Zwei gute Alternativen

Predigt am 20. November 2011 (Ewigkeitssonntag) mit Philipper 1,21-26

21 Der Inhalt meines Lebens ist Christus, und ´deshalb` ist Sterben für mich ein Gewinn. 22 Andererseits kann ich, solange ich noch hier auf der Erde lebe, eine Arbeit tun, die Früchte trägt. Daher weiß ich nicht, was ich vorziehen soll. 23 Ich bin hin- und hergerissen: Am liebsten würde ich das irdische Leben hinter mir lassen und bei Christus sein; das wäre bei weitem das Beste. 24 Doch ihr braucht mich noch, und deshalb – davon bin ich überzeugt – ist es wichtiger, dass ich weiterhin hier auf der Erde bleibe. 25 Darum bin ich auch sicher, dass ich nicht sterben werde, sondern euch allen erhalten bleibe. Denn dann kann ich dazu beitragen, dass ihr im Glauben vorankommt und dass euch durch den Glauben eine immer tiefere Freude erfüllt. 26 Ja, wenn ich wieder bei euch bin, werdet ihr noch viel mehr Grund haben, auf Jesus Christus stolz zu sein und ihn für das zu preisen, was er durch mich für euch getan hat.

»Ich habe schon so oft gebetet, dass der liebe Gott mich von hier wegnimmt. Mit fällt das Leben so schwer. Aber er will mich wohl noch hier haben.« Worte, die ich nicht nur einmal von einem älteren Menschen gehört habe, und Sie vielleicht auch. »Er will mich wohl noch hier haben.« Ganz ähnlich schreibt es der Apostel Paulus: ich weiß, »dass ich euch allen erhalten bleibe. Dann kann ich euch helfen, dass ihr weiterkommt und die volle Freude erlebt, die der Glaube schenkt.« Obwohl, eigentlich würde er sich eher wünschen, diese Welt zu verlassen und bei Christus zu sein: »Ich möchte am liebsten aus diesem Leben scheiden und bei Christus sein; das wäre bei weitem das beste«. Da merkt man, was vielleicht doch ein Unterschied ist: bei Paulus ist es nicht Müdigkeit und der Wunsch, die Last dieses Lebens loszuwerden, viel stärker bewegt ihn die Freude auf die Zukunft bei Jesus.

Als Paulus das schrieb, saß er im Gefängnis, und es war nicht entschieden, ob er da lebend rauskommen würde. Wenn man ganz deutlich mit dem möglichen Tod konfrontiert wird, in so einer Lage denkt man gründlich nach über die eigenen Motive, darüber, was man wirklich will. Das ist ja nicht immer sonnenklar, aber in manchen Zeiten wird es ganz deutlich, was einem wirklich wichtig ist. Dann sagen Menschen: jetzt habe ich gemerkt, woran mir wirklich liegt im Leben. Wieviel mir bestimmte Menschen wert sind, wieviel mir an Schönheit liegt, an der Natur, an einem Leben, das erfüllt ist und nicht nur so dahin gelebt wird.

Für Paulus stellt sich die Alternative so dar:

entweder ich werde dieses Gefängnis nicht überleben. Dann passiert mir das Beste, was ich mir vorstellen kann: ich werde endlich ganz und voll bei Jesus sein. Er wird mein Leben bewahren, bis die neue Welt beginnt, die erneuerte Schöpfung, die endlich so ist, wie Gott sie von Anfang an im Sinn hatte.

Wir müssen uns einen Augenblick klar machen, was das bedeutet: Paulus liebt Jesus. Er ist völlig überzeugt von diesem Menschen. Die ganze Art von Jesus ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Und ab und zu hat er davon geschrieben, dass das trotz allem hier auf der Erde immer nur vorläufig und nicht klar genug ist. Und dass einmal der Tag kommen wird, wo er ihm endlich begegnen wird von Angesicht zu Angesicht. Und dass das noch etwas ganz anderes sein wird als in diesem mühsamen Leben, das immer wieder so hart ist, das immer wieder so eine Last ist, wo so vieles nicht stimmt, wo es so viele schmerzliche Abschiede gibt, wo wir vor so vielen Dingen Angst haben und auch Jesus Christus nur bruchstückhaft und undeutlich verstehen. Gerade weil Pauls Jesus so gut kennt wie kaum ein anderer, deshalb merkt er auch so schmerzlich, wie dieses ganze Leben von vielen anderen Dingen geprägt wird und es immer nur hier und da solche Highlights gibt, Momente, wo der Blick auf Gott frei wird und wir eine Ahnung davon bekommen, wie er wohl wirklich ist.

