Der Gott des Gewitters

Predigt am 5. August 2018 zu Psalm 29

1 Ein Psalm Davids.

Bringt dar dem HERRN, ihr Himmlischen, *
bringt dar dem HERRN Ehre und Macht!

2 Bringt dar dem HERRN die Ehre seines Namens, *
werft euch nieder vor dem HERRN in heiliger Majestät!

3 Die Stimme des HERRN über den Wassern: /
Der Gott der Ehre hat gedonnert, *
der HERR über gewaltigen Wassern.

4 Die Stimme des HERRN voller Kraft, *
die Stimme des HERRN voll Majestät.

5 Die Stimme des HERRN bricht Zedern, *
der HERR hat zerbrochen die Zedern des Libanon.

6 Er ließ den Libanon hüpfen wie einen Jungstier, *
wie einen Wildstier den Sirjon.

7 Die Stimme des HERRN sprüht flammendes Feuer, /
8 die Stimme des HERRN lässt die Wüste beben, *
beben lässt der HERR die Wüste von Kadesch.

9 Die Stimme des HERRN lässt Hirschkühe kreißen, /
sie riss ganze Wälder kahl. *
In seinem Palast ruft alles: Ehre!

10 Der HERR thront über der Flut, *
der HERR thront als König in Ewigkeit.

11 Der HERR gebe Macht seinem Volk. *
Der HERR segne sein Volk mit Frieden.

Dieser Psalm ist vermutlich ein Hymnus, den Israel von einem Nachbarvolk übernommen hat. Auf babylonischen Tontafeln hat man z.B. solche Lieder entdeckt, in denen der oberste Gott angebetet wird, der seine Stimme im Gewitter erschallen lässt. Und wahrscheinlich gab es das auch bei den unmittelbaren Nachbarn Israels in Kanaan. In den alten Zeiten lief den Menschen ein Schauer über den Rücken, wenn sie das Krachen des Donners hörten und die zuckenden Blitze sahen, und sie waren fasziniert und erschreckt zugleich.

Faszination der Macht
Bild: Tumisu via pixabay, Lizenz: creative commons CC0

Gut, wir wissen heute, dass das bloß elektrische Entladungen sind, aber auch wir sind immer noch fasziniert, wenn wir einer starken Macht begegnen. Wenn so ein neugebautes Riesenschiff in Ostfriesland die Ems runterfährt, in Richtung Nordsee, dann kommen die Leute und wollen sehen, wie sich dieser Koloss durch die Wiesen schiebt. Oder überhaupt alles, was hoch ist, beeindruckt uns bis heute: Türme, Hochhäuser, Paläste, Berge. Oder Veranstaltungen mit einer Riesenbühne und Tausenden von Besuchern. Und alle Militärregimes dieser Erde wissen um die Faszination, die von einer Parade ausgeht. Vielleicht ist das nicht jedermanns Geschmack, aber es ist beeindruckend, wenn da Tausende im Gleichschritt marschieren und Panzer in langen Kolonnen vorbeirollen. Das ist Macht! Und bei einem Gewittersturm, wenn es so richtig kracht und der Regen wie aus Badewannen schüttet, da machen die einen schnell alle Fenster zu, und die anderen suchen sich ein sicheres Plätzchen, von dem aus sie sich das Schauspiel anschauen können. Es ist faszinierend, schaurig-schön, beängstigend, auf jeden Fall beeindruckend. Alles Große und Mächtige bekommt Aufmerksamkeit, und die Menschen in den alten Zeiten haben gesagt: irgendwie spüren wir da eine göttliche Macht! Es ist überwältigend! Es ist anbetungswürdig! Immer, wenn etwas große Macht entfaltet, innerlich oder äußerlich, dann entwickeln Menschen religiöse Gefühle.

Aber in Israel kannten sie Gott anders: nicht als eine Macht, die Menschen mit ihrer puren Größe einfach überrollt und in ihren Bann zieht. Sondern als Gott, der mit Menschen sprechen will. Israels Gott thront nicht in unerreichbarer Höhe, sondern er verbindet sich mit seinen Menschen, mit seinem Volk. In dem Gespräch zwischen Jesus und dem Mann im Tempel, das wir vorhin in der Lesung (Markus 12,28-34) gehört haben, ist das dann zu Ende gebracht, wenn beide sich einig sind: Gott ist jemand, den wir lieben, von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit dem ganzen Verstand und mit aller Kraft!

