Erwachsene Freiheit und kindische Freiheit

Predigt am 25. September 2011 zu Römer 6,18-25 (Predigtreihe Römerbrief 17)

18 Ihr seid von ´der Herrschaft` der Sünde befreit worden und habt euch in den Dienst der Gerechtigkeit stellen lassen. 19 Ich gebrauche das Bild vom Sklavendienst, das ihr alle kennt, weil ihr sonst vielleicht nicht versteht, worum es geht. Früher habt ihr euch in den verschiedenen Bereichen eures Lebens gewissermaßen wie Sklaven in den Dienst der Unmoral und der Gesetzlosigkeit gestellt, und das Ergebnis war ein Leben im Widerspruch zu Gottes Gesetz. Jetzt aber macht euch zu Sklaven der Gerechtigkeit, und stellt alle Bereiche eures Lebens in ihren Dienst; dann wird das Ergebnis ein geheiligtes Leben sein. 20 Als ihr Sklaven der Sünde wart, standet ihr nicht im Dienst der Gerechtigkeit und wart darum ihr gegenüber frei. 21 Doch welchen Gewinn brachte euch das? Dinge, über die ihr euch heute schämt, Dinge, deren Endergebnis der Tod ist. 22 Dass ihr jetzt aber von ´der Herrschaft` der Sünde befreit und in den Dienst Gottes gestellt seid, bringt euch als Gewinn ein geheiligtes Leben, und im Endergebnis bringt es euch das ewige Leben. 23 Denn der Lohn, den die Sünde zahlt, ist der Tod; aber das Geschenk, das Gott uns in seiner Gnade macht, ist das ewige Leben in Jesus Christus, unserem Herrn.

In diesem Abschnitt redet Paulus ausführlich von der Freiheit, und wir machen uns am Anfang klar, was mit Freiheit gemeint ist und was nicht. Es gibt eine kindliche Vorstellung von Freiheit und eine erwachsene.

Bis zu einem gewissen Alter hat man den Eindruck, Freiheit bestehe einfach darin, dass einem nichts verboten wird. Wenn Mama und Papa mir einfach alles erlauben würden, dann wäre die Welt ein ausgezeichneter Ort. Man müsste dann nie ins Bett gehen und könnte morgens ganz früh aufstehen, und immer wäre jemand zum Spielen da. Man müsste keinen Spinat und anderes komische Zeug essen und könnte sich stattdessen komplett von Nudeln, Schokolade und Pizza ernähren. Man könnte ohne Mütze, Handschuhe und Schal durch die Welt gehen und würde auch im Winter nie krank. Man könnte einfach in den Spielzeugladen gehen und sich die tollsten Sachen aus dem Regal nehmen, auch ganz ohne Geld. Mama und Papa müssten es nur wollen! Aber die sind so gemein und tun es nicht.

Wenn wir älter werden, dann fangen wir an zu verstehen, dass das nicht funktioniert. Der eine lernt es früher und der andere später, aber irgendwann begreifen wir, dass Mama und Papa sich die meisten Regeln nicht ausgedacht haben, um uns zu ärgern, sondern dass die Welt auch völlig unabhängig von Mama und Papa nach diesen Regeln funktioniert. Irgendwann fangen wir an zu verstehen, dass man tatsächlich schlechter drauf ist, wenn man zu wenig geschlafen hat. Oder dass man krank wird, wenn man sich im Winter nicht warm anzieht. Oder dass man von zu viel Süßigkeiten in die Breite geht. Und vor allem: viele Dinge kosten Geld, das man erst verdienen muss.

So ist die Welt. Jedenfalls meistens. Denn es gibt auch die, die mit wenig Schlaf auskommen. Es gibt auch die, die futtern können wie sie wollen und trotzdem gertenschlank bleiben, die nie ihre Hausaufgaben machen und trotzdem tolle Zeugnisse bekommen. Und tatsächlich, ein paar Menschen schaffen es auch, vom Geld anderer zu leben, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Die Welt ist flexibel, sie ist geduldig mit unseren Fehlern, es gibt Ausnahmen und Sonderfälle.

Aber die wenigstens von uns sind solche Sonderfälle, und schon gar nicht bei den Zeugnissen, der Gesundheit und beim Geld gleichzeitig. Für fast alle Menschen gelten fast immer die normalen Regeln des Lebens. Und wir sind erwachsen, wenn wir nicht mehr von Mama und Papa erwarten, dass sie für uns diese normalen Regeln des Lebens einfach mal schnell – schnipp! – außer Kraft setzen.

