Die Macht der Monster und ihre Propagandisten

Predigt am 23. August 2015 zu Offenbarung 13,1-18 (Predigtreihe Offenbarung 22)

1 Und ich sah: Ein Tier stieg aus dem Meer, mit zehn Hörnern und sieben Köpfen. Auf seinen Hörnern trug es zehn Diademe und auf seinen Köpfen Namen, die eine Gotteslästerung waren. 2 Das Tier, das ich sah, glich einem Panther; seine Füße waren wie die Tatzen eines Bären und sein Maul wie das Maul eines Löwen. Und der Drache hatte ihm seine Gewalt übergeben, seinen Thron und seine große Macht. 3 Einer seiner Köpfe sah aus wie tödlich verwundet; aber die tödliche Wunde wurde geheilt. Und die ganze Erde sah dem Tier staunend nach. 4 Die Menschen warfen sich vor dem Drachen nieder, weil er seine Macht dem Tier gegeben hatte; und sie beteten das Tier an und sagten: Wer ist dem Tier gleich und wer kann den Kampf mit ihm aufnehmen? 5 Und es wurde ermächtigt, mit seinem Maul anmaßende Worte und Lästerungen auszusprechen; es wurde ihm Macht gegeben, dies zweiundvierzig Monate zu tun. 6 Das Tier öffnete sein Maul, um Gott und seinen Namen zu lästern, seine Wohnung und alle, die im Himmel wohnen. 7 Und es wurde ihm erlaubt, mit den Heiligen zu kämpfen und sie zu besiegen. Es wurde ihm auch Macht gegeben über alle Stämme, Völker, Sprachen und Nationen. 8 Alle Bewohner der Erde fallen nieder vor ihm: alle, deren Name nicht seit der Erschaffung der Welt eingetragen ist ins Lebensbuch des Lammes, das geschlachtet wurde.

9 Wenn einer Ohren hat, so höre er. 10 Wer zur Gefangenschaft bestimmt ist, geht in die Gefangenschaft. Wer mit dem Schwert getötet werden soll, wird mit dem Schwert getötet. Hier muss sich die Standhaftigkeit und die Glaubenstreue der Heiligen bewähren.

11 Und ich sah: Ein anderes Tier stieg aus der Erde herauf. Es hatte zwei Hörner wie ein Lamm, aber es redete wie ein Drache. 12 Die ganze Macht des ersten Tieres übte es vor dessen Augen aus. Es brachte die Erde und ihre Bewohner dazu, das erste Tier anzubeten, dessen tödliche Wunde geheilt war. 13 Es tat große Zeichen; sogar Feuer ließ es vor den Augen der Menschen vom Himmel auf die Erde fallen. 14 Es verwirrte die Bewohner der Erde durch die Wunderzeichen, die es im Auftrag des Tieres tat; es befahl den Bewohnern der Erde, ein Standbild zu errichten zu Ehren des Tieres, das mit dem Schwert erschlagen worden war und doch wieder zum Leben kam. 15 Es wurde ihm Macht gegeben, dem Standbild des Tieres Lebensgeist zu verleihen, sodass es auch sprechen konnte und bewirkte, dass alle getötet wurden, die das Standbild des Tieres nicht anbeteten. 16 Die Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Sklaven, alle zwang es, auf ihrer rechten Hand oder ihrer Stirn ein Kennzeichen anzubringen. 17 Kaufen oder verkaufen konnte nur, wer das Kennzeichen trug: den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens.

18 Hier braucht man Kenntnis. Wer Verstand hat, berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens; seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.

Aus dem Meer steigen Ungeheuer. Das wissen wir nicht nur aus Monsterfilmen, das wusste schon Johannes aus seiner Bibel, aus dem siebten Kapitel des Buches Daniel. Da wird in einer Vision beschrieben, wie vier riesige Tiere aus dem Meer steigen: ein Löwe, ein Bär, ein Panther und ein unbeschreiblich schreckliches Ungetüm. Aber da haben sich nicht ein paar kreative Filmemacher überlegt, wie sie ihre Mitmenschen am besten zum Gruseln bringen können. Bei Daniel sind die Monster Symbole für vier Großreiche, denen Israel begegnet war – wahrscheinlich Babylon, Medien, Persien und das hellenistische Reich Alexanders des Großen und seiner Nachfolger.

