Fair leben – in Frieden mit allen Geschöpfen

Besonderer Gottesdienst am 30. Mai 2010 mit Predigt zu Römer 8,19-25

Der Gottesdienst begann mit einer kurzen Szene, in der am Beispiel eines gefüllten Einkaufswagens die verborgenen Zusammenhänge des täglichen Lebens, hier der Wasserverbrauch bei der Produktion von Lebensmitteln und Textilien, dargestellt wurden. Die Predigt bezog sich auf den Videoclip „The Story of Stuff“ in einer gekürzten Fassung. Hier können Sie das ganze Video sehen:

Predigt:

Die Predigt bezog sich auf den folgenden Text:

19  Ja, die gesamte Schöpfung wartet sehnsüchtig darauf, dass die Kinder Gottes in ihrer ganzen Herrlichkeit sichtbar werden. 20  Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, allerdings ohne etwas dafür zu können. Sie musste sich dem Willen dessen beugen, der ihr dieses Schicksal auferlegt hat.
Aber damit verbunden ist eine Hoffnung: 21  Auch sie, die Schöpfung, wird von der Last der Vergänglichkeit befreit werden und an der Freiheit teilhaben, die den Kindern Gottes mit der künftigen Herrlichkeit geschenkt wird.
22  Wir wissen allerdings, dass die gesamte Schöpfung jetzt noch unter ihrem Zustand seufzt, als würde sie in Geburtswehen liegen. 23  Und sogar wir, denen Gott doch bereits seinen Geist gegeben hat, den ersten Teil des künftigen Erbes, sogar wir seufzen innerlich noch, weil die volle Verwirklichung dessen noch aussteht, wozu wir als Gottes Söhne und Töchter bestimmt sind: Wir warten darauf, dass auch unser Körper erlöst wird. 24  Unsere Errettung schließt ja diese Hoffnung mit ein.
Nun ist aber eine Hoffnung, die sich bereits erfüllt hat, keine Hoffnung mehr. Denn warum sollte man auf etwas hoffen, was man schon `verwirklicht` sieht? 25 Da wir also das, worauf wir hoffen, noch nicht sehen, warten wir unbeirrbar, ´bis es sich erfüllt`.

Es ist schon erschreckend, wenn einem so konzentriert vor Augen geführt wird, was wir im Grunde alle wissen: im Mittelpunkt unserer Produktion steht ein System, das letztlich Natur in Müll verwandelt. Vielleicht erleben wir das hier in Deutschland nicht ganz so stark wie in Amerika, weil es hier bei uns etwas mehr Bewusstsein für den Schutz der Umwelt gibt und deshalb dann auch mehr Vorschriften, die das Schlimmste verhindern.

Aber das ändert nichts daran, dass auch bei uns Kohlendioxid erzeugt wird, das die Atmosphäre aufheizt, dass auch bei uns immer mehr neue chemische Substanzen freigesetzt werden, und dass auch wir Rohstoffe importieren, deren Gewinnung irgendwo anders große Schäden an Menschen und Natur verursacht.

Wir haben uns auf Gedeih und Verderb mit dieser Produktionsmaschine verbunden, die sich immer weiter in die Schöpfung hineinfrisst und jede Menge Müll produziert. Unser Wohlstand und unsere Arbeitsplätze hängen daran. Und über den Akt des Konsums halten wir die Maschine am Laufen. Wenn wir alle plötzlich anfangen würden, bescheiden zu leben, nur noch das zu kaufen, was wirklich nötig ist, ein Auto 30 Jahre lang zu fahren und Schuhe zu tragen, bis sie wirklich nicht mehr reparaturfähig sind, dann käme die Maschine schnell ins Stottern. Wir haben es bei der Abwrackprämie gesehen, wie es systemerhaltend sein kann, dass Autos verschrottet werden, obwohl sie noch voll funktionsfähig sind und die Gebrauchtwagenhändler sozusagen mit Tränen in den Augen Autos in die Schrottpresse geben mussten, die sie in anderen Zeiten problemlos verkauft hätten.

An solchen Punkten merkt man deutlich, wie sich die Schwerpunkte verschoben haben: die Produktionskette ist gar nicht mehr dafür da, Güter zu erzeugen, die wir zum Leben brauchen, sondern wir leben, arbeiten und konsumieren, damit diese Produktionsmaschine weiterläuft. Wir lieben sie nicht unbedingt, wir ahnen wenigstens, was sie anrichtet, aber wir kommen angeblich nicht von ihr los. Sie gibt uns einen Platz in der Welt, sie versorgt uns mit Gütern, wenn auch auf sehr unterschiedlichen Lebensniveaus. Es ist unvorstellbar, was passieren könnte, wenn diese Maschine ins Stottern gerät.