Bei den meisten von uns klappt das ganz gut. Irgendwann verstehen wir, dass es nicht hilfreich ist, unter Alkoholeinfluss Auto zu fahren Irgendwann haben wir kapiert, dass man sich nicht beliebt macht, wenn man seinen Freunden die Partner ausspannt. Irgendwann erwarten wir nicht mehr, dass der nette Onkel mit der dicken Geldbörse kommt und uns aus purer Freundlichkeit alle Wünsche erfüllt. Die einen lernen es schnell, die anderen brauchen mehrere Versuche, einige kapieren es aber auch bis zum Schluss nicht und ziehen eine Spur der Verwüstung hinter sich her, weil sie nicht begreifen, dass die Welt nach Regeln funktioniert, und nicht nach den Launen von Mama und Papa.

Wenn es aber um Gott geht, ist das schwieriger. Erstaunlicher Weise stellen sich viele Gott so vor, wie wir als Kinder über unsere Eltern gedacht haben. Gott, so denken sie, hat sich nach seiner Tageslaune Regeln ausgedacht, um uns das Leben schwer zu machen, und wenn er einfach mal weniger verbieten würde, dann wäre die Welt ein ausgezeichneter Ort. Er könnte es doch tun. Schließlich ist er Gott.

Wir denken dann über Gott genauso kindisch, wie wir früher über unsere Eltern gedacht haben. Wir stellen uns vor, er würde willkürlich Belohnungen und Strafen festsetzen, die mit der Sache selbst gar nichts zu tun haben. Du hast das und das angestellt? Zur Hölle mit dir! Du hast die Regeln eingehalten, warst im Gottesdienst, hast die richtigen Bekenntnisse gesprochen (oder was auch immer)? Ab in den Himmel!

In Wirklichkeit ist es aber so, dass unsere destruktiven Handlungen den Tod schon immer in sich tragen. Gott muss da gar nicht noch nachhelfen, sondern es ist die innere Logik von kaputten Verhaltensweisen, dass sie die Beteiligten kaputt machen. Deshalb schreibt Paulus im Römerbrief: der Lohn, den die Sünde zahlt ist der Tod. Die Sünde selbst zahlt mit Tod, dafür braucht man nicht noch extra Gott. Wenn du einen Menschen beobachtest, der rücksichtslos lebt, der das Leben anderer zerstört und auf ihre Kosten lebt, dann kannst du schon etwas von dem Todesdunst wahrnehmen, der über seinem Leben liegt. Vielleicht lebt er noch lange, vielleicht sieht es äußerlich aus, als ob er glücklich und zufrieden ist, aber innen drin ist der Wurm, manchmal sehr deutlich zu erkennen und manchmal kaum.

Und genauso trägt jede gute Tat in sich schon ihren Lohn, auch wenn es nach außen gar nicht groß zu sehen ist. Da muss Gott uns gar nicht ein Lockmittel vor die Nase halten und sagen: halte durch, tu das Unangenehme, verzichte, dann kriegst du am Ende den Himmel von mir! Wenn wir Taten tun, die das Leben fördern, dann wächst das Leben in uns, und das ist der Lohn, in dieser Welt und in der kommenden.

Gott gibt uns keine willkürlichen Belohnungen, so wie ein Mann einen Lebensrettungsmedaille bekommt, weil er ins Wasser gesprungen ist und einen Ertrinkenden gerettet hat. Nein, man muss sich das so vorstellen, wie wenn einer ins Wasser springt und ein ertrinkendes Kind rettet, und als er es anschaut, da merkt er: oh, das war ja meine Tochter! Braucht der noch eine extra Medaille? Was für ein Unsinn! Was für eine Belohnung braucht der jetzt noch, wo in seiner Tat selbst schon die größte Belohnung drinsteckte, das Leben seines eigenen geliebten Kindes?

