Die geheime Botschaft von Jesus (3)

Predigt am 6. Mai 2007 zu Kolosser 1,1-15

15 Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes. Er war bereits da, noch bevor Gott irgendetwas erschuf, und ist der Erste aller Schöpfung. 16 Durch ihn hat Gott alles erschaffen, was im Himmel und auf der Erde ist. Er machte alles, was wir sehen, und das, was wir nicht sehen können, ob Könige, Reiche, Herrscher oder Gewalten. Alles ist durch ihn und für ihn erschaffen. 17 Er war da, noch bevor alles andere begann, und er hält die ganze Schöpfung zusammen. 18 Christus ist das Haupt der Gemeinde, und die Gemeinde ist sein Leib. Er ist der Anfang und als Erster von den Toten auferstanden, damit er in allem der Erste ist. 19 Denn Gott wollte in seiner ganzen Fülle in Christus wohnen. 20 Durch ihn hat er alles mit sich selbst versöhnt. Durch sein Blut am Kreuz schloss er Frieden mit allem, was im Himmel und auf der Erde ist.

In diesen Versen aus dem Kolosserbrief kommt noch einmal eine ganz andere Seite der geheimen Geschichte Jesu zum Vorschein. Jesus war schon da bevor irgendetwas geschaffen wurde, er war bei der Schöpfung dabei, und alles ist für ihn, auf ihn hin erschaffen worden.

Lassen Sie uns das festhalten: alles ist mit Blick auf Jesus erschaffen, alles ist von Anfang an so geplant worden, dass es zu Jesus passt.

Es gibt ja so einen interessanten Zusammenhang, den die Astrophysiker in der letzten Zeit herausgefunden haben. Sie sagen: die Gesetzmäßigkeiten des Universums sind so eingerichtet, dass es Leben wie unseres ermöglicht. Ich verstehe nicht wirklich etwas davon, ich muss es denen glauben, die es sagen, aber wenn sich an den grundlegenden Konstanten des Universums nur ein bisschen ändern würde – also wenn z.B. die Lichtgeschwindigkeit etwas schneller oder langsamer wäre – dann wäre Leben wie unseres unmöglich. Wie gesagt, ich muss mich dabei auf andere verlassen, die davon mehr verstehen, aber die Wissenschaftler standen staunend vor der Tatsache, dass die Welt anscheinend genau für uns gemacht ist.

Das ist jetzt kein Gottesbeweis, aber doch eine erstaunliche Parallelität zu den Aussagen der Bibel. Wir sind offenbar nicht ein zufälliges Nebenprodukt der Welt, sondern es ist alles so eingerichtet, dass es uns geben kann.

Das erinnert mich an etwas, was einer der großen Lehrer der alttestamentlichen Wissenschaft über die Weisen Israels und ihr Nachdenken über die Natur geschrieben hat. Er schreibt, dass sie auf ein Weltgeheimnis stießen, das uns helfend zugekehrt ist, das nicht irgendwo abwartend verborgen ist und darauf wartet, dass irgendwer es zufällig entdeckt, sondern ein Weltgeheimnis, das sich auf dem Weg zu uns befindet. Und er fährt fort: »Welch ein Heimatgefühl des Menschen in der Welt! Was von dieser Seite aus auf ihn zukommt, ist schlechthin vertrauenerweckend, ordnend und heilend.«

Aus ganz verschiedenen Richtungen kommt da dieselbe Botschaft zu uns: diese Welt ist vertrauenswürdig. Sie ist Heimat für uns. Wir passen zu ihr. Es gibt eine Grundordnung, die uns freundlich zugewandt ist.

Jesus hat aus diesem Geist heraus dann gesagt: schaut die Blumen auf dem Feld an! Sie arbeiten nicht, sie machen sich keine Sorgen, aber euer himmlischer Vater ernährt auch sie. In dieser Welt spiegelt sich die Handschrift dessen, der sie erschaffen hat, und wir können darin Freundlichkeit und Zuwendung lesen.

Und vom Kolosserbrief aus kann man sagen: Die Welt ist deshalb so, weil Jesus bei der Schöpfung dabei war. An Jesus erkennen wir, was für ein Gegenüber Gott sich gewünscht hat, und er hat die Welt dafür geschaffen, dass einer wie Jesus in ihr leben kann. »Alles ist durch ihn und für ihn erschaffen.« Aber eben nicht Jesus allein, sondern er hat die ganze Menschheit dafür geschaffen, so wie Jesus zu sein und zu leben. Das ist unsere Bestimmung von Anfang an.

