Die Grauzone sortiert sich langsam

Predigt am 24. Januar 2016 zu Offenbarung 16,1-9 (Predigtreihe Offenbarung 27)

1 Und ich hörte eine große Stimme aus dem Tempel, die sprach zu den sieben Engeln: Geht hin und gießt aus die sieben Schalen des Zornes Gottes auf die Erde!
2 Und der erste ging hin und goss seine Schale aus auf die Erde; und es entstand ein böses und schlimmes Geschwür an den Menschen, die das Zeichen des Tieres hatten und die sein Bild anbeteten. 3 Und der zweite Engel goss aus seine Schale ins Meer; und es wurde zu Blut wie von einem Toten, und alle lebendigen Wesen im Meer starben. 4 Und der dritte Engel goss aus seine Schale in die Wasserströme und in die Wasserquellen; und sie wurden zu Blut. 5 Und ich hörte den Engel der Wasser sagen: Gerecht bist du, der du bist und der du warst, du Heiliger, dass du dieses Urteil gesprochen hast; 6 denn sie haben das Blut der Heiligen und der Propheten vergossen, und Blut hast du ihnen zu trinken gegeben; sie sind’s wert. 7 Und ich hörte den Altar sagen: Ja, Herr, allmächtiger Gott, deine Gerichte sind wahrhaftig und gerecht.
8 Und der vierte Engel goss aus seine Schale über die Sonne; und es wurde ihr Macht gegeben, die Menschen zu versengen mit Feuer. 9 Und die Menschen wurden versengt von der großen Hitze und lästerten den Namen Gottes, der Macht hat über diese Plagen, und bekehrten sich nicht, ihm die Ehre zu geben.

Wir haben in der Offenbarung schon einiges erlebt an Katastrophen und Plagen, aber bisher betraf das immer nur Teilbereiche. Ein Drittel oder auch nur ein Zehntel der Menschen war betroffen. Und in Kapitel 11 (v. 13) waren die Menschen von der Katastrophe so entsetzt, dass sie umkehrten und Gott die Ehre gaben. Aber diesmal kehren die Menschen nicht um; selbst als die Sonne alles verbrennt, steigern sie sich erst recht in ihre Ablehnung Gottes hinein. Und diesmal ist die Zerstörung durch die Katastrophen total.

Gut und Böse werden klarer

Das hängt damit zusammen, dass die Entmischung von gerecht und ungerecht jetzt schon weit vorangeschritten ist. Vor einer Woche hatten wir in Kapitel 15 gesehen, dass im Lauf der Offenbarung das Böse immer klarer erkennbar geworden ist. Die bösen Mächte, die aus dem Hintergrund die Erde verdorben haben und überall die Saat des Unrechts und der Gewalt eingestreut haben, die werden nach und nach erkennbar. Gut und Böse sind nicht mehr unentwirrbar verknäuelt, sondern treten immer erkennbarer auseinander.

Und das betrifft auch die Menschen. Wir haben meist den Eindruck, dass Menschen eine unauflöslich verquirlte Mischung aus Gut und Böse sind. Sie sind fähig, das Beste und das Schlimmste hervorzubringen. Wenn du versuchst, eine bestimmte Gruppe als »die Bösen« zu identifizieren, greifst du regelmäßig ins Leere oder triffst die Falschen.

Aber im Lauf der Zeit werden Menschen immer klarer auf die eine oder auf die andere Seite fallen. Der englische Schriftsteller C.S. Lewis hat einmal geschrieben, dass wir zum Schluss entweder engelgleiche, ehrfurchtgebietende Wesen sein werden, nur um ein Geringes weniger als Gott, oder wir werden abscheuliche, schreckenerregende Monster sein. Im normalen Alltag kann das noch keiner absehen, da halten wir uns meistens in so einem mittleren Bereich auf, wo es unübersichtlich ist und Menschen hin und her gerissen sind zwischen unterschiedlichen Motiven und keiner mit Gewissheit sagen kann, wo wir am Ende landen werden.

Eine Situation, in der es keine Umkehr mehr gibt

Aber je weiter sich die Situation zuspitzt, um so weiter hinab gehen wir die Straße, auf der wir uns bewegen, und um so schwerer ist es noch, umzukehren. Man kann das vergleichen mit einer Sucht: je länger jemand sich an eine Droge gewöhnt hat, um so härter sind die Entzugserscheinungen, wenn er frei werden will. Trotzdem werden Menschen auch noch nach langer Zeit von Drogen und anderem frei, weil sie irgendwann deutlich gesehen haben, wohin das führt, und dieser Schreck motiviert sie, den harten Entzug durchzustehen. Menschen können noch sehr lange von ihren zerstörerischen und selbstzerstörerischen Wegen umkehren.

