Ein unmöglicher Auftrag?

Predigt am 24. Dezember 2014 (Heiliger Abend) mit Titus 2,11-14

11 Denn ´in Christus` ist Gottes Gnade sichtbar geworden – die Gnade, die allen Menschen Rettung bringt. 12 Sie erzieht uns dazu, uns von aller Gottlosigkeit und von den Begierden dieser Welt abzuwenden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben, 13 als Menschen, die voll Sehnsucht auf die Erfüllung der Hoffnung warten, die unser höchstes Glück bedeutet: das Erscheinen unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus in seiner ganzen Herrlichkeit. 14 Er hat sein Leben für uns gegeben, um uns von einem Leben der Gesetzlosigkeit zu befreien und sich so ein reines Volk zu schaffen, das nur ihm gehört und alles daran setzt, das Gute zu tun.

Diese Passage beschreibt Weihnachten als den Anfang einer Art Unterwanderung: Gott hat sich getarnt unter die Menschen gemischt, und jetzt versucht er hier so etwas wie ein alternatives Netzwerk aufzubauen, um Menschen für sich zu gewinnen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten den Auftrag bekommen, sagen wir: Nordkorea zu unterwandern, um dort die Menschen aus der Hörigkeit unter dem jeweils herrschenden Mitglied der Diktatoren-Familie zu befreien. Einen Krieg führen geht nicht, die Nordkoreaner sollen ja leben, Freiheit muss von innen heraus kommen. Stellen Sie sich vor, das wäre ihr Auftrag!

Alles ist fremd

Was wäre ihr erstes Problem? Sie können vermutlich nicht besonders gut koreanisch sprechen. Die koreanische Küche ist Ihnen nicht vertraut. Sie kennen die Kultur nicht, Sie sind nicht gewohnt, in einer Diktatur zu leben. Ihr ganzer Lebensstil ist anders.

Gut, das kann man alles lernen. Aber besonders attraktiv klingt das wahrlich nicht. Und die Gefahr, dass Sie auffliegen und in einem Umerziehungslager landen, macht die Sache nicht besser. Und auch ohne Umerziehungslager – wäre ich nicht am Ende, wenn ich das tatsächlich alles gelernt hätte, so an das System angepasst, dass ich es nicht mehr verändern könnte? Wissen Sie, was ich meinem Auftraggeber sagen würde? – Genau: Such dir jemand anders, der das besser kann!

Sehen Sie, genau das Problem hatte Gott auch. Er suchte jemanden, der die Welt unterwandert, der hier richtig reinpasst in unsere Kultur und unser Leben, der unsere Sprache spricht und unsere Gedanken kennt, und der trotzdem eine alternative Art zu leben verbreitet. Und man muss dazu sagen, dass Gott das Leben hier auf der Erde mindestens ebenso schrecklich findet, wie wir das Leben in Nordkorea. Glauben Sie das nicht? Sie brauchen nur mal an die ganzen Witze denken, die es über Außerirdische gibt, die in ihrem Raumschiff auf der Erde vorbeikommen und sich mit Grausen abwenden, wenn sie sehen, wie wir uns und die Erde behandeln. Manchmal sagen sie noch: wir kommen erst wieder, wenn sich die Menschen endgültig gegenseitig ausgerottet haben, lange kann es ja nicht mehr dauern.

Auf unmöglicher Mission

Das ist natürlich nicht 1:1 das, was Gott über uns denkt, aber es gibt uns vielleicht eine Ahnung davon, wie Gott auf die Erde schaut. Irgendwie so, wie wir auf Nordkorea gucken eben. Nur dass wir uns vom Schicksal der armen Nordkoreaner nicht wirklich unsere Laune verderben lassen, Gott aber intensiv am Schicksal der Menschen Anteil nimmt und Wege sucht, ihnen zu helfen. Und weil Gott niemanden findet, der freiwillig für ihn diesen Auftrag übernimmt, vertraut er die Mission seinem Sohn an, mit dem er völlig ein Herz und eine Seele ist.

Und der wird dann unauffällig eingeschleust in die Welt, nämlich als Mensch geboren, um von der Pike auf zu lernen, wie man unter Menschen lebt. Die erste Lektion, gleich zum Empfang, lautet: wer die Macht hat, nimmt keine Rücksicht auf schwangere Frauen und neugeborene Kinder. Die imperiale Volkszählung geht vor.

Immerhin streut Gott schon mal durch seine Engel das Gerücht, dass Befreiung unterwegs ist. So ein paar prekäre Gestalten vom Rand der Gesellschaft, Hirten aus der Gegend von Bethlehem, hören davon, kommen und wollen sich selbst überzeugen. Später kommen noch ein paar Besserverdiener auf der Suche nach Sinn vorbei, die Sterndeuter aus dem Osten, die auf verschlungenen Wegen nach Bethlehem gefunden haben. Das war es auch schon. Trotzdem wäre der himmlische Agent gleich am Anfang ausgeschaltet worden, wenn Gott nicht direkt eingegriffen und die Flucht nach Ägypten veranlasst hätte.

