Macht, die anders funktioniert

Predigt am 13. April 2014 (Palmsonntag) zu Offenbarung 2,18-29 (Predigtreihe Offenbarung 05)

18 »Schreibe an den Engel der Gemeinde in Thyatira: Der Sohn Gottes, dessen Augen wie Feuerflammen lodern und dessen Füße wie Golderz glänzen, lässt ´der Gemeinde` sagen:
19 Ich weiß, wie du lebst und was du tust; ich kenne deine Liebe, deinen Glauben, deine Hilfsbereitschaft und deine Ausdauer. Ich weiß auch, dass du heute sogar noch mehr tust als früher. 20 Doch einen Vorwurf muss ich dir machen: Du lässt diese Isebel, die behauptet, eine Prophetin zu sein, ungehindert gewähren. Und dabei verführt sie mit ihrer Lehre meine Diener zu sexueller Zügellosigkeit und zum Essen von Opferfleisch, das den Götzen geweiht wurde. 21 Ich habe ihr Zeit gegeben, sich zu besinnen und umzukehren, aber ´es war umsonst`: Sie weigert sich, ihre unmoralische Lebensweise aufzugeben.
22 Darum werfe ich sie jetzt aufs Krankenbett. Und die, die mit ihr Ehebruch begangen haben, lasse ich in größte Not geraten – es sei denn, sie kommen zur Besinnung und wenden sich von dem ab, was diese Frau tut. 23 Isebels Kinder aber müssen sterben; ich werde sie nicht am Leben lassen.19 Daran werden alle Gemeinden erkennen, dass mir auch die geheimsten Gedanken und Absichten nicht verborgen bleiben und dass ich jedem von euch das geben werde, was er für sein Tun verdient hat.
24-25 Aber es gibt bei euch in Thyatira auch solche, die diese Lehre nicht angenommen haben und die nichts wissen wollen von dem, was diese Leute die tiefen Geheimnisse des Satans nennen. Ihnen rufe ich zu: ›Haltet fest, was ihr habt, bis ich komme! Weiter lege ich euch keine Last auf.‹
26 Dem, der siegreich aus dem Kampf hervorgeht und bis zuletzt nicht aufhört, so zu handeln, wie ich es will, werde ich Macht über die Völker geben, 27 sodass er mit eisernem Zepter über sie regieren und sie wie Tongeschirr zerschmettern wird. 28 Ich verleihe ihm damit dieselbe Macht, die auch ich von meinem Vater bekommen habe. Und ´als Zeichen dieser Macht` werde ich ihm den Morgenstern geben.
29 Wer bereit ist zu hören, achte auf das, was der Geist den Gemeinden sagt!«

In diesem Brief an die Gemeinde von Thyatira steht im Hintergrund das Königsthema. Der König ist derjenige, der das Sagen hat, und auch in unseren demokratischen Zeiten hat doch fast jede Organisation einen Vorsitzenden oder eine Präsidentin, irgendeine Person an der Spitze, durch die der Wille dieser Organisation zusammengefasst und ausgedrückt wird. Und so ist hier von einem Zepter die Rede und von der Königin Isebel aus dem Alten Testament, und es geht um »Macht über die Völker«.

Machtsymbole, gegen den Strich gebürstet

Auch wenn die Könige bei uns heute nicht mehr so heißen – das Thema »Macht«, die Frage, wer das Sagen hat, ist natürlich immer aktuell. Vorhin haben wir in der Lesung (Johannes 12,12-19) gesehen, wie Jesus mit dem Königsthema umgeht: er benutzt ein königliches Symbol, nämlich den feierlichen Einzug eines Königs in seine Hauptstadt, und gleichzeitig verändert er dieses Symbol an einem wesentlichen Punkt: er reitet nicht wie ein König auf einem Schlachtross, sondern er benutzt einen Esel, den er sich auch noch geliehen hat. Das ist das Symbol einer dienenden Macht, Macht von unten.