Aber der Preis ist hoch. Wir ahnen ja alle, dass das nicht endlos so weitergehen kann. Immer schneller folgen die Krisen aufeinander, die eigentlich keiner mehr wirklich versteht, und jede Krise ist teurer als die vorige und sie engt den Spielraum zur Bewältigung der nächsten Krise weiter ein. Und das Versprechen von immer weiter wachsendem Wohlstand wird schon seit ein oder zwei Jahrzehnten nicht mehr eingelöst, im Gegenteil.

Vor allem aber beschädigt diese Produktionsmaschine unser Verhältnis zum Leben und zur ganzen Schöpfung. Leben hat in dieser Logik keinen eigenen Wert, sondern nur, wenn es von der Maschinerie aufgesaugt und verwertet wird. Ein Stück unberührte Natur ist in dieser Logik erst etwas wert, wenn man ein Touristenhotel danebengesetzt hat, erst dann bringt sie Geld. Tropischer Regenwald ist in dieser Logik nutzlos, weil an ihm nichts zu verdienen ist. Erst wenn das Holz verwertet ist und stattdessen Soja angebaut wird, bekommt er einen Wert. Aus Tieren werden Fleischproduzenten, denen das Sättigungsgefühl weggezüchtet wurde, damit sie immer weiter fressen und fressen und fressen. Haben Sie nicht manchmal den Eindruck, dass auch uns Menschen irgendwie das Gefühl für das ausreichende Maß wegtrainiert wird und wir auch nicht mehr merken, wann es genug ist?

Wir haben vorhin in der Lesung diese prophetischen Worte von Paulus gehört, aus dem Römerbrief, wo er davon spricht, dass die ganze Schöpfung dem Tod, der Vergänglichkeit unterworfen ist und wie die Schöpfung deswegen seufzt und sehnsüchtig darauf wartet, dass die Kinder Gottes sichtbar werden, damit sie frei wird. Und dann redet er davon, dass wir selbst dieses Leiden an der Zerstörung teilen. Wir sind ja selbst Geschöpfe. Unser Körper erinnert uns immer wieder daran, dass wir in die Schöpfung hineingehören, und dass wir selbst geschädigt werden, wenn das Leben geschädigt wird.

Die Schöpfung, sagt Paulus wörtlich, ist der Knechtschaft der Zerstörung unterworfen. Sie wird versklavt unter eine lebensfeindliche Herrschaft. Es ist erstaunlich, wie Paulus das schon vor 2000 Jahren so deutlich gespürt hat. Der von Gott abgewandte Mensch hat sein Lebensmuster auch der Natur aufgezwungen. Und deswegen wartet auch die stumme Natur sehnsüchtig auf die Kinder Gottes, auf die Menschen, die frei geworden sind von der Herrschaft der Todesmächte und dann auch anders mit der Schöpfung umgehen.

Jesus hat dieses Muster, sich die Welt zu unterwerfen, mit dem Namen Mammon gekennzeichnet. Der Mammon verwandelt Leben und lebendige Beziehungen in Dinge, in aufgespeicherte Güter und am Ende in Geld. Und Jesus hat Menschen Narren genannt, die ihre Hoffnung auf den Mammon setzen. Der Mammon hält sein Versprechen nicht. Er verspricht Sicherheit und sorgloses Leben und produziert in Wahrheit Zerstörung. Wer sich ihm anvertraut, dessen Hoffnung wird scheitern. Meistens schon ganz äußerlich in irgendeiner Krise, auf jeden Fall aber wird er am lebendigen Leben vorbeileben und sich Sorgen und Stress und Getriebensein aufladen. Er wird immer weniger Zugang zu seiner Mitte haben, wo Gott auf ihn wartet und wird sein Glück immer mehr in Dingen und Ereignissen irgendwo da draußen suchen und immer abhängiger davon werden.

Jesus hat die Menschen herausholt aus der Gefangenschaft des Mammon. Er hat sie in ein Leben gerufen, das nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Er hat uns gezeigt, dass man die Segensströme Gottes zerstört, wenn man versucht, sie zu kontrollieren und aufzuspeichern. Aber von ihnen einfach nur leben, das geht. Trotz aller Zerstörung, die wir anrichten, ist die Welt immer noch ein guter und gesegneter Ort. Sie trägt immer noch eine große Hoffnung. Und Jesus hat gezeigt, wie wir aus dieser Hoffnung leben können, und wie daraus schon jetzt geheiltes und versöhntes Leben entsteht. So zu leben, das ist weise, und es ist fair. Fair gegenüber den anderen Menschen, auch gegenüber denen, die nach uns kommen, und es ist fair gegenüber der ganzen Schöpfung.

