Eingefrorene Energie und die himmlischen Schätze

Predigt am 7. Oktober 2012 zu Matthäus 6,19-21

Jesus sprach: 19 »Sammelt euch keine Schätze hier auf der Erde, wo Motten und Rost sie zerfressen und wo Diebe einbrechen und sie stehlen. 20 Sammelt euch stattdessen Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie zerfressen und wo auch keine Diebe einbrechen und sie stehlen. 21 Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.«

Eine ganze Menge von uns kennen wahrscheinlich Gollum aus dem »Herrn der Ringe«. Und wer den Film gesehen hat, der erinnert sich wahrscheinlich auch an sein heiseres Zischen »Schatz! Mein Schatz!«. Ich hab schon Konfirmanden erlebt, die das wesentlich besser nachmachen konnten als ich. Für alle unter uns, die den Film nicht kennen: Gollum ist ein undefinierbares, haarloses, schleimiges Wesen, dessen einziges Lebensziel darin besteht, den Ring der Macht zurück zu bekommen. Der Ring macht unsichtbar, er macht unsterblich, und wer mit ihm umgehen kann, dem gibt er große Macht. Aber wer ihn trägt, den laugt er auch aus, er zieht das Leben aus ihm heraus, bis am Ende aus einem lebendigen Wesen mit vielen Interessen, Begabungen und Freuden jemand geworden ist, in dessen Leben nur noch der Ring zählt. Erst denkt der Ringträger, er sei der Herr des Rings, und am Ende beherrscht der Ring ihn, er saugt ihm das Leben aus und macht ihn zu einem beinahe seelenlosen Zombie. Gollum hat den Ring Jahrhunderte lang getragen, er ist mit ihm verbunden wie kein anderer, und so wird er fast nur noch bewegt von der Gier, den Ring um jeden Preis wiederzubekommen.

Und als ich über diese Worte Jesu aus der Bergpredigt nachdachte, wo er sagt: ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da fiel mir gleich Gollum und sein Schatz ein. Aber Gollum ist ja nur die literarische Verdichtung einer ganz alltäglichen Sache: ein Schatz ist Lebenskraft, die nicht mehr lebendig ist, sondern aufgespeichert, konzentriert, abgetrennt von denen, die sie ursprünglich hervorgebracht haben.

Das ist schon eine merkwürdige Sache: du arbeitest Tag für Tag, du tust etwas für Menschen, sie geben dir etwas dafür, und am Ende hast du ein dickes Bündel Scheine, und du musst dir davon nicht gleich etwas kaufen, sondern du kannst das Geld unter deine Matratze legen und sammeln, und da liegt es. Deine aufgespeicherte Arbeit, vielleicht aus vielen Jahren, ein nicht unerheblicher Teil deiner Lebenszeit: daraus wird ein Bündel Blätter aus Papier, bunt bedruckt. Du kannst es aufheben und irgendwann mal eine Reise machen oder es zur Goldenen Hochzeit so richtig krachen lassen oder dir ein Haus davon kaufen. Aber vielleicht kommt auch vorher ein Einbrecher, durchstöbert deine Wohnung und findet den Schatz unter der Matratze. Und er freut sich und verjubelt ihn in einer Woche. Deine ganze Mühe und Arbeit aus vielen Jahren ist einfach futsch. Wie kann das sein, dass einer sich deine gesammelte Lebenskraft unter den Nagel reißen kann, einfach so? Das ist das Geheimnis des Schatzes.

Vielleicht denkst du: ich bin nicht so blöd, dass ich die Scheine unter die Matratze lege, ich bringe sie zur Bank oder investiere sie in meine Altersversorgung. Da sind sie sicher. Aber vielleicht kommt eine Krise, die Inflation, irgendein Crash, der nicht mehr aufzufangen ist, irgendwelche Gangster kommen nicht mehr mit der Brechstange, sondern per Computer, und alles ist weg. Wie kann das sein, dass andere deine Arbeit aus vielen Jahren einfach so in Rauch aufgehen lassen können? Das ist das Geheimnis des Schatzes.

