Gemeinde angesichts der Mächte: Der Anfang ist nahe!

Predigt am 16. Dezember 2012 (3. Advent) zu Offenbarung 3,1-6

1 »Schreibe an den Engel der Gemeinde in Sardes: Der, bei dem die sieben Geister Gottes sind und der die sieben Sterne in seiner Hand hält, lässt ´der Gemeinde` sagen: Ich weiß, wie du lebst und was du tust. Du stehst im Ruf, eine lebendige Gemeinde zu sein, aber in Wirklichkeit bist du tot. 2 Wach auf und stärke, was noch am Leben ist, damit es nicht auch stirbt. Denn ich musste feststellen, dass das, was du tust, nicht vor meinem Gott bestehen kann. 3 Erinnerst du dich nicht, wie bereitwillig du das Evangelium aufnahmst und auf seine Botschaft hörtest? Richte dich wieder nach ´meinem Wort` und kehre um! Wenn du jedoch weiterhin schläfst, werde ich dich wie ein Dieb überraschen und zu einem Zeitpunkt kommen, an dem du nicht mit mir rechnest.
4 Aber es gibt bei euch in Sardes einige, die ihre Kleider nicht beschmutzt haben. Sie werden einmal in weißen Festgewändern ´im Triumphzug` neben mir hergehen; sie sind es wert. 5 Jedem, der siegreich aus dem Kampf hervorgeht, wird ein weißes Festgewand angelegt werden. Und ich werde seinen Namen nicht aus dem Buch des Lebens streichen, sondern mich vor meinem Vater und seinen Engeln zu ihm bekennen.
6 Wer bereit ist zu hören, achte auf das, was der Geist den Gemeinden sagt!«

Ich vermute: wer zum ersten Mal so einen Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes hört, für den klingt er zunächst ungewohnt bis merkwürdig. Und vor allem fragt sich vielleicht mancher, was das eigentlich mit Advent zu tun hat.

Aber Advent heißt ja »Ankunft«, und damit ist die Ankunft Jesu gemeint. Tatsächlich war in dem Abschnitt eben die Rede davon, dass jemand kommt, und zwar zu einem unerwarteten Zeitpunkt. Der hier »Ich« sagt, ist also Jesus, es ist ein Brief Jesu an eine Gemeinde, und er gibt dem Seher Johannes in einer Vision den Auftrag, diesen Brief aufzuschreiben. Wenn man den Anfang der Offenbarung liest, dann sind es insgesamt sogar 7 Briefe, die an 7 verschiedene Gemeinden gehen sollen.

Und dass Jesus »kommt«, das zieht sich durch das ganze Buch der Offenbarung, und sie schließt auch mit der Ankündigung, dass Jesus bald kommen wird. Nun ist aber das Buch der Offenbarung dafür bekannt, dass es da auch jede Menge Katastrophen gibt. Mit ihrem griechischen Namen heißt die Offenbarung die »Apokalypse«, und wir sprechen von Zerstörungen »apokalyptischen Ausmaßes«, wenn irgendwo etwas besonders Schlimmes passiert ist.

Wie passt das zusammen, der Gedanke, dass Jesus kommt, und die ganzen schlimmen Katastrophen?

Gerade weil Jesus kommt, deshalb gibt es diese ganzen Erschütterungen. Wenn Gott sich in die Geschäfte dieser Welt einmischt, dann wehrt sie sich und sagt: wir wollen weiter ohne dich auskommen – lass uns in Ruhe! Es gibt so viele ungerechte Verhältnisse, und so viele, die davon leben und ihren Profit machen. Wenn Jesus kommt, um das zu beenden, dann erschüttert das die Welt, die wir kennen, in ihren Grundfesten. Advent das sind also eigentlich gar nicht besinnliche Stunden bei Plätzchen und Kerzenschein, sondern das ist eine dramatische Grundstruktur unserer Welt: Gott macht sich auf und erobert seine Schöpfung zurück.