Monster der Macht
Bild: sindy2838 via pixabay, Lizenz: creative commons CC0
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Für viele Menschen in der alten Zeit waren das Monster, die über ihre Welt herfielen, wo sie bis dahin verstreut in kleinen Gemeinschaften gelebt hatten. Da gab es natürlich auch Krieg und Gewalt, aber die großen Imperien waren etwas anderes. Ein Imperium ist ein Machtzentrum, das eine gut organisierte Berufsarmee hat und sich immer mehr Länder und Völker unterwirft. Die Unterworfenen werden versklavt, oder ihnen werden Tribute und Steuern abgepresst, um damit die Armee zu bezahlen und zu vergrößern, und dann kann das Imperium sich noch weiter ausdehnen. Das bedeutet noch mehr Einnahmen, man kann die Armee vergrößern, das gibt noch mehr Beute, und so weiter. Im Bild der Monster haben die Menschen sich klargemacht, was da mit ihnen passiert.

Die Könige Israels hatten gedacht, sie könnten sich gegen das babylonische Reich behaupten, aber gegen eine solche Machtmaschine hat ein kleines Königreich wie Israel keine Chance. So ein Imperium stoppt erst, wenn es an inneren Widersprüchen zugrunde geht, oder wenn es auf ein anderes Reich stößt, das eben so stark ist. Daniel in seiner Vision hat die Hoffnung, dass Gott eines Tages die Monster zur Rechenschaft zieht und die Herrschaft einem Menschen anvertraut, der sie menschlich ausübt.

Das ultimative Imperium

Johannes kannte natürlich Daniel 7. Und er beschreibt in diesem Kapitel ein Supermonster, das Merkmale all dieser vier Monster aus Daniels Vision trägt. Das ist sozusagen das ultimative Imperium, schlimmer als alles, was man bis dahin kannte. Und in der Zeit von Johannes war ganz klar, dass das nur Rom sein konnte: eine Machtzusammenballung, wie man sie in der Geschichte der Menschheit noch nie erlebt hatte. Eine Machtmaschine mit praktisch unbesiegbaren Legionen, die Länder eroberte, Städte zerstörte und die Bevölkerung als Sklaven verkaufte, die ganze Provinzen auspresste und durch die hohen Steuern die Existenz unzähliger Menschen zerstörte.

Das römische Imperium hatte bis dahin etwa 10 Kaiser gehabt – je nachdem wie man zählte. Deswegen hat das Monster 10 Diademe, also Kronen. Und all diese Kaiser waren nach ihrem Tod oder schon vorher als Götter verehrt worden. Für Juden und Christen war das eine klare Lästerung des einen Gottes. Und es war nicht einfach nur einer von den vielen regionalen Göttern, die alle Völker hatten, sondern es war ein richtiger Gegengott mit der Macht, sich weltweit durchzusetzen. Und noch mehr: die Christen wussten, dass Jesus der Herr der Welt ist. »Jesus ist der Kyrios, der Herr«, das war das zentrale Glaubensbekenntnis. Aber diese Herrschaft war ein anderer Typ von Macht, eine menschenfreundliche Art der Herrschaft. Das kollidierte mit dem Titel »Herr«, den auch die römischen Kaiser trugen, und vor allem mit ihrer Praxis. Der Kaiser ist eine schlechte Karikatur von Jesus. Und dann gibt es sogar die Geschichte von der tödlichen Wunde an einem Kopfe des Tieres, die überraschender Weise geheilt wird. Also eine Geschichte von Tod und Auferstehung!

Unerwartete Stabilität

Was könnte damit gemeint sein? Der Kaiser Nero wurde gestürzt und setzte auf der Flucht seinem Leben ein Ende. Von ihm haben die Leute sich erzählt, dass er wiederkommen, vielleicht sogar auferstehen würde. Tatsächlich folgten auf Nero in einem Jahr vier Kaiser. Die ersten drei, Galba, Otho und Vitellius, regierten jeweils ein paar Monate und wurden dann vom nächsten gestürzt, was jeweils mit ihrem Tod endete. Erst der vierte, Vespasian, blieb Kaiser. Alles in einem Jahr! Das Reich schlitterte knapp an einem blutigen Bürgerkrieg vorbei. Eine große Krise, die gerade noch mal gemeistert wurde.

