Revolutionäre, nicht Rebellen

Predigt am 24. März 2013 zu Römer 13,1-7 (Predigtreihe Römerbrief 39)

1 Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. 2 Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. 3 Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest. 4 Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, dass du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut.
5 Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. 6 Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. 7 Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre.

Die Evangelienlesung des Palmsonntages, die wir vorhin gehört haben (Johannes 12,12-19), die passt einfach ausgezeichnet zu dieser Stelle im Römerbrief, zu der wir jetzt gekommen sind. Jesus kommt nach Jerusalem und inszeniert das als paradoxen Königsauftritt. Beim Titel »König« dürfen wir nicht an heutige Illustriertenkönige denken, deren entscheidende Tätigkeit im Heiraten, Kinderkriegen und im mehr oder weniger glücklichen Bestehen von Ehekrisen besteht. Der König war damals das Zentrum der politischen Macht. Und Jesus bediente sich bewusst der Königssymbolik. Da reitet einer nach Jerusalem, mit seinen Leuten im Gefolge und um ihn herum jubelnde Menschenmengen, die ihn begrüßen. Jesus ist der König der Welt, er regiert. In seinem Sinn soll das Leben geordnet werden, und zwar nicht nur das private, persönliche Leben, sondern auch die öffentlichen Angelegenheiten, was man ja sowieso nicht wirklich trennen kann.

Eine neue Definition von „König“

Aber mit derselben Symbolhandlung, mit der Jesus sich als König inszeniert, stellt er die ganze Art in Frage, mit der das Königsamt ausgeübt wird. Das merkt man daran, dass Jesus auf einem Esel reitet. Jeder anständige König reitet, wenn er sich nicht fahren lässt, auf einem Pferd; zu einem König, der den Oberbefehl über die Armee hat, passen Pferde, keine Esel. Damals waren Könige immer auch die Feldherren; und Feldherren sitzen auf Pferden, nicht auf Eseln oder Fahrrädern.

Jesus hat mit seiner Gestaltung des Einzugs in Jerusalem klar gemacht, dass er neu definiert, was Königsein bedeutet. Er hat gezeigt, dass er die Welt auf eine andere Art regiert als es die politischen Machthaber tun.

Und daraus ergibt sich die Frage, die Paulus im Römerbrief diskutiert: wie halten es die Christen jetzt mit den real existierenden Trägern der politischen Macht? In Rom, wohin Paulus den Brief schrieb, regierte der Kaiser Nero, der zuerst wohl noch ganz ok war, dem aber im Laufe der Zeit seine Macht gehörig zu Kopf stieg. Am Ende wurde er abgesetzt und tötete sich selbst. In Rom gab es übrigens Aufstände gegen Steuern, die er erhob; sie waren so heftig, dass er versprechen musste, diese Steuern nicht mehr zu erheben. Ein Versprechen, das er anschließend nicht einhielt. Er war sicher kein König im Sinne Jesu.

Keine Rebellionen

Das ist der aktuelle Hintergrund zur Zeit von Paulus. Um so überraschender ist es, dass er den Christen in Rom ausdrücklich schreibt, sie sollten sich nicht gegen die staatliche Gewalt stellen. Sie sollten ihre Steuern zahlen und keinen Ärger machen. Und man muss Paulus so verstehen, dass er das so sagt, gerade, weil er weiß, dass Jesus der wahre Herr der Welt ist. Gerade weil die Bewegung Jesu so eine fundamentale Kritik an allen menschlichen Herrschaften ist, deshalb sollen sie sich bitte nicht in Rebellionen verwickeln lassen, die alle im Rahmen des Systems bleiben.

Denn das ist ja die traurige Erfahrung, dass immer wieder aus den Rebellen und Aufständischen von heute die nächsten Unterdrücker werden, wenn sie erstmal an der Macht sind. Wie oft treten die Rebellen an als Befreier, und am Ende geht es ihnen doch nur um ihren eigenen Anteil an den Fleischtöpfen der Macht. Dafür aktivieren sie gerne mal die Freiheitssehnsucht der Menschen, aber am Ende geht es ihnen nur um ihre eigenen Posten.

Aus diesem Spiel will Paulus die Christen heraushalten, und zwar deswegen, weil sie eine viel radikalere Alternative zum System menschlicher Herrschaftsausübung haben. Und sie haben diese Alternative nicht nur (als eine Art politisches Programm), sondern sie leben sie, sie verkörpern die Alternative. Gottes neue Gesellschaft ist mit ihnen schon präsent, und die verzettelt sich nicht in Rebellionen, die in der Logik des Systems bleiben. Es bleibt dabei: Jesus ist kein neuer Machthaber, wie es viele gegeben hat, sondern er bringt eine andere Art von Macht. Noch in den Versen vorher hat Paulus gesagt (12,21): überwindet das Böse nicht so, dass ihr mit seinen Mitteln dagegen kämpft, sondern überwindet das Böse mit dem Guten.

