Israels Weg – Modell für die Völker

Predigt am 13. Oktober 2019 zu Psalm 67,1-8

Dem Musikmeister. Mit Saitenspiel. Ein Psalm. Ein Lied.

2 Gott sei uns gnädig und segne uns. *
Er lasse sein Angesicht über uns leuchten, [Sela]

3 damit man auf Erden deinen Weg erkenne, *
deine Rettung unter allen Völkern.

4 Die Völker sollen dir danken, Gott, *
danken sollen dir die Völker alle.

5 Die Nationen sollen sich freuen und jubeln, /
denn du richtest die Völker nach Recht *
und leitest die Nationen auf Erden. [Sela]

6 Die Völker sollen dir danken, Gott, *
danken sollen dir die Völker alle.

7 Die Erde gab ihren Ertrag. *
Gott, unser Gott, er segne uns!

8 Es segne uns Gott! *
Fürchten sollen ihn alle Enden der Erde.

BESCHREIBUNG

Wegen der Erwähnung der Ernte am Ende des Psalms könnte es sein, dass dieser Psalm ursprünglich zu einem Erntedankfest im Tempel gehört hat. Aber sein eigentliches Thema ist das Verhältnis zwischen Gottes Volk – Israel – , und den anderen Völkern.

Anschauungsbeispiel Israel

Gott hat sich ja ein besonderes Volk ausgewählt, um mit dessen Hilfe seinen Willen unter allen Völkern deutlich zu machen. Die Völker sollen Israels Weg sehen, damit sie von da aus dann auch ihren eigenen Weg mit Gott verstehen können. Israel ist das Anschauungsbeispiel, es ist das Modell, an dem man erkennen kann, was Gottes Wille für die ganze Welt ist.

Zum Beispiel gab es in Israel schon immer den Sabbat, den Ruhetag: einen Tag in der Woche soll man den Hammer aus der Hand legen, den Computer runterfahren, nicht mehr darüber nachdenken, ob es denn alles hinkommen wird, sondern zur Ehre Gottes und zur Entlastung der Menschen sollen wir Pause machen. Ein fauler Tag zur Ehre Gottes! Bei den anderen Völkern gab es das nicht, und noch die alten Römer haben sich über die angebliche Faulheit der Juden aufgeregt. Aber ein paar Jahrhunderte später haben sie den Ruhetag selbst eingeführt. Und heute haben wir alle diesen Tag, an dem man nicht zur Arbeit und nicht zur Schule muss, wo man durchatmen kann und Kraft schöpfen, und wo wir auch Zeit dafür haben, um über Gott und uns selbst nachzudenken und zu prüfen, ob in unserem Leben alles richtig läuft, oder ob wir den Kurs ändern müssen. Israel hat es vorgemacht, und wir alle haben jetzt etwas davon. Deshalb heißt es in dem Psalm immer wieder:

4 Die Völker sollen dir danken, Gott, *
danken sollen dir die Völker alle.

Alle Völker sollen Gott danken, dass er uns dieses Modell des Gottesvolkes gegeben hat, an dem wir seinen guten Willen für alle ablesen können. Und heute ist das Gottesvolk erweitert, weil jetzt auch noch die Jünger Jesu unter allen Völkern dazugekommen sind. Heute sollen auch an den Jüngern und Jüngerinnen Jesu alle Menschen Gottes Willen verstehen.

Das Prinzip der kreativen Minderheit

Aber das Prinzip ist gleich geblieben: Gott arbeitet mit einer Minderheit, an der man sehen kann, was sein guter Wille für alle ist. Gott sucht sich immer einen Teil, in der Regel wenige, um zu zeigen, was für alle gelten soll. Auch Jesus hat zu seinen Jüngern gesagt: ihr seid das Salz der Erde! Also nicht der Teig, sondern das Salz, ein kleiner Teil nur, aber ohne Salz schmeckt das Essen nicht. Und immer wenn die Christen nicht das Salz sein wollten, sondern der ganze Teig, dann ist das in der Regel nicht gut gegangen.

Die Kirche kann ihre Aufgabe am besten erfüllen, wenn sie eine kreative Minderheit ist. Ganze Völker und Staaten sind schwerfällig, es sind große Tanker, die ihren Kurs nur mit Mühe ändern können. Kreative Minderheiten können viel eher etwas ausprobieren – den Sabbat z.B.! oder einen bescheidenen Lebensstil, der die Güter der Erde schont und kein Gift hinterlässt. Und wenn die anderen sehen, dass es auch so geht und sogar Gottes Segen darauf liegt, dann bewegen sie sich vielleicht doch und kommen irgendwann auch auf den Geschmack.

