Was dem Teufel richtig weh tut

Predigt am 31. Dezember 2010 (Sylvester) mit Römer 12,21

12,21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Als am 11. September 2010 die Türme des World Trade Centers in New York durch zwei Passagierflugzeuge angegriffen und kurz darauf zum Einsturz gebracht wurden, waren die Helden des Tages und der kommenden Wochen die New Yorker Feuerwehrleute. Ohne Zögern gingen sie mitten hinein in den Staub, die Trümmer und die Gefahr und retteten Menschen aus dem Chaos. Und viele von ihnen verloren selbst dabei das Leben. In den nächsten Wochen und Monaten kamen auch noch viele Bauarbeiter dazu, die in die schreckliche Grube hineingingen, die Trümmer wegräumten und nach Leichen suchten. »Alle laufen weg – wir laufen hin« stand damals als Motto an einer New Yorker Feuerwache.

Viele von diesen mutigen Helfern trugen gesundheitliche Langzeitschäden davon, durch die krebserregenden Stoffe, mit denen sie in Berührung kamen, aber auch durch die psychische Belastung, die sie ertragen mussten.

Wissen Sie aber, dass erst in diesem Jahr nach langem Ringen in den USA ein Gesetz verabschiedet wurde, das Entschädigungen und Kostenübernahme für die Gesundheitsschäden der Helfer regelt? Ist das nicht merkwürdig, wie schnell als Reaktion auf den Anschlag die Entscheidung zu den Kriegen in Afghanistan und Irak gefallen ist, und wie lange es gedauert hat, bis man den Helden des 11. September auch nur einen kleinen Ausgleich für ihre Schäden zugestanden hat?

Wäre das nicht das erste und völlig Selbstverständliche gewesen, für die materiellen Schäden der Helfer der ersten Stunde aufzukommen? Warum ist das so, dass es anscheinend viel leichter ist, einen sehr teuren, ungewissen Krieg zu beginnen, als eine vergleichsweise überschaubare Entschädigung an verletzte Menschen zu zahlen, die etwas geleistet haben, was mit Geld gar nicht zu bezahlen ist?

Anscheinend ist die Energie, zurückzuschlagen und nicht als der Schwache dazustehen, eine viel stärkere Kraft als der Wunsch, sich mit den verletzten Helfern zu solidarisieren. Mindestens in diesem Zusammenhang ist es so gewesen.

Diesen Unterschied hat ein amerikanischer Kollege gleich nach dem 11. September sehr gut auf den Punkt gebracht, als er seine Gemeinde aufforderte: »Ruft jetzt nicht nach Blutvergießen, sondern spendet Blut!«. Ich glaube, das ist eine sehr treffende Aktualisierung von dem, was Paulus meint, wenn er sagt: »Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!«. Reagiere auf Böses nicht mit dem Wunsch nach Vergeltung oder Rache, sondern lass dich davon erst recht bestärken in einer lebensbejahenden Reaktion, beantworte das Böse mit einem Akt des Gebens, ja sogar mit einem Akt des sich selbst Hingebens! Heiz den Kreislauf von Unrecht und Rache nicht noch an, sondern finde kreative, lebensbejahende, überraschende neue Wege, um dem Bösen etwas Besseres entgegenzusetzen.

Und wenn man sich an dem Einsatz der Leute von der New Yorker Feuerwehr orientiert: wie wäre wohl die Geschichte verlaufen, wenn die Reaktion auf den 11. September kein Krieg gewesen wäre, sondern ein breiter Aufbruch von Menschen, die mit Engagement und einem Bruchteil der Kriegskosten losgezogen wären, um in islamischen Ländern Krankenhäuser und Schulen und ähnliches zu bauen?

Vielleicht wird jetzt der Eine oder Andere sagen, dass das naiv ist und dass die Sache nicht so einfach ist, und er hätte zweifellos Recht. So eine Offensive des Guten muss genauso gut vorbereitet und durchdacht werden wie ein Krieg, besser sogar. Aber wenn ich mir anschaue, wie verfahren heute die Lage in Afghanistan und Irak ist, und wieviel Menschenleben, wieviel Geld und wieviel Vertrauen die militärische Antwort gekostet hat, dann denke ich, schlimmer hätte es auch nicht werden können, wenn statt der Soldaten viele zivile Freiwillige gekommen wären und auf vielen fantasievollen Wegen den Terroranschlag mit lebensbejahenden Taten beantwortet hätten.

Ich sage nicht, dass es nicht Einrichtungen wie Armee und Polizei und Gerichte und andere Institutionen des äußeren Schutzes geben dürfte. Davon redet Paulus im Römerbrief gleich anschließend. Aber der christliche Weg, auf das Böse mit Gutem zu antworten, ist auch einfach von den Ergebnissen her gedacht ziemlich effektiv.