Das letzte Wort ist »Frieden«

Und deswegen haben sie damals nicht einfach einen Hymnus auf – sagen wir, den Gott Baal zum Beispiel – genommen, und einfach den Gottesnamen ausgetauscht. Sie haben an den Hymnus am Ende angefügt: der Herr gebe seinem Volk Frieden! Das Wort dafür ist das Wort »Schalom«, und das heißt nicht nur Frieden, sondern es bedeutet Wohlergehen, Gedeihen, ein gutes Leben.

Sie haben also die heidnische Faszination des ursprünglichen Liedes entzaubert: diesen Gott, den die anderen kennen als den Gewittergott, der mit seiner brutalen Macht, mit seinem welterschütternden Donner allen das Herz in die Hose rutschen lässt, das ist in Wirklichkeit unser Gott, den wir persönlich kennen, den wir ganz anders kennen. Mit dem haben wir einen Bund geschlossen. Aber das heißt nicht, dass wir so einen Softie-Gott haben, der zwar lieb ist, aber so richtig was hinkriegen wie die anderen Götter, das tut er nicht.

Im Gegenteil, er ist der höchste Gott von allen, die anderen sind ihm gegenüber so eine Art dienstbare Geister, die gehören zu seinem Hofstaat, und die müssen ihn preisen und ihn als den Chef anerkennen. Unser Gott ist nicht einer von vielen, sondern der Höchste über allen anderen Göttern und Mächten.

Alte Überschriften, sehr aktuelle Fragen

Liebe Freunde, für uns scheinen solche Fragen, wer der höchste von allen Göttern ist, irgendwie aus der Zeit gefallen. Wen interessiert das heute noch? Und in der Tat, wir verhandeln das heute unter ganz anderen Stichworten, aber die Frage selbst ist bis heute enorm wichtig: sind die großen Mächte, die diese Welt bewegen, die letzte und entscheidende Wirklichkeit? Wenn uns die Konjunktur einen langen Aufschwung beschert, oder wenn uns eine Krise in ein tiefes wirtschaftliches Tal stürzt, ist man dem dann ohnmächtig ausgeliefert wie einem Hurrican? Wenn die Furien des Krieges ein Land heimsuchen, wenn die aufgeheizte Erde zur Wüste wird, wenn Vulkane ausbrechen oder Wassermassen aus einem Bach einen reißenden Strom machen, der das Land verwüstet, geht das einfach so ungerührt über uns hinweg? Oder ist da drüber oder dahinter noch etwas Stärkeres, oder jemand anderes, der einem beisteht? Ist da jemand, mit dem wir sprechen können, der sich sogar mit uns verbündet, oder sind wir einfach den stummen Mächten ausgeliefert, und wenn wir ihnen zufällig im Weg stehen, dann machen sie uns platt?

Israel hat gesagt: all diese erschreckenden Mächte gehören zum Hofstaat Gottes. Sie tun manchmal so, als wären sie die Höchsten von allen, sie müssen manchmal an ihren Chef erinnert werden, aber tatsächlich sind sie seine dienstbaren Geister.

Entzauberte Mächte

Das war damals eine enorme Leistung, die großen Mächte dieser Welt so zu entzaubern, dass man sich von ihnen nicht beeindrucken lässt. Und alle, die heute geringschätzig auf die Menschen der alten Welt mit ihrem Götter- und Geisterglauben herunterschauen, die sollen das erstmal nachmachen: sich nicht von den heutigen Großmächten beeindrucken lassen, nicht sagen: da kann man ja doch nichts machen. Wie viele Gespräche habe ich schon erlebt – und Sie sicher auch! – wo am Ende einer achselzuckend sagt: ja, die Welt ist verrückt, aber da können wir kleinen Leute nichts machen! Das Verrückte dabei ist, dass auch die großen Leute, die Präsidenten und Kanzler und Konzernchefs usw. es so ähnlich sagen: wir können das alles auch nicht wirklich steuern! Die können zwar besser für sich sorgen als wir, aber am Ende haben sie auch den Eindruck: da sind Mächte am Werk, die sich unserer Kontrolle entziehen.

