Die alternative Weisheit Gottes

Predigt am 7. Januar 2024 mit 1. Korinther 1,25-31

25 Hinter dem scheinbar so widersinnigen Handeln Gottes steht eine Weisheit, die alle menschliche Weisheit übertrifft; Gottes vermeintliche Ohnmacht stellt alle menschliche Stärke in den Schatten.

26 Seht euch doch einmal in euren eigenen Reihen um, Geschwister: Was für Leute hat Gott sich ausgesucht, als er euch berief? Es sind nicht viele Kluge und Gebildete darunter, wenn man nach menschlichen Maßstäben urteilt, nicht viele Mächtige, nicht viele von vornehmer Herkunft. 27 Im Gegenteil: Was nach dem Urteil der Welt ungebildet ist, das hat Gott erwählt, um die Klugheit der Klugen zunichte zu machen, und was nach dem Urteil der Welt schwach ist, das hat Gott erwählt, um die Stärke der Starken zunichte zu machen. 28 Was in dieser Welt unbedeutend und verachtet ist und was bei den Menschen nichts gilt, das hat Gott erwählt, damit ans Licht kommt, wie nichtig das ist, was unter Menschen etwas gilt. 29 Denn niemand soll gegenüber Gott mit vermeintlichen Vorzügen prahlen können.

30 Ist es bei euch nicht genauso? Dass ihr mit Jesus Christus verbunden seid, verdankt ihr nicht euch selbst, sondern Gott. Er hat in Christus seine Weisheit sichtbar werden lassen, eine Weisheit, die uns zugute kommt. Denn Christus ist unsere Gerechtigkeit, durch Christus gehören wir zu Gottes heiligem Volk, und durch Christus sind wir erlöst. 31 »Wenn also« – um es mit den Worten der Schrift zu sagen – »jemand auf etwas stolz sein will, soll er auf den Herrn stolz sein.«

(Neue Genfer Übersetzung)

Gott erwählt das, was unter Menschen nichts gilt. Gott sieht gerade da Möglichkeiten, wo wir nur Probleme sehen.

Paulus in der Krise
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Paulus, von dem diese Sätze aus der Bibel stammen, hat das erlebt. Er reiste nach Griechenland und kam nach Athen, der berühmten Stadt der Philosophen. Und er wurde eingeladen, dort vor den versammelten Denkern und Weisen zu erklären, worum es in dem Evangelium geht, über das er dauernd redete. Das war eine einmalige Chance. Paulus gab alles, er bereitete sorgfältig eine gut durchdachte Rede vor, er zitierte bekannte Dichter, er ließ Lokalkolorit einfließen, er machte es spannend, es war kein langweiliger Vortrag – ich kann mir richtig vorstellen, wie er am Ende gespannt in die Augen seiner Zuhörer schaute, um zu erkennen, wie die Athener Gelehrten reagieren würden. Würde es eine heftige Diskussion geben? Würden sie ihn wüst beschimpfen oder mit Farbbeuteln nach ihm werfen? Oder würden sie womöglich alle sagen: Das hat uns überzeugt, jetzt glauben wir auch an Jesus!

Stattdessen passierte etwas ganz anderes. Sie sagten: ein interessanter Vortrag! Nett, dass Sie hier waren! Bei Gelegenheit reden wir da vielleicht noch mal drüber. Der Vorsitzende überreichte Paulus noch eine Flasche Wein und einen Kasten Pralinen, und dann konnte er gehen.

Das war eine der schlimmsten Krisen, die Paulus erlebt hat. Dass er für sein Evangelium verprügelt und aus der Stadt gejagt wurde, das kannte er. Damit konnte er umgehen. Aber diese nette Gleichgültigkeit, die hat ihn fertig gemacht. Und er schwor sich: nie wieder versuche ich, es solchen Leuten recht zu machen. Von jetzt ab rede ich vom gekreuzigten Jesus, ich erzähle eine Geschichte von Blut und Folter und Schmerz und Sterben, und dass Gott das letzte Wort behält, selbst gegenüber den Henkern des mächtigen römischen Reiches. Und dann reiste er weiter nach Korinth.

Paulus in Korinth

Korinth war ganz anders als das gebildete, hochkultivierte Athen. Korinth war eine Hafenstadt, dreckig und wuselig. Es roch nach Fisch und Schweiß, da wurden manche krummen Dinger gedreht, einige verdienten sehr viel Geld, und andere mussten für wenig Geld viel arbeiten. Und irgendwie bekam Paulus Kontakt zu den Kranfahrern und Lastenträgern am Hafen, auch zu Kleinkriminellen und Leuten aus der Rotlichtszene, aber auch zu ein paar anständigen Beamten, die das Beste für ihre Stadt wollten.