Die spezifisch christliche Antwort auf das Böse besteht in zweierlei: zunächst einmal im Wissen, dass es tatsächlich das Böse gibt, und dass es wirklich böse ist, sehr böse sogar. Überall in den Kirchen hängen Bilder des gekreuzigten Jesus, und das erinnert uns Woche für Woche daran: so sind Menschen, so schlimme Dinge tun sie einander an. Und das Fiese dabei ist auch noch, dass die meisten bösen Taten in dem Gefühl begangen werden, man sei eigentlich im Recht oder habe jedenfalls keine andere Wahl. Die Entführer der Flugzeuge, die am 11. September 2001 zur tödlichen Waffe wurden, die waren ja überzeugt, dass sie für eine gerechte Sache ihr eigenes Leben geben. Sie waren überzeugt, dass sie nach ihrem Tod dafür belohnt würden, so wie in vielen anderen Kriegen die Soldaten gehofft haben, dass ein Tod für König, Volk und Vaterland von Gott belohnt würde.

Christen wissen: Ja, es gibt das Böse, egal, was die Täter dabei auch denken. Wir glauben an einen Schöpfer, der die Welt gut erschaffen hat, eine Welt ohne Zerstörung und Unrecht. Und alles, was diese Welt zerstört und Menschen und Geschöpfe leiden lässt, das ist böse und schlecht. Und dagegen muss man kämpfen; zu viele haben sich mit diesem Zustand der Welt abgefunden und hoffen nur noch, dass sie persönlich heil durchkommen. Christen sollten da mehr Leidenschaft entwickeln als andere.

Wenn Paulus also sagt, dass wir auf Böses nicht mit Bösem antworten sollen, dann ist das keine Verharmlosung des Bösen. Es heißt auch nicht, dass wir uns einreden sollen, es wäre alles gar nicht so schlimm, eigentlich wären die Menschen doch gut, und mit ein paar freundlichen Worten würde man sie schon wieder auf den richtigen Weg bringen. So einfach und so billig ist die Sache nicht. Daran erinnert uns das Kreuz. Das ist das Eine.

Der andere Teil der christlichen Antwort auf das Böse ist die spezielle Reaktion, auf Böses mit Gutem zu antworten. Auch das wird durch die Kreuze symbolisiert: Gott antwortete auf das Unrecht unter den Menschen, auf die Zerstörung seiner Schöpfung nicht mit Vergeltung, sondern so, dass er sich in Jesus diesem Unrecht aussetzte. Auch Gott ist dahin gegangen, wo alle weglaufen, und er hat der Zewrstörung Taten der Liebe und des Lebens entgegengesetzt, zuletzt die Auferstehung Jesu. Gott antwortete dem Bösen, indem er ihm widerstand und beharrlich beim Guten blieb. In den Geschichten von der Versuchung Jesu durch den Teufel wird das ganz deutlich.

Das bringt uns zu einer wichtigen Einsicht: das eigentliche Ziel des Bösen ist nicht die Zerstörung selbst, das ist nur ein Zwischenziel. Sein eigentliches Ziel ist es, in Menschen hinein zu kommen und bei uns Wurzeln zu schlagen. Wenn Menschen voller Empörung über erlittenes Unrecht Vergeltung üben, dann ist dies Ziel erreicht und der Kreislauf der Zerstörung kann weitergehen. Sagen wir es an einem plakativen Beispiel: Das Gefängnis von Abu Ghraib in Bagdad war unter Saddam Hussein ein Ort der Hinrichtungen und der Folter, eine Todesmaschine. Als nach dem Krieg dort auch die Amerikaner folterten und töteten, da war das Ziel des Bösen erreicht. Und als das dann schließlich aufflog und die Glaubwürdigkeit Amerikas zutiefst beschädigte, da hatten es wiederum alle Terrororganisationen viel leichter, empörte Menschen als Selbstmordattentäter zu gewinnen. Das ist einer von diesen Kreisläufen, bei denen der Feind Gottes sich freut, den Champagner entkorkt und Party macht.

Deshalb liegt Paulus so sehr daran, dass Christen Menschen sind, die solche Kreisläufe unterbrechen. Im Großen wie im Kleinen, der Mechanismus ist überall derselbe, auch wenn es zum Glück nicht immer um Krieg und Gewalt geht. Wir sollen uns nicht vom Bösen überwinden lassen, wir sollen uns nicht in seinen Strudel hineinziehen lassen. Und wir sollen das tun, indem wir uns auf das Gute konzentrieren. Solange man sich auf das Böse konzentriert, bekommt es immer noch zu viel Aufmerksamkeit. Und damit viel zu viel Macht.