Mir fällt dazu der Herbst 2008 ein: die große Krise, als die Banken gerettet werden mussten und die Weltwirtschaft am Abgrund stand. Viele dachten: jetzt ist der Kapitalismus am Ende! Aber heute scheint das Geschichte zu sein, die Wirtschaft brummt wieder und die Leute, die uns damals den Schlamassel eingebrockt haben, sind schon wieder obenauf und verdienen noch mehr Geld als vorher.

Vielleicht steht so eine Erfahrung hinter der tödlichen und doch geheilten Wunde des Monsters: es sah nach einer ernsthaften Krise des Imperiums aus, aber kurz danach ist es stärker als zuvor, seine Macht ist ungebrochen. Zweiundvierzig Monate, dreieinhalb Jahre lang sonnt es sich unangefochten im Glanz seiner Macht, und alle beten es an.

Hier haben wir wieder die dreieinhalb Jahre, die uns schon öfter begegnet sind und immer eine Zeitspanne bedeuten, wo es aussieht, als ob Gott vor den Herrschern dieser Welt kapituliert hat. Sie schalten und walten wie sie wollen, und wer nicht zum Volk Gottes gehört und es besser weiß, der huldigt der Macht. Menschen fallen immer dem Stärksten zu, wenn sie nicht fest bei Gott verankert sind.

Gewalt allein reicht nicht

Aber das geht anscheinend nicht ohne eine entsprechende Ideologie. Die Römer haben deshalb nicht allein auf die nackte Gewalt vertraut, auf ihre Legionen. Sie haben auch versucht, die Menschen religiös zu dominieren. In den Tempeln wurden überall die Bilder der alten Lokalgottheiten zur Seite gerückt und Kaiserstatuen aufgestellt. Gerade in Kleinasien, wo Johannes herkommt, wetteiferten die örtlichen Machthaber darum, wer den größten, schönsten und teuersten Kaisertempel hatte. Man kann die örtlichen Eliten und ihr Kalkül verstehen: Rom schützte sie gegen ihre Bevölkerung, sie saßen in Zukunft fester im Sattel als vorher, und im Gegenzug sorgten sie dafür, dass ihre Städte loyal blieben und pünktlich die Steuern zahlten. Und damit das Volk ruhig blieb, wurde der Kaiser als Gott und Friedensbringer und Garant des Wohlstands im Tempel verehrt. Woher soll da Opposition kommen? Wenn auch alle geistigen Mächte dem Imperium dienen – wie sollten die Menschen da auf die Idee kommen, dass es auch anders gehen könnte? Aus welcher Quelle hätten sie schöpfen können, um sich der Faszination zu entziehen, die diese monströse Machtmaschine ausstrahlte? Besonders, wenn sie dann eben noch diesen mächtigen Propagandaapparat hat?

Gleichgeschaltete Gesellschaft

Johannes beschreibt den mit dem Bild des zweiten Tieres: das kommt nicht aus dem Meer, sondern aus der Erde. Es ist sozusagen einheimisch: Die örtlichen Machthaber, die ihre Leute kennen, die Priesterschaft der Tempel kontrollieren und sich in den Dienst des großen Reiches stellen. Die sorgen dafür, dass mit den Kaiserstatuen in den Tempeln ordentlich Hokuspokus gemacht wird. Die erfinden sozusagen eine antike, religiös aufgeladene Unterhaltungsindustrie. Und dann gibt es Feste und Umzüge und die ganze Stadt ist auf den Beinen. Alle tragen irgendwelche Abzeichen, wer es nicht tut, wird schief angesehen, und wenn dir das ganze Humtata auf den Keks geht, kannst du eigentlich nichts anders machen, als möglichst weit weg in Urlaub zu fahren. Aber damals konnte das keiner, Urlaub war unbekannt, und es wollte auch keiner, denn es gab Freibier, und vom Grill gab es Fleisch umsonst. Fleisch! Das kriegten die einfachen Leute sonst nie.

