Furchtbar und wunderbar

Predigt am 29. September 2019 zu Psalm 66,1-20

Dem Musikmeister. Ein Gesang. Ein Psalm.

Jauchzet Gott zu, alle Lande,/
2 spielt zum Ruhm seines Namens,*
verherrlicht ihn mit Lobpreis!

3 Saget zu Gott/
Wie furchtgebietend bist du in deinen Werken! *
Ob deiner gewaltigen Macht schmeicheln dir deine Feinde.

4 Die ganze Erde betet dich an und singt dir,*
sie singt deinem Namen!

5 Kommt und schaut die Taten Gottes! *
Furchtgebietend ist er in seinem Tun an den Menschen

6 Er machte das Meer zu trockenem Land,/
sie zogen zu Fuß durch den Strom.*
Dort waren wir über ihn voll Freude.

7 In seiner Kraft ist er Herrscher auf ewig, /
seine Augen wachen über die Völker,*
damit kein Empörer sich gegen ihn auflehnt.

8 Ihr Völker, preist unsern Gott,*
lasst laut seinen Lobpreis erschallen.

9 Er erhielt uns am Leben,*
ließ unsern Fuß nicht wanken:

10 O Gott, du hast uns geprüft,*
hast uns geläutert, wie man Silber läutert,

11 du brachtest uns in ein Fangnetz,*
legtest uns drückende Last auf den Rücken,

12 du ließest Menschen treten auf unser Haupt,/
wir gingen durch Feuer und Wasser.*
Aber du hast uns herausgeführt, hin zur Fülle.

13 Nun komme ich mit Opfern in dein Haus,*
erfülle dir meine Gelübde,

14 was meine Lippen dir versprachen,*
was in der Not mein Mund gelobte:

13 Fette Schafe bringe ich dir als Brandopfer dar/
zusammen mit dem Rauch von Widdern,*
ich bereite dir Rinder und Böcke.

14 Die ihr Gott fürchtet, kommt alle und hört,*
ich will erzählen, was er mir getan hat:

17 Mit meinem Mund habe ich zu ihm gerufen,*
da lag mir schon der Lobpreis auf der Zunge.

18 Hätt‘ ich es abgesehn auf Böses,*
würde der Herr nicht hören.

19 Aber Gott hat gehört,*
er hat geachtet auf mein lautes Beten,

20 Gepriesen sei Gott!/
Denn er wies mein Gebet nicht zurück,*
er hat mir seine Liebe nicht entzogen.

BESCHREIBUNG

Dieser Psalm besingt die großen Taten Gottes unter den Völkern. Und gleichzeitig hören wir da den Dank eines Einzelnen, der von Gott bewahrt worden ist vor großem Übel. Und das ist kein Widerspruch, sondern es ist derselbe Gott, der Befreiung für Israel und die Völker bedeutet und Befreiung für Einzelne in ihrer ganz persönlichen Bedrückung.

Der Gott, den du aus Ägypten kennst

Vielleicht kennen manche von uns solche Diskussionen, wo darum gestritten wird, wofür Gott zuständig ist: nur für das persönliche Schicksal eines Menschen, vielleicht nur für sein inneres Ergehen, vielleicht auch für sein Verhalten, oder auch für seine politischen Entscheidungen, oder aber für den Weg ganzer Völker? Ist Gott nicht dem Persönlichen näher als der großen Welt von Geld und Macht?

Der Psalm beantwortet diese Frage, indem er beides zusammenbringt. Vielleicht waren es ursprünglich mal sogar zwei verschiedene Texte: eine Dankliturgie aus dem Tempel und ein persönliches Dankgebet für Hilfe und Rettung. Aber irgendwann hat jemand beides in einen Psalm zusammenkomponiert und damit deutlich gemacht: im Großen wie im Kleinen ist es derselbe Gott, zu dem wir kommen, und seine Handschrift ist überall dieselbe.