Das bedeutet: wenn Jesus König wird, dann geht es nicht nur um den Austausch von Personen. Das wäre nichts Neues, das passiert dauernd, dass die Träger der Macht ausgewechselt werden, manchmal friedlich, manchmal gewaltsam. Wenn Jesus Herrscher wird, dann ändert sich der Inhalt des Wortes »Herrschen«. Wenn Jesus Macht bekommt, dann haben wir es mit einer neuen Art von Macht zu tun. Mit Jesus als König ändert sich die ganze Weise, wie das menschliche Zusammenleben geordnet wird. Und man muss gut aufpassen, dass man das nicht durcheinanderbringt, weil in der Bibel oft die herkömmlichen Symbole der Macht benutzt werden, um die neue Art von Macht zu beschreiben, mit der Gott wirkt.

Wenn z.B. Paulus die Rüstung eines römischen Soldaten als Bild benutzt, um die geistliche Ausrüstung eines Christen zu beschreiben, dann meint er gerade nicht, dass Christen militärische Macht benutzen sollen, sondern er sagt: unser Brustpanzer, der uns schützt, ist die Gerechtigkeit. Unser Schwert, mit dem wir kämpfen, ist Gottes Wort. Eure Waffen brauchen wir nicht! Aber glaubt nicht, wir wären machtlos, nur weil wir mit unseren Waffen kein Blut vergießen!

Oder eben Jesus bei seinem Einzug nach Jerusalem. Er macht deutlich: ich bin ein König, ich gestalte die Welt, aber ich mache das ohne Waffen, ohne Geld, ohne Manipulation, ohne die ganzen Druckmittel, die Machthabern zur Verfügung stehen auch schon vor dem Einsatz militärischer Mittel. Ich verzichte auf das, was ihr Macht nennt und wirke durch die andere Art von Macht, Gottes Art von Macht. Und so hat Jesus in der Tat die Welt geprägt wie kein anderer.

Wie funktioniert diese Macht?

Die schwierige Aufgabe ist, zu beschreiben, wie diese Macht funktioniert. Mir hat dabei immer eine Geschichte aus einem nationalsozialistischen Konzentrationslager geholfen, das zu verstehen: ein Wachmann schlug aus einem nichtigen Anlass einen Häftling brutal zusammen. Es war irgendwo in einer Ecke des Lagers, wo sonst keiner war. Zufällig kam in diesem Moment ein anderer Häftling dazu, und als er das sah, fuhr er ohne vorher nachzudenken den Wachmann an: »was machen Sie denn da? Sie schlagen ihn ja tot!« Der SS-Mann stutzte einen Augenblick, dann ging er ohne ein Wort zu sagen einfach weg.

Für diesen kleinen Augenblick war der sonst völlig machtlose Häftling ein König. Er regierte die Situation. Einfach dadurch, dass er die Wahrheit sagte. Der SS-Mann hatte alle militärische Macht auf seiner Seite, er hätte die beiden Häftlinge erschießen können, ohne sich dafür verantworten zu müssen. Aber in diesem einen Moment war die Macht der Wahrheit stärker als das ganze KZ-System.

Es ist klar, dass das nur ein kleiner Moment war, und anschließend waren die alten Verhältnisse wieder da. Es geht mir ja nur um die Art von Macht, die in dieser kleinen Szene sichtbar wird: es ist eine Vollmacht, die auf Wahrheit beruht. Auf der persönlichen Verwurzelung in der Wahrheit. Denn der Häftling hat sich nicht kluge Argumente und Gründe zurechtgelegt, wie er den SS-Mann überzeugen könnte, dafür hatte der gar keine Zeit und hinterher war er selbst erschrocken über seine Kühnheit. Nein, durch den Häftling hindurch sprach die Wahrheit selbst, man könnte sagen: Gott sprach durch ihn, ohne dass er das Wort Gott auch nur benutzt hätte, und das gab ihm Autorität.

Unterschiedliche Machterfahrungen

Wenn man sich das mal klargemacht hat, dann entdeckt man diese zwei Arten von Macht auch an vielen anderen Punkten, wo es nicht gleich so dramatisch ist. Wir wissen z.B. alle, dass es Chefs und Vorgesetzte gibt, die ihre Autorität nur aus ihrem Posten beziehen. Wenn sie den nicht hätten, wären sie nur Würstchen. Aber irgendwie haben sie es geschafft, ein Stück Macht in die Hand zu bekommen, und jetzt kommt keiner an ihnen vorbei.

