Der große Segen

Predigt am 6. Mai 2001 über 1. Mose 1,1 – 2,4a

1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
2 Die Erde war noch leer und öde,
Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser,
und über den Fluten schwebte Gottes Geist.
3 Da sprach Gott: »Licht entstehe!«,
und das Licht strahlte auf.
4 Und Gott sah das Licht an: Es war gut.
Dann trennte Gott das Licht von der Dunkelheit
5 und nannte das Licht Tag, die Dunkelheit Nacht.
Es wurde Abend und wieder Morgen: der erste Tag.

6 Dann sprach Gott:
»Im Wasser soll ein Gewölbe entstehen,
eine Scheidewand zwischen den Wassermassen!«
7 So geschah es: Gott machte ein Gewölbe
und trennte so das Wasser unter dem Gewölbe
von dem Wasser, das darüber war.
8 Und Gott nannte das Gewölbe Himmel.
Es wurde Abend und wieder Morgen:
der zweite Tag.

9 Dann sprach Gott:
»Das Wasser unter dem Himmelsgewölbe
soll sich alles an einer Stelle sammeln,
damit das Land hervortritt.«
So geschah es.
10 Und Gott nannte das Land Erde,
die Sammlung des Wassers nannte er Meer.
Und Gott sah das alles an: Es war gut.
11 Dann sprach Gott:
»Die Erde lasse frisches Grün aufsprießen,
Pflanzen und Bäume von jeder Art,
die Samen und samenhaltige Früchte tragen!«
So geschah es:
12 Die Erde brachte frisches Grün hervor,
Pflanzen jeder Art mit ihren Samen
und alle Arten von Bäumen
mit samenhaltigen Früchten.
Und Gott sah das alles an: Es war gut.
13 Es wurde Abend und wieder Morgen:
der dritte Tag.

14 Dann sprach Gott:
»Am Himmel sollen Lichter entstehen,
die Tag und Nacht voneinander scheiden,
leuchtende Zeichen,
um die Zeiten zu bestimmen:
Tage und Feste und Jahre.
15 Sie sollen am Himmelsgewölbe leuchten,
damit sie der Erde Licht geben.«
So geschah es:
16 Gott machte zwei große Lichter,
ein größeres, das den Tag beherrscht,
und ein kleineres für die Nacht,
dazu auch das ganze Heer der Sterne.
17 Gott setzte sie an das Himmelsgewölbe,
damit sie der Erde Licht geben,
18 den Tag und die Nacht regieren
und Licht und Dunkelheit voneinander scheiden.
Und Gott sah das alles an: Es war gut.
19 Es wurde Abend und wieder Morgen:
der vierte Tag.

20 Dann sprach Gott:
»Das Wasser soll von Leben wimmeln,
und in der Luft sollen Vögel fliegen!«
21 So schuf Gott die Seeungeheuer
und alle Arten von Wassertieren,
ebenso jede Art von Vögeln
und geflügelten Tieren.
Und Gott sah das alles an: Es war gut.
22 Und Gott segnete seine Geschöpfe und sagte:
»Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt die Meere,
und ihr Vögel, vermehrt euch auf der Erde!«
23 Es wurde Abend und wieder Morgen:
der fünfte Tag.

24 Dann sprach Gott:
»Die Erde soll Leben hervorbringen:
alle Arten von Vieh und wilden Tieren
und alles, was auf der Erde kriecht.«
So geschah es.
25 Gott machte die wilden Tiere und das Vieh
und alles, was auf dem Boden kriecht,
alle die verschiedenen Arten.
Und Gott sah das alles an: Es war gut.
26 Dann sprach Gott:
»Nun wollen wir Menschen machen,
ein Abbild von uns, das uns ähnlich ist!
Sie sollen Macht haben über die Fische im Meer,
über die Vögel in der Luft,
über das Vieh und alle Tiere auf der Erde
und über alles, was auf dem Boden kriecht.«
27 So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild,
als Gottes Ebenbild schuf er sie
und schuf sie als Mann und als Frau.
28 Und Gott segnete die Menschen und sagte zu ihnen:
»Seid fruchtbar und vermehrt euch!
Füllt die ganze Erde und nehmt sie in Besitz!
Ich setze euch über die Fische im Meer,
die Vögel in der Luft
und alle Tiere, die auf der Erde leben,
und vertraue sie eurer Fürsorge an.«
29 Weiter sagte Gott zu den Menschen:
»Als Nahrung gebe ich euch die Samen der Pflanzen
und die Früchte, die an den Bäumen wachsen,
überall auf der ganzen Erde.
30 Den Landtieren aber und den Vögeln
und allem, was auf dem Boden kriecht,
allen Geschöpfen, die den Lebenshauch in sich tragen,
weise ich Gräser und Blätter zur Nahrung zu.«
So geschah es.
31 Und Gott sah alles an, was er geschaffen hatte,
und sah: Es war alles sehr gut.
Es wurde Abend und wieder Morgen:
der sechste Tag.

