Auf das Ende kommt es an!

Predigt am 7. Oktober 2018 zu Psalm 37

Bild: geralt via pixabay, Lizenz: creative commons CC0

Mit dem 37. Psalm lernen wir einen neuen Psalmtyp kennen. Seine Strophen (die jeweils vier Zeilen umfassen) sind nach den Buchstaben des hebräischen Alphabets geordnet. Die erste Strophe beginnt also mit dem hebräischen A (א), die zweite mit dem hebräischen B (ב) usw. Man nennt das ein »Akrostichon«. Es war besonders bei Weisheitslehrern beliebt. Ein Akrostichon war einerseits eine Kunstform, andererseits konnte man so den Psalm auch besser auswendig lernen. Dadurch wird aber auch die Gedankenführung manchmal ein bisschen holprig. In der Übersetzung kann man das nicht nachmachen, aber wir können schließen, dass der Psalm von Menschen stammt, die gewohnt waren, mit geschriebenen Texten umzugehen. Er ist deshalb wohl erst relativ spät entstanden. Und er ist nicht kurz. Man muss sich als Verfasser einen lebenserfahrenen Weisheitslehrer vorstellen, der seine Erfahrung nun konzentriert an Jüngere weitergibt.

1 Von David.
Entrüste dich nicht über die Bösen,
sei nicht neidisch auf die Übeltäter.
2 Denn wie das Gras werden sie bald verdorren,
und wie das grüne Kraut werden sie verwelken.
3 Hoffe auf den HERRN und tue Gutes,
bleibe im Lande und nähre dich redlich.
4 Habe deine Lust am HERRN;
der wird dir geben, was dein Herz wünscht.
5 Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn,
er wird’s wohlmachen
6 und wird deine Gerechtigkeit heraufführen wie das Licht
und dein Recht wie den Mittag.
7 Sei stille dem HERRN und warte auf ihn.
Entrüste dich nicht über den, dem es gut geht, der seinen Mutwillen treibt.
8 Steh ab vom Zorn und lass den Grimm,
entrüste dich nicht, dass du nicht Unrecht tust.
9 Denn die Bösen werden ausgerottet;
die aber des HERRN harren, werden das Land erben.
10 Noch eine kleine Zeit, so ist der Gottlose nicht mehr da;
und wenn du nach seiner Stätte siehst, ist er weg.
11 Aber die Elenden werden das Land erben
und ihre Freude haben an großem Frieden.
12 Der Frevler droht dem Gerechten
und knirscht mit seinen Zähnen wider ihn.
13 Aber der Herr lacht seiner;
denn er sieht, dass sein Tag kommt.
14 Die Frevler ziehen das Schwert und spannen ihren Bogen,
dass sie fällen den Elenden und Armen und morden die Frommen.
15 Aber ihr Schwert wird in ihr eigenes Herz dringen,
und ihr Bogen wird zerbrechen.
16 Das Wenige, das ein Gerechter hat,
ist besser als der Überfluss vieler Frevler.
17 Denn die Arme der Frevler werden zerbrechen,
aber der HERR erhält die Gerechten.
18 Der HERR kennt die Tage der Frommen,
und ihr Erbe wird ewiglich bleiben.
19 Sie werden nicht zuschanden in böser Zeit,
und in den Tagen des Hungers werden sie satt werden.
20 Denn die Frevler werden umkommen;
und die Feinde des HERRN, wenn sie auch sind wie prächtige Auen,
werden sie doch vergehen, wie der Rauch vergeht.
21 Der Frevler muss borgen und bezahlt nicht,
aber der Gerechte ist barmherzig und gibt.
22 Denn die Gesegneten des Herrn erben das Land;
aber die er verflucht, werden ausgerottet.
23 Von dem HERRN kommt es, wenn eines Mannes Schritte fest werden,
und er hat Gefallen an seinem Wege.
24 Fällt er, so stürzt er doch nicht;
denn der HERR hält ihn fest an der Hand.
25 Ich bin jung gewesen und alt geworden
und habe noch nie den Gerechten verlassen gesehen
und seine Kinder um Brot betteln.
26 Er ist allezeit barmherzig und leiht gerne,
und seine Nachkommen werden zum Segen sein.
27 Lass ab vom Bösen und tue Gutes,
so bleibst du wohnen immerdar.
28 Denn der HERR hat das Recht lieb
und verlässt seine Heiligen nicht.
Ewiglich werden sie bewahrt,
aber das Geschlecht der Frevler wird ausgerottet.
29 Die Gerechten werden das Land ererben
und darin wohnen allezeit.
30 Der Mund des Gerechten spricht Weisheit,
und seine Zunge redet das Recht.
31 Das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen;
seine Tritte gleiten nicht.
32 Der Frevler lauert dem Gerechten auf
und sucht ihn zu töten.
33 Aber der HERR lässt ihn nicht in seiner Hand
und verdammt ihn nicht, wenn er verurteilt wird.
34 Harre auf den HERRN und halte dich auf seinem Weg,
so wird er dich erhöhen, dass du das Land erbest;
du wirst es sehen, dass die Frevler ausgerottet werden.
35 Ich sah einen Frevler, der pochte auf Gewalt
und machte sich breit und grünte wie eine Zeder.
36 Da man vorüberging, siehe, da war er dahin.
Ich fragte nach ihm; doch ward er nirgends gefunden.
37 Bleibe fromm und halte dich recht;
denn einem solchen wird es zuletzt wohlgehen.
38 Die Übertreter aber werden allesamt vertilgt,
und die Frevler werden zuletzt ausgerottet.
39 Aber der HERR hilft den Gerechten,
er ist ihre Stärke in der Not.
40 Und der HERR wird ihnen beistehen und sie erretten;
er wird sie von den Frevlern erretten und ihnen helfen;
denn sie trauen auf ihn.