Die Stärke von Minderheiten – im Guten wie im Bösen

Ganze Völker und Nationen ändern sich ja in der Regel nur so, dass sie nach und nach das übernehmen, was kleine Minderheiten ihnen vormachen. Das gilt im Guten, aber leider auch im Bösen: es kann auch sein, das kleine Minderheiten mit ihrem Hass und ihrer Wut ganze Gesellschaften infizieren. Und so einem Menschen wie dem Attentäter von Halle, der in der jüdischen Synagoge dort ein Blutbad anrichten wollte, dem ging es genau darum, vor der Gesellschaft seinen Weg des Hasses und der Gewalt zu propagieren, in der Hoffnung, dass das ansteckend wirkt.

Wir hoffen gerade umgekehrt, dass die Gesellschaft an diesem Punkt endlich klar versteht, zu welchem mörderischen Ende all die Hassreden und versteckten Gewaltfantasien führen. Wir hoffen, dass sich die Gesellschaft und der Staat entscheiden und deutlich sagen: nein, das wollen wir nicht, von dieser Minderheit lassen wir uns nicht bewegen, auch nicht anfangsweise. Hassreden und Verächtlichmachung dulden wir unter uns nicht.

Ein Weltbild des ewigen Kampfes?

Denn es gibt eben nicht nur die kreative Minderheit Gottes, sondern auch Gruppen mit Macht- und Gewaltfantasien, die sich menschliche Beziehungen nur als ewigen Kampf um die Macht vorstellen können. Denen ist die kreative Minderheit Gottes ein Dorn im Auge, weil man an der sieht, dass es auch anders geht: ja, man kann aus dem Vertrauen auf Gottes Güte leben, man kann einen Tag in der Woche frei machen, ohne dass es einem davon schlechter geht. Du kannst ohne Hass und Wut leben, und dann wird es dir besser gehen. Gott sorgt für uns. Wir müssen nicht mit finsterem Gesicht durchs Leben laufen, wenn wir verstehen, dass uns Gott sein strahlendes, leuchtendes Angesicht zuwendet. Deswegen heißt es ja im Segen am Ende des Gottesdienstes: Gott lasse sein Angesicht über dir leuchten! Und der 67. Psalm zitiert diesen Segen, nämlich wenn es heißt:

2 Gott sei uns gnädig und segne uns. *
Er lasse sein Angesicht über uns leuchten

Da wird darum gebeten, dass Gott mit leuchtenden Augen auf seine Leute schauen möge. So wie es einem Kind gut tut, wenn es unter den leuchtenden Augen seiner Eltern aufwächst, die sich an ihm freuen, und nicht unter einem mürrischen Blick, der signalisiert: eigentlich wollen wir dich gar nicht.

Wenn wir spüren, wie Gott uns mit leuchtenden Augen der Freude anschaut, dann bekommt unser Leben Glanz. Jesus muss das ganz intensiv erlebt haben, als Gott bei seiner Taufe zu ihm sagte: du bist mein lieber Sohn, an dir freue ich mich! Und wenn es gut geht, dann breitet sich dieser Glanz von den Gesegneten aus und wirkt so einleuchtend und schön, dass viele andere verstehen: unser Leben sollte nicht von Kampf und Feindschaft geprägt sein, sondern von Freude und Solidarität!

Deshalb geht es im 67. Psalm auch so weiter:

Gott lasse sein Angesicht über uns leuchten,
3 damit man auf Erden deinen Weg erkenne, *
deine Rettung unter allen Völkern.

Der Segen, mit dem Gott sein Volk segnet, der ist nicht bloß für Juden und Christen da, sondern das ist eine Einladung an alle. Alle sollen an Gottes Volk ablesen können, dass Gott an der Seite seiner Geschöpfe steht, dass er für uns ist und nicht gegen uns. Alle sollen an Juden und Christen sehen, wie gut es ist, unter dem freundlichen Blick Gottes zu leben. Und vielleicht soll man es sogar auch ein bisschen an den Muslimen sehen können.