Denen erzählte er vom gekreuzigten Jesus. Und die Leute hatten alle schon Menschen am Kreuz gesehen, manche waren selbst schon ausgepeitscht worden, das konnte damals schnell passieren, wenn man kein römischer Bürger war, und dann vielleicht auch noch ein Sklave. Die wussten, wie brutal die Welt sein konnte, denen sagte das was, wenn Paulus vom Gekreuzigten redete.

Aber Paulus redete ja auch davon, dass Gott den gekreuzigten Jesus auferweckt hat. Und wenn Gott selbst in diesem Fall die ganze Situation noch drehen konnte, dann musste er doch ziemlich mächtig sein. Aber irgendwie anders mächtig als durch Muckis, anders mächtig als durch ein dickes Konto, auch anders mächtig als das römische Imperium mit seiner gut geölten Militärmaschine, gegen die es keine Gegenwehr gab.

Wie Menschen auch sein können

Und als sie sich dann in der Gemeinde trafen, die Paulus in Korinth gründete, da erlebten sie etwas, was sie noch nie gekannt hatten: sie waren etwas wert. Sie erlebten Freiheit. Sie erlebten, dass sie miteinander an einem Tisch saßen, die Malocher vom Hafen und die paar bürgerlichen Leute, und auf einmal waren sie nicht mehr durch einen tiefen Graben voneinander getrennt. Weil sie merkten: gemeinsam haben wir etwas entdeckt, was wichtiger ist als all das Trennende und die Unterschiede zwischen uns. Die einen sind hier nicht mehr die unterste Schublade der Gesellschaft, und die anderen sind nicht mehr die da oben, sondern wir sind Brüder und Schwestern. Wir begegnen uns jedenfalls hier im Namen Jesu auf Augenhöhe, und das tut uns allen gut. So ungefähr muss Gott sich das Miteinander unter Menschen mal vorgestellt haben, als er uns schuf. Wir bekommen hier eine Ahnung davon, wozu wir als Menschen in Wirklichkeit berufen sind. Wir können es manchmal gar nicht richtig in Worte fassen, aber wir merken hier etwas davon, wie das Leben eigentlich sein sollte. Und dazu musste Paulus keine ausgefeilten Reden halten wie in Athen.

Das ist bis heute so. Ein Bekannter von mir ist mit seiner Frau und zwei anderen in eine ostdeutsche Plattenbausiedlung gezogen. In eine ganz gemischte Nachbarschaft: Rentner, Arbeiter, Geflüchtete, Alleinerziehende, Jugendliche, die noch nicht so richtig wissen, was aus ihnen werden soll. Und sie versuchen da, als gute Nachbarn zu leben und etwas von Jesus Christus deutlich zu machen. Und da im Osten weiß ja kaum einer noch was von Jesus und Gott und so, so wie ja auch bei uns immer mehr denken, dass wir zu Weihnachten die Geburt eines Rentiers mit roter Nase feiern.

Im Advent haben sie dort die Bibelgeschichten rund um die Geburt Jesu erzählt, mit Sandbildern: beim örtlichen Supermarkt, mit so einem Tageslichtprojektor, da streut man Sand drauf und kann dann Bilder reinmalen, immer wieder neue, und die auf eine weiße Wand projizieren. Völlig simpel. Aber die Leute kommen, die wollen das hören, und die sind enttäuscht, wenn es mal ausfällt. Ich kann es nicht wirklich erklären, aber offenbar gibt ihnen das was, was sie sonst nicht finden. Gottes Zuwendung, die uns wenigstens für einen Moment zeigt, wozu wir geschaffen sind. Wer wir sein könnten, wenn wir tief mit Gott verbunden sind.

Und vielleicht haben da die Leute den besten Zugang zu, die nicht darauf stolz sein können, dass sie die dicksten Autos im Ort haben, oder die dicksten Kürbisse, oder die richtigen Klamotten oder die richtigen Beziehungen oder irgendwas von dem, worauf Menschen eben stolz sind.

