Denkschule Vaterunser

Predigt am 25. Juni 2017 zu Matthäus 6,7-15 (Predigtreihe Bergpredigt 8)

Jesus sprach: 7 Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.

9 So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, 10 dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde. 11 Gib uns heute das Brot, das wir brauchen. 12 Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen.

14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Das Kernstück unseres Textes ist das Vaterunser. Wahrscheinlich ist das der am häufigsten zitierte christliche Text, und auch der stammt aus der Bergpredigt. Das Vaterunser ist hier eingerahmt von zwei Anweisungen: zuerst, dass wir nicht viele Worte machen sollen beim Beten, und am Ende, dass wir Menschen vergeben sollen.

Kein Belabern …

Christliches Beten wird zuerst abgegrenzt vom »Plappern wie die Heiden«. Wer Gott nicht kennt, der stellt ihn sich vor wie einen Patriarchen, den man voll labern muss, bis er am Ende endlich entnervt tut, was er soll. Man muss ihm schmeicheln, ihm die Not drastisch vor Augen stellen, viel Bitte-Bitte machen, ihm ein schlechtes Gewissen injizieren, bis er am Ende etwas tut, wozu er eigentlich keine Lust hat. Wie einer, der endlich den Rasen mäht, weil er das Gejammer über das hohe Gras nicht mehr hören kann.

Dahinter verbirgt sich ein schiefes Gottesbild, so als ob die Interessen von Gott und uns gegeneinander stünden. Eigentlich hätte er lieber seine Ruhe, als sich immer um unsere Angelegenheiten kümmern zu müssen. Dieses Bild von Gott steht auch dahinter, wenn Menschen versuchen, mit geistlichen Übungen Gottes Wohlwollen zu erlangen: wir müssen Gott irgendwie beeinflussen, damit er sich für uns einsetzt.

Stattdessen sagt Jesus: Gott weiß, was ihr braucht. Und das nicht bloß in dem Sinn, dass er Bescheid weiß, was man bitten wird – so wie man vielleicht voraussieht, dass die Kinder im Supermarkt an der Kasse wieder wegen Süßigkeiten quengeln werden. Eher so, wie Eltern wissen, dass die Kinder demnächst neue Jacken für den Winter brauchen. Das wissen Eltern nicht nur, sondern sie möchten auch, dass ihre Kinder nicht frieren. So ist es gemeint, dass Gott unsere Bitten kennt, längst bevor wir bitten: er macht sich von sich aus Gedanken über unser Wohlergehen, wir müssen ihn nicht erst da hin manipulieren, sondern das ist von Anfang an seine Herzensangelegenheit.

… sondern Kooperation

Warum müssen wir dann aber überhaupt beten, wenn Gott weder Informationen noch Motivation von uns benötigt? Weil Gott mit uns zusammenarbeiten möchte. Gott verfolgt ein Projekt mit dieser Welt, und er möchte, dass wir dabei seine Partner sind. Unter Partnern und Verbündeten spricht man miteinander: man stimmt sich ab, man teilt seine Sorgen, Freuden und Hoffnungen. Man sorgt natürlich auch füreinander, aber vor allem kommuniziert man rund um das gemeinsame Ziel.

Deswegen stehen auch im Vaterunser am Anfang die Bitten, bei denen es um das Gedeihen dieses gemeinsamen Projekts geht: dass die Erde nach Gottes Willen gestaltet sein möge, dass die Schöpfung seine Herrlichkeit widerspiegelt.

Beten um ein unverzerrtes Bild Gottes

Das fängt an mit der Bitte, dass Gottes Name geheiligt werde. Beides, »Name« und »heiligen«, sind biblische Schlüsselworte. Im Namen ist die Identität einer Person konzentriert: ihre Geschichte, ihre Eigenart, ihr Auftrag. Im Namen Gottes ist die ganze Geschichte Gottes mit seiner Welt und mit seinem Volk konzentriert. Und wenn wir darum bitten, dass dieser Name geheiligt sein möge, dann bitten wir darum, dass Gott nicht missverstanden werde. Dass Menschen sich nicht gegen Gott wenden, weil ihnen irgendwer ein schiefes Bild von ihm vermittelt hat.