Wenn wir also von Jesus erzählen und uns auf den Weg machen, um so zu leben, wie es ihm entspricht, dann tun wir nicht etwas Neues und Fremdes. Wir muten auch den Menschen keine an sie herangetragenen Dinge zu. Sondern es geht immer um das Leben, zu dem wir geschaffen sind, um unsere wahre Wirklichkeit. Die ist überdeckt und verfälscht und verdreht worden, aber sie ist nicht hoffnungslos verloren. Wenn wir Jesus begegnen und an ihm das Original sehen, dann kann unsere wahre Bestimmung wiederhergestellt werden. Von Jesus geht ein Ruf aus, und etwas in uns erinnert sich, dass wir diesen Ruf schon einmal gehört haben, damals, als Gott uns ins Leben gerufen hat, als wir noch ein Gedanke Gottes waren. Man kann diesen Ruf penetrant überhören, man kann ihn mit Krach und Fernsehen und Rumrödeln übertönen, aber ganz vergessen kann ihn keiner.

Dieser Ruf redet davon, dass wir zu ganz anderen Dingen geschaffen sind, als uns Tag für Tag in der Tretmühle des Alltags abzustrampeln und am Abend genau wieder an dem Punkt zu stehen, an dem wir morgens losgefahren sind, nur ein bisschen älter. Wir haben kaum noch eine Ahnung von unserer wirklichen Bestimmung, wir können uns kaum vorstellen, was damit gemeint sein könnte. Leider ist oft nur noch in den schrecklichen Errungenschaften der Menschheit etwas zu spüren von der Größe, mit der wir unwiderruflich verbunden sind.

Wenn wir heute das Potential haben, diese Welt zur Wüste zu machen, dann erinnert das an unseren Auftrag, die Welt als Paradies zu erhalten und zu gestalten. Unsere Handlungen haben inzwischen eine Reichweite, die den ganzen Planeten umgestaltet, die Meeresströmungen aus der Bahn bringen kann und die Eiskappen zum Schmelzen bringt. Das alles kann der Mensch inzwischen, und obwohl das enorme Zerstörung anrichtet, es gibt uns doch eine Ahnung davon, was eine Menschheit alles erreichen könnte, die zu ihrem wahren Auftrag zurückgefunden hat.

Das ist die geheime Geschichte Jesu mitten in der Welt. Auch wenn es kaum einer weiß, aber die Weltgeschichte ist in Wirklichkeit ein Kampf darum, ob die Menschheit hinfindet zu dem Bild Jesu. Das ist die große Frage, die in der Weltgeschichte ausgekämpft wird, ohne dass die meisten Akteure davon überhaupt wissen. Aber nicht nur in der Weltgeschichte: jeder von uns ist ein kleiner oder großer Schauplatz dieses Kampfes: ob wir unsere wahre Bestimmung erfüllen, oder ob wir verkümmern, oder ob wir auf der dunklen Seite der Macht landen.

Wir haben Anteil an der enormen Kreativität Gottes, an seiner Schöpferkraft und seinem Erfindungsreichtum. Das ist eine gewaltige, ehrfuchtgebietende und manchmal schreckliche Kraft. Es ist ein enormes Potential, wir sind viel größer, als uns normalerweise klar ist. Man kann diese gewaltigen Möglichkeiten in uns nicht stilllegen, sie werden sich auf jeden Fall melden. Die ganze technisch-wissenschaftliche Revolution, die wir in den vergangenen Jahrhunderten erlebt haben, sie ist ein Zeichen für die enorme Kreativität der Menschen. Sie ist aber auch ein Zeichen dafür, dass dieses Potential umschlagen kann, und dann konstruieren wir mit unserer Schöpferkraft Atombomben und plündern den Planeten aus, bis er zu einer Wüste wird, in der niemand mehr leben kann.

Es ist nicht die Lösung, diese Kräfte klein zu machen, so zu tun, als ob wir sie nicht hätten. Das hat es oft gegeben, auch im Christentum. Man hat versucht, den Menschen einzureden, dass sie nichts hinkriegen, dass sie immer falsch liegen und eigentlich fast Fehlkonstruktionen sind. Aber das ist kein sinnvoller Weg, weil wir tatsächlich in großer Herrlichkeit geschaffen sind, und es geht nicht darum, sie zu unterdrücken.

Solange unser schöpferisches Potential nicht das tut, wofür es bestimmt ist, solange wird es sich immer wieder der dunklen Seite der Macht zuwenden. Es wird sich in den Dienst irgendeines Imperiums stellen und eine falsche Größe anstreben, eine kalte, unterdrückerische Größe, die am Ende nur zerstört und keine Freude kennt.