Warum sieht es oft so aus, als ob die Übeltäter und Unheilstifter obenauf bleiben und ungestraft bleiben? Warum geht es Leuten gut, die dauernd Schaden anrichten? Das ist die Frage des Psalms. Und es ist natürlich auch eine ewige Menschheitsfrage: ist die Welt gerecht? Warum sollte ich gut sein, wenn man auch als Charakterschwein durchkommt, vielleicht sogar: besser durchkommt? Warum setzt sich ein Mörder und Folterer wie Assad in Syrien durch, der sein Land verwüstet und Millionen ins Unglück treibt?

Die Frage nach der Gerechtigkeit

Und wenn man die Psalmen ganz liest und nicht nur die erbaulichen Passagen, die sich eignen, um auf schöne Spruchkarten gedruckt zu werden, dann merkt man, dass es da ganz oft um diese Fragen geht. In Israel war diese Frage noch mal verschärft, weil sie Gott zuallererst als gerechten Gott kannten. »Der Herr hat das Recht lieb« heißt es auch in diesem Psalm. Unser Gott achtet darauf, ob wir gerecht leben, und du kannst ihn nicht mit Opfern und prächtigen Gottesdienstevents bestechen, wenn dein Leben nicht stimmt. Aber dann kann es doch nicht sein, dass es den Frevlern, den Zerstörern gut geht!

Das erste, was der Weise dazu sagt, ist: pass auf, dass du von dieser Frage nicht in Entrüstung und Bitterkeit getrieben wirst! Man kann sich über die Ungerechtigkeit so aufregen, dass man selbst ungerecht wird. Auch gute Leute können dadurch so verbittert werden, dass sie dann zu jedem Mittel greifen, um irgendwie Gerechtigkeit herzustellen, und dann werden sie Terroristen oder Moralapostel oder Menschenfeinde und vermehren noch das Böse in der Welt. Empörung ist nie eine Lösung. Sie fixiert Menschen auf das Böse und am Ende werden sie selbst böse. Deshalb:

8 Steh ab vom Zorn und lass den Grimm,
entrüste dich nicht, dass du nicht Unrecht tust.

Wir haben vorhin in der Lesung (Matthäus 26,50-56) gehört, wie Jesus vor seinem Tod unbedingt verhindern wollte, dass seine Jünger ihn mit Waffen gegen die Tempelpolizei verteidigten. Dann hätten sie einfach seine Feinde kopiert und wären so geworden wie die. Jesus steht hier also in einer Linie mit dem, was schon den Weisen Israels lange vorher klar war.

Sieh das ganze Bild an!

