Vertrauen in Gottes Einfluss

Predigt am 18. Dezember 2005 (4. Advent) zu 2. Korinther 1,18-22

18 Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist.
19 Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. 20 Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. 21 Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt 22 und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.

Ich weiß nicht, ob Sie herausgehört haben, dass das Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde in Korinth schwierig ist. Paulus muss seine Glaubwürdigkeit ganz stark betonen, weil die Vertrauensbasis zwischen ihm und den Korinthern ziemlich schmal geworden ist.

Vielleicht kennen Sie das ja auch: wenn das Vertrauen erstmal angeknackst ist, dann werden auch einfache Dinge heikel, dann muss man auch in kleinen Dingen sorgfältig aufpassen, dass es nur ja kein Missverständnis gibt. Wenn die Vertrauensbasis nicht mehr da ist, kannst du nur noch Fehler machen: wenn du nicht auf Besuch kommst, dann heißt es: du vernachlässigst uns!, und wenn du kommst, dann sagen sie: du willst uns wohl kontrollieren!

Deshalb erklärt Paulus in diesem Brief ganz genau, warum er seine Reisepläne ein paar Mal geändert hat und entgegen seiner Zusage immer noch nicht nach Korinth gekommen ist. Er macht sich Sorge, dass da jemand sagen könnte: man kann sich auf Paulus nicht verlassen – heute redet er so und morgen so!

Normalerweise ist das kein Problem. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass sich Reisepläne ändern können, erst recht damals, als die Verkehrsverhältnisse so unsicher waren. Aber in Korinth hatte es Leute gegeben, die Misstrauen gegen Paulus säten. Paulus hatte die Gemeinde gegründet, sie wussten eigentlich, was sie an ihm hatten. Aber als er weitergereist war, versuchten ein paar Machtmenschen in der Gemeinde die Kontrolle zu übernehmen. Und damit Paulus ihnen dabei nicht in die Quere kommen konnte, pflanzten sie in die Herzen der Christen von Korinth Misstrauen. Die Geschichte der Schlange, die im Paradies Misstrauen in die Herzen von Adam und Eva pflanzt, die wiederholt sich leider auch in der Kirche. Eigentlich vertrauten die Korinther ja Paulus, aber er war weit weg, und Tag für Tag flüsterten ihnen Leute ein, dass er nicht geistlich genug sei, dass er sich widersprüchlich verhalte, dass seine Persönlichkeit Defizite habe. „Er redet doppelzüngig“ sagten sie. Für uns heute ist Paulus ein großer Apostel, aber damals war er höchst umstritten.

Sein Kapital war seine Glaubwürdigkeit – und genau die versuchten einige zu untergraben. Wir heute sind ja an diesem Punkt ganz besonders sensibel, weil wir es im öffentlichen Leben immer wieder beobachten, dass Leute sich nicht festlegen, dass sie keine klaren Aussagen machen, sondern viel mit einerseits-andererseits argumentieren, bis man gar nicht mehr weiß, was gemeint ist. Man muss die Begriffe nur ein bisschen umdefinieren. Dann heißt es „Natürlich foltern wir nicht. Wir sperren nur Menschen nackt in eine eiskalte Zelle, aber das ist doch keine Folter, weil sie das ja meistens überleben, in der Regel sind sie hinterher auch keine Krüppel“. Oder Sie kennen das aus den Arbeitszeugnissen. Wenn da steht „er versuchte, seine Arbeit immer gut zu machen“, dann heißt das in Wirklichkeit: er hat es nicht hingekriegt. Man muss genau hinhören, wenn man wissen will, was die Leute wirklich meinen. Auf ganz viele Fragen kriegt man keine klare Antwort, sondern ein entschiedenes „Jein“. Irgendwie bleibt immer noch ein Hintertürchen, um auch das Gegenteil zu meinen. Und das zerstört natürlich Vertrauen. Dann sagen die Menschen irgendwann: wir werden eh dauernd belogen, ich glaube überhaupt nichts mehr. Und die Vertrauensbasis in der Gesellschaft schrumpft immer mehr.

