Befreit aus der Unselbständigkeit

Predigt am 25. Dezember 2023 (Christfest I) zu Galater 4,1-7

1 Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in keiner Hinsicht von einem Sklaven, obwohl er Herr ist über alles; 2 er steht unter Vormundschaft und sein Erbe wird verwaltet bis zu der Zeit, die sein Vater festgesetzt hat. 3 So waren auch wir, solange wir unmündig waren, Sklaven der Elementarmächte dieser Welt. 4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, 5 damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, damit wir die Sohnschaft erlangen. 6 Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater. 7 Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott.

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In diesem Abschnitt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater geht es darum, wie wir mündig werden: freie, aufrechte Menschen, die erhobenen Hauptes durch die Welt gehen und sich von niemandem einschüchtern lassen. Menschen, die verstehen, wie die Welt tickt und die deshalb gut mit ihr umgehen. Menschen, die nicht dasitzen und sagen: da kann man doch nichts machen, sondern die Möglichkeiten ergreifen, wo andere nur Probleme sehen. Menschen, die Probleme lösen, wo andere lieber Schuldige suchen.

Warum sind Menschen so?

Das klingt doch gut, oder? Bleibt nur eine Frage: Warum sind nicht alle Menschen so? Das ist doch eigentlich das, was man sich wünschen würde. Und trotzdem gibt es so viele Problembären, so viele unselbständige Menschen, so viele, die sich nichts zutrauen oder erschöpft sind und jedenfalls nicht erhobenen Hauptes durch die Welt gehen. So viele, die anderen das Leben schwer machen. Warum?

Paulus erlebt das alles natürlich auch. Aber er weiß den Grund, warum Menschen so sind. Er sagt: Menschen sind nicht frei. Sie stehen unter Einfluss. Sie werden von etwas getrieben, was in dieser Übersetzung mit »Elementarmächte« wiedergegeben ist. Damit sind aber nicht Dauerregen oder Orkanböen gemeint, sondern so etwas wie das Ordnungsgefüge, in dem wir uns bewegen. Der Denkrahmen, in dem wir denken und leben.

Es ist kompliziert …

Das ist jetzt leider etwas schwierig zu erklären. Unser Denkrahmen ist uns so selbstverständlich, dass wir ihn meistens gar nicht spüren. Wir bewegen uns darin so selbstverständlich wie Fische sich im Wasser bewegen. Gerade deshalb ist er so mächtig.

Nur mal als Beispiel: wir halten es für völlig natürlich, dass wir in den Laden gehen, wenn wir etwas brauchen, es dort kaufen und bezahlen. Es hat aber auch Gesellschaften gegeben, wo man dann ins gemeinschaftliche Vorratshaus geht und sich nimmt, was man braucht. Wir denken: das kann doch nicht funktionieren. Da räumt doch bestimmt einer das ganze Klopapier ab oder so. Aber nein, das hat funktioniert. Weil der Denkrahmen dafür sorgte.

Oder in der Zeit von Paulus hielt man es für selbstverständlich, dass sich Menschen in einer Arena gegenseitig abschlachteten und andere dabei zuguckten, weil das so unterhaltsam ist. Oder man ließ Bären gegen Löwen kämpfen und Ähnliches. Niemand wäre auf die Idee gekommen, einen Tierschutzverein zu gründen.

Genauso selbstverständlich war es auch, dass Menschen nicht gleich waren. Es gab freie Bürger, es gab Sklaven, es gab Reiche und Arme, Männer und Frauen, und natürlich waren die einen wertvoller als die anderen. Wenn da einer was von Gleichheit erzählt hätte, dann hätten alle mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: Natürlich ist die eine Sorte Mensch besser als die andere, das weiß doch jeder! Bis vor zweihundertfünfzig Jahren war das auch bei uns noch ziemlich selbstverständlich.

Aus Gedanken werden Mächte

Versteht ihr, solche Grundüberzeugungen meint Paulus, wenn er von den »Mächten« spricht, die uns beherrschen. Das sind zuerst nur menschliche Gedanken, aber wenn viele so denken, dann wird das eine Macht, die unser Leben steuert, bis in tägliche Kleinigkeiten hinein. Und wir kommen da nicht raus, selbst wenn wir mit den Ergebnissen nicht froh sind.