Stattdessen sagt dieser Weisheitslehrer: lass dich nicht von einer Momentaufnahme beeindrucken, sondern warte ab und schau erst, was daraus wird! Denk vom Ende her! Auf die Dauer kommen die Zerstörer eben nicht so einfach durch. Assad regiert immer noch Syrien, ja, aber denk an Saddam Hussein im Irak und Gaddafi in Libyen – wie die am Ende getötet worden sind, das würde man auch einem Feind nicht wünschen. Viele Drogenbosse und Bandenchefs und Warlords sterben jung und nicht freiwillig. Und auch, wenn es nicht gleich um hohe Politik geht, sondern um ganz normale Menschen, dann würden mir auch manche Lebensläufe einfallen, wo Menschen bitter dafür bezahlen mussten, dass sie glaubten, sie könnten andere nach Lust und Laune herumschubsen und schikanieren. Es ist ja überhaupt nicht so, dass sie nur ganz oben Unheil anrichten. Ganz normale Menschen tun das auch, nur steht es dann meistens nicht gleich in der Zeitung. Aber wer andern eine Grube gräbt, der fällt tatsächlich schnell selbst rein, im Großen wie im Kleinen. Nicht immer, aber gar nicht so selten.

Und wenn man Menschen dauernd schlecht behandelt, das kommt durchaus zu einem zurück. Sie kennen vielleicht den Spruch »Man trifft sich immer zweimal im Leben«. Wer es sich mit allen verdirbt, der hat am Ende wenig Freunde. Und wer seine Macht rücksichtslos ausnutzt, was ist der eigentlich noch ohne seine Macht? Wie wenig an menschlicher Tiefe und Kraft ist in vielen dieser Machtmenschen, die anderen das Leben schwer machen? Es gibt genug Alphatiere, die ein Leben lang das große Wort geführt haben, sich immer vorgedrängt haben und dann als alte Menschen um ein bisschen Aufmerksamkeit und Zuwendung fast schon betteln, weil sie nie gelernt haben, in sich selbst zu ruhen und in der Gemeinschaft mit Gott ihre Freude zu finden.

Gerecht zu leben bringt Früchte

Und auf der anderen Seite sagt der Weise: es ist keineswegs so, dass die Gerechten immer die Doofen sind, die am Ende die Zeche zahlen. Nein, es ist gut, wenn du ein gerechtes Leben führst. Da ist eben nicht schon der Keim der Zerstörung drin, sondern da liegt Segen drauf. Du wirst merken, wie Gott dir in Gefahr und Bedrängnis beisteht. Auf die Dauer kommst du besser durch, wenn du solide wirtschaftest anstatt zu tricksen. Deine Kinder werden gedeihen, du wirst an ihnen Freude haben – wieviel Streitereien gibt es dagegen in Familien, wo die Kinder schon von den Eltern das Streiten und Lügen lernen. Langfristig lohnt es sich, gerecht zu bleiben.

Vor allem zerstörst du so deine Verbindung zu Gott nicht, du kennst seinen Willen, und der wird dir gute Entscheidungen ermöglichen, du kennst in guten wie in bösen Tagen den richtigen Weg, du hast Frieden in deinem Herzen und musst dich nicht empören, du hältst auch in schwierigen Umständen deinen Kurs, und das wird sich auch ganz äußerlich bemerkbar machen. Viele kleine Schritte in die richtige Richtung geben am Ende einen schönen Weg.
Und immer wieder die Verheißung: die Gerechten werden das Land erben. Sie werden auf dem von Gott geschenkten Land wohnen bleiben, im Heiligen Land Israel. Jesus hat das später in den Seligpreisungen aufgenommen und erweitert: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen!

Es gibt aber auch die anderen Erfahrungen

Aber nun gibt es auch die anderen Erfahrungen: wo die Tyrannen eben doch friedlich in ihrem Bett sterben. Wo die alten Seilschaften auch in einer neuen Ordnung wieder an den Fleischtöpfen sitzen. Wo es einer bis zuletzt schafft, seine Umgebung zu manipulieren und auszunutzen. Wo einer Menschen missbraucht und ungestraft davon kommt, weil er das Geld und die Macht hat, um die Zeugen zum Schweigen zu bringen. Wo Opfer ein Leben lang die Folgen tragen und die Täter bleiben angesehene Stützen der Gesellschaft.

Und gleich im nächsten Psalm, in Psalm 38, hören wir genau diese Stimme. Da schreit einer zu Gott und sagt: Hilf mir! Warum tust du nichts? Ich komme nicht an gegen diese Gewaltmenschen! Greif doch endlich ein! Über den Psalm werde ich auch noch predigen.