Und die wirklich lohnende Frage ist nicht: »was ist Gottes eigentlicher Bereich, sein zentrales Betätigungsfeld?« sondern: »Was ist das für ein Gott, und was können wir immer und überall von ihm erwarten?« Diese Frage lautet In die biblische Sprache übersetzt: »was ist Gottes Name?« Wenn die Menschen der Bibel ausdrücken wollten, wie Gott ist, dann fragten sie nach Gottes Namen. Er selbst nennt sich manchmal »Der Gott, den du aus Ägypten kennst«, also durch die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, den Exodus: »Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.« (2. Mose 20,2) Das ist das erste Gebot, und an dieser zentralen Stelle definiert sich Gott geradezu über diese Befreiungstat.

Gott kann richtig unangenehm werden

Und davon handelt auch der erste Teil unseres Psalms. »Er machte das Meer zu trockenem Land, sie zogen zu Fuß durch den Strom«, nämlich die befreiten ägyptischen Sklaven auf ihrer Flucht vor dem Pharao. Gott verhalf ihnen zur Flucht, und in höchster Gefahr öffnete er ihnen einen Fluchtweg durch das Schilfmeer hindurch.

Und das wird hier charakterisiert mit einem Wort, das man manchmal mit »wunderbar« übersetzen kann, aber eigentlich heißt es »furchtbar«. Für die Sklaven war es wunderbar, dass sie nicht in der Wüste niedergemetzelt wurden, aber gleichzeitig bekamen sie einen gehörigen Schrecken, mit was für einer Macht sie sich da eingelassen hatten. Gott ist kein netter Gott, der uns das Leben ein bisschen komfortabler macht, sondern er verteidigt mit aller Macht die Freiheit und das Wohlergehen seiner Geschöpfe. Wenn das mit Füßen getreten wird, dann kann er richtig unangenehm werden. So unangenehm und zornig, dass auch die, denen er geholfen hat, neben der Freude und Erleichterung einen gehörigen Schrecken bekommen.

Und für den Fall, dass jetzt gerade jemand denkt: wir haben zum Glück ja Jesus, der ist doch viel harmloser! – Nein, das ändert auch Jesus nicht. Als wahrer Gott und wahrer Mensch konnte Jesus ziemlich böse werden. Er hat die Pharisäer Heuchler und Zombies genannt, die Bankschalter im Tempel demoliert und den Oberjünger Petrus einmal als Satan bezeichnet.

Durch Wasser und Feuer

Gott ist kein zahmer Gott, der sich den Regeln des guten Benehmens unterwirft, aber er ist ein treuer Gott, der über seine Geschöpfe wacht. Und auch seine Freunde dürfen nicht denken, dass es es bei ihnen nicht so genau nimmt, nur weil sie seine Freunde sind oder wenigstens so tun, als ob sie seine Freunde wären. Dort im Tempel erzählen sie davon, wie Gott sie geprüft hat, auf der Flucht durch die Wüste, als das Gemecker immer lauter wurde, weil Freiheit und Selbstverantwortung anstrengend sind, als sie am liebsten wieder zurück in die Sklaverei wollten, in ihre persönliche Komfortzone, wie sie plötzlich meinten. »Du hast uns geprüft und gereinigt, wie man Silber in der Hitze des Schmerzofens von schlechten Beimischungen reinigt« sagen sie im Rückblick. »Wir gingen durch Feuer und Wasser.«

Vielleicht denken sie beim Feuer auch schon an die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier. Da bekam Israel eine furchtbare Quittung für die ägyptischen Zustände, für Unterdrückung, Ausbeutung und religiöse Heuchelei, die sich damals auch im Volk Gottes wieder ausgebreitet hatten.