In diesem Kapitel wird nun aber eine Situation beschrieben, wo es keine Umkehr mehr gibt. Die Menschen, die jetzt noch unter dem Einfluss des Bösen stehen, sind unerreichbar geworden. Die Zerstörung hat sich so tief in sie hineingefressen, dass da jetzt keine lebendigen Menschen mehr sind, für die Hoffnung wäre, sondern nur noch Masken. Für diejenigen von uns, die den »Herrn der Ringe« kennen: da gibt es ja die sieben Ringgeister, die mächtigen Diener Saurons, die erst auf schwarzen Pferden und dann auf so einer Art Drachen reiten. Das waren mal starke, lebendige Menschen, Könige, die sich freiwillig in den Dienst des bösen Sauron gestellt haben. Und am Ende sind sie nur noch Masken, im Inneren sind sie leer, ihr Leben ist ausgesaugt vom Bösen, sie haben keine eigene Kraft mehr, und wenn ihr Meister besiegt wird und seine Kraft verliert, dann bleibt von ihnen nichts mehr übrig.

Es trifft die Verbündeten des Monsters

Und so fasst die Offenbarung in Kapitel 16 eine Situation ins Auge, wo Gut und Böse nicht mehr vermischt sind, sondern deutlich auseinander treten, und jetzt kann Gottes Zorn die Richtigen treffen. Die Engel gießen die ersten vier Schalen des Zorns aus über Land und Meer, über die Binnengewässer und über die Sonne. Und immer wird deutlich: das Unheil trifft nicht unterschiedslos, sondern jetzt trifft es die Menschen, die sich mit dem Tier verbunden haben, diesem Symbol der unterdrückerischen, brutalen Macht.

Alle, die die Zerstörungsmacht angebetet und sich das »Zeichen des Tieres« angesteckt oder eintätowiert haben, bekommen davon schreckliche Geschwüre – an ihnen wird das Gift sichtbar, das das Unterdrückungssystem durch die Gesellschaft hindurch ausgestreut hat. Jedes Unterdrückungssystem produziert Unglück und Schmerzen, aber normalerweise werden diese Schmerzen immer den Schwächsten zugeschoben, denen, die sich nicht wehren können. Je gewaltsamer und unterdrückerischer ein System ist, sei es ein ganzer Staat, eine Armee, eine Schule, ein Betrieb oder was auch immer, um so gnadenloser geht man mit den Schwächsten und Wehrlosesten um. Aber diesmal trifft es die anderen, die, die das System aufrechterhalten und davon profitiert haben.

Gerechtigkeit für die Ermordeten

Die zweite und die dritte Schale des Zorns verwandeln das Wasser im Meer und in den Flüssen in Blut. Das ist eine Erinnerung an die erste der ägyptischen Plagen aus dem 2. Buch Mose, als der Nil und alle Gewässer zu Blut wurden. Aber jetzt wird das ausdrücklich kommentiert: hier kommt das vergossene Blut zurück zu denen, die es vergossen haben. Besonders ist dabei an diejenigen gedacht, die das Blut der verfolgten Christen vergossen haben. In Kapitel 6 (v. 10) hatten die getöteten Anhänger Jesu vom himmlischen Altar aus gefragt, wie lange sie noch darauf warten müssen, dass ihre Mörder zur Rechenschaft gezogen werden. Jetzt ist es soweit, und vom Altar her hört man das Lob, dass Gott jetzt den Ermordeten Recht verschafft.

Die vierte Zornesschale lässt die Sonne schrecklich heiß werden, so dass die Menschen versengt werden. Aber das steigert ihren Hass gegen Gott nur noch weiter.

Wie Bilder funktionieren

Man sieht auch an dieser Stelle, dass man die Bilder nicht wörtlich nehmen kann, nicht als Protokoll einer Katastrophe. Sonst müsste man ja annehmen, dass danach niemand mehr am Leben ist. Und es müsste ja auch die Christen treffen. Aber diese Bilder sind nicht die Berichterstattung über eine Naturkatastrophe, sondern sie sprechen von gewaltsamen Erschütterungen und Zerstörungen der Lebenswelt. Es sind Bilder: Gleichnisse für eine Realität, die man nicht oder noch nicht auf andere Weise ausdrücken kann. In jedem Zeitalter setzen diese Bilder andere Deutungen frei und sind trotzdem immer noch nicht ausgeschöpft. Vielleicht können wir es so verstehen: die Sonne ist ein Symbol für das Licht der Wahrheit, die vom Herrscher des Universums ausgeht. Aber die Wahrheit kann für Menschen schrecklich sein, wenn sie sich mit der Lüge verbunden haben. Je dunkler ein Mensch in sich ist, um so mehr scheut er das Licht.

