Ein Herz für die Atmosphäre

Predigt am 3. Juni 2007 (Besonderer Gottesdienst) zu Psalm 147

gd2007-06-03_300

Der Gottesdienst thematisierte das Verhältnis zwischen dem Klimawandel und seinen Wurzeln im neuzeitlichen Denken, das unseren ganzen Lebensstil prägt.

Er begann mit Bildern des Planeten Erde und seiner Atmosphäre, die von bewegender Musik begleitet waren. Im weiteren Verlauf gab es einen kurzen Filmausschnitt über die Ursachen des Klimawandels zu sehen, sowie eine Theaterszene, in der sich ein Mann und eine Frau über den Klimawandel, den G8-Gipfel in Heiligendamm in der kommenden Woche, die Zugspitze, das langweilige Fernsehprogramm und andere naheliegende Themen unterhalten.

Da liegen Welten zwischen den globalen Zusammenhängen in der Atmosphäre und der Unterhaltung am Frühstückstisch, die wir danach gesehen haben. Zwei ganz verschiedene Welten, und trotzdem hängen sie so eng zusammen. Dass wir demnächst Probleme mit dem Klima bekommen, das liegt nicht an irgendwelchen fernen Prozessen in der Atmosphäre, sondern das hängt zusammen mit unserer Art zu leben und der Art wie wir denken und reden. Dort oben zeigt sich etwas, was seinen Ursprung in menschlichen Herzen hat. Natürlich nicht in einem oder zwei oder zwanzig Menschenherzen, sondern in der Art, wie die Menschen zuerst in den europäischen Industrienationen, aber inzwischen in der ganzen Welt ihr Verhältnis zur Schöpfung gestalten. Es gibt da eine Art die Welt zu sehen und dann entsprechend zu handeln, die ist anders, als man es früher gemacht hat.

Früher hat man die Natur gefürchtet, man hat sie auch verehrt, man hat mit ihr und von ihr gelebt, aber man hätte nie erwartet, dass sie sich von Menschen radikal verändern lässt. Erst in der Neuzeit hat man die Erde als so etwas wie Material angesehen, über das man einfach so verfügt. Tote Materie, mit der man machen kann, was man will. Auf dieser Annahme ist unser westlicher Lebensstil aufgebaut, und wir haben uns natürlich auch praktisch an ihn gewöhnt. Er ist Teil unseres Alltags, und es ist ganz schwer vorstellbar, den Lebensstil zu ändern, wenn man sich erstmal daran gewöhnt hat, für alles das Auto zu nehmen. Na gut, wenn man es gar nicht merkt, dann könnte es sich auch der Mann aus der Szene vorhin vielleicht vorstellen!

Aber das ist eine Sicht der Dinge, die auf die Dauer nicht funktionieren kann. Dafür gibt es mindestens zwei Gründe:

  • Zum Einen ist die Erde keine passive Materie. Und sie lässt es sich auf die Dauer nicht gefallen, wenn wir sie so behandeln. Sie hat eigene Regeln, die wir nicht einfach ignorieren können. Es hat Folgen, wenn wir in diesen Dimensionen in den Haushalt der Natur eingreifen, und wir sind noch längst nicht so weit, dass wir diese Folgen vorher wirklich gut abschätzen könnten. Wir lernen erst allmählich, dass das Leben geschützt wird durch ein kompliziertes Zusammenspiel von Atmosphäre, Meeren, Eiskappen, der Sonne und den Lebewesen. Da ist nichts wirklich festgeschrieben, aber es ist alles miteinander in einem dynamischen Gleichgewicht. Dieses Miteinander kann viele Eingriffe ausgleichen, aber wenn es beharrlich überlastet wird, dann wird es instabil. Die Erde ist nicht einfach passives Material, mit dem wir beliebig verfahren können, sondern sie hat ihre eigene Ordnung. Sie reagiert.
  • Es gibt aber noch einen ganz anderen Grund, weshalb es auf die Dauer nicht gut geht, wenn wir die Erde als totes Material behandeln. Und das sind wir selbst. Wir sind nämlich auch nicht die autonomen Herren über die Welt, die willkürlich über alles bestimmen. Wir sind äußerlich, aber eben auch innerlich viel mehr ein Teil der Erde, als wir uns das klar machen. Ich habe neulich von einer Untersuchung gelesen, wo man herausgefunden hat, dass Menschen im Krankenhaus weniger Schmerzmittel brauchen, wenn vor ihrem Fenster ein Baum wächst. Stellen Sie sich das vor: allein, dass einer von seinem Kranken­hausbett durch das Fenster etwas grünes Geschaffenes sehen kann, sorgt dafür, dass es ihm besser geht. Wir brauchen die Schöpfung, weil sie offenbar eine Stimme hat, mit der sie zu uns spricht, und wenn wir die nicht hören, dann fehlt uns etwas Wesentliches.