Deswegen betont der Kolosserbrief so sehr, dass »Throne, Herrschaften, Mächte und Gewalten« in Jesus geschaffen sind. Alle Regierungen, jede Partei, jeder riesige Konzern, jede Macht auf der Welt ist durch Jesus und für ihn gemacht worden. Das wir hier so stark gesagt, denn von diesen ganzen Machtkonzentrationen geht ja auch die Gefährdung der Menschen aus, die haben die Tendenz, sich gegen Gott zu verschließen und ihr eigenes Reich aufzubauen, und sie ziehen Menschen in ihren Bann.

Wenn man daran denkt, welche Leistungen das römische Reich erbracht hat – es war bis dahin das mächtigste Reich, das es je gegeben hat. Es war eine Zivilisation, die fast zwei Jahrtausende überspannt von der Gründung Roms bis zum Ende des letzten Fleckchens römischen Reiches im Jahre 1453, als Konstantinopel erobert wurde. Der Kolosserbrief wurde geschrieben, als dieses Reich auf dem Höhepunkt seiner Kraft war. Und gleichzeitig war diese Reich aufgebaut auf so viel Blut, so viel Gewalt und Grausamkeit, so viel menschlichem Elend, eine schreckliche Welt ohne Liebe und Fürsorge. Wie kann das menschliche Potential befreit werden, das gefangen ist in solch einem System der Macht und Gewalt? Wie kann es heraus geholt werden aus seinem Aufstand gegen Gott?

Deswegen wird hier als die entscheidende Tat Jesu beschrieben, dass er durch seinen Tod am Kreuz Frieden geschaffen hat. Das Kreuz war ein zentrales Herrschaftssymbol des römischen Reiches, die ultimative Drohung für alle Feinde des Imperiums, es war das, was heute vielleicht Guantanamo ist. Und als Jesus sich radikal davon getrennt hat, als er es erlitten hat, statt sich mit ihm zu verbünden, da hat er die Basis für Frieden gelegt. Da hat er den Weg gezeigt, wie sich das ganze menschliche Potential wieder versöhnen kann mit Gott. Deswegen ist er nicht nur vor aller Schöpfung gewesen, sondern er ist auch der ersten in der Neuschöpfung, in der Befreiung der Erde zu ihrer wahren Gestalt.

Denn wir alle sollen hinfinden zu unserer ganzen Herrlichkeit und sie entfalten. Im Römerbrief schreibt Paulus, dass die ganze Schöpfung sehnsüchtig darauf wartet, dass die Kinder Gottes hervortreten und ihren Platz einnehmen. Es fehlt etwas Entscheidendes in der Welt, so lange wir nicht hingefunden haben zu der Rolle, für die wir bestimmt sind.

Die Schöpfung wartet voll Sehnsucht darauf, dass die Söhne und Töchter Gottes endlich ihr Erbe antreten. Dass es nicht herrenlos herumliegt und von jeder hergelaufenen Macht missbraucht werden kann, sondern dass es unter die Herrschaft seiner rechtmäßigen Erben kommt. Da ist ein entscheidender Platz in der Welt unbesetzt oder mit den falschen besetzt, aber er gehört den Nachfolgern Jesu. Er ist für uns vorbereitet.

Alles was gut und wahr und echt ist in dieser Welt, es gehört uns. Alle Entdeckungen und Erfindungen, die die Menschheit je gemacht hat, sie gehören uns. Alle wunderbaren Geschichten, alle Kunstwerke, die geschaffen wurden, die grandiosen Produkte der Architektur, alle Musik, alle Dichtung, alle mutigen und liebevollen Entscheidungen, es wartet darauf, das wir es in Besitz nehmen. Nicht, dass wir uns nun auch das alles wieder unter den Nagel reißen und gegen Gott in Stellung bringen, sondern es soll alles endlich seinen richtigen Platz bekommen. Auf diesem Weg des Kreuzes, des demütigen und geduldigen Dienens, da wird Friede geschaffen, und die Schöpfung findet zurück zu ihrer Bestimmung. Die Erde kann aufatmen, wo das geschieht.

Die geheime Geschichte Jesu in dieser Welt ist noch längst nicht zu Ende, und wir spielen eine entscheidende Rolle in ihr. Jeder und jede wird gerufen, angefragt, ob wir bereit sind, diesen Platz einzunehmen, ob wir zum Problem gehören wollen oder zur Lösung, ob wir auf der dunklen Seite leben wollen oder Kinder des Lichts sind. So wie das Leben Jesu ein gutes Ende fand in der Auferstehung, so wird auch sein Leben in der ganzen Schöpfung Gottes ein gutes Ende finden. Und ich hoffe, wir werden es alle mitfeiern können.

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