zeit kontinuierlich in die selbe Richtung gearbeitet hat, wenn wir merken, wie er auch die menschlichen Verwirrungen und Fehltritte irgendwie in sein Werk einbauen konnte, und wenn dann nach langer Zeit schließlich Jesus kommt, in dem all die unterschiedlichen Linien der Schrift zusammenlaufen – das ist doch eine Ermutigung, dass er auch mit unseren aktuellen Verwirrungen und Irrtümern fertig werden kann.

Der Gott der Geduld

Deshalb schöpft Paulus aus der Schrift Hoffnung – und Geduld. Das hängt natürlich zusammen: wer eine feste Hoffnung hat, der hat auch die Geduld, um abzuwarten. Wenn wir gesehen haben, wie Gott geduldig über viele Generationen hinweg arbeitet, dann meinen wir nicht mehr, dass sich genau in unserer Zeit alles klären muss. Wir können dann damit rechnen, dass Gott das, was heute zu tun übrig bleibt, mit der nächsten oder der übernächsten Generation anpacken wird.

Dadurch können wir uns aber viel besser den Aufgaben widmen, die uns wirklich gestellt sind: weil wir eben nicht mehr denken, wir müssten alles auf einmal schaffen. Wir können unseren kleinen Beitrag so gut wie möglich gestalten, wenn wir den Rest Gott anvertrauen und uns nicht die Last aller Zeiten aufladen.

Vertrauen auf Gottes Weg

Und das ist ein Sinn der Adventszeit: zurückzuschauen auf den langen Weg, den Gott gegangen ist, bis es soweit war, dass Jesus kommen konnte, bis die Menschen für ihn vorbereitet waren. Kinder lernen in der Adventszeit, auf Weihnachten zu warten, und am Ende haben sie hoffentlich verstanden, dass es keine Katastrophe ist, wenn man nicht sofort alles bekommt. Erwachsene können in der Adventszeit lernen, geduldig ihre Hoffnung auf Gottes Weg durch seine Welt zu setzen. Es hat so oft Situationen gegeben, wo alles verloren schien, im Großen wie im Kleinen, und doch hat Gott immer wieder einen neuen Weg gezeigt.

Wir haben vorhin in der Lesung von Johannes dem Täufer gehört (Matthäus 11,2-10), der im Gefängnis saß und nicht wusste, wie es weitergehen sollte mit Gottes Werk. Und er schickt zu Jesus und fragt ihn: was ist los? Warum geht es nicht weiter? Bist du wirklich der Richtige? Und auch Johannes musste sich damit abfinden, dass er vor seinem Tod nicht mehr gesehen hat, was für eine Lösung Gott bereit hatte.

Hoffnung und Geduld schaffen Frieden

Für Paulus war die praktische Anwendung in der Gemeinde in Rom, dass sie dort zwischen ganz unterschiedlichen Menschen Frieden haben konnten. In Rom hatte die Gemeinde lange nur aus bekehrten Heiden bestanden, weil es für Juden verboten war, in Rom zu leben. Als dieses Verbot wegfiel und in der Gemeinde auch wieder christliche Juden auftauchten, da gab es Konflikte, weil der Lebensstil beider Gruppen so unterschiedlich war. Und beide waren der Meinung, dass dies die richtige christliche Art zu leben war.

Juden hatten aus ihrer Tradition sehr geprägte Vorstellungen davon, wie man als Volk Gottes leben sollte. Die Christen aus dem Heidentum hatten solche Traditionen nicht und waren deshalb viel lockerer. Paulus hatte großes Verständnis dafür, aber trotzdem sagte er beiden: haltet beieinander aus in der Hoffnung, dass Gott euch verbunden hat und sich etwas dabei gedacht hat! Versucht nicht, die anderen umzumodeln, sondern findet pragmatische Lösungen, wie ihr euer gemeinsames Leben gestaltet!

Das ist ein bisschen so wie wenn ein altes Ehepaar zurückblickt, und sie denkt: wie oft habe ich ihm gesagt, er soll sich die Schuhe abtreten, bevor er reinkommt! Und er denkt: wie oft habe ich sie gebeten, nicht diese Klöße zu kochen, die ich nicht mag! Und beide erinnern sich: ich habe gebeten, geschimpft, gedroht, gemeckert, viele Umerziehungsversuche gestartet – es hat alles nichts genützt. Irgendwann habe ich aufgegeben. Er bringt immer noch den Dreck rein. Sie kocht immer noch diese staubtrockenen Knödel. Es hat keine Lösung gegeben, aber inzwischen haben wir gelernt, dass das auch nicht so schlimm ist. Irgendwie geht es trotzdem. Auch so kann man zusammen alt werden.