Das ist unsere heutige Version der alten Frage: wer ist der höchste Gott? Ist das Letzte eine stumme, ungerührte Gewalt, der wir egal sind, und die uns sogar noch die Lebenskraft abzieht? Oder ist da – o Wunder! – ein Gott, der Liebe ist, und dem es um Frieden und Gerechtigkeit für seine Erde geht? Und wovon lassen wir uns faszinieren und/oder erschrecken, je nachdem? Von den stummen Mächten oder vom lebendigen Gott, der sich mit seinen Menschen verbindet und uns befreit von der Faszination durch das Große und Mächtige?

Unser Gott könnte das alles auch – die Kraft ist von ihm

Als irgendwann vor zweieinhalb oder dreitausend Jahren Menschen sich diesen Baalshymnus schnappten und ihn so umbauten, dass er zu Israels Gott passte, da wollten sie zeigen: unser Gott ist anders, aber er ist deswegen nicht schwächer als die Gewalt- und Gewittermächte, an die sie in der Nachbarschaft glauben. All diese faszinierenden Ereignisse kommen von ihm. Alles, was uns da beeindruckt und erschreckt und erschüttert und eine Gänsehaut macht, das ist seine Energie. Er hat alle Macht, aber er will nicht, dass wir uns einfach resigniert oder überwältigt vor ihm beugen, sondern er will einen Bund mit uns schließen, er möchte, dass wir Freunde sind, die miteinander reden, die sich lieben, und deswegen nimmt er seine Macht zurück. Er muss sich schwächer machen, als er ist, weil wir sonst nicht zusammenkommen.

Dieses Ineinander von Stark und Schwach zieht sich durch die ganze Bibel. Jesus bringt den Sturm auf dem See zum Schweigen, so wie es hier im Psalm von Gott heißt, dass er über der Chaosflut thront. Jesus kommt in den Tempel und schmeißt die Händler raus. Aber am Ende lässt er sich ohne Widerstand festnehmen und töten, obwohl er Gott um zehn Legionen Engel bitten könnte, die die paar Leute von Pilatus und den Priestern problemlos vom Tisch wischen würden. Und am Ende der Bibel, in der Offenbarung, ist es das Lamm, das die Siegel vom Buch der geheimen Pläne Gottes öffnet und das Böse aus der Welt vertreibt.

Am Ende wird der Gott siegen, der sich klein macht, damit er sich mit Menschen verbünden kann. Es ist seine Stärke, dass er sich zurücknehmen kann, dass er Menschen nicht überwältigt, sie nicht mit special effects sprachlos macht. Er setzt auf Worte, ein Medium, das Menschen Freiheit lässt. Er setzt auf unser Verstehen und Nachdenken, weil uns das stark macht. Er könnte uns auch einfach überwältigen, das sehen wir hier im Psalm, aber er will das nicht.

Ein starker Mann richtet Chaos an

Deswegen werden sich auch die Probleme unserer Welt nicht durch ein Basta! Lösen. Der starke Mann, der auf den Tisch haut und sagt, wo es lang geht, richtet nur noch mehr Chaos an. Gott setzt darauf, uns von der Faszination der Macht zu befreien, uns aus dem Sog der Überwältigung herauszulösen, uns stark zu machen gegen die Verlockungen der Großartigkeit, uns dazu zu bringen, dass wir nichts mehr von den Mächten und ihren wummernden Bässen erhoffen. Es ist unsere geheime Komplizenschaft mit den Mächten, die uns so handlungsgehemmt macht. Es ist unsere Bindung an die Welt, wie wir sie kennen, die uns dieses Gefühl der Ohnmacht gibt. Wer sich von den stummen Mächten faszinieren lässt, kann ihnen keinen Widerstand leisten. Aber wir sollen den Glauben an sie verlieren.

Die Mächte sollen sich Gott beugen und ihn anbeten. Und wir sind es, die sie dazu auffordern sollen. Denn sie können nur deswegen so tun, als ob sie göttlich wären, weil es Menschen gibt, die auf sie hereinfallen. Sie stützen sich auf Menschen gegen den Gott des Lebens. Wenn wir ihnen die Unterstützung entziehen, dann sind sie Nichtse. Ohne uns sind sie hohl und tot.

Der erste Schritt, um die Welt von ihnen zu befreien, ist deshalb, den wahren und lebendigen Gott anzubeten: nicht sich von ihm überwältigen zu lassen, sondern ihn in Freiheit zu lieben für das, was er ist. Ihn zu lieben »lieben, von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit dem ganzen Verstand und mit aller Kraft« und seine Liebe in unserer Zuwendung zu Menschen zu wiederholen.

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