Wie ist die Welt wirklich?

Predigt am 3. September 2017 zu Matthäus 7,7-12 (Predigtreihe Bergpredigt 12)

7 Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. 8 Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet.
9 Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet, 10 oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet? 11 So schlecht ihr auch seid, ihr wisst doch, was euren Kindern gut tut, und gebt es ihnen. Wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn darum bitten.
12 Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.

Dieser Abschnitt ist zugleich eine Aufforderung und eine ganz ungewöhnliche revolutionäre Beschreibung der Welt. Denn die Aufforderung: Bittet! Sucht! Klopft an! Ihr habt einen Vater im Himmel, der euch mit allem Nötigen beschenken will!, macht ja nur Sinn, wenn die Welt tatsächlich so eingerichtet ist, dass wir wirklich auch diese versprochene Antwort bekommen: es wird gegeben. Ihr werdet finden. Eine Tür wird geöffnet.

Wie ist die Welt wirklich?
Bild: 5arah via pixabay, Lizenz: creative commons CC0

Und wir könnten zurückfragen: also jetzt echt? Ist die Welt tatsächlich so? Ist sie nicht eher ein Ort, wo die einen den anderen die Tür vor der Nase zuschlagen, wenn sie hilfesuchend an die Türen reicher Länder klopfen, wo den Suchenden genau das, was sie unbedingt finden wollen, vor der Nase weggenommen wird, und wo verzweifeltes Flehen gnadenlos überhört wird?

Aber wer kann eigentlich darüber entscheiden, wie »die Welt wirklich ist«? Schafft es irgendwer von uns, einen Gesamtüberblick über die Welt zu bekommen, um dann mit Sicherheit sagen zu können »so ist die Welt jetzt wirklich«?

Es hat immer wieder Leute gegeben, die das versucht haben. Wenn man z.B. Philosoph ist, dann gehört es sogar zur Arbeitsplatzbeschreibung, darüber nachzudenken, »wie die Welt wirklich ist«. Aber weil keiner bis jetzt eine völlig unumstrittene Antwort gefunden hat, deshalb leben wir bis heute alle nur mit einer Arbeitshypothese über die Welt. Wir haben so einige Annahmen, die uns plausibel scheinen, aber vielleicht leuchtet uns das ja nur deswegen ein, weil alle so denken, oder weil wir sehr spezielle Erfahrungen gemacht haben.

Angstgeprägte Weltanschauungen

Spezielle Erfahrungen gemacht hat auch einer von den Philosophen, die vor 400 Jahren intensiv der Frage nachgegangen sind, wie die Welt funktioniert, und seine Antwort hat so viele Menschen überzeugt, dass sich bis heute ganz viele davon leiten lassen, auch wenn sie den Mann selber gar nicht mehr kennen. Seine Eltern lebten in England, und als seine Mutter mit ihm schwanger war, da versuchte Spanien, mit einer großen Flotte und vielen Soldaten England zu erobern. Weil die Menschen in England davor alle große Angst hatten, deswegen soll seine Mutter ihn zu früh geboren haben. Er selbst hat im Rückblick gesagt: eigentlich sind wir Zwillinge, die Angst und ich.

Als er erwachsen war, erlebte England schreckliche Bürgerkriege. Auch die Angst davor hat ihn stark beeinflusst, und er war der Überzeugung, dass Menschen, wenn niemand sie hindert, rücksichtslos ihre Interessen durchsetzen. Wenn es keine übergeordnete Instanz gibt, die mit Macht für Frieden sorgt, dann ist das Leben Krieg. Ein Weltbild, das ganz stark von seiner Angst geprägt ist.

Auch das ist eine Arbeitshypothese, die durchaus an Erfahrungen anknüpft. Und viele andere haben das weitergedacht und gesagt: die Welt ist gefährlich, die Menschen sind gefährlich, es ist nicht genug für alle da, also müssen wir um alles kämpfen.

Gott-lose Weltanschauungen

Das ist auch eine Theorie über die Welt; im Gegensatz zu dem, was Jesus sagt, kommt allerdings Gott nur am Rande vor. Deswegen ist dann auch wenig da, was diesen starken Eindruck von Angst und Unsicherheit irgendwie korrigieren könnte. Und viele Menschen fanden, dass diese pessimistische Theorie gut zu ihnen passte und haben sie übernommen.

