Ein Tisch im Angesicht der Feinde

Predigt am 8. September 2002 zu Psalm 23,5

Als Jesus den Jüngern nach seiner Auferstehung wieder begegnete, da erkannten sie ihn zuerst nicht. Er war ja so verändert. Aber es gab einen Moment, wo es ihnen sofort deutlich wurde, dass er es war: das war in dem Moment, als er mit ihnen zu Tisch saß, das Brot nahm, es brach und an sie austeilte. Da gingen ihnen die Augen auf. Sie erkannten ihn daran, wie er ihnen das Brot brach.

Das muss eine charakteristische Geste gewesen sein, Jesus hatte anscheinend eine ganz besondere Art, das Brot auszuteilen. Und das ist kein Zufall. Jesus hat ja Gott wiedergespiegelt, Gottes ganze Art, übersetzt in ein Menschenleben. Und Gottes grundlegender Charakterzug ist das Geben und Schenken. Er lässt seinen Segen hineinströmen in die Schöpfung, er sättigt und versorgt seine Geschöpfe. Alles Gute, was wir haben, ist ein Zeichen, das er uns gibt, ein Zeichen seiner Güte und seiner Fülle. Und wenn Jesus das Essen ausgeteilt hat, dann hat er das wohl so gemacht, dass alle es sofort verstanden: das ist ein Geschenk aus der Hand Gottes.

Es gibt in der Bibel immer wieder solche Gelegenheiten, wo Menschen essen und dabei Gott loben für seine Wohltaten. Das Passafest, wo sie jedes Jahr wieder die Befreiung der hebräischen Sklaven aus Ägypten feiern, ist vor allem ein fröhliches und leckeres gemeinsames Essen. Da ist die Freude an den Gaben Gottes verbunden mit der Freude an der Freiheit. Und dann, am letzten Abend, an dem Jesus noch mit seinen Jüngern zusammen ist, am Vorabend seines Todes, da feiert noch einmal mit ihnen das Passafest, und er erweitert die Bedeutung, indem er da Symbole hinzufügt, die auf seinen Tod hindeuten. Brot und Wein, sein Leib und sein vergossenes Blut.

Und er macht damit deutlich, dass er einen Preis dafür bezahlen muss, dass die Fülle Gottes von neuem zu den Menschen strömen kann. Die Jünger werden sich beim Abendmahl immer daran erinnern, dass die Fülle Gottes wieder fließt, weil Jesus durch seinen Tod dafür den Weg von neuem geöffnet hat.

In unserer Welt kann man nicht mehr einfach so von der Güte Gottes leben wie die ersten Menschen im Paradies. Die mussten nur die Hand ausstrecken und die Früchte pflücken. Wir müssen unser Brot mit Arbeit verdienen, und unter den Menschen ist oft Streit und auch Neid, wenn einer glaubt, dass der andere mehr hat. Deshalb musste erst einer kommen und vormachen, dass man trotzdem so leben kann, dass man Zugang hat zur Güte Gottes. Und an Jesus haben sie das beobachten können.

Aber so zu leben, das war für Jesus ein totales Gegen-den-Strom-Schwimmen. Das war unheimlich mühsam, unbeirrt bei dieser Lebensweise zu bleiben, mit der er die Segensströme Gottes angezapft hat – viele Feinde hat er sich damit gemacht, weil das so anders war. Und seine Feinde brachten ihn eben am Ende ans Kreuz, und selbst da ist er bei seiner Art zu leben geblieben, und so ist er auch gestorben. Bis zum letzten Moment hat er sein Leben geöffnet für Gottes Leben – und das war richtig, denn Gott hat ihn dann auferweckt und ihm ein neues, unzerstörbares Leben geschenkt.

Wenn Jesus also in das Passamahl die Symbole für seinen Tod hineinbringt, dann sagt er damit: das musste ich für euch machen, ich musste sterben, damit ihr wisst, dass auch im Tod und in der Finsternis noch ein Weg Gottes ist, den man gehen kann. Ich habe ihn für euch gefunden. Ich habe für euch die Angst ausgehalten, die Angst, dass es vielleicht doch nicht stimmt und Gott nicht hilft. Aber er war treu und hat mich gerettet, das könnt ihr jetzt wissen.