Der Rahmen ist ein Loblied

Aber das Ganze ist eingebettet in ein großes Loblied auf Gott: freut euch über Gott, dass er so stark ist, dass er mit seiner ganzen Macht aufsteht gegen die Entmenschlichung des Menschen und die Misshandlung seiner Geschöpfe. All ihr Völker, lobt Gott für seine großen Taten, die in Israel sichtbar geworden sind! Aber Israel ist nur ein Modell, an dem verständlich werden soll, wie Gott auf der ganzen Welt handelt. Lobt Gott für seine Taten an Israel, weil er an euch, ja, an der ganzen Welt auch so handeln wird. Gott liebt seine Menschen viel zu sehr, als dass er uns Halbheiten und Zwergenaufstände durchgehen lassen würde. Ein Glück!

Deswegen gibt es in unserem Gesangbuch ein Loblied (EG 279), das genau nach diesem Psalm gedichtet ist und das wir nachher auch singen werden. Wir loben Gott dafür, dass er uns nötigenfalls in den Weg tritt, dass er unsere schlechten Pläne durchkreuzt, dass er nicht die Kanonen segnet, auch wenn seine Kirche es manchmal tut, dass er so einflussreich ist, dass selbst seine Feinde sich scheinheilig als Menschenfreunde tarnen müssen.

Wir loben Gott dafür, dass er die Empörer in Schach hält, die ihn am liebsten weit weg hätten, damit er ihre Geschäfte nicht stört. Wir loben Gott für seine furchtbare Macht, mit der er die Pläne derer durchkreuzt, die seine Schöpfung plündern und vergiften wollen. Wir loben Gott dafür, dass er uns stolpern lässt, wenn wir in Versuchung kommen, bei ihnen mitzumachen.

Der Rahmen passt für meine Lebensgeschichte

Und dann – das ist der zweite Teil des Psalms – stellen wir uns vor, dass einer aufsteht und sagt: Liebe Freunde und Glaubensgeschwister, was ihr da im Großen beschreibt, das ist mir genau so im Kleinen begegnet. Meine Lebensgeschichte passt da genau hinein. Ich war nahe am Scheitern, es hätte alles in einer persönlichen Katastrophe enden können, aber ich habe gebetet, und im Stillen war ich mir schon sicher, dass Gott mir helfen würde. Ich habe im Geheimen schon das Lied der Freude gesungen, als alles noch anders aussah. Und jetzt ist der Moment gekommen, es laut zu sagen: In all dem war ich sicher geborgen in Gottes Liebe, und so schlimm auch alles war, ich habe es gefühlt und geahnt, dass er seine Güte nicht von mir nimmt.

Und vor allem sagt mir das: es war richtig, dass ich an meinem Weg festgehalten habe. Er war richtig, das habe ich auch früher schon gewusst, aber jetzt habe ich die Bestätigung: auf einem falschen Weg hätte Gott mich nicht so treu begleitet.

Und man kann sich aus unserer heutigen Perspektive vorstellen, dass durch diesen Menschen des Alten Testaments schon Jesus redet und sagt: ich habe immer gewusst, dass Gott zu meinem Weg Ja sagt, dass er sich über mich freut und mir helfen wird, und selbst als ich sterben musste, war diese Hoffnung noch da. Aber jetzt, nachdem Gott mich auferweckt hat, ist es ganz ohne Zweifel, dass er meinen Weg bestätigt und Ja gesagt hat zu dem, was ich getan und gelehrt habe.

So steht hinter diesen Versen des Alten Testaments schon die größere Wahrheit, die sich erst nach und nach enthüllen wird. Und wir können deshalb voll mitziehen mit diesem Menschen, der vor zweitausendvierhundert Jahren vielleicht mit wertvollen Opfertieren zum Tempel kam und sagte: ich habe Gott in der Not versprochen, ihm etwas zurückzugeben für seine Hilfe, und das will ich jetzt tun.

Momente, die nicht vergessen werden sollen

Klar, Gott braucht keine Opfer und verlangt sie auch nicht, und heute kommen wir meistens auch nicht mit fetten Schafen, Kuh und Ziege zur Kirche, um sie dort dem Pastor zu schenken. Aber es geht immer noch um die Einsichten aus den Zeiten voller Angst oder Bedrängnis. Die sollen nicht vergessen werden.