Die Welt ist nicht klar und einfach

Und als sie die Psalmen zusammengestellt haben, da haben sie mit Absicht Psalm 37 und 38 nebeneinander gesetzt. Und das macht die Bibel so glaubwürdig, dass sie da nichts von diesen Erfahrungen verschwiegen haben: Ja, Gott beschützt die Gerechten, er segnet sie, schau auf das Ende, da wirst du es sehen! Und genauso: Gott, du hast es doch versprochen, dass du denen beistehst, die dich lieben – warum hilfst du mir nicht? Beide Erfahrungen gibt es, beides passiert, und wir können das nicht einfach zählen und nachrechnen, was häufiger vorkommt. Es ist nicht so, dass die Gerechtigkeit immer garantiert siegt. Aber es ist auch nicht so, dass man als Charakterschwein immer automatisch besser dran ist. Es gibt einen Kampf darum, wie die Welt wirklich ist, und wir stecken mitten drin. Am liebsten wären wir natürlich neutral und würden als Zuschauer abwarten, wer gewinnt, aber das geht nicht. Wir stehen mit dem, was wir tun, immer auf einer Seite. Und die Bibel will uns eine Anleitung sein, die uns hilft, die Welt zu verstehen.

Und wenn man die Bibel im Ganzen liest, dann merkt man, wie sich dieser Konflikt zuspitzt: die Guten werden besser und klarer, und die Frevler werden immer zerstörerischer. Bei Jesus schließlich steht dann auf der einen Seite der Mensch, der völlig klar Gottes guten Willen verkörpert, und auf der anderen Seite die, die diesen Menschen um jeden Preis zerstören wollen. Und dann weiter bis zur Offenbarung des Johannes, wo der Konflikt zwischen Leben und Zerstörung kosmische Ausmaße annimmt.

Und man hat immer öfter das Gefühl, es geht gar nicht mehr so sehr um den einen schmutzigen Gewinn hier oder ein bisschen Machtgier dort, sondern es geht ums Ganze: Wird die Schöpfung eine Welt des Segens, des Friedens und der Gerechtigkeit sein, oder wird sie von den Mächten der Zerstörung zugrunde gerichtet? Bringt Gott seine Welt zu seinem Ziel oder – schafft er es am Ende doch nicht? Dieser große Konflikt spiegelt sich wider in all den kleinen Konflikten und Zerreißproben, aber der Zusammenhang wird erst allmählich klar. Und auf beiden Seiten können die Siege von heute die Niederlagen von morgen sein. Alles ist sehr unübersichtlich.

Der Moment der Entscheidung

Aber dieser Kampf ist an einer Stelle schon bis zum Ende durchgefochten worden: im Leben, dem Tod und der Auferstehung Jesu. Da hat Gott das letzte Wort behalten, er hat dem Gekreuzigten neues Leben geschenkt, Auferstehungsleben. Da ist die Sache schon endgültig entschieden. Da hat das Leben triumphiert. Und wir vertrauen darauf, dass unser Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat, auch die ganze Welt am Ende herrlich erneuern wird.

Der Weisheitslehrer, der den Psalm verfasst hat, hat also die Grenzen der Weisheit hinter sich lassen müssen. Er kann nicht wirklich sagen, wie die Welt ist, wie wir es doch von einem Weisen erwarten würden. Zuletzt kann er nur sagen: warte das Ende ab und vertraue auf Gott, im Großen wie im Kleinen. Wir haben es nicht mit Prinzipien und Naturgesetzen zu tun, sondern mit dem lebendigen Gott.

Gott wird die Welt ans Ziel bringen

Wir können Gottes Handeln nicht berechnen oder voraussehen, aber er ist vertrauenswürdig. Und er antwortet auf das, was du tust. Auf dein Beten ebenso wie auf deine Lebenspraxis. Du kannst mutig und klar sein, weil Gott mit dir ist, du musst dich nicht fürchten, es ist super-richtig, seinen Willen zu tun. Aber er garantiert dir nicht, dass alles nach deinen Wünschen geht. Er kommt nicht im Helikopter und holt dich raus, wenn es zu gefährlich wird. Er schickt nicht die 12 Legionen Engel – noch nicht mal für Jesus hat er das getan. Aber er ist vertrauenswürdig.

Am Ende kommt die Schöpfung ans Ziel. Am Ende steht die Auferstehung. Und wir werden froh sein über alle Entscheidungen, wo wir den Weg Gottes gegangen sind; und in der Haut der Zerstörer möchte ich dann nicht stecken. Und zum Glück erleben wir auch jetzt schon immer wieder, dass die Unheilstifter scheitern und die Gerechten nicht umsonst hoffen.

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