Für die Fachleute ist das Quatsch

Predigt am 11. Juli 2004 zu 1. Korinther 1,18-25

18 Das Wort vom Kreuz ist Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir gerettet werden, ist es Gottes Kraft.
19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt die zu retten, die glauben.
22 Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Paulus nennt das Evangelium in diesem Brief an die Christen in Korinth sehr pointiert »das Wort vom Kreuz«. Das Kreuz ist für Paulus der Schlüssel, um den Weg und die Geschichte Jesu zu verstehen, und vielleicht ist ihm das sogar zum ersten Mal dort in Korinth so richtig deutlich geworden. Er hat dort anscheinend zum ersten Mal systematisch den Kreuzestod Jesu in den Mittelpunkt seiner Verkündigung gestellt, und er erlebte, wie die Gemeinde wuchs, wie Wunder geschahen und der Heilige Geist in Fülle zu den Menschen kam.

Was war es, das die Menschen anzog, gerade an der Verkündigung des Kreuzes? Das Kreuz war ja gerade der Inbegriff des Schreckens, ein Instrument des Foltertodes. Der römische Schriftsteller Cicero hatte einmal geschrieben: »Schon das Wort ‚Kreuz‘ bleibe fern nicht nur vom Leibe römischer Bürger, sondern auch von ihrem Denken, ihren Augen und Ohren«. Das heißt, ein römischer Bürger war durch Gesetz davor geschützt, gekreuzigt oder auch nur ausgepeitscht zu werden. Das Imperium hatte das Kreuz für die anderen reserviert, für Sklaven, für Feinde, für Terroristen. Und Cicero sagt: da wollen wir noch nicht mal dran denken, was im römischen Namen den andern angetan wird. Das wollen wir gar nicht wissen, was da für Dreckarbeit in den Provinzen und im Krieg getan wird, lasst uns das Leben genießen und nicht fragen, wo unser gutes Leben herkommt.

Aber in Korinth predigte Paulus bei den »anderen«: bei denen, die unter dieser Androhung des Kreuzes leben mussten, und über denen ein Leben lang die Drohung der Peitsche und der Gewalt schwebte. Die Sklaven und die Hafenarbeiter, die Seeleute aus aller Herren Länder, die Sexarbeiterinnen und die Invaliden, die Illegalen und die Diebe, all die Menschen, die sich irgendwie im Dschungel dieser großen Hafenstadt durchschlugen – die verstanden es, was das heißt: Gott ist Mensch geworden und am Kreuz gestorben. Vorher waren sie allein mit dem, was man ihnen antat und was sie sich auch gegenseitig antaten. Jetzt hörten sie, dass Gott zu ihnen gekommen war, dass er sie liebt und bei ihnen sein will, auch wenn das ein Weg ist, der ihn ans Kreuz führt. Paulus erzählte von seinem Gott, von Jesus, der das Leben der Menschen geteilt hat, die nicht den Schutz des Imperiums genossen, und der dafür auch das Äußerste und Schlimmste auf sich genommen hat.

Unter diesen Menschen, die wohl alle selbst schon dabeigewesen waren, wenn einer gekreuzigt worden oder blutig gepeitscht worden war, die vielleicht schon selbst einmal grausam bestraft worden waren, da sprach er von Jesus, der sich auf den Weg gemacht hat bis in die dunklen und grausamen Ecken der Welt, von denen ein Cicero noch nicht einmal hören wollte. Und er fasste es zusammen in diesem Wort: das Kreuz. Und in der Nachfolge Jesu ist der römische Bürger Paulus genau diesen Weg gegangen: nach unten, hin zu denen, von denen man sich als guter römischer Bürger fernhielt. Und genau dort hat er Gott gefunden. In keiner seiner Gemeinden war der Heilige Geist so stark. So direkt hat Gott ihm dort Weisung gegeben: »Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir etwas Böses anzutun; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt« (Apostelgeschichte. 18,9-10). Und die Gemeinde wuchs und Paulus wurde in allen Gefahren behütet.

Das ist dieser verrückte Zusammenhang: Gottes Kraft wird gerade da stark, wo die Menschen bedroht, elend und ständig in Gefahr sind. Und wenn du ihn finden willst, dann musst du genau dahin gehen. Erst wenn du in Gefahr gerätst, wirst du seine Rettung erleben. Erst wenn du arm bist, wirst du die Fülle seines Reichtums erleben. Erst wenn du ihn wirklich brauchst, verstehst du, was Glauben bedeutet. Glaube ist keine geistliche Denksportaufgabe, sondern es geht darum, ob wir Gott zutrauen, dass er auch dann noch weiter weiß, wenn wir keine Kontrolle mehr über die Situation haben. Glaube bedeutet: im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit Gottes den Weg Jesu mitgehen. Ja, ich weiß, in seiner Freundlichkeit lässt Gott uns immer auch ein bisschen selbst die Kontrolle behalten, weil er weiß, wie sehr wir Angst haben, uns nur auf ihn zu verlassen. Er hat Geduld mit uns. Und in all dem wächst dann hoffentlich bei uns das Zutrauen, dass er uns nicht im Stich lassen wird, wenn wir auf den Wegen Jesu gehen, und dass er das Kreuz mit der Auferstehung beantwortet.