Das ist die große Voraussetzung, die Paulus macht: dass die Welt nicht willkürlich funktioniert, sondern dass es eine innere Logik gibt, die nicht jeweils von außen herangetragen wird, weder von Gott noch von Papa und Mama, sondern die steckt in der Welt drin. Und wenn Paulus von Freiheit redet, dann meint er nicht, dass diese Zusammenhänge plötzlich nicht mehr gelten. Freiheit heißt nicht, dass du machen kannst, was du willst, ohne die Konsequenzen zu tragen. Freiheit heißt nicht, dass du dir eine Welt nach Lust und Laune zusammen zimmerst, eine Welt, in der du im Laden nicht bezahlen musst, wo du deine Freunde schlecht behandeln kannst, und sie bleiben trotzdem deine Freunde, eine Welt, in der schlechte Handlungen Leben bringen, weil Gott uns endlich mal einen Gefallen tut. Diese Freiheit gibt es nicht, sie ist eine Fantasie, die bei Kindern verständlich ist, aber bei Erwachsenen zerstörerisch.

Wenn Paulus davon schreibt, dass wir immer jemandem dienen, dann hat er damit im Auge, dass wir uns die Welt nicht willkürlich zurechtbiegen können, sondern wenn wir A sagen, dann müssen wir auch B sagen, und wenn wir X sagen, dann landen wir bei Y. Wenn du dich auf die eine Logik einlässt, dann bringt sie dich immer irgendwo hin. Du kannst nicht nur das eine Ende des Stocks aufheben, das andere hast du dann auch in der Hand.

Wenn Paulus von Freiheit redet, davon, dass wir befreit sind von der Herrschaft der Sünde, dann heißt das: Gott hat uns auf eine Schiene gesetzt, die ins Leben führt, jetzt und in der kommenden Welt. Jesus Christus hat uns durch sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung aus der destruktiven Logik herausgeholt, die das Leben in uns und um uns herum immer mehr beschmutzt und verkümmern lässt. Jesus Christus hat uns befreit von dem Sklavenhalter, der uns unsere Würde nimmt, uns ausnutzt und am Ende zerstört auf den Müll schmeißt. Und jetzt bist du frei, du bist ihn los, du musst ihm nicht mehr gehorchen.

Aber, sagt Paulus, verwechsele das nicht mit dieser Kinderfantasie einer Freiheit, wo wir machen können was wir wollen, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Du bist befreit nicht zu irgendeinem ausgedachten Leben, sondern zu dem neuen Leben, das Jesus Christus gebracht hat und das in sich das große Leben Gottes trägt. Wenn du dich jetzt wieder entscheidest, andere Menschen auszunutzen und zu zerstören, dann holst du dir die gleichen zerstörerischen Konsequenzen ins Haus wie vorher.

Deswegen bleibe bei dieser neuen Logik, zu der Jesus dich befreit hat. Und lass diese neue Logik dein Leben prägen. Arbeite alle Bereiche deines Lebens so durch, dass da überall Jesus drin ist. Du hast vorher der Logik des Todes gedient, jetzt sieh zu, dass alle Bereiche deines Lebens das große Leben Gottes in sich tragen. Dann bist du auf dem Weg, über dem jetzt schon das Aroma des Lebens schwebt, und dieser Weg wird in die neue Welt Gottes führen. Und wenn diese neue Gestalt des Lebens noch auf dem Weg ist – wie bei allen von uns – dann wird Gott in seiner Gnade tatsächlich den Anfang schon für den ganzen Weg nehmen.

Liebe Freunde, Paulus ist der Apostel der Freiheit, der immer wieder davon redet, dass Jesus uns befreit hat und dass wir die Knechtschaft hinter uns gelassen haben. Aber er redet nicht von der illusionären Kinderfreiheit, sondern von der erwachsenen Freiheit, die weiß, dass es Zusammenhänge gibt, die wir nicht ignorieren, abschaffen oder zur Seite wischen können. Wir ändern die Welt nicht, wenn wir gegen diese Zusammenhänge Sturm laufen, wir machen sie damit höchstens noch mehr zur Müllkippe.

Aber gleich daneben liegt das Bessere: die Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, ein Leben, das dieser Welt und uns selbst gut tut, ein Leben in Übereinstimmung mit der Schöpfung und uns selbst, ein Leben im Hören auf den Schöpfer und deine Güte, die uns dann Stück für Stück durchdringt und heilt.

Und unsere Rettung ist die Entdeckung der Liebe Gottes, deren Logik die Schöpfung geprägt hat, die in Jesus plastisch erschienen ist und die uns heilt, wenn wir uns von ihr gestalten lassen.

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