Und deshalb sagt Paulus: der Tod wäre nicht schlimm für mich. Was dann auf mich wartet, das ist viel besser als alles, was ich bisher erlebt habe. Verstehen Sie, es geht nicht um den Tod als Erlösung von einem schlimmen Leiden. Sondern der Tod ist ein Durchgang zur endgültigen Gemeinschaft mit Jesus, und Paulus wartet darauf schon lange.

Er denkt nicht nach dem Muster: besser gar nicht leben als sich so quälen müssen. Sondern er sieht einfach, was dahinter liegt. Der Tod selbst ist nichts Positives, aber Paulus weiß, dass der für ihn ein Durchgang ist zu der neuen Welt, die ganz und gar von Jesus gestaltet ist, und wo wir Jesus endlich in Fülle und Klarheit begegnen werden.

Dietrich Bonhoeffer hat daran gedacht, als er in einem Gedicht über den Tod schrieb: »Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit«. Damals hatte er wirklich nur noch ein Dreivierteljahr zu leben, dann haben ihn die Nazis umgebracht. Und wir haben den Bericht eines Gefängnisarztes, der ihn kurz der Hinrichtung gesehen hat und tief beeindruckt war von der Getrostheit und Sicherheit, mit der er auf seinen Tod zugegangen ist. So stelle ich mir auch Paulus in seiner letzten Stunde vor.

Aber Paulus ahnt, als er den Brief schreibt: so weit ist für ihn noch gar nicht, und deshalb beschäftigt er sich mit der anderen Möglichkeit: weiterleben. Weiter in dieser Welt seinen Weg mit Jesus Christus gehen. Weiter Menschen an Jesus erinnern, ihnen helfen, ihn in ihr Leben aufzunehmen und sich von ihm leiten zu lassen.

Das bedeutet, sich weiter einzulassen auf diesen mühsamen und oft schmerzlichen Weg durch die Welt. Es bedeutet, die Tatsache anzuerkennen, dass wir hier auf Erden immer wieder mit Leid, Trennung und Schmerzen konfrontiert sein werden. Wir würden uns zwar alle gern einen sicheren Ort schaffen, wo die Nöte der Welt nicht einbrechen können: eine Oase mit einer hohen Mauer drumherum, wo die ganzen Probleme draußen bleiben, wo wir drinnen keine Angst haben müssen, wo die tägliche Versorgung gesichert ist, wo es keinen Krankheiten gibt, und geschossen wird nur draußen – würden wir uns das nicht wünschen?

Aber wir wissen alle, das geht nicht. Da kommen Flüchtlinge aus weniger glücklichen Ländern, Arbeitslosigkeit macht sich auch bei uns breit, noch nicht mal die Rente scheint mehr sicher zu sein, und wenn uns dann auch noch persönliche Schläge treffen, dann wird uns endgültig klar, dass es so einen sicheren Ort nicht gibt, den man abschotten könnte vom Unglück ringsum.

So ist die Realität: wir leben in einer wunderbaren Welt, aber auch in einer Welt des Leidens, über die Gott bittere Tränen vergießt. Jesus ist gekommen und hat sich dieser Realität gestellt, um sie zu heilen. Als Einziger hätte Jesus tatsächlich so einen sicheren Ort gehabt, an dem ihn das Leid nicht berührt hätte. Er hätte im Himmel bleiben können. Aber er wollte die Welt nicht sich selbst überlassen. Und er sucht nach Menschen, die sein Engagement für die Welt teilen, die mit ihm hier das Licht Gottes ins Dunkel bringen. Und da sagt Paulus: wenn du mich dafür jetzt noch auf der Erde brauchst – ich bin bereit dazu.

Deswegen haben wir mit Blick auf Jesus immer zwei gute Möglichkeiten vor uns: zu bleiben oder zu ihm zu gehen. Und das Beste ist, dass wir uns nicht dazwischen entscheiden müssen, sondern wir werden sie beide erleben, und selbst die Qual der Wahl ist uns abgenommen. Gott kümmert sich um den Himmel, damit wir frei sind, hier auf der Erde an seinem Werk teilzunehmen. Wir sollen uns der Mühsal und dem Leid der Welt stellen, es mitleiden und dann lernen, in der Kraft Gottes dem Dunklen standzuhalten. Menschen sollen mit Gott Frieden schließen, wenn sie sehen, dass er die Kraft gibt, die auch dem Dunklen und Traurigen widerstehen kann.

