Gottes Wohnung auf der Erde

Predigt am 31. Juli 2016 zu Offenbarung 21,9-21 (Predigtreihe Offenbarung 36)

9 Und es kam zu mir einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den letzten sieben Plagen hatten, und redete mit mir und sprach: Komm, ich will dir die Frau zeigen, die Braut des Lammes. 10 Und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem herniederkommen aus dem Himmel von Gott, 11 die hatte die Herrlichkeit Gottes; ihr Licht war gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall; 12 sie hatte eine große und hohe Mauer und hatte zwölf Tore und auf den Toren zwölf Engel und Namen darauf geschrieben, nämlich die Namen der zwölf Stämme der Israeliten:
13 von Osten drei Tore, von Norden drei Tore, von Süden drei Tore, von Westen drei Tore. 14 Und die Mauer der Stadt hatte zwölf Grundsteine und auf ihnen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes. 15 Und der mit mir redete, hatte einen Messstab, ein goldenes Rohr, um die Stadt zu messen und ihre Tore und ihre Mauer. 16 Und die Stadt ist viereckig angelegt und ihre Länge ist so groß wie die Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohr: zwölftausend Stadien. Die Länge und die Breite und die Höhe der Stadt sind gleich. 17 Und er maß ihre Mauer: hundertvierundvierzig Ellen nach Menschenmaß, das der Engel gebrauchte.
18 Und ihr Mauerwerk war aus Jaspis und die Stadt aus reinem Gold, gleich reinem Glas. 19 Und die Grundsteine der Mauer um die Stadt waren geschmückt mit allerlei Edelsteinen. Der erste Grundstein war ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, 20 der fünfte ein Sardonyx, der sechste ein Sarder, der siebente ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. 21 Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen, ein jedes Tor war aus einer einzigen Perle, und der Marktplatz der Stadt war aus reinem Gold wie durchscheinendes Glas.

Bild: DEZALB via pixabay, Lizenz: creative commons CC0
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12000 Stadien sind nach unseren Maßen eine ganze Menge: etwa 2300 km. Die Stadt, die Johannes beschreibt, ist also 2300 km lang, ebenso breit und auch 2300 km hoch. Bei dieser Höhe müsste die Internationale Raumstation schon gut aufpassen, dass sie nicht in ein Fenster im unteren Teil der Stadt reinfliegt. Und oben an der Spitze der Stadt stände man schon richtig im Weltraum. Dass eine Stadt sich 2300 km im Quadrat erstrecken kann, nun gut, das kann man sich vielleicht noch vorstellen, die Städte werden ja immer größer. Dass sie auch noch ebenso hoch ist und bis in den Weltraum ragt, das ist kaum vorstellbar.

Der Tempel als Vorbild

Aber ich denke, dass es bei Johannes nicht um Architektur geht. Dass diese Stadt, das neue Jerusalem würfelförmig ist, ebenso lang wie breit wie hoch, das soll an etwas ganz anderes erinnern: das Allerheiligste im Tempel, den der König Salomo baute, war auch ein Würfel. Seine Kantenlänge war 20 Ellen, das sind ungefähr 10 Meter. Das wäre ungefähr so lang wie von mir hier bis in die Mitte der Kirche, dann aber doppelt so breit wie unsere Kirche und so hoch wie etwa bis zum Dachfirst. Ein ganz schön großer Raum, wenn man drinsteht, aber für unsere Begriffe nichts Besonderes. Immerhin war der ganze Raum innen mit einer dünnen Goldschicht überzogen. Aber die sah fast nie jemand, denn nur einmal im Jahr ging der Hohepriester dorthin. In diesem dunklen, würfelförmigen, leeren Raum wohnte die Gegenwart Gottes. Dieser Raum war das Zentrum des ganzen Tempels und auch der Sinn, den dieser ganze Tempel hatte. Er sollte der Raum sein, wo Gott unter den Menschen wohnt.