Und in diesem Sinne ist die Offenbarung sozusagen das eigentliche Adventsbuch der Bibel. Da gibt es auch keine große Unterscheidung zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Jesu, sondern das Kommen Jesu ist der lange Kampf, in dem Gott sich seine Erde zurückholt, damit sie endlich doch noch so wird, wie er sie im Sinn hatte: herrlich und prächtig und ein Ort des Lebens für viele. Dieser Kampf hat unterschiedliche Situationen und Phasen, aber es ist ein kontinuierlicher langer Kampf.

Und die Offenbarung macht die unterschiedlichen Situationen dieses Kampfes in ihrem Aufbau sichtbar. Da sind zunächst die ersten drei Kapitel mit den sieben Briefen an die Gemeinden – das ist sozusagen ganz nah dran an den Erfahrungen der kleinen christlichen Gruppen, an die sich die Briefe wenden.

Und dann kommt der Teil, für den die Offenbarung bekannt ist: der Teil mit den vielen Katastrophen, der geht ungefähr bis Kapitel 16, so ganz genau ist die Abgrenzung nach hinten nicht. Das ist der Teil, wo es so richtig hoch her geht, bis hin zu den Katastrophenfilmen und den Weltuntergangsfantasien heute.

Einer der Bekanntesten, die das in Bildern dargestellt haben, war Albrecht Dürer mit seiner Holzschnittserie vor knapp 500 Jahren. Da geht es so richtig drunter und drüber, da gibt es enorme Action-Szenen, da wird gekämpft und zerstört, es gibt Massenszenen mit Kämpfen und Monstern, hier z.B. frisst links unten so ein Monster den Papst, ich weiß nicht, ob Sie das alle erkennen können.

Hier ist noch so eine Szene mit grauenhaften Monstern. Wir sind die natürlich heute farbig und in 3D gewohnt, uns kann das nicht so schnell erschüttern, aber die Menschen damals hatten so etwas noch nie gesehen, für die war das die neueste Technologie, die Dürer einsetzte, und der Holzschnitt war ein Massenmedium, das diese Bilder tausendfach verbreiten konnte. Ich zeige Ihnen jetzt ein ganz ähnliches Bild aus dem vorigen Jahrhundert, das näher an unseren Sehgewohnheiten dran ist:

Diese Grafik von Paul Weber war eigentlich ein Kommentar zum Krieg des britischen Empire gegen die Buren, der mit großer Grausamkeit geführt worden ist (deshalb hat das Vieh auch Streifen auf dem Fell, die die britsiche Flagge andeuten), aber es ist gleichzeitig auch eine Darstellung des Krieges, die mit universaler Gültigkeit die zerstörerische, dämonische Gewalt des Krieges zeigt. Wenn der erstmal losgelassen ist, dann können Menschen ihn nicht mehr kontrollieren.

Das hilft uns auch, die Bilder der Offenbarung richtig zu verstehen: da geht es nicht um die Frage, ob es denn solche Monster wirklich gibt, wie sie genau aussehen und wann sie kommen. Nein, in diesen Tieren, die die Offenbarung beschreibt wird etwas sichtbar vom Schrecken der zerstörerischen Mächte, die in unserer Welt verborgen sind und darauf warten, entfesselt zu werden. Und wir kennen inzwischen die Gefahren genauer: die Vernichtungskraft von Atomexplosionen oder Meteoriteneinschlägen, die zerstörerische Macht weltweiter Kriege, die Gefahr des Klimawandels und tödlicher Seuchen, und noch eine ganze Menge anderer Vernichtungsszenarien. Wir wissen inzwischen viele Details von dem, was die Menschen der Bibel nur in solchen Bildern ahnen konnten; aber sie haben auch so schon erstaunlich passende Worte dafür gefunden.