Wir haben heute dafür ein anderes Bild, nämlich das von den Vampiren, die tagsüber im Sarg liegen müssen, weil für sie das Licht der Sonne viel zu grell ist. Vielleicht könnte man heute die Geschichte so erzählen, dass all die Vampire aus ihren klimatisierten Büros oder Bunkern mit künstlicher Beleuchtung heraus müssen in die Sonne und das nicht ertragen. Und auch das wäre ein Bild, ein Gleichnis. Real könnte man an Hitler und all seine Sympathisanten denken, deren Hoffnung auf ein unbesiegbares Deutschland sich am Ende als Lüge herausstellte. Und von denen sich dann viele getötet haben, weil sie das Licht dieser Wahrheit nicht ertragen haben. Wer sein Leben auf eine Lüge gebaut hat, für den ist die Wahrheit ein schreckliches Licht, das ihn verbrennt. Und er wird gegen Gott protestieren, wenn der die Lüge zerstört.

Ebenfalls so ein Bild ist es, dass die Engel den Zorn Gottes aus goldenen Schalen ausgießen – und das heißt: der Zorn Gottes ist nichts, dessen sie sich schämen müssten, und sie tun das auf ausdrückliche Anweisung einer Stimme aus dem himmlischen Tempel, also auf Gottes Anweisung.

Das moderne Problem mit dem Zorn Gottes

Wir haben ja in der modernen Zeit, seit ein paar hundert Jahren, große Probleme mit dem Zorn Gottes. Menschen sagen: aber Gott ist doch Liebe, wie kann er dann zornig sein und Menschen seinen Zorn auch spüren lassen?

Aber gerade weil Gott seine Erde und seine Menschen liebt, entbrennt sein Zorn gegen alle, die sie zerstören. Das ist sein Motiv. Es geht nicht darum, dass er ein launischer Typ ist, der die Welt kaputt macht, weil er schlecht geschlafen hat und jetzt übel drauf ist, solange er noch keinen Kaffee gekriegt hat. Und es ist genauso daneben, zu denken, dass er ein harmloser, lieber Opa ist, der schon ein bisschen tatterig im Altersheim im Rollstuhl sitzt und sich tausendmal bedankt, wenn man ihn wenigstens zu Weihnachten mal besucht.

Gott ist seit eh und je der Vater des Lebens, der Schöpfer der Welt, die Quelle allen Segens, und ohne ihn könnte keiner von uns nur einen Atemzug tun. Er liebt das Leben, es stammt von ihm, er schützt es, er verteidigt es, er wird dafür sorgen, dass das Leben siegt gegen alle Finsternis in der Welt. Deswegen ist er ein klarer Feind aller Zerstörung, der unerbittliche Feind des Todes. Der wahre Gott ist zum Glück nicht der Pate der Gewalt, der den Stärksten noch seinen Segen gibt. Er steht gegen alle Systeme, die Menschen aussaugen, ruinieren und vergewaltigen. Gegen sie richtet sich sein Zorn, und gegen alle, die im Bund mit ihnen Krieg und Terror verbreiten. Ja, auch gegen alle, die sich mit den zerstörerischen Mächten so identifizieren, dass man sie nicht mehr davon unterscheiden kann.

Begrenzte Übersicht

Aber Gott wartet ab, bis sich die Mächte der Zerstörung deutlich zu erkennen geben. Deswegen rufen dann die Opfer: warum greifst du nicht ein? Warum lässt du das zu? Die Frage ist berechtigt, aber sie kann noch nicht wirklich beantwortet werden. Und es ist auch nicht unser Job, uns als Vollstrecker von Gottes Zorn aufzuspielen. Dafür haben wir einfach zu wenig Durchblick.

Johannes sagt in seiner Offenbarung: es hat seinen Grund, auch wenn wir ihn nur ahnen können. Gott hat Gründe dafür, abzuwarten. Es ist noch nicht so weit. Aber das wird nicht immer so sein. Es kommt der Tag, an dem er nicht mehr abwartet, wo es keine Umkehr mehr gibt und das Zerstörerische zerstört wird. Es kommt der Tag, an dem die Erde nur noch hell und frei und inspiriert ist und man sich an die dunklen Schatten aus der Vergangenheit kaum noch erinnern wird.

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