Gott aus erster Hand

Predigt am 18. Mai 2014 zu Matthäus 11,25-30

25 In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. 26 Ja, Vater, so hat es dir gefallen.
27 Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.
28 Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. 29 Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. 30 Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.

Wenn die Kinder berühmter Leute über ihre Eltern erzählen, das ist immer eine kritische Situation. Es gibt genügend Kinder, die erzählen können, dass ihre Eltern nach außen den Schein eines harmonischen Familienlebens verbreitet haben, vielleicht haben Politiker in Wahlkämpfen ihre Familie vorgezeigt, und dann erzählen die Kinder nach Jahren davon, wie schrecklich das alles für sie war und wie wenig harmonisch das Familienleben war, wenn die Kameras nicht mehr dabei und die Scheinwerfer ausgeschaltet waren. Und wir nehmen das ernst, weil Kinder sehr genau registrieren, wie sich ihre Eltern verhalten. In einer Familie kann man sich auf die Dauer nicht verstellen; Menschen, mit denen du über viele Jahre so eng zusammenlebst, die wissen viel über dich und können sehr genau sagen, wie du tickst.

Deshalb nehmen wir es dann auch ernst, wenn Kinder von guten Erfahrungen mit ihren Eltern erzählen. So wie ein Sohn oder eine Tochter kann kaum jemand über Menschen erzählen. Es gibt Dinge, die weiß nur jemand, der zwanzig oder dreißig Jahre im familiären Umfeld eines Menschen zugebracht hat. Wenn der dann viele gute Geschichten erzählen kann, dann muss es wohl wirklich ein überzeugender Vater oder eine hilfreiche Mutter gewesen sein.

Rückhalt gibt Sicherheit

Und anscheinend ist es bei Jesus auch so gewesen mit dem, den er seinen Vater im Himmel nannte: es gab Dinge, von denen Jesus als einziger wusste, und die nur er erzählen konnte. Wir sind damit ganz nahe am Herzen des Sendung Jesu. Alles was er tat – dem Bösen in jeder Gestalt entgegen treten, Menschen heilen, ihnen neue Lebensperspektiven geben, die Bibel (also damals des Alte Testament) auf neue Art zu lesen – das hatte sein Zentrum und seine Quelle in Jesu Vertrautheit mit dem Vater im Himmel. Seine Sicherheit kam aus dieser Bindung. So wie jedes Menschenkind sich in der Welt dann sicher bewegen kann, wenn es sich eingebunden fühlt in die verlässliche Unterstützung seiner Eltern.

So hat Jesus seine Sicherheit zu all den erstaunlichen Dingen, die er tat, daraus geschöpft, dass er sich der Unterstützung Gottes sicher war. Es muss einen kontinuierlichen Strom der Stärke und Bestätigung gegeben haben, der Jesus geholfen hat, gegen allen Widerstand und alle Angriffe seinen Weg zu gehen. Und wenn er die Bibel las, dann begegnete ihm auf jeder Seite die Handschrift seines freundlichen und großzügigen Vaters. Da wo andere grübelten und diskutierten, was das denn wohl bedeuten würde, da verstand Jesus intuitiv, warum die Geschichte Gottes mit seinen Menschen so gelaufen war und wieso Gott das gerade so gesagt hatte. Und die Weisheit und Weite Gottes wurde für ihn immer mehr die Luft, die er atmete und der Raum, in dem er sich ganz selbstverständlich bewegte.

Das Entscheidende wusste Jesus einfach

Und deshalb wusste er einfach auch, dass die Vorstellungen, die sich die anderen von Gott machten – die religiösen Führer, die einfachen Leute, aber auch seine Jünger –, dass deren Gedanken ziemlich weit entfernt von der Realität waren. Es ist ein bisschen so, wie wenn jemand sein Leben lang in einer Stadt gewohnt hat, sie kennt und liebt, ihre Entwicklung in Jahrzehnten mit verfolgt hat, die Art der Menschen versteht, und der hört dann, wie Touristen nach zwei Stunden Sightseeing-Tour über die Stadt reden, als ob sie sie jetzt kennen würden. Und er merkt an jedem Satz, dass sie höchstens ein paar oberflächliche Eindrücke bekommen haben, die mit der wirklichen Stadt, die er kennt, ganz wenig zu tun haben, und vielleicht sogar völlig schief sind.

So muss Jesus schon früh gemerkt haben, dass es für ihn leicht und selbstverständlich war, Gott zu verstehen und sich über Gottes Willen sicher zu sein. Und es war für Jesus eine harte, frustrierende Arbeit, den Menschen auch nur ein wenig die Augen zu öffnen für das, was er ohne Mühe und selbstverständlich von Gott sah und wusste.

Es war nicht nur einfach Unwissenheit; es war eine schlechte Mischung aus Misstrauen gegenüber dem Ungewohnten, Mäkelei, Trägheit und den Interessen derer, denen die Abwesenheit Gottes ganz willkommen war, weil er sie so in ihren Geschäften nicht stören konnte.

Kurz vor unseren Versen kann man lesen, wie Jesus ein Fazit seines Wirkens in einigen Städten in der Nachbarschaft zieht und sagt: noch nicht mal Sodom und Gomorrha hätten sich all den Wundern und Zeichen gegenüber so verschlossen, wie ihr es getan habt. Gott war unter euch sichtbar, und ihr habt ihn nicht sehen wollen.