Bestes Beispiel sind bei uns die ganzen Zukunftsfragen: Klimawandel, Ernährung, Bienensterben, Schuldenbremse usw. Wahrscheinlich sagen 80% aller Menschen im Land: das kann doch nicht sein, dass wir unsere Welt gegen die Wand fahren. Ist doch verrückt! Das Wetter spielt doch jetzt schon verrückt, wie soll das erst werden, wenn bei Dauerregen doppelt so viel Wasser runterkommt wie wir es gerade erleben?

Jeder vernünftig denkende Mensch würde erwarten, dass wir alles tun, um die Erderwärmung zu stoppen. Tun wir aber nicht. Warum? Das liegt an den Mächten, von denen Paulus spricht. Anonyme Gewalten, die sich aus menschlichen Gedanken gebildet haben: aus menschlichen Ängsten, aus menschlicher Gier, auch durch menschlichen Erfindungsgeist. Und diese Mächte sorgen für Gesetze und Institutionen, sie prägen die öffentliche Meinung und unser ganzes Lebensgefühl. Die sorgen auch dafür, dass sich alle aufregen, wenn ein paar Klimakleber für eine halbe Stunde den Verkehr blockieren. Aber wenn andere tagelang mit Treckern den Verkehr lahmlegen, dann haben alle Verständnis, da geht es ja um was Vernünftiges wie Geld, nicht um die Zukunft unserer Erde.

Gottes Weg – die große Lösung

Warum ist das alles so? Das sind die Mächte, von denen Paulus schreibt. Die machen die Leute besoffen im Kopf, und die merken das noch nicht mal. Die Mächte sorgen dafür, dass wir alle gemeinsam Dinge anrichten, die jeder Einzelne eigentlich gar nicht will. Und da hilft es auch nichts, wenn du deinen Tannenbaum beim Bio-Förster kaufst. Man sollte es trotzdem tun, aber sich nicht einbilden, dass das die Lösung für unsere Zukunftsprobleme wäre.

Gott hat sich eine andere Lösung ausgedacht. Er ließ Jesus Mensch werden. Und das war gemeint als Lösung für das Tierabschlachten in den Arenen damals und in unseren Schlachthöfen heute, als Lösung für die Sklaven damals und für die Hungernden heute. Als Lösung für das Wüten der ganzen Welt. Kleiner macht Gott es nicht. Immerhin, inzwischen gibt es keine Sklaverei mehr (jedenfalls in sehr vielen Ländern), es gibt Tierschutzvereine und selbst die Stierkämpfe in Spanien werden weniger. Dass alle Menschen gleich sind, steht inzwischen sogar im Grundgesetz. Also, da hat sich was bewegt. Aber noch längst nicht genug.

Deswegen ist es so wichtig, die Bibel zu verstehen, damit wir wissen, wie Gottes Lösung gedacht war, und wo unser Platz dabei ist.

Geboren wie wir, ein Ausgang für uns

Also: Gott sandte seinen Sohn, von einer Frau geboren. Wie wir alle musste Jesus das Geburtstrauma erleben, das dazugehört, wenn man zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt. Das muss für Babys ziemlich schrecklich sein, deswegen vergessen wir das auch ganz schnell wieder. Aber irgendwie werden wir diesen Schock wahrscheinlich ein Leben lang nicht los. Auch Jesus nicht.

Und auch er war dem Gesetz unterstellt. Das »Gesetz« zählt Paulus auch zu den Mächten, die diese Welt kontrollieren. Das ist ein Spezialproblem, weil das Gesetz, das auch für Jesus galt, eigentlich Gottes gutes, heiliges Gesetz ist, das er gegeben hat, damit wir besser leben können. Aber was ist daraus geworden? Die Bürokratie, unter der alle seufzen, wo du alles dokumentieren musst und wo es dich nur gibt, wenn du deine Geburtsurkunde nicht verbummelt hast. Die Bürokratie, die ein ganzes Land wie Deutschland ängstlich und träge macht und wo kaum einer sich traut, mal was zu machen, wofür er nicht zertifiziert ist.

