Die Erben der Welt

Predigt am 11. März 2012 zu Römer 8,14-17 (Predigtreihe Römerbrief 24)

14 Alle, die sich von Gottes Geist leiten lassen, sind seine Söhne ´und Töchter`. 15 Denn der Geist, den ihr empfangen habt, macht euch nicht zu Sklaven, sodass ihr von neuem in Angst und Furcht leben müsstet; er hat euch zu Söhnen und Töchtern gemacht, und durch ihn rufen wir, ´wenn wir beten`: »Abba, Vater!« 16 Ja, der Geist selbst bezeugt es uns in unserem Innersten, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Wenn wir aber Kinder sind, sind wir auch Erben – Erben Gottes und Miterben mit Christus. Dazu gehört allerdings, dass wir jetzt mit ihm leiden; dann werden wir auch an seiner Herrlichkeit teilhaben.

Wir sind hier immer noch im Zentrum des Römerbriefes: wo der Geist Gottes ist, da hat Neues begonnen, da gelten die alten Konditionen nicht mehr. Wo der Geist Gottes ist, da bleibt die Furcht zurück, und wir treten der Welt in der gleichen Art von Freiheit gegenüber, in der Jesus gelebt hat. Denn die Welt ist unser Erbe; und wir gehen durch die Welt als Menschen, die wissen, dass ihnen das alles einmal wirklich gehören wird. Wir sind Söhne und Töchter Gottes, gemeinsam mit seinem Sohn Jesus Christus.

Das sind die Stichworte in unserem Abschnitt: der Geist, unser Status als Söhne und Töchter Gottes, und unser Erbe. Und mit allen diesen Stichworten sind Erinnerungen an die Befreiung Israels aus Ägypten verbunden. Am deutlichsten ist das beim Stichwort »Erbe«. Dieses Wort wird auch verwendet für das verheißene Land Kanaan, das Gott den befreiten Sklaven schenkte. Aber schon in Kapitel 4 (v.13) hat Paulus davon gesprochen, dass Abraham und seine Familie einmal Erben der ganzen Welt sein sollten. Das Land Kanaan war also nur eine vorläufige Zwischenstufe: ein Modell, an dem sich zeigen sollte, wie Gott sich ein gutes Land gedacht hat. Aber jetzt ist der Christus gekommen, der Messias, der endgültige Gesandte Gottes, sein Sohn, und nun geht es ums Ganze, jetzt sollen der Messias und seine Leute die ganze Welt erben. Und erben bedeutet: in Besitz nehmen und gut verwalten, damit diese Schöpfung erlöst wird aus Korruption und Niedergang.

Erinnern wir uns daran, dass Paulus diesen Brief in die Hauptstadt der Welt schreibt, nach Rom. Diese Stadt und ihr Kaiser beherrschten damals tatsächlich den größten Teil der bekannten Welt. Wenn einer damals Anwärter auf den Titel eines Erben des Universums gewesen wäre, dann dieser Kaiser. Aber gegen diese Offensichtlichkeit behauptet Paulus: wir, die Leute Jesu, wir sind die Söhne und Töchter Gottes und damit ist die Welt unser Erbe.

Das ist ganz nah bei dem, was Jesus in der Bergpredigt gesagt hat, und was wir vorhin als Evangelium gehört haben (Matth. 5,1-10): »Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. … Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen.« Bei Jesus wie bei Paulus: die gleiche verwegene Erwartung, dass die Meister der Macht die Erde nicht für immer unter sich aufteilen werden, sondern regieren werden am Ende der Messias und seine Leute, diejenigen, die der ganzen geschundenen Kreatur den Frieden bringen. Am Ende kommt die Schöpfung endlich in gute Hände.

Und das bedeutet eben nicht, dass nur die Herrscher ausgewechselt werden. Man erlebt das ja oft genug, wenn die von unten sich befreien und endlich nach oben kommen, dann treiben sie es noch tyrannischer als die alten Herrn. Nein, darum geht es Paulus wirklich nicht, sondern die ganze Art des Herrschens ändert sich, das Wort »Herrschaft« bekommt einen anderen Inhalt. Schau dir Jesus an, wie er der Krankheit und der Lüge entgegentrat, ein königlicher Mensch, der wahre Herrscher, der kein Schwert braucht, weil er durch Worte der Wahrheit herrscht – so soll eines Tages die ganze Welt regiert werden. Und zwar von den Menschen des Messias, den Söhnen und Töchtern Gottes, die in der Kraft des Heiligen Geist leben.