Paulus reagiert auf die Vertrauenskrise zwischen ihm und der Gemeinde einerseits so, dass er zu erklären versucht, warum sich seine Pläne ein paar Mal geändert haben. Da gibt es einsichtige Gründe, die sie eigentlich verstehen müssten. Aber dann kommt die Stelle, die ich vorhin vorgelesen habe. Und da benutzt er ein verblüffendes Argument: Gott ist nicht wankelmütig. Er sagt nicht heute Ja und morgen Nein. Sondern da gibt es durch all die Jahrhunderte hindurch eine deutliche Linie, einen roten Faden, und diese Linie läuft auf Jesus zu. Jetzt, im Rückblick, merkt man, dass Gott schon immer an Jesus gedacht hat, bei allem, was er den Propheten eingegeben hat. Er hat Jesu Kommen vorbereitet, er hat dafür gesorgt, dass sein Volk verstehen konnte, worum es ging bei Jesus.

Die Hirten von Bethlehem z.B. – warum wussten die eigentlich, was der Engel meinte mit dem Satz „Euch ist heute der Heiland geboren!“? Woher wussten sie, was ein Heiland ist? Weil Gott über Jahrhunderte in seinem Volk den Gedanken verankert hat, dass diese Welt auf der schiefen Bahn ist und dringend jemanden braucht, der sie da runter holt, eben einen Retter, einen Heiland, wie Luther das dann übersetzt hat.

Ich finde es faszinierend, wie Gott in verschiedenen Epochen immer wieder ganz anders mit Menschen redet, er wechselt die Sprache und die Ausdrucksweise, er passt sich unserer Kultur an, er wählt ein Temperament, das zu uns passt, aber in all den Veränderungen spürt man dahinter seine Person, und die bleibt gleich.

Ich finde es eins der stärksten Argumente für Gott, dass zu allen Zeiten Menschen ihn im Kern ganz ähnlichbeschrieben haben. Man könnte ja auf die Idee kommen, dass Menschen sich einfach verabredet haben, den anderen irgendwas über Gott weiszumachen, aber in Wirklichkeit haben sie es sich nur eingebildet. Wenn aber in jedem Jahrhundert wieder Menschen diesem Gott begegnet sind und in aller historischen Unterschiedlichkeit immer wieder ähnliche Erfahrungen mit ihm gemacht haben, dann kann das keine Verschwörung sein. Und wenn man im Rückblick in der Bibel überall Hinweise auf Jesus findet, die erst von ihm her Sinn machen, dann liegt es nahe, dass da jemand sehr zielstrebig am Werk war; und weil kein Mensch so lange lebt, kann das nur Gott sein. Und dieser Gott ist nicht wankelmütig. Das Wesentliche bleibt konstant, nur das Äußerliche variiert.

Und nun sagt Paulus: wenn ihr nicht mir vertraut, dann vertraut aber doch Gott, der mich beauftragt und zu euch gesandt hat! Gott ist nicht doppelzüngig. Und er ist es, unter dessen Einfluss ich stehe.

Ich finde das ein erstaunliches Argument. Wir würden wortreich zu belegen versuchen, weshalb wir vertrauenswürdig sind – Paulus sagt stattdessen: ich gehöre zu einem vertrauenswürdigen Gott.

Da steckt ganz viel Weisheit drin, nicht zu fragen: was für einer ist das?, sondern: unter welchem Einfluss steht er? Natürlich kann man im Leben von Menschen viele Inkonsequenzen finden, das liegt einfach an dieser chaotischen Welt, in der wir leben. Wir suchen unseren Weg und verirren uns, wir versuchen mal dies und mal das, das ist normal, und wer will, kann uns daraus einen Strick drehen: „Letztes Jahr wolltest du Urlaub in der Sonne machen, und dieses Jahr willst du nach Island, was ist los mit dir? Früher musste alles ganz modern sein, und jetzt findest du wieder Geschmack an der Tradition – du weißt wohl gar nicht, was du willst?“ Aber es ist normal, dass sich bei Menschen die Vorlieben und die Gewohnheiten ändern, und wenn jemand ein Leben lang bei den gleichen bleibt, dann ist das eher ein Zeichen von Sturheit als von Beständigkeit.