Ja, sagt Paulus: in den Augen der gebildeten und kultivierten Menschen (in den Augen eines Cicero z.B.) ist das hirnrissig. Das ist Torheit. Jeder vernünftige Mensch, versucht sich fernzuhalten von den Zonen des Unglücks und der Gewalt. Nur Jesus nicht, und wer zu ihm gehören will, der muss ihn genau dort suchen. Und die armen Leute von Korinth waren in ihrer Dunkelheit nicht mehr allein, sie sahen ein Licht, das ihnen einen Ausweg zeigte. Und auch einige von den Bessergestellten kamen dazu, weil sie das haben wollten, was es dort gab: den lebendigen, tätigen, starken, nahen Gott.

Liebe Freunde, das ist die Weisheit Gottes, und nur wer auf den Wegen Jesu geht, wird sie begreifen. Für die anderen ist das Quatsch. Ich bat einmal jemanden um Hilfe für Menschen in Not, und ich bekam die Antwort: »glauben Sie wirklich, dass Sie da was erreichen? Das ist doch sinnlos. Das ändern Sie sowieso nicht.« Zu seiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass er trotzdem sehr geholfen hat, aber im Grunde hat er über mich den Kopf geschüttelt: Es gibt so viel Unglück in der Welt, da können wir uns gar nicht überall drum kümmern – also denken wir lieber gar nicht erst dran. Das gilt als vernünftig. Aber Gott spricht zu uns durch die Torheit des Kreuzes, Er denkt dauernd an Guantanamo und Abu Ghraib und Tschetschenien und den Sudan und an die Menschen, die absaufen beim Versuch, irgendwie in die Festung Europa hineinzukommen und hier ein klein wenig von unserem Leben abzubekommen. Und genauso an die Menschen, die unter uns in Dunkelheit und Ausweglosigkeit leben, in Unordnung und Schmerz, all die, für die es keine Perspektive mehr gibt. Und wenn wir an das denken, was uns Diakon Frerichs hier letzte Woche gesagt hat, dann fügen wir hinzu: Gott schaut auch auf auf die leidende Kreatur, auf die Tiere, und während wir lieber gar nicht wissen wollen, unter welchen Bedingungen unser Frühstücksei zur Welt kommt, schaut Gott auch dort nicht weg. So sieht es Gott, aber alle Weisen, die Experten und Fachleute sagen dir, dass das idiotisch ist.

Wie beschrieb es Paulus? »Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen.« Es gibt Leute, die sind blind, nicht aus Mangel an Intelligenz, sondern weil sie den falschen Blickwinkel haben. Das Problem ist nicht die Intelligenz, sondern die Härte des Herzens. Deshalb laufen sie blind in ihr Verderben. Gott hat ja versucht, uns zu zeigen, wie er denkt. Es ist genug Essen für alle da. Diese Erde spiegelt seine Güte und Großzügigkeit wieder. Aber die Leute, die wissen, wie es geht, die sagen dir genau, weshalb leider die einen den Gürtel immer enger schnallen müssen und die andern immer noch nicht genug haben. Ja, ja, den armen Leuten geht es viel zu gut in unserem Land, die haben viel zu viel, das wissen die Experten. Ich frage mich, ob diese klugen Leute es schaffen würden, selbst mit der Sozialhilfe über die Runden zu kommen, oder ob zu ihren Freunden auch nur einer gehört, der mit Sozialhilfe auskommen muss.

Die Weisheit Gottes schaut von außen her auf das Imperium, vom Kreuz her. Das ist die Sichtweise, mit der man die Welt wirklich begreifen kann, und diese Weisheit Gottes wird bestehen bleiben. Paulus sagt ja nicht nur, dass das Kreuz für die Experten Unsinn ist, er sagt mehr: »Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir gerettet werden, ist es Gottes Kraft.« Die Leute, die Jesus auf seinem Weg nach unten folgen, die werden nicht etwa die sein, die leider an der Realität scheitern, trotz ihrer edlen Motive. Nein, sie werden Bekanntschaft mit der wirklichen Kraft Gottes machen, und die Fachleute werden sich blamieren, sie werden mit ihrer ganzen Schlauheit am Ende alles nur noch schlimmer gemacht haben.