Das Problem bei allen Theorien über die Welt ist aber, dass sie irgendwie auch selbsterfüllende Prophetien sind: wenn ich denke, in der Welt herrscht Krieg aller gegen alle, dann kommt es oft auch so. Wenn viele Menschen so denken, dann wird die Welt tatsächlich härter und gefährlicher. Wir selbst sorgen dafür.

Die Welt als Schöpfung eines freundlichen Vaters

Damals in der Zeit von Jesus war die Welt auch hart, besonders für alle, deren Länder vom römischen Imperium unterworfen waren. Das bedeutete Gewalt und hohe Steuern. Aber Jesus hat von Gott aus gedacht, und deswegen sieht für ihn die Welt ganz anders aus. Jesus sagt: das Wichtigste, was ihr über die Welt wissen muss, ist: ihr habt einen guten Vater im Himmel, der alles geschaffen hat, und der hat das nicht gemacht, um euch zu ärgern, er hat auch nicht heimlich Fallen in die Welt eingebaut, in die ihr unvermutet reinfallt. Gott hat die Welt für euch geschaffen, um euch etwas Gutes zu geben. Er wollte euch mit etwas Schönem und unvergleichlich Gutem beschenken. Die Welt ist nicht einfach tote, stumme Materie, sondern sie ist mit einer Botschaft verbunden: ich möchte, dass ihr es gut habt. Ihr seid meine Kinder. Ich sorge für euch. Es ist genug für euch alle da. Wenn ihr zusammenhaltet, wenn ihr mir vertraut und miteinander teilt, dann wird es euch an nichts fehlen.

Und Jesus erläutert das und erinnert seine Zuhörer: ihr habt doch Kinder, ihr seid Eltern. Wenn euch eure Kinder um etwas zu essen bitten, dann gebt ihr ihnen doch keinen Stein und freut euch, wenn sie sich daran die Zähne ausbeißen. Es waren damals andere Zeiten, die Kinder bekamen viel schneller als heute mal Schläge, aber dass man seinen Kindern zu essen gibt, wenn sie Hunger haben, das war damals völlig klar. Und Jesus sagt: glaubt ihr denn, Gott würde euch schlechter behandeln, als ihr mit euren Kindern umgeht? Ihr macht sicher nicht alles richtig als Eltern, aber einiges kriegt ihr doch in der Regel hin. Und Gott wird das doch mindestens so gut hinkriegen wie ihr, oder?

Eine hoffnungsvolle Sicht auf die Welt

Wenn man die Welt so anschaut, dann ergibt sich ein ganz anderes Bild: eine Welt, die darauf angelegt ist, dass Menschen an ihr Freude haben und sie gemeinsam bebauen und bewahren. Ein Ort, wo Menschen unter Gottes freundlichem Blick Leben in Fülle haben, wo sie aus seiner Hand alles bekommen, was sie brauchen. Wo sie als Geschwister zusammen leben, und zwar nicht als Geschwister, die sich argwöhnisch belauern, wer das größere Stück vom Kuchen bekommt, sondern als Erwachsene, die sich im Lauf der Zeit schätzen gelernt haben.

Jesus knüpft an das an, was Menschen hinkriegen, nicht an unsere Defizite, obwohl er die natürlich sieht. Aber er denkt von dem Positiven her, wo sich die Spuren Gottes unter uns zeigen, und sagt: denkt auch von da aus!

Das ist das Revolutionäre, das ganz Andere an diesem Blick Jesu auf die Welt: dass da nicht von Anfang an der Krieg aller gegen alle eingebaut ist, wodurch sich dann alle auch zum Aufrüsten berechtigt fühlen, sondern da wird deutlich: wenn wir solidarisch miteinander umgehen, dann ist das nicht ein Wolkenkuckucksheim von irgendwelchen Träumern und Gutmenschen, sondern das ist in der Realität verankert. Das funktioniert. Und Jesus ist ja für Christen derjenige, der wirklich über die Welt Bescheid weiß.