Manchmal gibt es (noch) keine Lösung

Das ist jetzt vielleicht ein bisschen resignativer gedacht als bei Paulus, weil da kein Gedanke an Gott mit drin ist, der die Perspektive noch einmal verändern würde. Aber diese Weisheit, dass man manche Dinge eben aushalten muss, weil man sie nicht ändern kann, die empfiehlt Paulus auch den römischen Christen. Zum Glück redet er aber nicht aus milder Resignation heraus, sondern er hat eine Hoffnungsperspektive: wir sind durch Gott zusammen gebracht worden mit unseren ganz unterschiedlichen Traditionen und Prägungen. Er hat sich dabei etwas gedacht. Und wenn wir die Lösung jetzt noch nicht kennen, dann müssen wir eben abwarten und bis dahin – so gut es geht – zusammen bleiben.

Paulus sagt beileibe nicht bei allen Problem »abwarten, stehen lassen, auf Gott vertrauen!« Er konnte an manchen Punkten die Dinge enorm zuspitzen und sagen: hier müsst ihr euch entscheiden: Gott oder Götze, eines geht nur!

Nicht alles kann man mit Geduld klären. Aber an vielen Punkten sind solche Klärungen zur Zeit nicht dran, und man kann dann nur abwarten und in der Zwischenzeit die Widersprüche stehen lassen. Und das geht im Zeichen der Hoffnung besser als im Zeichen milder Resignation.

Hoffnung auf die versöhnte Menschheit

Immerhin haben es die Christen so geschafft, Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zu integrieren. In Rom gab es enorm reiche und mächtige Leute, die sich in jeder Hinsicht bedienen lassen konnten, die über das Schicksal ganzer Völker bestimmten. Und es gab die Armen, die von staatlichen Getreidezuteilungen lebten. Es gab Menschen aus aller Herren Länder, die das Leben in die Hauptstadt des Imperiums gespült hatte. Es gab Freie und Sklaven, Männer und Frauen mit ihren ganz speziellen Hintergründen. Niemand kriegte das noch auf einen Nenner, die Gesellschaft fiel auseinander, und die Einzigen, die diese unterschiedlichen Gruppen noch zusammen bekamen, waren die Christen. Nur da gab es eine Basis, auf der sie sich alle treffen konnten. Nur da saßen all diese unterschiedlichen Schicksale an einem Tisch.

Das war nicht immer einfach, das kostete Nerven, das brauchte viel gutes Zureden. Aber die Basis war: unter uns zeigt sich die neue Menschheit, wo die verschiedenen Fraktionen nicht mehr gegeneinander stehen, wo man nicht mehr die Einen gegen die Anderen ausspielen kann, sondern wir gehören zusammen, weil Gott uns in Jesus eins gemacht hat. Die Frage, ob du zu Jesus Christus gehörst, ist viel entscheidender als die Frage, welche Sprache du sprichst, welche Kultur dich geprägt hat, ob du Mann oder Frau bist, ob du zu den Reichen und Schönen oder zu den armen Schluckern gehörst, ob du ursprünglich mal als Jude oder als Heide aufgewachsen bist oder welche christliche Tradition dich geprägt hat. Diese Fragen sind nicht unwichtig, aber sie treten in die zweite oder dritte Reihe gegenüber der Frage, ob du bei Jesus Gott gefunden hast.

Der Rückblick macht Hoffnung

Von dieser Zentralfrage her werden sich früher oder später auch die anderen Probleme lösen. Es dauert aber manchmal ziemlich lange, bis wir die Konsequenzen des Weges Jesu deutlich erkennen. Man muss nur daran denken, wie lange es gedauert hat, bis den Christen klar war, dass man nicht andere als Sklaven halten darf. Viele Jahrhunderte hat es gedauert, bis diese Vorstellung in den Köpfen so weit aufgeweicht war, dass die Sklaverei endlich abgeschafft wurde.

Deswegen betont Paulus hier so sehr die Hoffnung: wartet ab, es wird sich herausstellen! Vieles sehen wir heute noch gar nicht. Wir überschauen nicht, wo Gott noch überall hin will mit uns. So wie wir erst im Rückblick sehen, dass Gott schon immer die Grenzen zwischen seinem Volk und den anderen Völkern überwinden wollte, so werden wir auch erst im Rückblick sehen, was er in unserer Zeit schon längst auf den Weg gebracht hat.

Deshalb gehört im Advent beides zusammen: der Rückblick auf die lange Zeit der Erwartung, in der Gott Menschen auf Jesus vorbereitet hat, und die Hoffnung nach vorne, dass er jetzt ganz genauso am Werk ist, und sich erst in Zukunft herausstellen wird, was alles er schon längst unter uns begonnen hat.

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