Aber damit wir die Kraft Gottes erleben, dazu ist Glauben nötig, Glauben, der durchhält und Geduld lernt. Es sieht manchmal über weite Strecken so aus, als ob die Experten doch Recht behalten. Der Glaube muss bangen und durchhalten, bis er eine erfüllte Hoffnung sieht, und ganz endgültig werden wir das oft erst jenseits der Grenzen dieser Welt sehen. Du kannst manchmal einem Menschen nicht helfen, du kannst ihm manchmal nur die Treue halten. Es gibt diese Situationen, wo man am liebsten nur noch weglaufen möchte, nichts mehr damit zu tun haben, nur noch Urlaub machen. Wo du dich fragst: was soll es denn?

Aber Paulus sagt: auf dem Weg des gekreuzigten Jesus ist die Kraft Gottes hier unter uns zu finden. Diese Liebe zu den Menschen, die da sichtbar wird, die bewegt die Welt wirklich. Die Verkündigung, die den Menschen diese Liebe vor Augen malt, die wird die Herzen bewegen, und damit die Welt. Der Weg zum Kreuz ist der Weg, um diese Welt zurückzuholen ins Vaterhaus. So geht es wirklich.

Schaut auf Jesus: warum konnte er die Menschen bewegen? Warum konnte er Wunder tun? Weil er bereit war, sein Kreuz auf sich zunehmen. Von Anfang an, schon als er den Satan zurückwies, der ihm die Weltherrschaft anbot, hatte Jesus den Weg eingeschlagen, der ihn am Ende in den tödlichen Konflikt führte. Daher kam die Kraft, Wunder zu tun, und die Vollmacht, vor der das Böse floh.

Wenn es heißt, dass auch wir im Namen Jesu Vollmacht haben, dann ist damit nicht gemeint, dass wir dieses 5-Buchstaben-Wort »Jesus« möglichst oft wiederholen. Es geht um das, wofür dieses Wort steht, um den ganzen Weg Jesu und seine Art, um seine Sicht der Welt, und wenn wir ihm auf seinen Wegen folgen, wenn wir auch unser Kreuz auf uns nehmen, dann werden wir Vollmacht haben. Nicht davon, dass wir »Herr, Herr« rufen, werden wir die Kraft Gottes erleben, sondern wenn wir auf den Wegen Jesu gehen.

Wir sehnen uns nach Wundern, als ein Zeichen dafür, dass Gottes Wirklichkeit den Sieg behält. Manchmal steckt natürlich auch Sensationslust dahinter. Und in der Tat, Gott will uns immer wieder Zeichen geben, dass er herrscht in dieser Welt. Aber er braucht dazu Menschen, die den Weg Jesu mitgehen. Dietrich Bonhoeffer, der von den Nazis am Ende ermordet wurde, hat geschrieben: »Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.« Und dann fährt er fort: »Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.« Gott sucht Menschen, die bereit sind, am Kreuz nach seiner Kraft Ausschau zu halten, die bereit sind, auf die Kraft der Auferstehung zu warten. Alfred Delp, auch einer von denen, die sterben mussten, weil sie sich aktiv gegen Hitler wandten, hat gesagt: »Gottes Kraft geht alle Wege mit«.

Liebe Freunde, ich komme an die Grenze dessen, was man mit Worten sagen kann. Das muss jetzt in euren Herzen weitergehen. Da muss diese große Wende beginnen, und wenn sie schon begonnen hat, dann muss sie weitergehen. In uns stecken auch diese Weisen und Fachleute, die Leute mit dem harten Herzen, die nicht gelernt haben, vom Kreuz her zu denken. Die haben auch in uns ihre Stützpunkte. Wir müssen zuerst in unseren Gedanken umkehren, damit wir es glauben und erleben, dass die Kraft und Gegenwart Gottes beim Gekreuzigten zu finden ist und bei all dem, wofür er steht.

Es ist der Schlüssel zu allem, dass sich deine Gedanken verändern, und dass dein Herz auf diese Logik Jesu hört. Wenn unser Herz stimmt, dann haben wir die unbegrenzten Möglichkeiten Gottes. Diese Entscheidung, dass wir die Kraft und Weisheit Gottes im gekreuzigten Jesus suchen wollen, ist die wichtigste Weichenstellung in unserem Leben. Sie ist gleichzeitig das Wichtigste und Beste, was wir für die Menschen und die Welt tun können. Menschen können so viel erreichen, wenn das Herz klar ist, nicht zwischen verschiedenen Abhängigkeiten hin und hergerissen. Ja, es kann ein langer Weg sein, bis unser Herz so eindeutig ist, aber die Richtung soll klar sein, wo es hingehen soll. So wird unser Herz lebendig bleiben.