Aber so lange dieser Tag noch nicht gekommen ist, geht es für uns darum, diese neue Art der Herrschaft einzuüben. Wenn wir uns an der Geschichte von der Befreiung aus Ägypten orientieren, dann heißt das: wir sind im Augenblick noch auf dem Weg durch die Wüste. Vor uns das verheißene Land, unser Erbe, jetzt umfasst es die ganze Welt; hinter uns die Sklaverei unter den Mächten der Welt; und dazwischen: die Wüste, in der Israel die Sklavengesinnung verlernen sollte, und das ist auch unsere Situation. Paulus sagt: wir leben in einer Zwischenzeit, wir teilen das Schicksal Jesu. Die zukünftige Herrlichkeit leuchtet schon auf und ist manchmal ganz deutlich zu sehen, aber sie leuchtet auf unter den Bedingungen der alten Welt, und das bedeutet: unter Leiden. Jesus wurde angefeindet und gehasst, und auch wir bekommen etwas davon ab. Denn wenn wir mit Jesus in seinem endgültigen Sieg verbunden sein wolle, dann müssen wir auch seine Mission und seine Bedrängnisse teilen.

Wir sind die entflohenen Sklaven auf dem Weg in die Freiheit; und so steckt in unserem Herzen immer noch die alte Sklavenmentalität. Aber auf diesem Weg durch die Wüste sollen wir sie verlieren. Israel bekam auf dem Weg durch die Wüste Orientierung: Gott selbst ging ihnen voraus, bei Tag in einer Wolkensäule, bei Nacht in einer Feuersäule. Und genauso haben wir auf unserem Weg Orientierung: der Heilige Geist, Gott selbst, der mitgeht und uns den Weg zeigt.

Immer wieder erinnert uns dieser Geist in unserem Herzen an unsere Mission, an unsere Berufung. Und man kann große Beispiele davon erzählen, wie das jetzt schon für viele Menschen Befreiung und Hoffnung bedeutet hat. Wenn wir an einen Mahatma Gandhi denken, der über die reale Christenheit zwar skeptisch dachte, aber die Bergpredigt Jesu zur Grundlage seiner gewaltlosen Freiheits­strategie machte – und am Ende war Indien befreit, durch gewaltfreien Widerstand. Und ähnlich Martin Luther King, der ebenso gewaltfrei Bürgerrechte für die amerikanischen Schwarzen erkämpfte und am Ende – wie Mahatma Gandhi – ermordet wurde. Das sind große Beispiele dafür, wie Jesus und seine Leute jetzt schon die Welt regieren.

Aber genauso gibt es die unzähligen kleinen Beispiele, wie Menschen in der Souveränität Jesu ihre Umwelt beeinflussen. Wie sie befreiende Worte sprechen, die anderen neue Perspektiven für ihr Leben geben; wie sie für ganze Städte Zeichen der Hoffnung setzen; wie sie das Klima von Familien, Nachbarschaften und Orten zum Positiven verändern. Die ersten Christen z.B. haben ihre Töchter nicht schon als Beinahe-noch-Kinder an alte Männer verheiratet, wie es damals oft üblich war; und wenn das heute im größten Teil der Welt zum Glück nicht mehr üblich ist, dann verdanken wir das diesen namenlosen Männer und Frauen, die von Gottes Geist angestiftet wurden, es anders zu machen als ihre Umwelt, weil sie besser wussten als andere, was für Menschen gut ist.

Ich habe das letzte Mal vor zwei Wochen etwas darüber gesagt, wie Gottes Geist sich in unsere Gedanken einmischt, und wie wir es ihm leichter machen können, indem wir seine Stimme zu unterscheiden lernen: durch die Lektüre der Bibel, durch die Übung unserer Aufmerksamkeit, durch die Gemeinschaft mit anderen, durch das Abendmahl und vieles andere. Ich wiederhole das jetzt nicht. Aber diese Kraft des Heiligen Geistes, die uns mit Jesus verbindet, die erlaubt es uns immer wieder, der Welt mit der Souveränität der Erben gegenüber zu treten, die wissen: das wird uns einmal gehören, und wir übernehmen jetzt schon Verantwortung dafür.