Aber es gibt andere, die brauchen so einen Posten eigentlich gar nicht, weil sie eine natürliche Autorität haben, und ich meine jetzt nicht die, die andere mit ihrem Verhalten einfach nur einschüchtern oder manipulieren. Das gibt es natürlich auch. Aber ich denke an Menschen, denen man spontan vertraut und auf die man hört, weil man den Eindruck hat: die führen nichts Böses im Schilde, und vor allem haben sie Kompetenz und wissen, was sie tun.

Wahrheit wirkt

Natürlich gehören dazu immer zwei, derjenige, der diese Autorität hat und der, der sie erkennt. Und diese Geschichte aus dem KZ ist deswegen so ein Wunder, weil man da den Wachmannschaftern natürlich systematisch antrainiert hat, auf die militärische Macht zu achten und nicht auf die Wahrheit. Aber selbst da entfaltete die Wahrheit wenigstens in einem Moment ihre Kraft.

Wobei Wahrheit nicht bedeutet, dass man dogmatische Richtigkeiten gebetsmühlenartig immer wieder aufsagt, sondern Wahrheit bedeutet gerade: in eine aktuelle Situation mit Kraft und Vollmacht hinein zu sprechen, wie dieser Häftling im KZ.

Am deutlichsten ist diese Art von Macht natürlich bei Jesus: wenn er zu einem Menschen sagte »steh auf und sei gesund«, oder zu einem Sturm: »schweig und sei still!«, dann sprach durch ihn die ganze Autorität Gottes. Oder wenn Leute hinter seinem Rücken über ihn hergezogen waren oder versuchten, ihn mit Fangfragen aufs Glatteis zu locken, und dann konfrontierte er sie, und sie hatten keine Antwort darauf und mussten blamiert weggehen. Und vor allem zeigt sich die Macht seines Wortes natürlich daran, dass Menschen sich zu Gemeinden zusammengeschlossen haben und dann ihr Leben und im Lauf der Jahre und Jahrhunderte die ganze Welt verändert haben.

Geschwächte Wahrheit

Das bringt uns nach diesem großen Umweg zurück zu der Gemeinde von Thyatira. Viel gefährlicher als feindselige Nachbarn ist es für eine Gemeinde, wenn sie die Autorität verliert, die sie durch ihre Verwurzelung in Jesus und in seiner Wahrheit hat. Die wirkliche Kraft einer Gemeinde ist nicht die Zahl ihrer Mitglieder oder das Geld, das sie zusammenbringt und schon gar nicht die Gebäude oder Kunstschätze, die sie unterhält. Das sind alles Früchte der königlichen Autorität Jesu, aber es sind gefährliche Früchte, weil Menschen dann irgendwann anfangen, darauf zu vertrauen und nicht mehr auf die Kraft der Wahrheit.

Noch gefährlicher ist es aber, wenn Menschen gezielt andere Ideale propagieren. Johannes benutzt im Brief nach Thyatira wieder eine Geschichte aus dem Alten Testament (im vorigen Brief an die Gemeinde in Pergamon war es eine Geschichte aus der Zeit der Wüstenwanderung Israels): diesmal erinnert er an die Königin Isebel, die in Israel die Verehrung des Gottes Baal eingeführt hatte.

Der Sog der Macht

Baal ist die Verkörperung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht. Baal steht immer auf der Seite der Könige, die Baalsverehrung vergöttert die Macht und lockt die Menschen weg von der Freiheit. Denkt an unsere Konsumtempel, an die Bankenhochhäuser oder an die Stalindenkmäler in der ehemaligen Sowjetunion: das sind alles solche Baalssymbole. Und viele Menschen hängen daran, sie begeistern sich dafür und fühlen sich sicher, wenn sie sich an solche machtvollen Zeichen orientieren.

Und auch damals in Thyatira gab es solche Symbole: Tempel natürlich, aber auch Handelsgilden, die immer auch einen religiösen Beigeschmack hatten mit Riten und Festmählern und den entsprechenden Zeremonien. Anscheinend hat man dabei auch das Fleisch von Opfertieren aus den Tempeln verzehrt. Das war damals für Christen eine schwierige Frage, ob man sich daran beteiligen sollte. Paulus diskutiert das in den Korintherbriefen und sagt ungefähr: als Lebensmittel dürft ihr solches Fleisch essen, aber wenn es in einem Zusammenhang geschieht, wo es religiös aufgeladen wird, dann nicht.