Als Jesus kam, da hat er eine Kraft in die Welt gebracht, die nicht vor den Dunkelheiten und Schmerzen der Welt kapituliert: die Kraft des Heiligen Geistes. Obwohl wir uns keinen sicheren Ort in der Welt schaffen können, obwohl die Zerstörung immer wieder einbricht, und das auch durch uns selbst, trotzdem überwindet diese Kraft immer wieder und gibt uns eine Ahnung von der wirklichen Kraft Gottes. Diese Kraft hat Jesus von den Toten auferweckt, und sie wirkt im Leben eines Menschen, der Jesus anruft und um sein Leben bittet. Vor allem wirkt sie unter Menschen, die das nicht allein tun, sondern die sich im Namen Jesu zusammenschließen und ihn so noch viel besser kennenlernen. Und dann wirkt die Kraft Gottes auch unter Tränen und Schmerzen, auch, wenn einer glaubt, dass er es nicht mehr aushält, sie wirkt mitten in großen und kleinen Katastrophen. Und sie lässt Menschen in harten Zeiten doch mit Freude im Herzen leben.

Diese Kraft Jesu in der Welt, das ist die Antwort für unseren Wunsch nach einem sicheren Ort – auch dann, wenn man wie Paulus dem Tod ins Auge sehen muss. Da gehören die Sicherheit durch die Kraft Gottes und das Erleiden der Welt zusammen, so verrückt das klingt. Die Hilfe ist dort zu finden, wo die Gefahr am größten scheint. Und manchmal entdecken wir diese Kraft Gottes erst dann, wenn uns alles andere aus der Hand geschlagen wird, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen und gar keine andere Wahl haben als Gott und seinen Möglichkeiten zu vertrauen. Vorher scheint uns das so unwahrscheinlich, so quer zu allen unseren anderen Erfahrungen. Aber wenn es so weit ist, dann sind wir manchmal sehr nah dran an der Entdeckung der Möglichkeiten Gottes.

Natürlich ist das keine Automatik, und es laufen genügend Menschen herum, die schlimme Dinge erlebt haben, ohne dass sie dadurch weitergekommen wären. Was schlimme Zeiten mit uns machen, das hängt aber ganz stark damit zusammen, wie wir da hineingegangen sind. Es ist schwerer, wenn es uns trifft, ohne dass wir uns darauf vorbereitet haben. Es ist viel besser, wenn wir an der Hand Jesu auf Tiefen in unserem Leben zugehen. Wenn wir schon mit ihm vertraut sind, und wenn wir mit Menschen verbunden sind, die uns an ihn erinnern, dann werden wir ihn im entscheidenden Moment viel leichter wiedererkennen: auch wenn wir krank sind, auch wenn wir allein sind, oder sogar wie Paulus im Gefängnis. Wir haben dann das Zutrauen, dass wir Jesus da finden werden, weil er auch vorher schon in vielen Situationen vertrauenswürdig war. Und wir haben Menschen, an denen er erkennbar wird.

So kann die Kraft Gottes auch dann da sein, wenn Sicherheiten zerbrechen und Selbstverständlichkeiten vergehen. Und man kann unter Druck sein und trotzdem ganz stark merken, wie Jesus da ist. Das ist keine verstandesmäßige Theorie, sondern wir erleben es als ganze Menschen mit Mut und Zuversicht und getröstetem Herzen, obwohl wir eigentlich eher angstvoll und bedrückt sein müssten.

Paulus war die Erfahrung dieser Begegnung so wichtig, dass er sagte: das ist es, was ich wirklich möchte. Christus ist mein Leben. Von ihm soll mein ganzes Leben gestaltet sein. Mit ihm wird sogar Sterben mein Gewinn. Vielleicht werde ich mit Bangen auf meinen Tod zugehen, aber ich weiß, dass Jesus kommen wird und meine Hand halten wird und mich hindurchbegleiten wird. Auch dort wird mich die Kraft Gottes nicht im Stich lassen. Ich werde nie von ihm getrennt sein.

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