Aus Gottes Reichtum leben

Wir haben diese Geschichte übrigens letzten Mittwoch in der ersten Stunde des Vorkonfirmandenunterrichts zusammen gelesen und besprochen. Sie stand am Anfang, weil das so etwas Fundamentales über Gott sagt: Gott möchte, dass wir es gut haben, dass wir alles Nötige haben, und das Schöne und das Festliche obendrein. Die Basis dieser Welt ist Gottes Freundlichkeit und Güte, nicht der Mangel und der Kampf um die knappen Güter. Er hat alles in die Welt hineingelegt, was wir zu einem guten Leben brauchen. Wir müssen nicht so leben, als brauchten wir zwei oder drei Erden. Auf dieser einen Erde reicht es für ein gutes Leben für alle. Der Kampf und der Mangel, die beginnen erst, wenn Menschen anfangen, Gott zu misstrauen und glauben, dass sie zu kurz kommen, wenn sie nicht selbst für sich sorgen. Dann reicht es wirklich nicht. Dann wird man so leben, dass man eigentlich drei Planeten braucht.

Und nun ist es ganz wichtig, sich klarzumachen, dass Jesus das über Heute sagt, nicht über eine ferne Zukunft: ihr könnt heute aus diesem Reichtum leben. Jesus lebte unter viel schwierigeren Verhältnissen als wir, er wusste sehr gut, wie gefährlich die Welt geworden ist, aber er hat uns das trotzdem als Gebrauchsanweisung für die Welt und unser Leben gesagt: bittet, und euch wird gegeben werden. Wenn ihr nach dem Reichtum Gottes in der Welt sucht, dann werdet ihr ihn finden. Lebt aus dem Positiven, lebt aus der verborgenen Fülle Gottes. Deswegen schließt der Abschnitt auch mit der sogenannten »Goldenen Regel«: Behandelt die anderen so, wie ihr selbst behandelt werden wollt.

Die Grundlage der »Goldenen Regel«

Diese Regel haben auch viele andere Lehrer der Menschheit aufgestellt, aber bei Jesus hat sie eine feste Grundlage in Gott und seinem Handeln in der Welt. Gott behandelt uns gut, deswegen wissen wir, wie gutes Leben aussieht. Und deswegen bedeutet die Goldene Regel: gebt den Reichtum Gottes weiter! Gottes Segen ist dazu da, geteilt zu werden. Wir sollen uns gemeinsam daran erfreuen. Dann tun wir niemandem etwas Böses, weil wir gar keinen Grund dafür haben. Und das funktioniert nicht erst, wenn alle das verstanden haben, sondern das geht jetzt schon. Das sieht nur dann illusorisch aus, wenn wir Gott nicht berücksichtigen und alles ohne ihn berechnen.

Wenn wir aber nicht so ein reduziertes, gottloses Weltbild haben, dann rechnen wir mit Gottes Großzügigkeit auch mitten in einer Welt voll Angst, Gier und Gewalt. Dann wird die Welt flexibel, sie ist nicht festgelegt, es gibt kein unabwendbares Verhängnis, wir können sie beeinflussen. Beten ist kein Selbstgespräch, sondern wir nehmen teil an Gottes Geschichte mit der Welt und werden Partner Gottes. Er geht auf unsere Pläne und Gedanken ein, so wie Eltern ja hoffentlich auch nicht ihren Kindern eine elektrische Eisenbahn fertig hinstellen, sondern mit ihnen gemeinsam das entwickeln und auf ihre Kinder hören, selbst wenn Papa eigentlich lieber noch einen Hafen hätte als einen Ponyhof. Gott hört auf uns und lässt uns mitmachen.

Gemeinschaften der neuen Welt

Je mehr Menschen sich dafür zusammentun, um so plausibler wird das. Es funktioniert aber auch schon mit einem einzigen oder ganz wenigen. Nur ist es dann mühsamer. Ich habe aber den Eindruck, dass es für uns leichter ist, Gott zuzutrauen, dass er gut ist, als Menschen zuzutrauen, dass sie ein Geschenk für uns sein könnten. Die Gegenbeispiele, die es ja auch gibt, die überschatten das andere, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer von den Negativbeispielen her denken.

Jesus hat sich seine Leute zusammengesucht, damit an ihnen diese revolutionär andere Welt Gottes sichtbar wird. Deswegen ist es kein Gegenargument, dass es an so vielen Stellen schief läuft in der Welt. Gerade deswegen gründet er ja die Gemeinschaften, die anders sind. Gemeinschaften, die mit Gebet und Gastfreundschaft, mit Kampf und Kontemplation für die echte Gottesrealität stehen.

Diese Realität einer reichen, sehr guten Welt, die aus Gottes Hand kommt und von seinem Segen durchflossen wird, diese Realität wird sich am Ende für alle als das Original erweisen. Die ist nicht bloß eine Arbeitshypothese, die ist Gottes Wahrheit.

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