Intellektuelle Nebelkerzen

Aber anstatt zu resignieren oder sich schmollend zurückzuziehen war das für Jesus der Moment, in dem er begann, Gott und sein Wirken noch tiefer zu verstehen als vorher. Er verstand: Gott hat es so eingerichtet, dass die kleinen Leute es leichter haben, an mir etwas von Gott abzulesen. Die Armen, die Sünder, sogar die kleinen Gauner, die den Leuten im Auftrag der Römer das Geld aus der Tasche zogen und selbst ein bisschen daran verdienten – sie alle hatten es leichter, sich die Augen über Gott öffnen zu lassen als die aus der besseren Gesellschaft, die bewandert genug waren, um die Parolen auszugeben und komplizierte Gedankengänge zu ersinnen. Wer gewöhnt ist, komplizierte Gedankengänge zu denken, der kann auch neue Erfahrungen einfach wegerklären, kann Nebelkerzen werfen und weitermachen wie bisher.

Aber die kleinen Leute, die sich mit ihrem Alltag plagen, die genug zu kämpfen haben mit ihren Rechnungen und den Nachbarn, die nicht im Zentrum der Politik stehen, die nicht das Gefühl haben, sie wären die Sieger, die müde sind von all den Jahren der Plackerei, die sind nicht so trainiert darin, sich die Realität zurechtzubiegen. Die haben nicht ganz so viele Möglichkeiten, sich etwas vorzumachen. Mindestens nach ein paar Jahrzehnten Lebenserfahrung bröckelt der Glaube, dass die Welt auf so einen wie mich schon immer gewartet hat und mir jeden Stein aus dem Weg räumen muss. Und wenn die dann an Jesus etwas gesehen haben von der Güte und Freundlichkeit Gottes, dann haben sie leichter die Konsequenz gezogen, die lautet: davon will ich unbedingt mehr haben.

Und als Jesus das neu von Gott verstanden hat, da ist er erst recht von Gott begeistert und sagt: jetzt verstehe ich deine verborgenen Wege noch besser. Du gehst deinen Weg mit denen, von denen niemand erwartet, dass von ihnen etwas Wichtiges kommen könnte, auch sie selbst nicht. Du bleibst unverständlich und unzugänglich für die, die eigentlich offiziell Bescheid wissen müssten, aber die, die nicht gewohnt sind, zu reden, und schon gar nicht öffentlich, die finden dich.

Vielleicht muss man betonen, dass es hier nicht um Intelligenz geht. Weder bei Jesus noch bei Paulus oder all den anderen Menschen Gottes aus der Bibel hat man den Eindruck, dass sie Gott deshalb nahe sind, weil es ihnen an Intelligenz fehlt. Aber sie benutzen ihre Intelligenz nicht, um sich die Wirklichkeit mit klugen Theorien vom Leibe zu halten; sie haben die Fähigkeit behalten, zu sehen, was ist, und wenn sie auf die Wirklichkeit Gottes stoßen, dann erkennen sie einfach diese Realität an und freuen sich an ihr.

Ein Fenster zu Gott

Jesus hat spätestens jetzt verstanden, was seine Rolle war: er war mit seiner Art zu leben und seinen Worten ein Fenster, durch das Menschen den lebendigen Gott sehen konnten. Er konnte sozusagen den Vorhang aufziehen, und wer dann durch das Fenster schaute, der verstand, wie Gott war. Jesus konnte niemanden zwingen, in dieses Fenster zu schauen, aber wer es tat, der entdeckte, dass Gott anders war, als es ihm die Denker verkauft hatten: weder ein strenger Lehrer noch ein Polizist oder Richter, aber auch kein gleichgültiger Gott auf Urlaub, dem das Schicksal der Menschen egal ist.

Durch Jesus entdeckten sie einen Gott, der ihnen half sich sicher zu fühlen, Vertrauen zu schöpfen in die Welt, die oft so gleichgültig und unbarmherzig erscheint. Sie entdeckten, dass sie nicht ohnmächtig sind, dass sie eine Würde haben, dass ihr Schöpfer sie aus Liebe erschaffen hat und darauf wartet, dass sie sich mit ihm gemeinsam freuen an der Schönheit der Welt und den Strömen des Segens, die die Schöpfung mit Leben erfüllen. Das alles kam durch Jesus in ihr mühsames Leben hinein. Und dann gab es keinen Grund mehr, sich etwas vorzumachen.

Die Realität verbiegen ist anstrengend

Es ist ungeheuer anstrengend, sich die Wirklichkeit zurecht zu biegen; es kostet viel Kraft, mit einer Lüge zu leben, egal ob das eine Lüge über mich selbst, über Gott oder über die andern ist. Manche Menschen schuften ihr Leben lang für diese Lüge; andere werden süchtig nach lauter kleinen Erleichterungen; wieder andere kontrollieren mit viel Aufmerksamkeit ihre ganze Umgebung, damit ihnen in niemandem die Wahrheit nahe kommt. Lebenslügen sind unglaublich anstrengend, aber manchen Menschen geht erst ganz kurz vor ihrem Tod die Kraft aus, sie aufrecht zu erhalten. Sich die Welt anders zu machen, als sie ist, das ist ein erbärmlich ermüdendes Geschäft. Wer die Sicherheit nicht kennt, die aus der Bindung an den Vater im Himmel wächst, für den ist das Leben sehr mühsam.

Jesus sagt: kommt zu mir und werft diese Last ab. Ich zeige euch die Realität, die man nicht umbiegen oder schnell wieder vergessen muss: den Vater im Himmel, der uns auch an schweren Tagen die Kraft gibt, zu bestehen, die Sicherheit, dass wir Rückhalt haben, die Bindung, die uns frei macht von den Mächten, die diese Welt mit Lügen und Ideologien beherrschen. Ich lege euch keine Lasten auf. Schaut in das Fenster, das ich euch öffne, und mein Vater wird auch euer Vater sein.

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