Mit seinem ganzen Leben und Sterben hat Jesus das Argument entkräftet, es gäbe keine Alternative. Diese Behauptung ist ja immer das zentrale Argument, wenn es darum geht, ob wir denn wirklich so leben müssen, wie wir es tun. Dann spalten wir uns auf und sagen: eigentlich wollen wir das ja nicht, dass die Umwelt zerstört und verschmutzt wird, eigentlich möchten wir ja auch, dass die Menschen in China und in Mexiko und sonstwo ordentliche Löhne bekommen, eigentlich graust es uns bei dem Gedanken daran, wie bei uns im Land Tiere in eine mechanisierte Lebensmittelproduktion hineingezwungen werden. Aber es gibt leider keine Alternative. Wir können daran nichts ändern. Es gibt so viele Zwänge, die es uns unmöglich machen, darauf zu verzichten. Leider, aber es ist so. Und dann machen wir mit, wenn auch mit schlechtem Gefühl.

Aber Jesus hat gezeigt, dass es eine Alternative gibt. Er hat sie selbst gelebt, und er hat eine Bewegung ins Leben gerufen, die als Alternative zur damaligen antiken Gesellschaft äußerst erfolgreich war. In dem Moment, wo Menschen verstanden, dass es diese Alternative gab, da kündigten sie dem alten System die Loyalität. Und dann merkt man: die eigentlichen Zwänge, die eine Alternative so unmöglich erscheinen lassen, sind Zwänge in unserem Herzen. Dieses Produktionssystem, das Raubbau betreibt, Leben zerstört und Müll hinterlässt, das ist trotz all seiner Widersinnigkeiten deshalb so stark, weil es sich ganz fest in den Herzen vieler Menschen eingenistet hat.

Und die erste und entscheidende Frage ist, ob wir ihm noch weiter unsere Loyalität schenken wollen. Es geht noch gar nicht darum, wie effektiv das ist, und wieviel sich ändert, wenn wir Bio-Lebensmittel einkaufen. Es geht um die Frage, wem unsere Loyalität gehört: dem Mammon oder Gott. Aber so eine innere Entscheidung kann man nicht fällen, ohne dass man sie irgendwie auch nach außen umsetzt. Und wenn einer dann damit anfängt, dass er keine Eier aus Käfighaltung kauft, dann ist das wunderbar.

Das ist das Schöne an diesem Gedanken, fair zu leben: man kann mit einer kleinen Sache anfangen und dann nach und nach immer mehr umstellen. Gerade weil wir so tief in diesem ganzen lebensfeindlichen System drinstecken, deshalb gibt es auch so viele Möglichkeiten, sich davon abzugrenzen und an kleinen Punkten deutlich zu machen, wem unsere Loyalität gilt. Und eines Tages wird das dann auch ganz praktische Auswirkungen im Großen haben. Der Verbrauch von Käfigeiern ist jedenfalls so dramatisch zurückgegangen, dass sich viele Produzenten verkalkuliert haben und jetzt Mühe haben, die Nachfrage nach Bio-Eiern zu decken.

Wir merken daran: am besten funktioniert das, wenn man sich mit anderen zusammenschließt. Jesus hat schließlich auch nicht allein auf neue Art gelebt, sondern er hat eine Bewegung gegründet. Zusammen geht es besser. Und so brauchen wir das auch, dass wir uns mit anderen gemeinsam darum kümmern, wie denn ein faireres oder auch weiseres Leben aussieht. Keiner kann sich allein zurechtfinden in den komplizierten Zusammenhängen unserer Welt. Wieviel Wasser und Energie ein Produkt verbraucht, wo es unbelastete Lebensmittel gibt, wie man Gebrauchsgegenstände über viele Jahre nutzt, ohne sie nach kurzer Zeit zu entsorgen, wie wir wieder stärker mit Tieren zusammenleben können, wo man umweltfreundlich erzeugten Strom herbekommt – all diese Fragen kriegt man allein nicht auf die Reihe. Da braucht man andere, mit denen man das zusammen durchdenkt und anpackt. Menschen, denen man vertrauen kann und mit denen man langfristig verbunden ist.

Ich glaube, dass wir als christliche Gemeinde genau das werden sollten: eine Gruppe von Menschen, die sich gegenseitig beraten, wie wir unsere Loyalität gegenüber dem Schöpfer des Lebens auch ganz praktisch umsetzen können. So hat die Christenheit begonnen, unter ganz anderen äußeren Bedingungen, aber als Menschen deren unbedingte Hingabe dem Leben galt, das Gott in seine Schöpfung hineingelegt hat. Und die dadurch geschützt waren vor vielen Zerstörungen, die ihre Gesellschaft anrichtete. Sie hatten nicht nur eine Botschaft, sie waren eine Botschaft. Und die überzeugte die Menschen. Nicht nur damals, auch heute sind viele Menschen froh, wenn sie heraus geholt werden aus der hoffnungslosen, gottlosen Alternativlosigkeit. Und das sollten wir tun und bei uns selbst anfangen. Aber dabei wird es dann lange nicht enden.

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