Erinnern Sie sich an den Psalm 147, den wir vorhin gehört haben? Da gab es ein richtiges Ineinander von Gottes Wort und Gottes Schöpfung und dem Lobpreis, den die Schöpfung auslöst:

1 Halleluja – Preist den Herrn!
Ja, es ist gut, unserem Gott zu singen; es macht Freude, ihn mit Liedern zu preisen!
2 Der Herr baut Jerusalem wieder auf, die aus Israel Verschleppten bringt er wieder heim. 3 Er heilt alle, deren Herz zerrissen ist, und verbindet ihre Wunden.
4 Er allein kennt die Zahl der Sterne, er ruft sie alle mit Namen. 5 Unser Herr ist gewaltig, groß ist seine Macht, seine Einsicht hat keine Grenzen. 6 Die Erniedrigten richtet er auf, doch alle, die sich gegen ihn erheben, wirft er zu Boden.
7 Stimmt ein Loblied an für den Herrn, singt unserem Gott zum Klang der Harfe! 8 Er bedeckt den Himmel mit Wolken, schafft den Regen herbei für die Erde, lässt das Gras auf den Bergen wachsen. 9 Allen Tieren gibt er ihr Futter, auch den jungen Raben, die danach schreien.
10 Viele verlassen sich auf ihre schnellen Pferde und die starken Muskeln ihrer Krieger; sie alle sind dem Herrn zuwider. 11 Doch seine Freude hat er an Menschen, die ihn ehren und ihm gehorchen und die mit seiner Güte rechnen.
12 Preise den Herrn, Jerusalem; rühme deinen Gott, du Zionsstadt! 13 Er schafft Sicherheit in deinen Mauern, er segnet das Volk, das in dir wohnt. 14 Glück und Frieden gibt er deinem Land, mit bestem Weizen macht er dich satt.
15 Er schickt seine Befehle auf die Erde und schnell erreicht sein Wort das Ziel. 16 Er lässt den Schnee wie Wollflocken fallen; er streut den Reif wie Asche aus; 17 in Brocken schleudert er den Hagel und schickt den Frost, dem keiner widersteht. 18 Doch wenn er ein Wort spricht, beginnt es zu tauen; sein Atem lässt die Bäche wieder fließen.
19 Seine Weisungen gibt er den Nachkommen Jakobs, Regeln für das Leben seines Volkes Israel. 20 Für kein anderes Volk hat er das getan, kein anderes kennt seine Weisungen.
Preist den Herrn – Halleluja!

Wir brauchen das offenbar auch für uns selbst, dass wir die Schöpfung anschauen und an ihr etwas über Gott ablesen: seine Größe und Majestät, seine Fürsorge und Großzügigkeit, seine Freude am Leben, das er geschaffen hat. Die Schöpfung hat eine Stimme, die etwas zu sagen hat, und wenn wir darauf nicht hören wollen, dann schaden wir uns. Dann fehlt uns etwas Wesentliches. Wir werden dann zu Leuten, die sich auf die starken Muskeln der Krieger verlassen, also auf die Kontrolle und den Zwang, den wir ausüben, und das ist Gott zuwider. Das ist nicht das Muster, nach dem seine Welt funktioniert.

Er hat sie nicht geschaffen als tote Materie, über die wir beliebig verfügen können. Wenn man ein Bild sucht, das besser ausdrückt, wie Gott die Schöpfung angelegt hat, dann müssen wir sie uns eher als Familie vorstellen mit ganz unterschiedlichen Familienmitgliedern. Sie haben unterschiedliche Rollen, sie haben nicht alle das Gleiche zu sagen, aber man muss alle berücksichtigen und zu ihrem Recht kommen lassen. Man kann niemanden ignorieren, und jeder hat seinen Platz. Und diese Schöpfungs-Familie singt miteinander ein Loblied für Gott. Im nächsten Psalm 148 wird dann auch ausdrücklich das ganze Weltall aufgefordert, Gott zu loben.

Dass sich das Klima verändert, das gehört zu den äußeren Folgen unserer neuzeitlichen Art zu leben und zu denken; dass wir dieses Loblied der Schöpfung nicht mehr hören und nicht mehr mitsingen, gehört zu den inneren Folgen. Deswegen geht es im Kern dieser ganzen Umwelt- und Klimaproblematik um ein geistliches Problem. In den weltweiten Folgen des Klimawandels zeigt sich die Verfassung der menschlichen Herzen auch äußerlich. Deswegen ist es so wichtig, dass die Christen sich an diesem Punkt einbringen, weil wir etwas Wesentliches sehen können, was andere so nicht sehen. Wir müssen da nicht schon wieder im Stil des Besserwissers auftreten, davon haben die Menschen zu Recht die Nase voll, aber wir haben etwas Wichtiges zu sagen. Wir wissen, was Umkehr ist. Jesus hat diesen weg zur Umkehr eröffnet. Das Reich Gottes ist nahe, hat er gesagt, für jeden und immer, und deshalb gibt es die reale Möglichkeit umzukehren und die falschen Wege zu verlassen.