Die Frage, wo und wie Gott in seiner Schöpfung wohnen soll, zieht sich durch die ganze Bibel; sie ist sozusagen ihr roter Faden. Zuerst kommt Gott ganz unproblematisch zu den Menschen im Paradies, er sagt Hallo und freut sich, dass alles so gut läuft. Aber dann wird es kompliziert, als die ersten Menschen sich nicht an seine Anweisungen halten und vom falschen Baum essen. Da werden sie von diesem Ort der Begegnung verbannt. Und wenn sie dann später Babel bauen, die Stadt mit dem Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, dann versuchen sie sogar, die ganze Richtung umzukehren: Gott kommt nicht mehr vom Himmel zur Erde, sondern die Menschen wollen von der Erde in den Himmel kommen. Sie wollen die Trennung von Himmel und Erde überwinden. Das möchte Gott auch, aber nicht so, wie die Babylonier sich das vorstellen.

Zur falschen Zeit am falschen Ort das Falsche tun

Das ist das Babel-Problem: Menschen wollen Gottes Pläne auf ihre eigene Weise umsetzen, auf dem falschen Weg und zur falschen Zeit. Sie wollen Gott für ihre Interessen nutzen. Sie wollen die Religion vor ihren Karren spannen. Deswegen ist Babylon in der ganzen Bibel und auch in der Offenbarung ein Symbol für den harten Kern des Widerstandes gegen Gott.

Und dieses Problem wiederholt sich sogar in Israel: Mose bekommt auf dem Berg Sinai nicht nur die 10 Gebote, sondern auch den Plan für das Zelt der Begegnung, die Stiftshütte. Die hat schon die Form des späteren Tempels, ist aber kleiner. Aber auch in ihrem Zentrum ist schon dieser leere Raum, der frei bleiben soll für Gott. Aber während Mose oben auf dem Berg bei Gott ist, wird sein Volk unten am Berg ungeduldig und bringt Aaron, den Bruder des Mose, dazu, dass er ihnen ein goldenes Stierbild als Götzenbild formt. Es ist immer wieder dasselbe: wer auf Gottes gute Gaben nicht warten kann und ungeduldig wird, wer es dann auf seine Weise und zu seinem Zeitpunkt umsetzen will, der bekommt eine Karikatur von dem, was Gott im Sinn hat.

Umkämpfter Ort der Begegnung

Dieser Irrweg Aarons und des Volkes hätte beinahe dazu geführt, dass Gott überhaupt keine Wohnung mehr bei seinem Volk genommen hätte. Nur durch Moses‘ Solidarität mit seinen Leuten und Gottes Gnade gab es am Ende doch noch das Zelt der Begegnung und später den Tempel von Jerusalem – dieses Haus mit dem leeren, würfelförmigen Allerheiligsten von 10 Meter Kantenlänge. Aber der Ort der Gegenwart Gottes unter seinem Volk war immer wieder in Gefahr: erst stellte man tatsächlich auch im Jerusalemer Tempel Götzenbilder auf, und am Ende wurde er ausgerechnet von den Babyloniern zerstört. Immer wieder geriet der Ort der Gegenwart Gottes unter die Räder der Weltgeschichte.

Zur Zeit von Jesus gab es den Zweiten Tempel. Ursprünglich war das ein eher bescheidener Bau, aber König Herodes hatte ihn glanzvoll ausbauen lassen, so dass es fast schon ein neuer Tempel war, der dritte. Natürlich diente dieser Bau der Politik des Herodes, der die Religion unter Kontrolle bekommen und sich mit großen Bauten einen Namen machen wollte.

Eine neue Hoffnung

Man kann sich vorstellen, dass viele das kritisch sahen. Vorhin in der Lesung (Johannes 2,13-21) haben wir von Jesus gehört, wie er die Händler und Banker aus dem Tempel treibt und später sagt: reißt den Tempel ab, und ich werde ihn in drei Tagen neu bauen. Darauf lassen sich die Priester natürlich nicht ein, aber Jesus schafft trotzdem eine neue Stätte der Begegnung von Gott und Menschen: die Gemeinschaft seiner Leute, wo der Heilige Geist wohnt. Damit das wirklich auch alle kapieren, schreibt Johannes extra dazu: Jesus meinte mit dem Tempel, den er bauen wollte, seinen eigenen Körper. Und tatsächlich wird ja die Gemeinde der »Leib Christi« genannt.