»Wenn ich diese Krankheit überlebe, dann höre ich wirklich mit dem Rauchen auf« gehört da vielleicht noch zu den harmlosesten Ideen. Es gibt ja noch viele andere Gelegenheiten, wo die umfassende Einsicht wächst, dass das Leben eigentlich nicht mehr so weitergehen sollte wie bisher. Dass das Leben zu kurz ist, um es mit Harmlosigkeiten und Unwichtigkeiten zu verplempern.

Kostbare Momente, wo der Vorhang der Verharmlosung zerreißt und ein Mensch realisiert, wie er andere in ihrer Berufung behindert und Lebenswege kärglich gemacht hat. Kostbare Momente auch, wo Menschen ihre Grenzen erleben, wo sie ihr Lebenskonzept in Frage stellen, wo sie merken, dass sie manchmal gerade mit ihrem besten Willen die schlimmsten Dinge anrichten, wo ihnen ihre Selbstverständlichkeiten ins Rutschen geraten, wo sie endlich aufwachen und die Konflikte sehen, vor denen sie beharrlich die Augen zugemacht haben. Momente, in denen die Nebelkerzen ihre Wirkung verlieren und sich Klarheit ausbreitet. Kostbare Momente auch, wenn ganze Länder verstehen, dass sie auf dem falschen Weg waren und nach Wegen der Umkehr zu suchen beginnen. Es sind immer ähnliche Bewegungen, im Großen wie im Kleinen.

Das sind die Momente, die im Tempel gefeiert werden müssen, damit sie nicht verlorengehen und versacken, sondern Kraft entfalten und den Lebensweg korrigieren. Es sind die Augenblicke, in denen Gott uns seine gewaltige Macht spüren lässt, damit wir das Zagen und Zaudern hinter uns lassen und mutig werden. Es sind diese Schafe-Kuh-und-Ziege-Momente, die erst wirklich festschreiben, was wir in den Spitzenmomenten zu sehen bekommen haben.

Vorbereitung auf die Zukunft

Wir haben heute leider wenig Gelegenheiten, die zu feiern, wir vertrauen das lieber wenigen vertrauten Menschen oder nur dem Tagebuch an, wenn überhaupt, aber diese Goldenen Augenblicke mitten in der Bedrückung erhalten nur dann ihre Kraft, wenn sie irgendwie auch zum Ausdruck gebracht werden, je klarer, desto besser. Das haben die Menschen der Bibel besser gewusst als wir Modernen. Aber deshalb hat ihr Vertrauen in Gott auch so viele harte Zeiten überstanden und hat sie immer klarer und gefestigter gemacht, hat die Ängstlichkeit vertrieben und die Freude auch in Zeiten der Unsicherheit bewahrt.

Wir werden uns ja wohl als Gemeinden Jesu in Deutschland darauf einstellen müssen, dass wir Menschen noch in ganz anderen Katastrophen begleiten werden als bisher, nicht nur in kleinen und persönlichen, sondern in sehr großen Katastrophen. Es kann sein, dass wir noch um sehr schlimme Dinge klagen und beten müssen. Es kann sein, dass wir viele dunkle Momente vor uns haben. Deshalb sollen wir rechtzeitig lernen, dass es völlig legitim ist, wenn dann hinter jeder Bitte um Hilfe doch immer schon ein Loblied lauert, weil wir auf die furchtbare Macht Gottes vertrauen, der seine Güte nicht von seinen Leuten abwendet.

Und wenn wir das so gelernt haben, dann bahnen wir vielleicht auch anderen den Weg dahin, in den dunklen Augenblicken doch schon das helle Licht der furchtbaren, wunderbaren Macht Gottes zu erkennen.

Schreibe einen Kommentar