Aber nun bleibt die Offenbarung nicht bei diesen Katastrophenbildern stehen, sondern etwa ab Kapitel 17 neigt sich diese Zeit der Kämpfe ihrem Ende zu und der endgültige Sieg Gottes wird immer deutlicher. Auch vorher wurde schon immer wieder deutlich, dass die Macht der Monster begrenzt ist. Aber im letzten Teil der Offenbarung geht es immer mehr um den endgültigen Sieg Gottes und die neue Welt, die dann anbricht. Da kommt das neue Jerusalem aus dem Himmel herab auf die Erde, die goldene Stadt. Wenn man das liest, dann merkt man auch wieder, wie Johannes mit Bildern etwas beschreiben will, was eben nur in Bildern zu sagen ist. Wir sind ja heute in so einer modernen Humorlosigkeit befangen, dass wir Bilder nicht verstehen, sondern immer nur denken: entweder ist es genau so real oder es ist Fantasie. Nein, Bilder deuten hin auf eine Wirklichkeit, komplizierter und größer ist und die wir eben nur im Bild verstehen können. Keiner kann sich vorstellen, wie eine ganze große Stadt vom Himmel auf die Erde geflogen kommen soll, aber es geht eben nicht um die Aufhebung der Schwerkraft, sondern in diesem Bild wird deutlich, dass die neue Welt nicht einfach eine Weiterentwicklung der alten ist. Nein, es ist ein völliger Neuanfang.

Und deshalb ist es auch ein Missverständnis, wenn man die Offenbarung als Drehbuch für den Weltuntergang liest. Wir sehen doch auch nicht einen Katastrophenfilm, weil wir denken, da würden Dinge geschildert, die eines Tages genau so kommen würden, sondern es geht um den Eindruck, den diese Bilder bei uns hinterlassen. Deswegen ist es auch falsch, wenn Menschen versuchen, aus der Offenbarung womöglich genaue Termine für den Ablauf des Weltendes herauszudestillieren. Erstens tut man der Offenbarung damit Gewalt an – da gibt es keine genaue Chronologie, da geht es ziemlich durcheinander. Und zum anderen hat schon Jesus sehr deutlich gesagt, dass man keinen Fahrplan berechnen kann, weil nur Gott die die genauen Einzelheiten kennt. Wenn man aber die Offenbarung in einen kurzen Satz packen will, dann ist der nicht »Das Ende ist nahe«,

sondern dann schon eher »Der Anfang ist nahe«, der neue Anfang, den Jesus gemacht hat, und der die ganze Erde ergreifen wird.

Die Grundstimmung der Offenbarung ist hoffnungsvoll: durch alle Erschütterungen hindurch schafft Gott Recht auf der Erde, er verbannt das Böse aus der Welt und bestätigt alle, die auf ihn vertraut haben. Gott rechtfertigt die Menschen, die sich nicht von der Macht der Monster haben einschüchtern lassen und die nicht den Verlockungen der Macht gefolgt sind. Für sie ist die Offenbarung geschrieben worden – als Hoffnungsbuch.

Aber es bleibt, wenn man an den Aufbau der Offenbarung denkt, noch eine Frage:

Wieso ist diesen ganzen Bildern vom weltweiten Kampf zwischen Gott und den Monstern der erste Teil vorgeordnet, die Briefe an die sieben Gemeinden? Was hat das miteinander zu tun, diese Briefe mit ihren Mahnungen und Aufforderungen zu mehr Standhaftigkeit, oder mit Warnungen vor Irrlehrern und den Verführungen der Sünde? Hatte Johannes die noch in der Schublade und dachte: ach, da vor den Visionen könnte ich sie ja noch unterbringen?

Das sind ja zwei ganz unterschiedliche Welten: die kleine Welt einer überschaubaren Ortsgemeinde in Sardes oder Pergamon oder Ephesus und die große Szenerie der kosmischen Auseinandersetzung zwischen den Mächten von Gut und Böse. Sind das nicht ganz unterschiedliche Geschichten?

Aber wer schon mal einen Katastrophenfilm gesehen hat, der erinnert sich vielleicht, dass es da auch so etwas gibt: da sieht man einmal brennende Hochhäuser, bedrohliche Meteoriten, massenweise infizierte Menschen, riesigen Alien-Raumschiffe – und dann schwenkt die Handlung eigentlich fast immer auf eine kleine Gruppe von Menschen um, die mitten im weltweiten Chaos nicht nur versucht, zu überleben, sondern die auf seltsame Weise auch den Schlüssel haben, um die Bedrohung abzuwenden. Und sie finden in letzter Minute noch die rettende Medizin oder die geniale Abwehrwaffe oder sie hacken sich in die Computer der Außerirdischen ein oder lenken den Meteoriten gerade noch einmal ab. Und meistens sind sie auch noch damit beschäftigt, sich zu verlieben oder die Beziehungen untereinander zu reparieren, unfähige Vorgesetzte auszubooten und überhaupt zur vollen menschlichen Größe aufzulaufen.