Das ist die große Neudefinition des Ortes, wo Gott unter den Menschen wohnt: Gott ist in Jesus. »Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit« heißt es in der Einleitung zum Johannesevangelium. Jesus ist sozusagen der Tempel auf zwei Beinen. Und später werden seine Leute als Priester bezeichnet. Sie bilden den Raum, in dem Gott wohnt, durch den Heiligen Geist. Wo zwei oder drei in Jesu Namen versammelt sind, da ist er dabei, da hat Gott einen Raum in seiner Schöpfung, wo er wohnen kann. Und wieder ist dieser Ort der Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung höchst umstritten. Von außen wird er angegriffen und verfolgt, und im Innern verfolgen Menschen ihre eigenen Ziele damit und vertreiben den Geist Jesu.

Kein Tempel, eine Stadt

Nach diesem großen Schlenker können wir das Bild vom Neuen Jerusalem hoffentlich viel besser verstehen: es beschreibt die Hoffnung, dass Gott eines Tages endgültig und unübersehbar in seiner Schöpfung wohnt. Er wohnt nicht in einem Tempel, sondern in einer Stadt. Aber zur Erinnerung an das Allerheiligste im Tempel ist die Stadt würfelförmig, wie auch immer das gehen soll. Eine Stadt ist ein höchst differenziertes Zusammenspiel von unzähligen Menschen. Es drückt sich in Gebäuden aus, aber die Gebäude sind nicht die Stadt: der harte Kern einer Stadt ist das Beziehungsgeflecht zwischen den unzähligen Menschen, die dort leben und arbeiten. Es ist der Geist, der dort wohnt.

Mir ist das zum ersten Mal richtig klar geworden, als ich nach vielen Jahren wieder meine alte Universitätsstadt Göttingen besucht habe: du gehst da durch die Straßen, und überall an den Häusern stehen die Namen von Wissenschaftlern, die da mal gewohnt haben. Viele berühmte Leute sind dabei, die da durch Jahrhunderte hindurch daran gearbeitet haben, die Welt besser zu verstehen. Jeder Einzelne ist schon ein großer Forscher gewesen, aber erst zusammen haben sie die ganze Stadt geprägt. Natürlich gibt es dort auch Bushaltestellen und Kaufhäuser und Malermeister und Umleitungen, aber das spezielle Profil der Stadt ist die Wissenschaft. Berlin hat ein anderes Profil, Hamburg wieder ein anderes, Peine noch mal ein drittes. Städte sind eigene überindividuelle Gebilde, von ihrem Profil, von ihrem Geist geprägt.

Und so sagt die Offenbarung: Gottes Gegenwart in seiner Schöpfung wird am Ende am ehesten mit einer Stadt vergleichbar sein, mit einer großen Gemeinschaft von Menschen, die miteinander leben und arbeiten. Aber das ganz besondere Profil dieser Stadt ist, dass sie vom Glanz Gottes durchleuchtet ist und seine Herrlichkeit ausstrahlt. Endlich hat Gott einen Ort, der seine Herrlichkeit nicht verdunkelt oder verschattet. Endlich hat Gott einen Ort, wo er unverhüllt und unmissverständlich in seiner Schöpfung leben kann. Menschen verhindern das jetzt nicht mehr, sondern sie bilden gemeinsam diesen Ort. Gott und Mensch kommen zusammen, wie das schon bei Jesus an einem Ort in der Welt Wirklichkeit war.

Transparent für Gottes Licht

Und wenn Johannes diese Stadt als ein wunderschönes Kunstwerk aus Gold und Juwelen beschreibt, dann tut er das unter der Überschrift: sie hatte die Herrlichkeit Gottes. Gottes Glanz geht von ihr aus. Deswegen so oft die Betonung, dass die Stadt transparent ist: sie ist durchscheinend für Gott.