Diesen Zusammenhang von Gefahr, Rettung und – Essen, den hat auch ein großer Vorgänger Jesu gekannt, nämlich der König David. König David ist ja nicht als Königssohn geboren worden, sondern er hat viele harte Jahre erlebt, bevor er König wurde. Lange Zeit war er ein Flüchtling und musste sich vor der Feindschaft von König Saul verstecken, eine Zeitlang musste er ins Ausland gehen, er hatte kein sicheres Zuhause und oft wusste er nicht, ob er genug zu essen haben würde. Aber er hat in dieser langen Verfolgungszeit genau das erlebt, dass Gott ihn beschützt hat und ihm geholfen hat. Und er wusste: das Allerwichtigste ist, dass ich diese Verbindung zu Gott auf jeden Fall festhalte.

Von David gibt es ein Lied, das zu den bekanntesten Stellen der Bibel gehört, und das ist der 23. Psalm:

1 Ein Psalm Davids. Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. 5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. 6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Wenn man diesen Satz hört: »Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde«, dann denke ich immer, dass da eigentlich schon genau diese Situation von Jesus beim ersten Abendmahl vorweggenommen ist. Sie sitzen miteinander zu Tisch, und derweil warten schon die Tempelpolizisten auf das Signal von Judas, um sofort loszugehen und Jesus gefangen zu nehmen. An seinem Tisch, mitten unter seinen Freunden, sitzt der Verräter. Und trotzdem feiern sie miteinander die Güte Gottes und die Freiheit für alle Unterdrückten und Verfolgten, für die Gott sorgt. Im Angesicht der Feinde beschenkt Gott Jesus mit diesem letzten festlichen Abend, und Jesus beschenkt seine Jünger mit Essen und Trinken, mit Freude und Hoffnung. Gott richtet einen Raum auf, aus dem er die Angst vertreibt. So wie Gott ganz am Anfang das Himmelsgewölbe geschaffen hat: einen Raum, wo das Chaos ausgesperrt war, wo das schreckliche Wasser draußen blieb, so schafft Jesus jetzt einen Raum, wo die Angst draußen bleibt, wo die Bosheit keinen Raum zur Entfaltung bekommt, und in diesem Raum kann man leben von der Kraft der Güte und Barmherzigkeit Gottes.

Und zum Abendmahl zu gehen, das bedeutet: ich mache deutlich, dass ich in diesen Raum hinein will. Ich möchte leben aus der Güte und Barmherzigkeit Gottes. Ich will mich dagegen nicht verhärten und abschotten, sondern ich will die Hand öffnen und Seinen Segen empfangen.

Liebe Freunde, wir sind das eigentliche Problem, wenn Gott seine Güte in die Welt hineinbringen will. Wir verstopfen die Leitungen. In dem Moment, wo einer wie Jesus sich von ganzem Herzen und mit ganzer Seele für Gott öffnet, da ist der Segen sofort und in Fülle wieder da. Aber wir versperren uns, meistens nicht so sehr bewusst und gewollt, sondern mit unserer ganzen Art, mit den Ängsten, die in uns sitzen, mit unseren Gewohnheiten, mit Gedankengängen, die wir einfach so übernommen haben und die jetzt wie Festungen die Grenze bewachen und Gott abweisen. Wir kommen dagegen so schwer an, weil uns das Wenigste davon bewusst ist.

Aber was wir tun können, das ist: entschlossen den Bereich ausnutzen, den wir haben. Wenn wir den Spielraum der Freiheit nutzen, den wir haben, dann wird er sich ausweiten. Deswegen ist das Abendmahl etwas, woran jeder teilnehmen kann. Das ist sozusagen eine Basisübung. Da muss man nur gehen und die Hand ausstrecken und damit sagen: ja, ich will. Ich will in diesen Raum des Segens und der Freiheit hineinkommen. Ich will ganz äußerlich deutlich machen, dass ich zu Jesus gehöre. Ich weiß, dass viele Regungen meines Herzens nicht zu Jesus passen, ich weiß, dass ich nie hätte so leben und sterben können wie Jesus, aber ich weiß, wo das gute und richtige Leben zu finden ist. Und deshalb komme ich und strecke die Hand aus und vertraue darauf, dass Jesus dann seinen Weg auch mit mir gehen und mich weiterbringen wird.