Das Loblied auf Gottes Gerechtigkeit

Predigt am 17. Januar 2016 zu Offenbarung 15,1-8 (Predigtreihe Offenbarung 26)

1 Dann sah ich ein anderes Zeichen am Himmel, groß und wunderbar. Ich sah sieben Engel mit sieben Plagen, den sieben letzten; denn in ihnen erreicht der Zorn Gottes sein Ziel.
2 Dann sah ich etwas, das einem gläsernen Meer glich und mit Feuer durchsetzt war. Und die Sieger über das Tier, über sein Standbild und über die Zahl seines Namens standen am gläsernen Meer und trugen die Harfen Gottes. 3 Sie sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr, Gott und Herrscher über die ganze Schöpfung. Gerecht und zuverlässig sind deine Wege, du König der Völker. 4 Wer wird dich nicht fürchten, Herr, wer wird deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig: Alle Völker kommen und beten dich an; denn deine gerechten Taten sind offenbar geworden.
5 Danach sah ich: Es öffnete sich der himmlische Tempel, das Zelt des Zeugnisses im Himmel. 6 Und die sieben Engel mit den sieben Plagen traten heraus; sie waren in reines, glänzendes Leinen gekleidet und trugen um ihre Brust einen Gürtel aus Gold. 7 Und eines der vier Lebewesen reichte den sieben Engeln sieben goldene Schalen; sie waren gefüllt mit dem Zorn des Gottes, der in alle Ewigkeit lebt. 8 Und der Tempel füllte sich mit dem Rauch der Herrlichkeit und Macht Gottes. Niemand konnte den Tempel betreten, bis die sieben Plagen aus der Hand der sieben Engel zu ihrem Ende gekommen waren.

Wir biegen langsam in die Zielgerade der Offenbarung ein: wieder sieben Engel, die Unheil bringen, aber diesmal heißt es dazu: das sind die letzten. Und das heißt nicht nur: danach kommen keine weiteren, sondern: jetzt wird Gott sein Ziel erreichen. Das große Finale naht.

Im Zentrum: ein Loblied auf Gottes Gerechtigkeit

Diese Vision von den Engeln mit den Schalen des Zornes Gottes ist der Rahmen für eine weitere Szene: Eine Gruppe von Menschen singt das Lied des Mose und das Lied des Lammes, und sie preisen Gott für seine gerechten Taten. Und so, wie das angeordnet ist, kann man sagen: die Engel mit den Schalen sind die Außenseite, im Inneren stehen die Menschen, die das Tier besiegt haben, das Monster des Imperium Romanum und aller Imperien, die Menschen unterdrücken und zerstören, und sie singen ein Loblied auf Gott und seine gerechten Taten. Und eines Tages, heißt es darin, werden alle Völker Gott preisen, weil er Gerechtigkeit schafft.

Wir sind ja heute eher gewöhnt, Gott für seine Gnade und seine Liebe zu preisen; zur Gerechtigkeit haben wir ein eher zwiespältiges Verhältnis. Ein gerechter Gott könnte uns ja womöglich auch zu zwanzig oder mehr Jahren Hölle verknacken, als Strafe, weil wir uns so schlecht benommen haben. Unser Bild von Gott und seiner Gerechtigkeit ist ganz stark geprägt worden durch die Ängste Martin Luthers, der ein sehr negatives Bild von sich selbst hatte, und deshalb riesige Angst hatte vor dem Gericht Gottes. Und das war nicht Luthers Erfindung, sondern diese Angst hat ihm die mittelalterliche Kirche eingeflößt, die den Menschen mit dem Gericht gedroht und sie so in Angst und Schrecken versetzt hat.

Hoffnung auf das gerechte Urteil

Wenn wir aber die Offenbarung lesen, dann wird deutlich: die Menschen hoffen da darauf, dass Gott endlich Gerechtigkeit schafft. Sie warteten sehnsüchtig auf Gottes gerechte Urteile, weil sie in einer Welt lebten, in der der Normalfall Ungerechtigkeit war, Unrecht und Willkür. Stellen wir uns ein kleines Dorf irgendwo auf dem Land vor, wo nur alle halbe Jahre mal ein Richter vorbei kommt, und in der Zwischenzeit gibt es keine Gerechtigkeit. Ein Bauer und der Schmied streiten sich darum, ob die Reparatur des Pfluges gelungen ist oder nicht und ob der Bauer zahlen muss. Einer Frau ist Schmuck gestohlen worden, und als sie eine Nachbarin mit dem Schmuck sieht, behauptet die steif und fest, das sei ein Erbstück von ihrer Tante. Ein Grundbesitzer hat einem Bauern das gepachtete Feld gekündigt, obwohl der Vertrag auf 10 Jahre abgeschlossen war. Zwei Männer haben sich geschlagen, und jeder beschuldigt den anderen, dass er angefangen hat. Ein Haufen ungelöster Konflikte belastet das Dorf – aber alle müssen warten, bis endlich der Richter kommt.