Schätze sind eingefrorene Lebensenergie, die eigentlich herrenlos ist, sie gehört dem, der sich den Schatz unter den Nagel gerissen hat, egal, wem dieses Leben ursprünglich mal gehört hat. Der Ring, der Schatz von Gollum, ist ja auch mal so entstanden, dass der böse Sauron seine ganze kriminelle Energie trickreich in diesem Ring konzentriert hat.

Wer den Herrn der Ringe nicht kennt, der kennt vielleicht Momo, wo die grauen Herren die Menschen überreden, ihnen ihre Lebenszeit anzuvertrauen. Oder Harry Potter, wo es von magischen Dingen nur so wimmelt, in denen alle möglichen Arten von Lebensenergie gespeichert sind. Und immer wieder geht das schief und bewirkt Unheil.

Jesus sagt: das ist eine Illusion, das funktioniert nicht. Leben ist lebendig, man kann es nicht aufspeichern und sammeln. Das gibt nur Probleme. Leben muss gelebt werden, Leben muss lebendig bleiben, es gehört mit dem zusammen, dessen Kraft es ursprünglich ist. Oder, wenn wir an die Lebensmittel denken, die wir uns heute vor Augen führen: die gehören zusammen mit der Erde, auf der sie gewachsen sind, sie gehören zusammen mit den Menschen, die dafür gearbeitet haben. Sie gehören auch zusammen mit ihrem Geruch, ihrem Geschmack, ihrem Aussehen. Wir leben eben nicht von Nährstoffkonzentrat. Wir leben aber auch nicht von abstrakten Werten, von Zahlen auf einem Blatt Papier oder dem Computerbildschirm. Wenn Lebensmittel zu Spekulationsobjekten werden, zu Notierungen an der Rohstoffbörse, dann geht es den Menschen schlecht. Erst denen, die jetzt schon nicht das Geld haben, um sich das noch zu kaufen, und irgendwann uns allen.

Schätze haben ihre eigenen Interessen, sie wollen nicht unbedingt, dass es ihren Eigentümern gut geht. Sie wollen vor allem mehr werden, immer mehr. Deswegen vagabundieren heute gewaltige Kapitalmassen durch die Welt, sie fließen blitzschnell von hier noch dort, immer auf der Suche nach Mehr. Sie richten hier eine Krise an, ruinieren dort eine Volkswirtschaft, zerstören am anderen Ende der Welt den Regenwald und versuchen mit allen Tricks, die lebendigen Menschen dazu zu bringen, dass sie ihnen dienen, dem toten Mammon.

Und Jesus sagt: dient ihnen nicht! Ihr müsst euch entscheiden zwischen dem lebendigen Gott und dem toten Mammon. Der Mammon zerstört euch, wie Gollum von seinem Schatz ausgesaugt wurde. Bei Gott kann man tatsächlich Schätze sammeln, ohne Schaden anzurichten. Bei Gott wird unsere Lebenskraft nicht eingefroren und gespeichert, sondern sie bleibt lebendig. Wenn wir ihm unsere Energie anvertrauen, dann bleibt sie im großen Kreislauf drin, und sie kann nicht gestohlen werden. Gott ist ja der Urheber aller Energie und Lebenskraft. Ihm gehört sie, und er hat sie verschenkt, damit wir sie weitergeben, damit wir teilen, damit wir lieben, damit wir in Beziehungen mit anderen leben, damit wir verbunden sind mit Gott und allen Geschöpfen.