21 So entstanden Himmel und Erde mit allem, was lebt.
2 Am siebten Tag hatte Gott sein Werk vollendet
und ruhte von aller seiner Arbeit aus.
3 Und Gott segnete den siebten Tag
und erklärte ihn zu einem heiligen Tag,
der ihm gehört,
denn an diesem Tag ruhte Gott,
nachdem er sein Schöpfungswerk vollbracht hatte.

4a Dies ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde;
so hat Gott sie geschaffen.

Am Anfang war alles überwältigend gut. Gott war begeistert von dem, was er gemacht hatte. Ihm war ein großer Wurf gelungen.

Hier ganz am Anfang der Bibel wird ja nicht einfach nur die Bühne vorbereitet, auf der dann die weiteren Geschichten spielen, sondern das ist der Paukenschlag am Anfang: Gott freut sich daran, aus dem Nichts etwas Wunderbares zu erschaffen. Gott freut sich an Schönheit. Er schuf nicht schnell mal 20 Pflanzen zum Sattwerden, ein paar Schafe als Rasenmäher, drei Sterne als Scheinwerfer und die Menschen als Gartenfachhilfskräfte dazu. Er schuf eine Welt voll Schönheit und Kraft, er schuf überwältigende Sonnenuntergänge und schreckliche Stürme, er schuf gewaltige Kräfte, die die Milchstraßen auf ihrer Bahn halten und die winzigen Wunderwerke, aus denen wir aufgebaut sind, die Zellen. Gott schuf die verschwenderische Fülle der Farben und Pflanzen, er schuf Gewürze und Düfte und Töne, er schuf die majestätischen Wüsten und Einöden und er schuf Wesen, die Augen haben, um das alles zu sehen und Nasen, um es zu riechen und Herzen, um sich daran zu freuen. Verschwenderisch stattete er die Welt aus, angefangen vom riesigen Universum bis zu den winzigen Bestandteilen des Atoms. Er sorgte dafür, dass es alles zusammenpasst und sich selbst reguliert.

Die Wissenschaftler haben heute herausgefunden, dass nur ein paar der grundlegenden Kennzahlen des Universums um eine Winzigkeit anders eingestellt sein müssten, und Leben, wie wir es kennen, wäre nicht möglich. Aber mitten in dieser riesigen Einöde des Weltalls gibt es hier diese Oase des Lebens, mit der wir beschenkt sind. Nur ein paar Tausend Meter dick ist diese Zone, in der Leben möglich ist, umgeben von tödlichem Vakuum, tödlicher Kälte und tödlicher Strahlung. Aber mittendrin, wo sonst alles wüst und leer ist, da hat Gott diesen großartigen Platz zum Leben erschaffen, unseren Planeten, das Gewölbe, von dem die Schöpfungsgeschichte erzählt, und er freut sich, dass es ihm alles so gut gelungen ist.

Und wenn die Bibel die Geschichte von Gottes Freude am Leben und an der Fülle erzählt, dann bedeutet das nicht: es war einmal so. Sondern das ist eine Geschichte über die Welt, wie sie bis heute ist und wie Menschen sie trotz allem doch nur um ein Weniges haben eintrüben können.

Jesus hat an den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde immer noch die Art Gottes ablesen können. Die Schöpfung ist kein stummer Hintergrund, sondern sie redet, sie erzählt von ihrem Schöpfer, so wie ein Haus von den Menschen erzählt, die es gebaut haben. Die Milchstraßen singen Gottes Ruhm. In den Steinen liegt seine Schwere und in den Sonnenstrahlen seine Wärme. Seine Kraft türmt die Wolken auf. Und manchmal gibt es die Momente, wo es uns ganz klar ist, wie alles Lebendige von Gott singt und auch die tote Materie nicht davon ausgeschlossen ist.