Die Anarchie der Starken

Das ist der große Zusammenhang, und in diesem Rahmen sagt Paulus: staatliche Gewalt ist immer von Gott. So ordnet Gott die Welt der Menschen. Wenn es nämlich keine staatliche Gewalt gäbe, dann wären die Schwachen schutzlos den Starken ausgeliefert. Denkt nur mal an Länder wie den Irak und Somalia, wo die Staatsgewalt zusammengebrochen ist. Die Folge ist, dass die Gangster und die Anführer von Privatarmeen die Macht übernehmen, und man dauernd Angst haben muss, dass einem die Kinder entführt werden, nicht aus politischen Gründen, sondern um Lösegeld zu erpressen. Oder denkt an die Staatsmacht in den USA, die es nicht schafft, ihren Bürgern die Schießgewehre wegzunehmen. Wir kennen viele Beschwerden gegen die Unzulänglichkeiten unserer Justiz, und nicht immer zu Unrecht, aber in vielen Ländern der Welt hätten die Menschen gern unsere Probleme, wenn sie nur einen funktionierenden Staat hätten. Staatliche Gewalt soll einen Rahmen setzen, in dem Menschen friedlich ihrer Arbeit nachgehen können, ohne dauernde Angst, dass irgendwer kommt und ihnen alles wegnimmt.

Oder an einem anderen Beispiel: es gibt heute keine staatliche Gewalt, die weltweit den Ausstoß von Kohlendioxid begrenzen könnte. Deswegen macht da jeder, was er will, und die Atmosphäre wird immer mehr geschädigt. Da brauchen wir dringend mehr staatliche Gewalt, die uns vor den Chaoten in den Chefetagen schützt, die unsere Lebensgrundlagen privat verpulvern. Oder im Finanzsektor brauchen wir dringend mehr staatliche Gewalt, mehr Kontrolle, damit die Anarchisten in der Finanzbranche nicht weiter ganze Volkswirtschaften ruinieren.

Es bleibt kompliziert

Gott beschützt seine Welt auch durch die Staatsgewalt und ihre Vertreter, auch wenn man an ihrer Weisheit durchaus öfter mal Zweifel haben kann. So kompliziert ist das leider. Man kann es nicht einfacher haben. Christen zeichnen sich da aus durch einen differenzierten Blick, der einfach der Realität angemessen ist: man kann sehr deutlich sehen und sagen, was im staatlichen Bereich falsch läuft; und trotzdem heißt das nicht, dass man zum Rebellen wird. Wir verkörpern eine so tiefgreifende Revolution aller menschlichen Verhältnisse, die sollte man nicht verwechseln mit den Scharmützeln um die besten Posten und den meisten Einfluss. Und trotzdem sollen wir nicht naserümpfend an der Politik vorbeigehen, weil sie nämlich wichtig ist, und weil Christen auch da berufen sind, Salz der Erde zu sein. Wir können sehr deutlich die Grenzen vieler politischer Akteure sehen, und trotzdem werden wir uns nicht an der pauschalen Verächtlichmachung »der Politiker« beteiligen. Da gibt genauso tüchtige, engagierte und ehrliche Leute wie Versager und Karrieristen und vor allem viele ganz normale, durchschnittliche Menschen – wie unter uns Nicht-Politikern auch. Manchmal machen sie es gut, manchmal nicht, oft erleben sie sich als genauso ohnmächtig und Zwängen ausgeliefert wie wir, und trotzdem sorgt Gott durch das ganze politische System dafür, dass wir leben können.

Deswegen ist die politische Sphäre darauf angelegt, dass es Christen gibt, die die politischen Akteure immer wieder an ihre Aufgabe erinnern. Paulus hat die staatlichen Repräsentanten oft genug im Gespräch an ihre Aufgabe erinnert und hat an ihren Sinn für Gerechtigkeit appelliert. Nicht immer mit Erfolg, aber manchmal schon. Dass Christen tatsächlich eine Alternative leben, auch wenn alle sonst denken, man könnte nichts machen, das bleibt nicht ohne Wirkung.

Autorität durch Wahrheit

Und es ist gerade die Lebenspraxis, die Christen stark und überzeugend macht. Sie haben sicher gelegentlich mitbekommen, wie die niedersächsischen Bischöfe, der katholische wie die evangelischen, sich immer wieder für eine Änderung der unbarmherzigen Flüchtlingspolitik hier in Niedersachsen eingesetzt haben. Und die haben ja auch schon unter der vorigen Regierung jedenfalls ein bisschen bewirkt, und nicht bloß, weil sie Bischöfe waren, sondern weil sie für ganz viele Christen standen, die anders mit Flüchtlingen umgegangen sind, die Brücken gebaut haben, die Kirchenasyl gewährt haben (was uns hier ja nicht unbekannt ist), die mit ihren bescheidenen Mitteln versucht haben, ein wenig den Schaden auszugleichen, der da politisch angerichtet worden ist. Wenn man das tut, dann hat man im Gespräch mit Behördenvertretern auf allen Ebenen eine ganz andere Autorität – das habe ich ein paar mal auch selbst sehr deutlich erlebt.