Sammelt euch Schätze im Himmel! sagt Jesus. Der Himmel ist die verborgene Seite der Welt, wo Gottes Wille jetzt schon geschieht. Keine besonders sichere Schatzkammer, wo man seine Ersparnisse unterbringt, sondern ein verborgenes Netzwerk, das die ganze Welt durchzieht. Ein Netzwerk des Lebens und der Freiheit. Jesus hat es mit seinen Jüngern begonnen. Lauter Menschen, die bei ihm gelernt haben, wie sich richtiges Leben anfühlt, wie man die Kraft Gottes weitergibt, so dass sie Menschen aufatmen lässt, sie heilt und zum Segen werden lässt. Die ganze Energie in der Welt, das ist eigentlich der Segen Gottes, und wir sollen Segensmenschen sein. Menschen, die schenken und weitergeben, anstatt festzuhalten und zu verteidigen.

Es ist verrückt: mit einem Bruchteil des Geldes, das in der Welt für Waffen ausgegeben wird, könnte man dem Hunger auf der Welt ein Ende machen. Mit einem Bruchteil des Mammons, der auf der Jagd nach profitablen Anlagemöglichkeiten durch die Welt vagabundiert, könnte man dafür sorgen, dass alle Menschen medizinisch gut versorgt werden. Es ist genug für alle da – aber es ist nicht bei allen. Das ist die Macht der Schätze über Menschen, dass sie uns gegeneinander stellen und Feindschaft und Misstrauen und Not produzieren, und alle leiden darunter.

Aber Jesus hat dieses neue Netzwerk begonnen, er hat die Kräfte des Himmels zu uns gebracht, und er sagt: der Himmel ist nahe, er ist jetzt für jeden in Reichweite, jeder kann seine Lebenskraft in Gottes Sache investieren, jeder kann sein Herz in Zukunft daran hängen, jeder kann dabei sein, wenn mitten in der Welt die neue Welt beginnt und wächst, die neue Menschheit, zu der Jesus seine Nachfolger an seinem Tisch versammelt. Die neue Menschheit, die von Schenken, Geben und Teilen lebt. Und das heilt auch die Wunden, die uns der Mammon immer wieder schlägt.

Jesus hat uns Worte des Lebens gegeben, die diese neue Zone des Lebens schaffen, Menschen, die bewegt sind sind durch das Vorbild Jesu, durch seinen Geist und eine Verbundenheit quer zu allen Einteilungen, mit denen man Menschen sonst einteilt. Und diese Gemeinschaften, die Jesus ins Leben gerufen hat, die haben in drei Jahrhunderten das grausame römische Weltreich von innen her verwandelt, sie haben durch alle folgenden Jahrhunderte Menschen Würde und Hoffnung gegeben, sie waren Zellen des Lebens, wo man sich unterstützt hat und zusammen gehalten hat, und es sind Orte, wo man nicht auf die Illusion der Schätze herein fällt, weil man den lebendigen Gott und den wirklichen Schatz kennt. Solche Gemeinschaften lassen selbst die Schöpfung aufatmen, weil da der Segen wieder in Fülle strömt.

Wer den »Herrn der Ringe« kennt, der weiß: Gollum ist manchmal nahe daran, frei zu werden von der Bindung an den Ring. Aber nie schafft er es, und am Ende geht er mit seinem Schatz zugrunde. Und er tut einem leid, weil man sieht: in all seiner Gier nach dem Ring ist auch er ein Opfer. Jesus will nicht, dass wir Opfer werden. Deshalb ruft er uns weg von den toten Schätzen zum lebendigen Gott und zu seinen Gemeinschaften, wo der Segen lebendig bleibt und uns Stück für Stück erneuert zu immer vollerem Leben.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Thomas Jakob

    Super Predigt! Das Bild mit der eingefrorenen, abgetrennten Lebensenergie gefällt mir sehr gut.

  2. Walter

    Hallo Thomas, schön, dass es dir gefällt! Ich habe mir gerade deinen Blog angesehen, den finde ich auch richtig interessant von der ganzen Fragestellung her, da denke ich auch gerade dran entlang.

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