Ich habe so viele Menschen erlebt, die Vorbehalte gegen Gott haben, weil in ihnen dann immer das Bild von schwierigen Menschen aufsteigt. Und dann sagen sie: diese amerikanischen Evangelikalen, die jetzt sogar Trump unterstützen! Dieser Pastor der uns damals im Konfirmandenunterricht mit der Bibel verhauen hat! Die ganzen Heuchler, die in die Kirche rennen und anschließend ihre Schwiegertöchter tyrannisieren! Diese Gemeinde, wo sie alle wegbeißen, die nicht zu ihnen passen!

Das ist alles nicht besonders logisch, es ist genauso logisch, wie wenn einer sagt: weil mich damals ein Arzt falsch behandelt hat, deshalb will ich nichts mehr mit der Medizin zu tun haben. Aber trotzdem verstellen solche Erfahrungen Menschen den Blick auf Gott. Und das ist keine Ausnahme, sondern Gott wird grundsätzlich missverstanden, systembedingt sozusagen. Unsere Bilder von Gott sind immer schon infiziert durch schlechte Erfahrungen in einer beschädigten Welt, und es ist ein Wunder, wenn Gottes Stimme einigermaßen unverfälscht bei uns ankommt.

Deswegen bitten wir im Vaterunser, dass Gottes Name geheiligt werde, dass sein Bild also nicht verfälscht, verzerrt oder verdunkelt werde, sondern dass wir und andere dem Orginal begegnen und uns nicht von Karikaturen in die Irre führen lassen.

Beten um Gottes Regierung

Und von diesem echten und wahren Gott bitten wir, dass sein Reich komme. Auch da ist jedes Wort von Bedeutung: wir bitten nicht darum, dass wir in sein Reich kommen, ins Himmelreich etwa, wo man dann auf einer Wolke sitzt und Halleluja singt. Die Richtung ist andersherum. Gottes Reich, also sagen wir: Gottes Einflussbereich soll sich bis zu uns hin und darüber hinaus erstrecken. Seine neue Welt soll kommen, zuerst im Verborgenen, und dann auch vor aller Augen. Die Welt soll von ihm regiert werden, aber Gottes Regierung funktioniert anders als die menschlichen Regierungen. Auch da sind unsere Worte kontaminiert von falschen Vorstellungen über Gewalt und Zwang, und wir müssen sie quasi desinfizieren, bevor man sie gut benutzen kann. Wenn Gott regiert, dann ändert sich die Bedeutung des Wortes »Regieren«.

Beten um Gottes Willen

Ganz ähnlich ist es mit der Bitte, dass Gottes Wille geschehe »wie im Himmel so auf Erden«. Darin ist vorausgesetzt, dass Gottes Wille auf Erden eben nicht geschieht. Es ist nicht sein Wille, dass Krieg herrscht, dass Menschen andere Menschen und die Natur ausbeuten, es ist noch nicht einmal sein Wille, wenn ein Mensch stirbt. Der Tod in jeder Gestalt ist nicht sein Wille. Er ist doch der Gott des Lebens. Er hat aber die Herrschaft über die Welt seinen Ebenbildern, den Menschen anvertraut. Und damit sind Tod und Zerstörung in die Welt eingebrochen.