Und anscheinend ging es in Thyatira um solche Festmähler mindestens mit religiösen Untertönen. Und es scheint dort eine Frau gegeben zu haben, die sich als Prophetin bezeichnete, die den Christen gesagt hat: da dürft ihr ruhig mitmachen. Ihr habt die Souveränität dafür, ihr dürft gerne mal ein bisschen mit der anderen Seite flirten, das ist ein Zeichen eurer geistlichen Stärke. Wir müssen doch nicht immer in Opposition machen.

Und das nannten sie dann »die tiefen Geheimnisse des Satans erforschen«. Der Gedanke dabei scheint gewesen zu sein: indem wir uns darauf einlassen und mitmachen, spionieren wir den Feind aus, wir lernen ihn besser kennen. Und wir zeigen gleichzeitig, dass uns das nichts anhaben kann. Ja, wir machen sogar mit bei dem lockeren Verhältnis zur Sexualität, das sie da haben. Das können wir. Da stehen wir doch drüber. Wir nehmen das ironisch.

Wer unterwandert wen?

Und das ignoriert natürlich, dass wir immer gefährdet sind, vom Baal unterwandert zu werden. Erst recht, wenn jemand das nicht aus einem vernünftigen Grund macht, sondern aus Neugier und Überschätzung der eigenen Standhaftigkeit. Da wird man ganz schnell in den Mainstream hineingezogen. Wenn du überall bei den Empfängen und Festspielen und Kungelrunden und wichtigen Sitzungen dabei bist, dann wird das nach und nach auch deine Welt. Und dann verlieren Menschen das Wichtigste, was sie von Jesus bekommen haben: die Autorität der Wahrheit.

Die gute Nachricht von Johannes ist: das wird Jesus nicht zulassen. Ich jedenfalls habe öfter mal gesehen, wie Jesus seine Gemeinde schützt gegen solche Zerstörer. Das ist kein Spaß, da kann einem manchmal schon der Schreck in die Glieder fahren.

Zum Glück scheint nicht die ganze Gemeinde so gedacht zu haben wie diese ungenannte Prophetin und ihre Anhänger. Viele haben da nicht mitgemacht, und Jesus kündigt ihnen an, dass er ihnen Anteil an seiner königlichen Macht geben wird. Aber eben an der neuen Art von Macht.

Das moralische Niveau einer Gesellschaft

Man muss sich die von der Art her vorstellen wie die aufblitzende Autorität des KZ-Häftlings, aber von der Reichweite her viel ausgedehnter. Die Christen haben ja im Lauf der Zeit die ganze Gesellschaft durchdrungen und beeinflusst. Und auch das nicht wie ein Geheimbund, der mit Tricks und Medienstrategie arbeitet, sondern durch das grundsolide Leben und auch Leiden der einfachen Christen. Die hatten die Autorität der Wahrheit auf ihrer Seite.

Und das blieb langfristig nicht ohne Wirkung. Die Christen hoben das moralische Niveau der Gesellschaft: nicht durch Appelle oder Vorschriften, sondern einfach durch ihre Lebenspraxis, und irgendwann kamen auch die Kaiser da nicht mehr dran vorbei. Keine Regierung kann sich auf die Dauer gegen das moralische Niveau ihres Volkes halten. Wenn 80 % der Menschen gegen Atomkraft und Gentechnik sind, dann kann eine Regierung nicht offen dafür sein. Und wenn die Menschen auch noch mit Entschiedenheit dagegen sind, dann kann sie noch nicht mal unter der Hand dafür sein.

Und das kann sich auf der Seite der entsprechenden Lobbyisten durchaus so anfühlen, als ob ihnen ihre ausgeklügelten Strategien und Zukunftsträume wie Tontöpfe mit einem eisernen Zepter zerschlagen werden. Jesus macht das durch das Leben vieler einfacher Menschen hindurch, die dem Baal in ihrem Alltag entgegen treten, er macht es durch Kerzen und Gebete, durch Bilder und Gedanken, durch eine andere Art von Macht, aber diese Macht ist unerwarteter Weise stark genug, um den Lauf der Welt zu beeinflussen.

Wir müssen nur darauf achten, dass unsere Wurzeln in der Wahrheit lebendig bleiben.

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