Und wenn einige doch nicht mitmachten wie die Christen, dann waren sie ganz schnell außen vor, gesellschaftlich isoliert. So wie man unter den Nazis schnell negativ auffiel, wenn man nicht bei allen möglichen Gelegenheiten »Heil Hitler« blaffte. In der Offenbarung taucht an dieser Stelle das geheimnisvolle Zeichen auf, das sich alle an Stirn und Hand anbringen. Bis heute weiß man nicht genau, was damit gemeint war. Meine Vermutung ist, dass zu solchen Tempelfesten auch so was wie Jahrmärkte gehörten, und nur mit dem Festabzeichen konnte man da hingehen. Der Druck war viel größer als heute, und eine Privatsphäre, in die man sich zurückziehen kann, gab es für die normalen Menschen nicht.

Die Macht im Hintergrund

Johannes erzählt das alles und sagt: dahinter steckt die Schlange, der Satan. Aus dem Himmel ist er verstoßen worden, Jesus hat ihm mit seinem Leben und Sterben die Grundlage für seinen Einfluss zerstört, und jetzt baut er sich auf der Erde einen Propagandaapparat auf. Das ist alles nicht organisch gewachsen, sondern mit viel Aufwand künstlich inszeniert, aber es wirkt. Es entwickelt einen Sog, dem die Menschen nichts entgegen zu setzen haben.

Vorhin haben wir in der Lesung (Matthäus 4,1-11) gehört, wie Jesus vom Satan versucht wurde. Und die Versuchung bestand gerade in dieser Kombination von Versorgung mit Nahrung, religiösem Hokuspokus und Macht. Jesus hat es ausgeschlagen, auf diese Weise zu herrschen. Er hat dem Sog nicht nachgegeben, weil er wusste, dass Gott der wahre Herrscher der Welt ist, der keinen Hokuspokus braucht und die Welt ganz umsonst mit seinem Segen flutet, und der ist nicht mit Macht und Unterdrückung kontaminiert.

Und wie Jesus sollen die Christen standhaft bleiben, gegen Verlockung und gegen Druck. Johannes ist da ganz realistisch. Es kann sein, dass einigen Gefangenschaft droht. Es kann sein, dass einige getötet werden. Das ist Realität. Und Johannes sagt einfach: Da brauchen wir Geduld, die durchhält, und Glauben an Gott, dass er unterm Strich stärker ist als diese imperialen Machtmonster.

Mit Geduld und Glauben dem Sog widerstehen

Wir haben in der Offenbarung schon verschiedentlich Hinweise darauf gefunden, dass Gott durch die Geduld und Standhaftigkeit seiner Leute siegt. Wenn alle dem Sog der Macht erliegen, dann fallen die paar auf, die das nicht tun. Und dann fragen sich Leute: woher kommt diese Widerstandskraft? Zumal man ja sowieso besser lebt und gedeiht, wenn man ein freier Mensch ist.

Wir denken heute oft, das käme irgendwie so von allein, dass Menschen kritisch über die Machthaber denken und sich ihre Unabhängigkeit bewahren. In Wirklichkeit ist das ganz unwahrscheinlich, und es funktioniert nur, wenn man eine andere Macht kennt als die Macht der bewaffneten Tatsachen. Gott hat seine Leute seit langer Zeit an den Unglauben an diese gesellschaftlichen Mächte herangeführt und ihnen seine andere Macht gezeigt. Das ist jetzt in der Welt und strahlt zum Glück auch auf andere aus. Für viele ist das überhaupt nicht selbstverständlich, und für viele faszinierend. Aber das muss immer wieder ausgeübt und aktualisiert werden. Man muss das in echt erleben können. Und die Echtheit zeigt sich vor allem daran, dass Menschen auch unter Druck in dieser Unabhängigkeit bleiben. Da begegnen Menschen der wirklichen Macht Gottes. Sie hat am Ende tatsächlich auch das Imperium Romanum überwunden.

Das wird man wohl noch sagen dürfen …

Die Zahl 666 bedeutet übrigens nach den Geheimregeln, nach denen man damals so etwas verschlüsselte, »Kaiser Nero«. Sie kann aber auch »Tier« bedeuten. Also ist sie eine geheime Parole: »Der Kaiser ist ein Monster«. Nicht nur persönlich, sondern das ganze Gewaltsystem, das er verkörpert, ist monströs und widerlich. Und Gottes Macht zeigt sich darin, dass Menschen die Augen dafür aufgehen, so dass sie diese Wahrheit unbeirrt erkennen, aussprechen und weitergeben. Nicht nur damals, sondern immer wieder, zu allen Zeiten, bis heute und in Zukunft, bis die Monster am Ende sind.

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