Mein Eindruck ist, dass uns dieses Thema der Umkehr schon eine längere Zeit untergründig begleitet. Wir wissen im Grunde alle, dass wir einen Lebensstil haben, der aus vielen Gründen auf die Dauer nicht funktionieren kann. Schon gar nicht, wenn auch andere noch an ihm Anteil haben wollen. Und weil dieses Thema »Umkehr« einfach dran ist, deswegen gibt es auch so viele raffinierte Begründungen, warum es eigentlich gar nicht möglich ist und warum man es noch auf die lange Bank schieben kann. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die ganzen Muster, mit denen der Paul in der Szene vorhin das abgewehrt hat. Man beginnt mit der Verharmlosung (»es ist doch alles nicht so schlimm«), dann sucht man nach Inkonsequenzen im Verhalten von anderen (»die Amis mit ihren dicken Schlitten«, »sollen die da oben doch mal anfangen«, »du machst ja auch den Fernseher nicht aus«), und am Ende sagt man: »ich kann ja doch nichts machen, und es ist sowieso schon alles zu spät«. Das sind die uralten Muster, mit denen Menschen sich schon immer gegen die Einsicht gewehrt haben, dass Umkehr an der Tagesordnung ist.

Ein besonderes Kapitel ist natürlich, dass sich gerade die USA am hartnäckigsten dieser Einsicht verschließen, also das Land, wo in der Politik am meisten von Gott geredet wird. Aber zum Glück gibt es inzwischen in den USA sehr viele Christen, die den Klimawandel deutlich zum Thema machen. Da wächst etwas heran, was hoffen lässt. Und vielleicht sorgt ja Gott wirklich dafür, dass gerade durch diese globale Bedrohung auch eine neue Art von Christentum entsteht, ein Christentum, das sich nicht auf Bettgeschichten und auf den Himmel konzentriert, sondern die Fülle der Schöpfung in den Blick bekommt.

Die entscheidende Frage dabei ist: liegt Gott eigentlich die Schöpfung am Herzen? Und wenn sie Gott am Herzen liegt, dann sollte sie auch uns am Herzen liegen. Aber an dem Punkt müssen wir ganz klar sein: liegt Gott die Welt wirklich am Herzen? Oder ist sie ihm egal, weil sie ja sowieso irgendwann den Bach runter gehen wird, weil sie dem Untergang geweiht ist und die Zukunft sich im Himmel abspielt? Verstehen Sie, was für praktische Auswirkungen solche scheinbar ganz theologischen Fragen haben? Wer nicht damit rechnet, dass Gott diese Welt wirklich am Herzen liegt, dem wird sie auch nicht wirklich am Herzen liegen.

Aber kann man sich das vorstellen, dass Gott eine Welt erschafft, die ihn so deutlich widerspiegelt, die in der Lage ist, ihn zu loben, die mit so viel Liebe und Fantasie gemacht ist, mit so viel Schönheit, eine Welt, die so deutlich zu uns sprechen kann, wenn wir nur hören wollen – und dann sagt er am Ende: weg mit Schaden, ich mach einfach eine neue. Das ist unsere Wegwerfmentalität, aber Gott ist nicht so. Gott ist treu. Er wird diese Welt erneuern, und sie wird uns dann vorkommen, als ob wir sie zum ersten Mal sehen, weil sie dann noch viel herrlicher sein wird als jetzt, aber Gott hält an dieser Schöpfung fest, die er gewollt hat. Und es ist nicht egal, wie wir heute mit ihr umgehen. Alles was wir da richtig, gut und mutig machen, das gehört schon jetzt zur kommenden Welt.

Deswegen sind das die zwei entscheidenden Fragen: liegt Gott diese Welt wirklich am Herzen? Und liegt sie dir wirklich am Herzen? Was das dann praktisch bedeutet, daran muss man dann noch viel überlegen, und wie das politisch umzusetzen ist, da ist auch noch viel zu zu sagen. Aber diese ganzen Fragen der Umsetzung, die kann man sich sparen, solange nicht zuerst die Grundfragen klar sind: liegt Gott diese Welt am Herzen? Und liegt sie mir am Herzen?

Damit die Menschheit eine Zukunft hat, wird die Stimme der Christen dringend gebraucht.

Schreibe einen Kommentar