Als die ersten europäischen Seefahrer in der neuen Welt eintrafen, in Amerika, da erschien ihnen diese Land wegen der Fülle seiner natürlichen Gaben unglaublich. Manchmal kündigte sich das Land meilenweit ins Meer hinein an durch seinen schweren, üppigen Duft. Aus dem Jahr 1524 wird berichtet, dass die Zedern der Ostküste schon Hundert Stunden vorher zu riechen waren. Manchmal fuhren die Schiffe durch riesige Flächen schwimmender Blumen. Wo immer die Entdecker das Land betraten, fanden sie einen üppigen Reichtum an Farben und Klängen, Wild und Vegetation.

Sie hätten Dichter sein müssen, um die richtige Antwort darauf zu finden. Aber weil sie so waren, wie sie waren, begannen sie sofort mit der Eroberung des Landes, der Suche nach Gold und der Versklavung der Bewohner des Landes.

Durch unsere Geschichte zieht sich die rätselhafte Weigerung, in der Schöpfung die Stimme ihres Schöpfers zu hören und zu verstehen, und bis heute reden kluge Kinder und aufgeklärte Erwachsene davon, dass das ja alles ganz natürlich entstanden sei, und sie meinen damit: wir müssen nicht darüber staunen, sondern können unseren Dreck ruhig in die Gegend schmeißen.

Und wir selbst vergessen, wie sehr wir ein Teil der Schöpfung sind: aus Erde gemacht, aus derselben Erde, die auch die Pflanzen und das Grün hervorgebracht hat. Die moderne Biologie hat das eindrucksvoll bestätigt, wenn sie herausgefunden hat, wieviele der biologischen Mechanismen in unseren Zellen wir mit den anderen Lebewesen teilen und wieviel in unserem genetischen Code mit anderen Lebewesen übereinstimmt.

Franz von Assisi sprach von Schwester Mond und Bruder Wind und drückte aus, wie sehr und grundlegend wir hineinverwoben sind in das Beziehungsnetz der Schöpfung. Paulus schrieb davon, wie wir in Solidarität mit der gesamten Schöpfung nach der Freiheit der Erlösung schreien. Uns, einen Teil der Schöpfung, hat Gott zu seinen Vertretern in der Schöpfung gemacht, damit wir seine Güte weitergeben an alle anderen Mitgeschöpfe, und damit das Lob des Schöpfers durch uns laute und deutliche Worte bekomme.

Es war das größte Geschenk Gottes an seine Schöpfung, dass er mitten in die Welt hinein etwas von seinem eigensten Wesen hineingegeben hat, das Wunder der Person, Wesen, die leben können im Gegenüber zu anderen und im Gegenüber zu ihm, die Gottes Freude teilen können und seine Liebe erwidern. Es war der Schlussstein der Schöpfung Gottes, dass er nicht etwa nur ein gut funktionierendes Weltmodell gebastelt hat, so wie wir vielleicht ein Modellschiff oder eine elektrische Eisenbahn bauen können, sondern wie er darüber hinaus aus freien Stücken dafür gesorgt hat, dass er mitten in der Schöpfung ein Gegenüber hat, einen Partner, jemand, der seine Liebe nicht nur empfangen, sondern auch erwidern kann.

Es war nicht unsere Aufgabe, uns von den anderen Mitgeschöpfen zu distanzieren oder sie womöglich auszurotten. Von Anfang an war den Menschen als Nahrung nicht der Körper anderer Wesen zugewiesen, sondern die Früchte der Pflanzen, das, was die Pflanzen freiwillig hergeben und was sie verlieren können, ohne Schaden zu nehmen. Erst später, als Menschen sich von Gott abgewandt hatten, kam Fleisch als Nahrung dazu. Ursprünglich gab es nicht die Feindschaft zu den Mitgeschöpfen, und in den Paradiesgeschichten spielt die Verbundenheit mit den Tieren immer eine große Rolle. Das gehört auch zu den Kinderträumen, dass wir mit den Vögeln und dem Vieh reden können, dass sie uns verstehen und in Freundschaft mit uns leben. Wie problematisch heute auch unser Verhältnis zu den Tieren geworden ist, manchmal kann man noch etwas davon ahnen, wie es ursprünglich gemeint gewesen ist, wenn man sieht, wie Kinder einen Hasen mit sich herumschleppen oder für Schnecken eine Heimat bauen. Aber als wir anfingen, uns immer mehr von den anderen Geschöpfen zu distanzieren, da wurden sie scheu oder gefährlich, und inzwischen müssen wir uns fürchten vor dem Wahnsinn, der daraus entsteht.