Die spezielle Weisheit Gottes

Vielleicht kann man es so sagen: am gekreuzigten Jesus ist ganz klar zu sehen, wie verletzlich und gefährdet wir alle sind. Und dagegen helfen auch die Dinge nicht, auf die wir stolz sind. Aber wenn Jesus bis zuletzt seine Würde bewahrt hat, selbst am Kreuz, dann haben wir auch eine Würde, die nicht abhängig davon ist, was wir darstellen und was wir haben und worauf wir stolz sind. Und dazu haben am ehesten die einen Zugang, die wenig haben, was sie vorzeigen können in der Gesellschaft.

Gottes Plan ist es, die Welt nicht durch die Reichen und Schönen und Berühmten zu heilen, sondern durch normale Menschen. Die müssen nicht alle bettelarm sein, aber sie müssen etwas verstanden haben von dieser Verletzlichkeit des Lebens, von der wir alle betroffen sind. Das ist die wirkliche Weisheit Gottes, dass er mit Menschen arbeitet, die von unser aller Verwundbarkeit wissen, entweder weil sie die am eigenen Leib erlebt haben, oder weil sie einfach offene Augen dafür haben. Menschen, die nicht mehr an das Hamsterrad glauben, wo man rödelt und rödelt, um irgendwas darzustellen oder sich einen Namen zu machen.

Das ist die ganz spezielle Weisheit Gottes, die quer liegt zu der Art wie unsere Gesellschaft funktioniert. Und die intelligenten Philosophen von Athen, die dicke Bücher mit vielen Fußnoten schreiben, die konnten damit nichts anfangen. Die waren nicht klug genug dafür. Klugheit hat nämlich wenig mit Intelligenz zu tun. Du wirst die Welt erst dann begreifen, wenn du sie von ihrer Brüchigkeit und Verletzlichkeit her anschaust, also vom gekreuzigten Jesus her, wo das alles wirklich auf den Punkt gebracht ist. Und das konnten die Leute vom Hafen, die Paulus zuhörten, viel besser verstehen als die Professoren von Athen.

Hartnäckige Denkmuster

Aber auch die korinthischen Christen waren natürlich keine Engel. Sonst hätte Paulus ihnen nicht diesen Brief schreiben müssen. Auch in den Köpfen der armen Christen von Korinth steckten natürlich diese Gedanken: wer ist der Größte? Wie kann ich mich profilieren? Wenn ich schon da draußen in der Welt nicht den großen Larry raushängen lassen kann, dann will ich wenigstens hier in der Gemeinde der Chef sein. Und als Paulus weitergereist war, da gab es in der jungen Gemeinde sofort Hickhack und Eifersüchteleien und Cliquen, die sich bekämpften.

Sie hatten viel erlebt mit Gott, sie hatten eine Ahnung davon bekommen, was wahres Leben ist. Sie hatten miteinander Grenzen überwunden, die sonst unverrückbar scheinen und so viel Leid verursachen. Sie hatten Besseres und Wichtigeres kennengelernt als die Frage, wer das dickste Konto und das dickste Auto hat. Aber irgendwie steckte immer noch dieser Wunsch in ihnen, etwas darzustellen, groß rauszukommen, wichtig zu sein.

Und natürlich steckt der auch in uns, und wir brauchen alle diese Erinnerung an den gekreuzigten Jesus, die uns unsere Grenzen vor Augen führt, unsere Verwundbarkeit, und wie bedroht das Leben immer ist. Aber gleichzeitig zeigt sich an Jesus eben auch die Lebenskraft Gottes, die am Ende auch die Gewalt überwindet und die Gewaltigen und Klugen alt aussehen lässt.

Was bleibt

Immer, wenn wir versuchen, gut dazustehen, dann ist das eigentlich der Wunsch nach dem guten und vollen Leben. Und solche Leute wie Paulus müssen uns immer wieder daran erinnern: diese Momente, wo wir etwas gesehen haben, gespürt haben von der Schönheit und Tiefe des Lebens, vom Glanz der Welt und von der Herrlichkeit Gottes, der das geschaffen hat – da bist du an diesem Leben dran. Das sind die Augenblicke, die zählen. Das wird bleiben, auch wenn vieles andere zerbricht, und natürlich auch dann, wenn unser Leben mal zu Ende ist. Das ist das große und volle Leben, auf das es ankommt. Mit dieser Perspektive verändert und heilt Gott die Welt.

Wer das verstanden hat, der wird alles dafür tun, dass er da dran bleibt und sich das nicht kaputt macht, indem er wieder in die Jagd nach Ansehen und Status einsteigt. Stattdessen wird er alle Energie darauf verwenden, die Orte zu finden, wo man — gemeinsam — die Weisheit und Stärke Gottes entdeckt und davon lebt.

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