Also, auch Gesetze helfen nicht wirklich. Aber was hilft, das sind freie Menschen, die in den Spuren Jesu gehen. Jesus ist gekommen, um uns von der Herrschaft des Gesetzes und aller anderen Mächte zu befreien, die uns in Unmündigkeit halten. Seit Jesus müssen wir uns nicht mehr bescheuerte Gedankensysteme in den Kopf setzen lassen, die wir dann auch noch für natürlich und selbstverständlich halten. Jesus hat uns einen Ausgang gebrochen, damit wir in Zonen der Befreiung leben können, wo man sich gegenseitig dabei hilft, den Kopf frei zu kriegen von der Sklavenmentalität, die wir alle schon mit der Muttermilch schlucken.

Zonen der Befreiung

Jesus hat uns befreit, er hat uns freigekauft. Man darf da gern an so was wie die Mafia denken, wo man in der Regel nur im Sarg rauskommt, wenn man sich einmal auf die eingelassen hat. Oder vielleicht auch, wenn irgendwer dafür bezahlt, dass die einen aussteigen lassen. Wodurch und wie Jesus für uns diese Auslöse aufgebracht hat, ist eine neue Predigt, die halte ich ein andermal. Für heute ist wichtig: zu Weihnachten geht der Kampf um die Befreiung von den Mächten los.

Man kann sich das so klarmachen: Advent heißt »Ankunft«, da ist Gott unterwegs, um uns zu befreien. Weihnachten ist er da, und der Kampf geht los. Ostern bedeutet den Sieg in der entscheidenden Schlacht – der ermordete Jesus ist auferstanden. Seit Pfingsten macht sich das weltweit bemerkbar, und den Mächten geht es an den Kragen. Und am Ende der Ewigkeitssonntag, wo wir schon mal vorausblicken auf die Neue Welt Gottes, wo die Mächte keine mehr Macht haben, und wo Sklavenmentalität unbekannt ist.

Und das beginnt jetzt schon in diesen Zonen der Befreiung: Gemeinden, wo wir lernen sollen, nicht mehr gebeugt zu leben, sondern aufrecht zu gehen; uns nicht mehr ohnmächtig zu fühlen, sondern Spielräume zu nutzen; nicht mehr Teil des Problems zu sein, sondern Erfinder von Lösungen. Mündige, befreite Menschen mit Durchblick.

Die Erben einer freien Welt

Paulus nennt das die »Sohnschaft«, die wir erben. Und was ist mit den Frauen? Ganz einfach: damals war es überhaupt nicht erstrebenswert, Tochter zu sein. Töchter standen erst unter der Vormundschaft ihres Vaters und dann unter der Aufsicht ihres Mannes. »Tochterschaft« war damals nichts, was man mit Freiheit in Verbindung gebracht hätte. »Sohnschaft« dagegen bedeutet: da wird jemand der erwachsene Juniorpartner des Vaters, er leitet gemeinsam mit ihm den Betrieb. Er wird mal das Erbe antreten. Diese Perspektive hatten damals Frauen in der Regel nicht. Heute ist das zum Glück anders.

Paulus nennt die Jesusleute »Erben«, nämlich Erben Gottes. Das sind die Menschen, denen Gott diese Welt anvertrauen will. Männer und Frauen, die um sich herum Freiheit verbreiten; die aber nicht die Augen zumachen vor der Realität unserer Welt. Die wissen schon, dass es gefährliche Mächte gibt, die diese Welt ruinieren. Aber sie glauben nicht an die Mächte, sie stellen sich nicht in ihren Dienst, sie reden ihre Parolen nicht nach und machen sich gegenseitig darauf aufmerksam, wenn sie aus Versehen doch mal in den Propagandasprech verfallen sind. Sie wissen, das Jesus der Herr ist und nicht die angeblichen Sachzwänge. Und dass man erst frei ist, wenn man nicht mehr an sie glaubt. So wird man mündig. In solchen befreiten Zonen lebt Gottes Geist.

Damals in Bethlehem hat das angefangen, aber es musste sich erst entfalten. Selbst die Engel wussten noch nicht, worauf das alles hinauslaufen würde. Jesus musste erst groß werden, bis man an ihm Gottes Plan erkennen konnte. Und in der Kraft des Heiligen Geistes entfaltet sich dieser Plan immer weiter, durch uns und viele andere. Weihnachten ist der Startpunkt. Lauft ihr auch noch im neuen Jahr mit und weiter?