Wenn endlich der Richter da ist, muss er erst mal die Gemüter beruhigen. Er muss gründlich nachforschen und alle Seiten hören. Er muss nachdenken. Er muss allen Bestechungsversuchen widerstehen. Und am Ende muss er sein Urteil sprechen. Die Frau bekommt ihren Schmuck zurück und eine Entschädigung dazu. Der Bauer behält sein Land, aber den Schmied muss er bezahlen. Die beiden Männer entschuldigen sich für die gemeinen Worte, die den Streit ausgelöst haben. Die Gerechtigkeit ist wieder hergestellt. Die Menschen können wieder friedlich und ohne Frustration miteinander leben. Und alle sind sich einig, dass ein gerechter Richter eine Wohltat ist. Gerechtigkeit ist wichtig. Und ist es da nicht ein guter Gedanke, dass Gott ein weiser und gerechter Richter ist, der am Ende ein angemessenes Urteil spricht?

Hoffnung auf weltweite Gerechtigkeit

Und nun lasst uns das alles nicht nur im überschaubaren Rahmen eines kleinen Dorfes durchdenken. Viel schlimmer als eine diebische Nachbarin sind Soldaten, die eines Tages auftauchen, sich in den Häusern einquartieren, ohne um Erlaubnis zu fragen, die Vorräte plündern, die Frauen belästigen und die Männer verprügeln, weil sie aus ihnen Informationen über irgendwelche Terroristen herausholen wollen. Oder Banden, die sich ähnlich benehmen und Schutzgeld erpressen. Großgrundbesitzer, die die Pacht willkürlich erhöhen und ihre Schläger schicken, um sie einzutreiben. So etwas gab es damals, das gibt es heute. Aber an wen soll man sich wenden, um Gerechtigkeit zu bekommen, wenn der Staat und die Gangster unter einer Decke stecken? Ist es nicht ein großartiger Gedanke, dass Gott am Ende Gerechtigkeit schaffen wird? Wenig­stens an Gott kann man sich wenden, auf ihn kann man hoffen, wenn die Menschen einen im Stich lassen. Ein Glück!

Deswegen tauchen in diesem Kapitel der Offenbarung auch so viele Erinnerungen an Mose und die Befreiung aus Ägypten auf. Sie singen das »Lied des Mose«! Als das Volk Israel in einer hoffnungslosen Lage war, vor sich das Meer und hinter sich ägyptische Soldaten, die sie in der Wüste niedermetzeln wollten, da griff Gott ein, ließ sie trockenen Fußes durchs Meer entkommen, und als die Ägypter sie auch dorthin verfolgten, kam das Meer zurück und vernichtete sie. Israel war gerettet, und sie sangen ein Loblied für Gott. Gott hatte eingegriffen, er hatte sie gerettet. Und viele Jahre später starb Jesus am Kreuz, unschuldig zum Foltertod verurteilt, aber Gott griff ein und kassierte das Urteil: er ließ Jesus auferstehen und sorgte so für Gerechtigkeit.

Es sind zwei entscheidende Momente im unübersichtlichen Lauf unserer Welt, wo sichtbar wurde, dass Gott der gerechte Richter ist. Wir erinnern uns bis heute an diese Augenblicke, wo endlich mal die Gerechtigkeit gesiegt hat.

Probleme der Gerechtigkeit

Und jetzt würden wir uns natürlich wünschen, dass es mehr solche Momente gibt. Jeder Krimi bezieht seine Energie aus der Hoffnung, dass am Ende der wahre Täter entdeckt und zur Rechenschaft gezogen wird, dass dem Opfer und allen fälschlich Verdächtigten Gerechtigkeit widerfährt. Aber wir wissen alle, dass das im echten Leben nur annäherungsweise geschieht, wenn überhaupt. Ich glaube, schon jeder Lehrer kennt das Problem: da ist er mal streng zu einem Schüler gewesen, und am Nachmittag ruft die Mutter empört an und sagt: was haben Sie mit meinem armen Kind gemacht! Der ist doch im Grunde ein Engel, vielleicht hat er ein paar kleine Fehler, aber der Kevin, der ist viel schlimmer, und den bestrafen Sie nie!

Stimmt das? Wer weiß!

Gerechtigkeit ist eine schwierige Sache. Wir wünschen uns alle, dass Terroristen bekämpft werden, dass die für ihre Grausamkeit zur Rechenschaft gezogen werden, und dann werden Flugzeuge geschickt, die Bomben abwerfen, und es trifft eine Hochzeitsgesellschaft, die gerade fröhlich feiert – und auf einmal sind die meisten tot. Und die Verantwortlichen sagen: Entschuldigung, war nicht so gemeint, wir haben uns geirrt, das passiert leider manchmal.

Im echten Leben gibt es viel zu selten den weisen Richter, der sich alles gründlich anhört, nachdenkt und am Ende ein Urteil spricht, das Gerechtigkeit schafft. Im echten Leben verstecken sich die wirklich Schuldigen viel zu oft irgendwo zwischen Unbeteiligten: unter friedliche Demonstranten oder Fußballfans mischen sich Schläger, unter harmlos Feiernde mischen sich Diebe und Vergewaltiger, Terroristen bauen ihre Stützpunkte neben Krankenhäuser, Betrüger mischen sich unter ehrliche Kaufleute. Und wenn dann irgendwer die Schuldigen bestrafen will, dann trifft es auch oder sogar nur die Falschen. Gerechtigkeit ist eine schwierige Sache.