Klar, wir müssen jede Art von Zerstörung und Gemeinheit unterbinden, wo es in unserer Macht steht; wir dürfen Mobbing genauso wenig zulassen wie Menschenrechtsverletzungen; aber zuallererst müssen wir tief im Guten, in Gott verankert sein, damit wir nicht eifernde Moralisten werden oder ein ganzes Leben lang nicht von dem Unrecht loskommen, das uns jemand einmal getan hat.

Die beste Antwort auf das Böse in der Welt besteht darin, dass wir eine Leidenschaft für den Weg Jesu entwickeln. Dass wir darin so stark verankert sind, dass sich unsere Gedanken dauernd darum drehen und wir für anderes gar keinen Raum mehr haben.

Natürlich ist das nicht einfach. Wer sich vielleicht sogar daran gewöhnt hat, mit Groll und Vorwürfen zu leben, bei wem das ein Teil der Psychodynamik geworden ist, wer das in seinem Gefühlshaushalt verankert hat, der muss sich richtig umstellen. Aber es gibt dabei auch ganz viel zu gewinnen. Denn Groll und Rachewünsche sind überhaupt nicht gut für unser psychische und körperliche Gesundheit. Die können uns das Leben um Jahre verkürzen, wirklich. Und normalerweise klappt die Rache noch nicht mal so, wie man sich das erhofft hat. So bitter es ist: wenn wir Böses mit Bösem beantworten wollen, dann erlauben wir dem Bösen, uns immer weiter zu schädigen. Wenn wir dagegen uns nur noch entschiedener nach dem Guten ausstrecken, wenn wir uns an Jesus und seinem Weg orientieren, dann entziehen wir diesem ganzen Kreislauf des Bösen die Energie, und bei uns selbst lockert sich der Druck von Schmerz und Wut. Und das tut dem Bösen richtig weh.

Ich finde das einen hilfreichen Gedanken, so als Eselsbrücke. Wir können dem Bösen Probleme machen. Ist das nicht toll? Ich bin oft wütend auf all das, was an Gemeinem in der Welt passiert, im Kleinen wie im Großen. Und ich würde das schon gern den Feind Gottes irgendwie spüren lassen. Ist es nicht ein hilfreicher Gedanke, wenn wir wissen: es tut ihm richtig weh, wenn wir ihm nicht erlaube, bei uns einen Fuß in die Tür zu bekommen?

Ist das schwer? Sicher, aber auch nicht schwerer als manches andere. Ich habe zu Weihnachten ein Buch (Miroslav Volf, Exclusion and Embrace) bekommen von einem Theologen aus dem ehemaligen Jugoslawien, jetzt ist er kroatischer Staatsbürger. Der hat in Deutschland Theologie studiert, und eines Tages fragte ihn sein theologischer Lehrer in einer Diskussion: sag mal, wie hältst du das eigentlich mit den Serben, mit den serbische Tschetniks, die in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf dem Balkan ganz fürchterliche Gräueltaten begangen haben, Menschen vertrieben und gequält, Städte zerstört und ein ganzes Land terrorisiert haben? Wie gehst du als Christ mit diesen Leuten um?

Und die Frage brachte ihn ins Nachdenken, und es hat ihn jahrelang umgetrieben, und am Ende hat er dieses Buch geschrieben. Es ist anscheinend ein Buch über Feindesliebe geworden, ich weiß es noch nicht, ich bin erst auf Seite 28, aber ich bin wahnsinnig gespannt, was er herausgefunden hat. Und ich werde das natürlich dann irgendwann auch hier erzählen.

Mir sagt das: die Fähigkeit, auf Böses mit Gutem zu reagieren (das ist ja der Kern der Feindesliebe), diese Fähigkeit fällt nicht einfach vom Himmel und der eine kann es dann eben und die andere nicht. Nein, das hat auch viel mit Nachdenken, mit Lernen zu tun, mit neuen Gedanken, und es wäre doch eine wahnsinnige Sache, wenn diese schrecklichen jugoslawischen Bürgerkriege am Ende dazu führen, dass viele Menschen auf der ganzen Welt besser verstehen, wie eine christliche Antwort auf den Terror aussehen könnte.

Und dann hat es natürlich mit Üben und Ausprobieren zu tun, bis wir das besser können. Insofern ist es gut, dass die Jahreslosung uns für ein ganzes Jahr auf diesen Weg schickt. Das zeigt, dass es um einen Lernprozess geht, um ein Wachsen und Üben. In einem Jahr kann sich da durchaus schon etwas verschieben.

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