Paulus beschreibt uns die Rolle der staatlichen Macht, damit wir sie darauf ansprechen und daran erinnern können. Erst wenn wir da selbst klar sind, dann können wir den Staatsleuten helfen, ihre Aufgabe zu erkennen. Vom brasilianischen Bestsellerautor Paulo Coelho gibt es eine Geschichte, wie er durch Rio de Janeiro geht und auf der Straße einen Mann liegen sieht. Nun finde ich Coelho theologisch zwar manchmal ein bisschen windig, aber in diesem Moment hat er es alles im Sinn Jesu gemacht. In seinem Kopf machte es »klick«, und er verstand, dass er den Mann da nicht einfach liegen lassen konnte. Er ging also hin und sah, dass der Mann verletzt war und blutete. Er zog ihn in den Schatten und rief einen Polizisten zu Hilfe. Aber der weigerte sich, dem Mann zu helfen. In Brasilien haben Polizisten vielleicht ein sehr spezielles Verständnis von ihrem Job. Vielleicht wie die in Rom zu den Zeiten von Paulus.

Aber Coelho weigerte sich, das zu akzeptieren. Er schaute dem Mann fest in die Augen und sagte mit klarer Stimme: Nein, so geht das nicht. Und dann passierte das Unglaubliche. Der Polizist war verwirrt. Er fragte Coelho, ob er eine Amtsperson sei. Und obwohl Coelho das nicht war, begann der Polizist, ihm zu gehorchen. Coelho hatte die Führung übernommen. Gemeinsam halfen sie dem Mann und brachten ihn ins Krankenhaus.

Woher kam diese Autorität? Vermutlich hat Coelho eine starke Persönlichkeit. Aber vor allem war er stark, weil er dem Polizisten die Wahrheit über seine Aufgabe gesagt hat, dass es nämlich sein Job war, als Teil der staatlichen Gewalt jetzt Hilfe zu leisten. Und Coelho hatte die Autorität dazu, weil er selbst hingegangen war und sich gekümmert hatte. Das ist die Logik des Kreuzes, dass man seine Komfortzone verlässt und in die dunklen Zonen der Welt geht, wo Menschen bluten und manchmal auch stinken. »Kreuz« muss nicht heißen, dass man gleich stirbt, das tut es zum Glück nur selten, sondern dass man die Liebe Gottes dahin bringt, wo sie dringend gebraucht wird, und dass man selbst die Kosten dafür übernimmt. Und weil Coelho das getan hatte und auch fest verankert war in der Wahrheit über den Job des Polizisten. deswegen hatte er Autorität. Das funktioniert sicher nicht immer, aber das ist die Art, die am Ende mehr erreicht, als alles Rebellieren. Vor allem dann, wenn wir das nicht nur als Einzelne tun sondern als Christenheit in einem Ort, in einem Land und am Ende in der ganzen Welt.

Die Staatsverdrossenheit der Neoliberalen

Deswegen werden wir uns nicht beteiligen an dem grundsätzlichen Gemaule über den Staat, das besonders von den Reichen und Mächtigen in der Gesellschaft geschürt wird. Die wünschen sich möglichst wenig Staat, einen »schlanken« Staat, weil dann niemand ihre eigene Macht begrenzt, und deswegen versuchen sie ihn schlechtzureden. Aber es ist die Aufgabe des Staates, die Schwachen zu schützen und für das Gemeinwohl einzutreten. Dafür braucht er auch Geld, Steuern. Das sagt Paulus ausdrücklich.

Der Staat braucht Geld, um Gebäude zu unterhalten und Schlaglöcher nicht nur notdürftig zu flicken, der Staat und die öffentlichen Einrichtungen brauchen Geld, um Krankenschwestern und Polizisten anständig zu bezahlen, es braucht Geld, damit Prozesse schnell geführt werden und nicht endlos dauern, es braucht Geld für arme Menschen jeder Art, und für 1000 andere Aufgaben. Wenn die öffentlichen Institutionen auch in einer reichen Gesellschaft dauernd sparen sollen, dann stimmt etwas nicht. Ob man die Funktion der staatlichen und öffentlichen Institutionen respektiert, das zeigt sich auch daran, ob man ihnen genug Geld für ihre Aufgaben zugesteht. Vielleicht kommt ja mal wieder eine Zeit, in der Menschen ihr Geld nicht in Steuerparadiese schaffen, und sich dabei noch wie Freiheitskämpfer vorkommen, sondern wo sie stolz darauf sind, dass sie der Gemeinschaft die Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stellen können.

Jesus ist der wahre König der Welt. Wir kennen ihn. Wir bringen ihn mit. Wir sehen deutlich, wo staatliche Institutionen gegen seinen Willen handeln. Aber wir sind es, die sie dann an ihre eigentliche Aufgabe erinnern können. Und dieser Aufgabe gilt unsere Loyalität.

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