Und als Jesus das überlebt hat, muss er langsam seinen Auftrag ausführen. Er ist in unserem Abschnitt ziemlich konzentriert beschrieben. In Jesus …

… ist Gottes Gnade sichtbar geworden – die Gnade, die allen Menschen Rettung bringt. 12 Sie erzieht uns dazu, uns von aller Gottlosigkeit und von den Begierden dieser Welt abzuwenden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben.

Ich muss zugeben, dass das beim ersten Hören nicht besonders nach einem Unterwanderungsauftrag klingt. Aber das liegt daran, dass wir gewohnt sind, solche Worte immer in einem religiösen Zusammenhang zu hören und zu verstehen, und die Übersetzungen verstärken das noch. Man kann es auch anders lesen, und das ist keineswegs irgendeine moderne Verkürzung, sondern dabei wird gerade der eigentliche Gehalt sichtbar, und zwar so:

In Christus ist sichtbar geworden, wie gut Gott ist. Da merkt man erst, wie brutal und ärmlich unser Leben ist, wenn wir Gott nicht kennen und uns vom herrschenden System sagen lassen, wie man leben soll: als ob man von Macht oder vom Immer-mehr-Haben-Wollen glücklich wird. Wenn wir an Jesus ablesen, wie gut Gott ist, dann bringt uns das Stück für Stück dazu, dass wir umfassend nachdenken, Gerechtigkeit an die erste Stelle setzen und mit Gott durchs Leben gehen.

Ein neuer Maßstab fürs Zusammenleben

Die erste Aufgabe von Jesus ist also, das Niveau unserer Erwartungen hochzuschrauben: gib dich nicht mit dem zufrieden, was hier als richtiges Leben gilt, sondern lass dir zeigen, wie dein Leben sein ganzes Potential erreicht. Voller Segen und Vertrauen. Nach einem anderen Muster. Und dann spürst du hoffentlich, dass das nur geht, wenn du dich abkoppelst von den Gedanken und Werten, die ringsum gelten. Wenn du dich abwendest von den trügerischen Hoffnungen und Sicherheiten, an die sich alle klammern.

Ich weiß nicht, wie das in Nordkorea aussehen würde. Ich weiß nur, dass es in jeder Gesellschaft ganz schwer vorstellbar ist: sich auszuklinken aus der gesellschaftlichen Mitte und eine Minderheitenposition irgendwo am Rand einzunehmen. Aber das wirklich gute Leben gibt es nur so. Deshalb hat Jesus Zellen aufgebaut, in denen anders gedacht wurde, wo andere Werte galten, wo man die Gnade leben und erleben konnte. Und wenn die anderen Leute davon etwas mitbekamen, dann sahen sie es mit einer Mischung aus Faszination, Empörung und Schaudern.

Das ist gemeint, wenn es heißt, dass Gott sich ein neues Volk schaffen will: eine Gruppe von Menschen, die zeigt, wie man auf einer anderen Basis zusammenleben kann. Im überwachten Nordkorea wäre vielleicht das Wichtigste, dass man in so einer Zelle nicht dauernd unter Beobachtung stehen würde, dass man da lernt, wie sich Vertrauen anfühlt. Aber das weiß ich nicht wirklich. Wir alle können uns wohl nicht wirklich vorstellen, wie man in so einem kontrollierten Land lebt.

Zellen des befreiten Lebens

Aber das ist der Kern von Weihnachten: dass Gott in unsere Welt eine neue Art zu leben hineingesandt hat, ganz unauffällig, aber für einige Menschen unübersehbar. Erst steigert er unsere Erwartungen und Hoffnungen – dazu haben schon Israels Propheten mit ihren Verheißungen beigetragen, von denen wir vorhin in der Lesung einige gehört haben. Und dann hat Jesus gezeigt, dass das wirklich geht, aus der verborgenen Kraft Gottes zu leben. Und er hat Zellen geschaffen, wo das angeschaut, ausprobiert und gelernt wird. Und wenn es gut geht, dann klinkt sich einer aus aus dem gesellschaftlichen Konsens und fühlt sich da irgendwann sogar richtig fremd und sagt sich: wie konnte ich nur so leben, ohne die beständige Begleitung durch Gott und ohne die Menschen, denen ich auf eine Art vertraue, wie ich es mir vorher nie hätte träumen lassen?

Wenn in Weihnachtslieder davon gesungen wird, dass Jesus ein besonders schönes oder niedliches Kind war, dann ist das eine schwache Erinnerung daran, dass von Jesus sein Leben lang die Faszination eines befreiten und liebevollen Lebens ausgegangen ist. Er hat den Charme der Gnade Gottes ausgestrahlt.

Und die Hoffnung ist, dass diese Gnade eines Tages die ganze Welt flutet, und man nicht mehr innerlich aussteigen und an die Ränder gehen muss, um das zu erleben. Eines Tages wird diese Mission Jesu nicht mehr nur im Verborgenen Kraft entfalten, sondern deutlich sichtbare Realität sein, die die ganze Welt erfüllt. Eines Tages wird für alle dieses neue Leben sichtbar, das mit Jesus in die Welt gekommen ist. Dann prägt es alles und ist nicht mehr vorläufig, versteckt und Missverständnissen ausgeliefert.

Aber in Bethlehem ist es in die Welt gekommen, und Jesus baut jetzt schon Gemeinde: Zellen, in denen bereits auf seine Art gelebt wird.

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