Aber wovon sich ein Mensch beeinflussen lässt, welche Zeitung er liest, welche Freunde er hat, an welchen Gott er glaubt – das sagt ganz Entscheidendes über einen Menschen aus. Und Paulus sagt: erinnert euch, welchen Gott ich euch gebracht habe. Ich habe ja nicht nur ein Lippenbekenntnis abgelegt, sondern ich habe mich exponiert, ich habe für Jesus etwas gewagt, ich hoffe, das wenigstens nehmt ihr mir ab – und dieser Gott, unter dessen Einfluss ich stehe, der ist nicht doppelzüngig.

Natürlich könnte jetzt jemand sagen: schön und gut, aber wissen wir denn, ob du auch immer auf ihn hörst? Und dann würde Paulus antworten: Hauptsache, ihr hört auf ihn! Diese ganze Frage nach der Vertrauenswürdigkeit von Menschen ist nämlich im Grunde ein Holzweg. Stattdessen müssen wir lernen, in unserem Glauben von Personen unabhängig zu werden und uns stattdessen direkt an Gott zu orientieren.

Es ist ja verständlich, wenn Menschen sich an Gottes Bodenpersonal orientieren, und wir sollten natürlich vertrauenswürdig und integer sein, wie Paulus es war. Aber wenn ich meine Überzeugungen von anderen Menschen abhängig mache, werde ich Schiffbruch erleiden. Menschen können uns immer enttäuschen. Menschen lügen und betrügen, Menschen sind nicht selten egoistisch, grausam und dumm, Menschen halten sich nicht an ihre Versprechen, Menschen brechen ihre eigenen Regeln. Oder wir bilden es uns mindestens ein, auch das kann passieren. Das wissen wir doch alle, oder? Wir haben alle schon die Pferde kotzen sehen. Und all diese unschönen Dinge kommen leider auch in der Kirche vor. Wir hoffen zwar, dass hier die Menschen stärker unter Gottes Einfluss stehen, und zum Glück ist es auch immer wieder so, aber die schlimmen Dinge passieren eben auch. Deswegen muss unser Glaube sich auf Gott richten und nicht auf Menschen gegründet sein. Menschen können uns den Weg zu Gott zeigen, auch durch ihre Integrität und Glaubwürdigkeit, aber wir dürfen nicht von ihnen abhängig bleiben.

Sie können einen Test machen: wenn ich eines Tages mit der Gemeindekasse durchbrennen würde, um sie in Las Vegas zu verjubeln, würde das Ihren Glauben ernsthaft beschädigen? Ich habe das nicht vor, und die Kasse würde auch höchstens bis zum Flughafen reichen, aber ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine. Würde Ihr Glaube das verkraften, wenn Sie mit einem Christen eine große Enttäuschung erleben? Oder würden Sie dann auch an Gott irre werden? Gott möchte, dass wir uns in unserem Glauben nicht auf Scheinsicherheiten verlassen. Deshalb lässt er es zu, dass Menschen uns – tatsächlich oder vermeintlich – enttäuschen. Der Einzige, der wirklich treu ist, und auf den wir uns wirklich verlassen können, ist Gott. Es kann Großes geschehen, wenn Menschen unter seinen Einfluss kommen. Darüber, wie das bei uns geschehen kann, sollten wir uns Gedanken machen.

Wir sind gar nicht so sehr verantwortlich dafür, dass wir gute Menschen werden, sondern vor allem dafür, unter welchen Einfluss wir uns bringen. Dass wir gute Menschen werden, da können wir gar nicht so viel für tun, aber unter welchen Einfluss wir uns bringen, das ist entscheidend. Die meisten Menschen sehen es anders herum: für ihre Handlungen fühlen sie sich verantwortlich, aber die Einflüsse, die auf sie wirken, das überlassen sie dem Zufall oder angeblichen Sachzwängen. Aber genau dafür sind wir verantwortlich, welchen Einflüssen wir uns aussetzen: verbringen wir unsere Zeit mit Gott oder mit dem Fernseher? Das ist die wirkliche Entscheidung. Wenn wir uns ganz entschieden und mit ganzem Herzen unter Gottes Einfluss bringen, dann wird er dafür sorgen, dass seine Treue und Zuverlässigkeit Stück für Stück auch bei uns ankommt.