»Ihr habt doch keinen Geist der Furcht bekommen« schreibt Paulus. Solange man abhängig ist, hat man dauernd Angst und duckt sich. Und das ist durchaus gewollt. Du musst nur mal in die Lage kommen, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen oder Genehmigungen zu brauchen, die über das Normalmaß hinaus gehen, oder du versuchst deinen Telefonanbieter zu wechseln: wenn du kein Großinvestor bist, sondern ein einfacher Mensch, wirst du sofort getriezt mit Genehmigungen von hier und dort, mit Bescheinigungen, die immer wieder verloren gehen, du musst Formulare ausfüllen, die du nicht verstehst und Sachen unterschreiben, von denen du nicht weißt, was sie für Folgen haben; du erlebst dich als ohnmächtig und ausgeliefert den Launen eines Menschen, der seine Unsicherheit mit Arroganz überdeckt und dauernd beteuert, er handele nur nach seinen Vorschriften.

Aber das ist eine der Taten des heiligen Geistes, dass er Menschen aus ihrer Furcht herausholt und ihnen Handlungsmöglichkeiten gibt. Er sorgt dafür, dass wir diese Ohnmachtserfahrungen nicht in uns selbst aufnehmen, dass wir ihnen nicht auch noch Recht geben, dass wir auch nicht zu wütenden Rebellen werden, deren Empörung nichts erreicht. Immer wieder erinnert er uns daran, dass wir Söhne und Töchter Gottes sind, die sich jetzt schon für ihre künftige Regierungszeit trainieren.

Wenn wir heute hören, dass wir Kinder Gottes sind, dann denken viele spontan an kleine niedliche Kinder, die ganz vertrauensvoll den Papa angucken. Und dann denkt man, es sei Naivität, die den Christen auszeichnen solle, und dann wird man leider auch so. Aber wenn Paulus uns als Kinder Gottes bezeichnet, dann denkt er nicht an Naivität, sondern an einen rechtlichen Status. Er meint die schon ziemlich erwachsenen Söhne und Töchter, die zukünftigen Erben, die eines Tages den väterlichen Betrieb übernehmen sollen und jetzt schon mal die eine andere Aufgabe übernehmen, um für die Zukunft vorbereitet zu sein. Die werden in diesem Betrieb nicht arbeiten wie irgendein Lohnempfänger, sondern sie werden bei allem daran denken, dass das mal ihr Laden sein wird. Und dann geht man da ganz anders durch.

Sie wissen ja, dass sie den direkten Draht zur Geschäftsleitung haben. »Abba, lieber Vater!«, das war das Gebet Jesu, der konnte so persönlich und vertraut mit dem obersten Vorstand reden, und diese Möglichkeit hat er auch auf uns ausgeweitet. Der Heilige Geist sorgt dafür, dass wir auch in dieses vertraute Verhältnis zum Herrn des Universums hineinkommen. Und dann sehen wir die Welt als unser künftiges Eigentum an, auch wenn wir immer noch auf dem steinigen Weg durch die Wüste sind, immer noch in Versuchung, uns zurück zu wünschen in die Sklaverei, wo wir keine Verantwortung hatten, wo wir nur irgendwie durchkommen mussten, wo wir nicht kämpfen mussten.

In unserem Land werden Christen heute nicht mehr ins Gefängnis gesperrt, aber es gibt viele, die uns ins Private einsperren möchten. Privat darf jeder nach seiner Fasson selig werden, aber wenn es um mehr geht als um innerliche und religiöse Probleme, dann muss man auch heute immer mal wieder kämpfen. Aber niemand hat gesagt, dass es einfach sein wird. Auch für Jesus war es nicht einfach.

Aber Jesus und uns leitet derselbe Heilige Geist, der uns in uns selbst einen Ort der Sicherheit gibt; wenn wir uns unsicher sind über das, was wir tun sollen, wenn wir unsere Berufung und unserem Auftrag aus den Augen verlieren, dann können wir an diesen Ort gehen und uns wieder die Richtung geben lassen.

Und dann wachsen wir hinein in unseren Status als künftige Erben dieser Welt.

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