Unsere Gotteshäuser sind immer in Gefahr, dass man sie als tolle Kunstwerke bewundert, aber übersieht, dass sie meistens dazu gebaut worden sind, Gott widerzuspiegeln, sein Leuchten aufzunehmen und weiter zu geben. Jetzt in der Urlaubszeit besichtigen ja wieder viele Leute alte Kirchen, und ich hoffe nur, dass ihnen dabei klar wird, dass Kirchen nicht als Kunstmuseum gebaut werden, sondern als Räume für Gott unter den Menschen. Mit all dem Schönen, was sich da findet, sollen sie transparent sein für Gottes Herrlichkeit. Mit dem weniger Schönen übrigens auch.

Alles, was Gott beansprucht, um dort zu wohnen, wird dadurch schön. Und Menschen suchen dann die Schönheit in den Dingen selbst, und sie finden auch etwas. Aber das ist dann der Fingerabdruck Gottes, und die Gebäude, die Texte, die Musik und was auch immer sind in erster Linie nicht aus sich selbst heraus heraus schön, sondern weil sie in einem Verhältnis zu Gott stehen (oder gestanden haben).

Deshalb sind die Materialien, aus denen das Neue Jerusalem gebaut ist, oft transparent oder haben einen besonderen Bezug zum Licht: Gold spiegelt das Licht wieder, Glas lässt es durchscheinen. Eigentlich passt das nicht zusammen, aber Johannes sagt das Unmögliche: dieses Gold ist durchscheinend wie Kristallglas. Sogar der Marktplatz ist daraus gemacht. Da muss Jesus keine Banker mehr vertreiben, selbst die Geschäfte auf dem Markt (heute würden wir sagen: an der Börse) spiegeln Gottes Herrlichkeit wider. Und auch die verschiedenen Edelsteine lassen das Licht funkeln, sie lassen es durchscheinen und spiegeln es gleichzeitig. In dieser Stadt kann man nicht mehr übersehen, woher ihre Schönheit kommt.

Kostbare Baustoffe, kostbare Menschen

Es ist ja eine lange Aufzählung von 12 verschiedenen Edelsteinsorten, die als Grundsteine, als Fundamente der Stadtmauer eingebaut sind. Gleichzeitig stehen auf ihnen die Namen der 12 Apostel. Wenn Johannes also Gebäude beschreibt, dann hat er Menschen im Sinn. Gottes Glanz bricht sich unterschiedlich in verschiedenen Menschen und Kulturen, seine Herrlichkeit spiegelt sich in ihnen unterschiedlich wider. Die Stadt ist nicht nach Schema F gebaut, sondern sie ist individuell gestaltet. Die befreite und versöhnte Schöpfung spiegelt Gott in großer Fülle wider. Der Turm von Babel hatte zur Folge, dass man sich von anderen abgrenzt; im Neuen Jerusalem findet die Menschheit in ihrer ganzen Fülle zusammen.

Die Tore der Stadt, von denen wir noch hören werden, dass sie nie verschlossen werden, die sind aus Perlen, und auch sie tragen Namen, nämlich die Namen der 12 Stämme Israels. Gott lässt Israel nicht hinter sich, sondern baut es an entscheidender Stelle ein in sein neues, endgültiges Heiligtum.

Im Himmel verborgen, auf Erden offenbart

Und diese Stadt wird nicht auf der Erde gebaut, sondern sie kommt aus dem Himmel herab, aus dem verborgenen Bereich der Schöpfung, wo Gottes Wille jetzt schon geschieht. Auf der verborgenen Seite der Welt baut Gott jetzt schon die neue Stadt. Er fügt sie zusammen aus seinen Leuten. Wir können es noch nicht sehen, wir sollen Gott auch nicht zur falschen Zeit vorgreifen, aber ohne dass wir alles schon durchschauen, gehören auch wir schon jetzt zu dieser neuen Stadt.

Das ist der Trost, den Johannes für seine Gemeinden bereit hält: mit ihrem Zeugnis von Gott, mit ihrem Lobpreis und ihrer Liebe baut Gott im Verborgenen schon die neue Welt. Deswegen haben sie Zukunft. Deswegen gehören auch wir schon dorthin, und am Ende wird sich das in seiner ganzen Herrlichkeit offenbaren. Am Ende wird Gott in seiner erneuerten Schöpfung wohnen, wie er das schon immer vorgehabt hat.

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