Einfache Einteilungen funktionieren nie

Menschen versuchen immer, bestimmte Gruppen als die Bösen zu identifizieren: die Fans sind alle Schläger, die Jugendlich sind faul und frech. Die Russen saufen Wodka. Die Ausländer sind gewalttätig. Die Dresdener sind Rassisten. Das nennt man Vorurteile, und wir wissen alle, dass Vorurteile nicht vernünftig sind. Sie sind ein verzweifelter Versuch, irgendwie eine Ordnung in die unübersichtliche Welt zu bekommen und die Bösen und die Guten zu trennen. Aber das funktioniert einfach nicht. Wenn wir nach solchen Kriterien gehen, erwischen wir immer auch die Falschen.

Aber hier in der Offenbarung wird festgehalten: Gott wird Gerechtigkeit schaffen, und dann trifft es endlich keine Unschuldigen. Das ist die große Hoffnung. Das eigentliche Problem ist ja nicht, dass Gott nicht die Macht hätte, um die Bösen zu bestrafen, sondern dass er die Richtigen und die Falschen unterschiedslos treffen könnte. Wie kann er die auseinandersortieren?

Das Böse wird erkennbar

Man kann die Offenbarung auch lesen als die Geschichte davon, wie das Böse nach und nach seine Tarnung verliert. In Kapitel 9 ist zum ersten Mal vom »Abgrund« die Rede, in Kapitel 11 hören wir zum ersten Mal vom »Tier aus dem Abgrund«, dem Monster des Bösen, und in Kapitel 12 taucht erstmals der Drache auf, die Quelle alles Bösen und aller Zerstörung, und er wird endlich aus dem Himmel vertrieben. Er verliert den schönen Schein. Er wird sozusagen bis zur Kenntlichkeit entstellt. Und in dem Moment ertönt der große Siegesruf im Himmel, weil die Monster nun ihre Tarnung aufgeben mussten. Sie sind erkennbar geworden. Aber wie und wodurch ist das geschehen?

An dieser Stelle tauchen immer wieder Jesus und seine treuen Nachfolger auf. Auch hier in Kapitel 15 wird das Loblied auf Gott von denen gesungen, die siegreich aus dem Kampf mit dem Drachen hervorgegangen sind, also von den Christen, die den Verlockungen und Drohungen des Bösen widerstanden haben. Und wer sich noch ganz an den Anfang der Offenbarung erinnert, an die Botschaften an die sieben Gemeinden in Kleinasien, schon da war von den »Überwindern« die Rede, den »Siegern«, den Menschen in den kleinen Gemeinden, an die Johannes schreibt, die in vielen unübersichtlichen Situationen doch Jesus die Treue gehalten haben.

Die Maske fällt

Anscheinend ist es so, dass Menschen, die unbeirrbar am Guten festhalten, dafür sorgen, dass das Böse erkennbar werden. Man kann das schon bei Jesus gut sehen: wie seine Feinde im Lauf der Zeit immer wütender und verzweifelter werden, bis sie sich am Ende keinen anderen Rat mehr wissen, als ihn zu kreuzigen. Am Anfang sind es ehrbare Priester und fromme Schriftgelehrte, die vielleicht etwas zu sehr um ihre Pfründe besorgt sind. Am Ende ist es eine geifernde Horde, die ihn in eiskalter Wut aus der Welt schafft. Und so ähnlich bringen auch die Nachfolger Jesu die Mächte des Bösen dazu, sich immer klarer zu erkennen zu geben.

Das Prinzip dahinter ist: Je mehr sich alles zuspitzt, um so klarer werden die Unterschiede erkennbar. Um so heftiger wird die Wut auf die sogenannten »Gutmenschen«, die freundlich und barmherzig bleiben, auch gegenüber denen, die nicht zu den eigenen Leuten gehören. Und in der Offenbarung sind wir jetzt an der Stelle, wo sich das alles so deutlich herauskristallisiert hat, dass Gott tatsächlich eingreifen kann. Jetzt sind die Unheilstifter auch in der ganzen Welt so klar erkennbar wie vorher nur bei der Kreuzigung Jesu. Und deshalb wird das Unheil, das die sieben Engel mit den Schalen über die Welt bringen, jetzt die Richtigen treffen. Ich nehme da schon etwas vorweg, was erst im nächsten Kapitel erkennbar wird, aber diesmal wird es nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip gehen. Jetzt schafft Gott in der ganzen Welt Gerechtigkeit wie der weise Richter in dem kleinen Dorf.

Das Loblied auf Gottes Gerechtigkeit

Und deshalb singen die Gerechten in dieser Vision davon, dass eines Tages alle Völker ein Loblied auf Gott anstimmen werden, weil sie verstanden haben, dass Gott schon immer Gerechtigkeit im Sinn hatte und am Ende die ganze Erde damit erfüllen wird. Es kommt der Tag, an dem das Böse vertilgt ist und wir Gott verstehen werden.

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