Aber die Distanz zu den anderen Geschöpfen trifft ja auch uns selbst, denn wir sind ja mit unserem Körper auf das engste mit der übrigen Schöpfung verbunden. Eine feindselige, misstrauische Distanz zur Schöpfung trifft immer auch uns selbst, und dann fühlen wir uns nicht wohl in unserem Körper. Wir sind unzufrieden mit ihm, wir unterwerfen ihn einem harten Training oder wir vernachlässigen ihn. Für viele von uns ist er nicht der Bruder Leib, wie Franz von Assisi ihn nannte, sondern ein Problem, das wir auf die verschiedensten Weisen bearbeiten. Unser Leib, das größte aller Wunder in dieser Schöpfung, der Ort, wo sich die Welt der Materie und die Welt des Geistes auf einzigartige Weise verbinden, wo die Materie eine Differenziertheit und Komplexität erreicht, die sie zu einem Wohnsitz des Geistes macht, unsere Wohnung, das Stück Welt, das uns von allem am vertrautesten ist, der Ort, den Gott sich ausgewählt hat, als er selbst in die Welt kam und Mensch wurde – aber es ist so weit gekommen, dass Menschen sich ihres Körpers schämen.

Die Schöpfungsgeschichte lädt uns ein, uns daran zu freuen, dass wir wunderbar gemacht sind und Freundschaft zu schließen, nicht nur mit den anderen Geschöpfen, sondern auch mit dem Stück Welt, das wir selbst sind. Gott lädt uns ein, dieses Wunder anzunehmen, dass wir keine geistigen Wesen sind wie Engel oder Dämonen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, mit Haut und Haar, mit Hunger und anderen Leidenschaften, mit Ausscheidungen und Gefühlen, mit instinktiven Reaktionen, die wir kaum steuern können und mit hochdifferenzierten Denkfähigkeiten, durch die wir etwas ahnen von der Ordnung der Schöpfung. Wie sollten wir uns selbst ablehnen oder verachten, wo doch Gott selbst gerade uns gewollt hat, uns so gewollte hat als seine Freunde und Vertreter in seiner Schöpfung?

Und auch dass wir uns irgendwann Misstrauen einflüstern ließen, Argwohn und Neid, und uns in unbegreiflicher Weise abgewandt haben von Gott, auch das hat nichts daran geändert. Vieles von dem Guten und Großen, mit dem Gott uns beschenkt hat, trägt jetzt bittere Früchte, aber es ist da. Gott hat seine Segnungen nicht zurückgenommen. Und der größte Teil der Schöpfung funktioniert immer noch so großartig, wie er geplant war. Der Segen Gottes liegt weiterhin auf der Welt. Gott lässt es regnen über Böse und Gute. Wir können immer noch erstaunliche Dinge tun. Wir sind immer noch Geschöpfe voll Herrlichkeit und Macht. Diese Welt könnte nicht bestehen, wenn Gott sie nicht von Sekunde zu Sekunde mit Segen und Leben beschenken würde.

Das Erstaunliche ist ja, wie sehr wir immer noch ansprechbar sind für unsere Bestimmung. Sie kennen sicher alle die Witze über die Kleingärtner oder über die Leute, die ihren festen Sommercampingplatz haben und sich da draußen dann wie zu Hause einrichten mit Gartenzwerg und Sofa und Mutter muss am Sonntag den gleichen Braten machen wie zu Hause – aber auch da zeigt sich immer noch eine Ahnung davon, dass die Schöpfung Gottes ihre heilenden Kräfte hat und dass es für uns gut ist, unsere Wurzeln zu pflegen.

Das erste, was in der Bibel über uns steht, ist nicht, dass wir arme Sünder sind. Sondern dass wir der große Wurf Gottes sind, gemeinsam mit allen anderen Geschöpfen. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Das wird Gott nicht zulassen, dass sein Feind, der Vater der Lüge, ihm sein Werk verpfuscht. Als Jesus kam, da machte er es alles wieder heil und es kam in Ordnung. Und die Menschen erkannten in ihm sofort wieder die Stimme des Schöpfers und wurden froh.

Und Jesus lehrt aufs neue, die Stimme des Schöpfers zu verstehen durch die Vögel in der Luft und die Lilien auf dem Felde. Er kennt die Fische und die Schafe, die Senfkörner und die Feigenbäume, die Kinder und die Esel. Er liebte weite Wanderungen durchs Land und Segeltouren auf dem See Genezareth. Er ging zum Beten raus aus den Dörfern in die Natur.

Er ist der Anfang der erneuerten Schöpfung, und er wird einmal alles erfüllen.