Und das, liebe Freunde, ist auch das Grundmuster der Geschichte, die in der Offenbarung erzählt wird. Die Offenbarung ist eine Einladung, in so einer Geschichte mitzumachen, und zwar als Held oder Heldin.

In der Offenbarung wird genau das zusammengesehen: die weltweiten gigantischen Erschütterungen, die entstehen, wenn Jesus kommt und Gott sich seine Welt zurückholt, und die Geschichte kleiner christlicher Gruppen, die auch immer mit dem Überleben im Großstadtdschungel beschäftigt sind, die in ihren Beziehungen immer wieder an ihre Grenzen kommen, die mühsam lernen, wie sie gemeinsam leben können im Geiste Gottes, und die doch enorm wichtig sind für den Ausgang des ganzen Kampfes.

Im Angesicht der Monster, die die Erde bedrohen, sozusagen direkt unter ihrer Schnauze, leben diese Gruppen von Christen und widerstehen den zerstörerischen Mächten zunächst einmal in ihrem persönlichen Lebensstil. Sie halten sich selbst frei von den Verwüstungen, die all das in den Seelen hinterlässt. Deswegen heißt es in den Briefen der Offenbarung immer wieder: »wer überwindet«, oder besser: wer siegreich aus diesem Kampf hervorgeht, den werde ich belohnen. Das werde ich nicht vergessen. Der steht in meinem Buch. Der bekommt am Ende weiße Festkleider als Zeichen, dass er am Freudenfest in der neuen Welt teilnehmen darf.

Hier in unserem Abschnitt wird versprochen, dass er am Triumphzug Jesu teilnehmen darf. In der alten Zeit gab es ja solche Triumphzüge, wenn ein Feldherr von einem siegreichen Kriegszug zurückkam. Da wurde die Beute gezeigt und die Gefangenen, die man gemacht hatte, vor allem aber wurden die Soldaten bejubelt, die dabei gewesen waren. Und so schreibt Jesu an die Gemeinde in Sardes: wenn ihr durchhaltet, wenn ihr in eurem Bereich standhaft bleibt, dann seid ihr mit dabei, wenn ich den Sieg feiere. Am Ende werden die Monster verlieren, und ihr tragt mit eurem Kampf und Widerstand dazu bei.

Das ist also das Bild, das die Offenbarung von unserer Situation entwirft: Gemeinde zu sein im Angesicht der zerstörerischen Mächte, die sich die Welt unterwerfen wollen. Die Mächte nicht aus dem Auge zu verlieren, aber zu wissen, dass sie am Ende verlieren werden. Keine Angst zu haben vor den Erschütterungen, weil sie das Kommen Jesu begleiten. Den Spielraum, den wir haben, nutzen, und Menschen des Lebens sein. Nicht die Augen verschließen vor der dramatischen Szenerie, in der wir leben und Gemeinde Jesu sind.

Vielleicht ist das gemeint, wenn Jesus in dem Brief der Gemeinde vorwirft, sie sei tot oder schlafe zumindest einen todesähnlichen Schlaf. Man kann äußerlich Gemeinde sein und trotzdem nicht vorbereitet darauf, dass die Erschütterungen in der Welt jeden Augenblick auch uns treffen können. Das kann im Kleinen passieren oder auch im Großen. Auf einmal kann man in der Zeitung stehen, wo sonst nur über andere geschrieben wird. Und darauf sollen wir vorbereitet sein, damit wir dann nicht desorientiert sind und fragen: wie kann das nur geschehen?

Es kann geschehen, und wir haben die Mittel, die man dann braucht. In der Regel sind das aber nicht Advents­plätzchen und Lametta. Jesus sagt: bereitet auch vor, bringt eure Beziehungen in Ordnung, habt die große Welt und ihre Kämpfe im Blick, dann seid ihr vorbereitet, wenn es auch bei euch mal ganz heftig Advent wird.

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