Neid und Bitterkeit

Und das birgt natürlich eine Gefahr in sich. Da können Menschen, die sowieso schon zu Neid und Bitterkeit neigen, auf die Idee kommen, zu sagen: »Das ist gemein! Wieso behandelt Gott die einen besser als die anderen? Warum hat er seine Lieblinge? Sind wir denn weniger wert?«

Und dann kann man darauf hinweisen, dass es kein reines Vergnügen ist, Volk Gottes zu sein. Denn wenn wir unserer Berufung untreu werden und unsere Rolle als kreative Minderheit verweigern, dann wird der Glanz verblassen. Wir haben als Christen keinen Rechtsanspruch auf Gottes Gnade, egal, wie wir uns benehmen. Gottes Glanz ist nicht dazu da, dass du dich faul darin sonnst, sondern der soll die Welt hell machen, und dazu will Gott mit dir zusammenarbeiten.

Man muss sogar sagen: Gott fasst sein Volk manchmal auch hart an, damit alle sehen können, dass man nicht ungestraft seinen Willen ignoriert. Wenn Gottes Leute Gottes Wege verlassen, dann zeigt er uns oft deutlich die Konsequenzen. Und auch daran sollen die anderen erkennen, wie Gott es mit allen Völkern macht. Deswegen heißt es im 5. Vers unseres Psalms:

5 Die Nationen sollen sich freuen und jubeln, /
denn du richtest die Völker nach Recht *
und leitest die Nationen auf Erden.

Die Völker sollen an Gottes Volk auch erkennen, dass er nicht tatenlos zusieht, wenn Recht und Gerechtigkeit mit Füßen getreten werden. Und sie sollen sich über diesen Gott freuen, der dem Unrecht nicht gleichgültig gegenüber steht, sondern ihm aktiv entgegenwirkt.

Feindschaft gegen Gottes Volk

Um auch dafür ein Beispiel zu nennen: Als in den letzten Jahren herauskam, in wie vielen Kirchen und Gemeinden es sexuellen Missbrauch gegeben hat, da hat hat das auch die Glaubwürdigkeit der vielen anderen beschädigt, die auf guten Wegen gehen, bei denen Menschen sicher sind und die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Aber das hat dann auch dazu geführt, dass die Gesellschaft im Ganzen sich endlich diesem Thema gestellt hat und jetzt Aufmerksamkeit dafür entwickelt, wo es überall sonst noch Missbrauch gibt. Denn der passiert ja wahrlich nicht nur im kirchlichen Bereich. Das ist natürlich kein Spaß für all die, denen jetzt unverdienter Weise Misstrauen entgegen schlägt. Aber sogar durch diese finsteren Geschehnisse kann Gott am Ende noch etwas Gutes für alle bewirken, indem jetzt endlich dieses schlimme Thema auf den öffentlichen Tisch gekommen ist und nicht mehr verschwiegen wird.

Nein, es ist kein reines Vergnügen, Volk Gottes zu sein. Gerade auch, weil Juden und Christen oft der Feindschaft all derer ausgesetzt sind, die sich lieber dem Hass überantworten als dem Vertrauen, die nicht an Freundlichkeit glauben, sondern an Kampf. Die Juden haben das oft noch viel stärker zu spüren bekommen als die Christen. Hitlers Hass auf die Juden war letztlich Hass auf den Gott, der sie berufen hatte, den Gott der Freiheit und des Vertrauens, der alles verkörperte, was Hitler nicht hatte. Aber wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte, dann hätten danach nicht mehr nur die jüdischen Gotteshäuser gebrannt, sondern auch die christlichen. Die Jünger Jesu hätten das Schicksal der Juden geteilt. Das darf man nie vergessen.

Trotz alledem ist der Grundton Jubel

Ihr merkt, die aktuellen Ereignisse haben meine Aufmerksamkeit selbst bei diesem Psalm voller Dank und Jubel auf die dunkle Rückseite gelenkt. Aber wir wollen nicht vergessen, dass das Grundlegende und Wichtigste dieser strahlend helle Schein ist, der über uns aufgegangen ist:

6 Die Völker sollen dir danken, Gott, *
danken sollen dir die Völker alle.

8 Es segne uns Gott! *
Fürchten sollen ihn alle Enden der Erde.

Das Volk Gottes, Israel und die Christenheit, es ist dazu da, dass alle Menschen verstehen, dass Gott grundlegend freundlich auf uns schaut, dass er seinen Segen mit vollen Händen ausstreut und wir bis heute davon leben. Er ist die Quelle alles Guten, und unter seinem freundlichen Blick zu leben und diesen Blick zu erwidern, das bedeutet Leben, Glück und Freude. Deswegen sollen wir Respekt vor dieser Quelle haben, damit wir sie nicht verschmutzen oder auch nur trüben. Denn am Ende soll sich von einer versöhnten Erde das große Lob Gottes erheben, in das alle Nationen und auch die nichtmenschlichen Geschöpfe einstimmen.

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