Gott ist deshalb Mensch geworden, damit es mit Jesus einen alternativen Menschen gibt, der um sich herum Leben verbreitet. Und nun soll es viele andere Menschen geben, die damit weitermachen. Und dazu gehört der Wille. Unser Wille soll sich mit Gottes Willen verbinden, mit ihm zusammengehen. Aber unser Wille richtet sich von Haus aus auf alle möglichen anderen Dinge. Gottes neue Welt gehört nicht unbedingt zu unseren ersten Prioritäten. Wir bitten also gegen unseren real existierenden Willen darum, dass der sich verändert, dass uns andere Dinge wichtig werden, dass sich bei uns die Prioritäten verschieben. Und bei vielen anderen auch. Wir bitten also für uns und andere, dass wir uns an der verborgenen Seite der Welt orientieren mögen, am Himmel, wo Gottes Wille jetzt schon geschieht.

Beten um Gottes Schutz in unsicherer Welt

Wenn diese Priorität klar ist, dann kommen wir auch selbst vor mit unserem täglichen Brot. Wenn wir Gottes Partner sein sollen, dann muss er auch darauf achten, dass wir versorgt werden. Aber die Bitte um das tägliche Brot signalisiert dabei, dass wir von Gott und seiner Versorgung abhängig bleiben. So ist es ja real: die Nahrungsmittelvorräte der Welt reichen nur ein paar Monate weiter als bis zur nächsten Ernte. Wir sind alle darauf angewiesen, dass Gott jedes Jahr wieder Lebensmittel nachwachsen lässt. Wer Vorräte für viele Jahre anhäufen will, der würde anderen etwas wegnehmen.

Deswegen sollen wir um das bitten, was wir jeweils brauchen, aber nicht um Sicherheit darüber hinaus. Die gibt es nicht; das ist aber nicht schlimm. Wir sind Tag für Tag auf Gottes Hilfe und Versorgung angewiesen, und davon unabhängig werden zu wollen, das richtet jede Menge Schaden an. Im Augenblick scheint es ja so zu sein, dass Menschen diejenigen wählen, die ihnen am glaubwürdigsten Sicherheit versprechen. Aber das Leben ist nicht sicher. Die Welt ist gefährlich. Wir können einiges tun, aber Sicherheit kann niemand versprechen. Niemand kann etwas daran ändern, dass wir zuerst und zuletzt von Gottes Schutz und Versorgung abhängig sind. Alle Versuche, das zu ändern, machen die Welt nur noch unsicherer.

Beten gegen die Versuchung der Sicherheit

Im Gegenteil ist es die große Versuchung, von Gott unabhängig werden zu wollen. Jesus hat das selbst erfahren, ganz am Anfang seines Weges, als der Versucher kam und ihn dazu bringen wollte, auf Geld, Ruhm und Macht zu setzen: alles Dinge, für die man scheinbar Gott nicht nötig hat und die einem trotzdem das Leben komfortabel machen.

Das ist der Kern der menschlichen Versuchlichkeit, dass wir Gott misstrauen und deswegen irgendwo anders Sicherheit suchen. Aber diese Sicherheit produziert gerade die Gefahr. Sie geht auf Kosten anderer, und das schafft Feindschaften, Streit, Krieg, Gewalt. Die Sehnsucht nach Sicherheit ohne Gott ist die große Versuchung, und wir bitten im Vaterunser darum, dass wir davor beschützt bleiben.

Aber weil wir anfällig sind für diese Versuchung, deswegen verletzen Menschen immer wieder andere Menschen. Immer geht es um den Versuch, die Unsicherheiten und Schmerzen anderen hinzuschieben. Aber das macht die Welt nur noch gefährlicher, es füllt sie mit Verbitterung, mit Feindschaft und einer riesigen Menge Leid. Unrecht ruft Gewalt hervor, Gewalt Gegengewalt, alle Gewalt hat Kollateralschäden, und das alles kann nur durch Vergebung Frieden finden.

Beten für Schuldenerlass

Deswegen ist im Vaterunser von Vergebung die Rede: »Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben.« Die Welt findet nur zum Frieden, wenn die Forderungen gestrichen werden und die gegenseitigen Aufrechnungen zerrissen werden. Das gilt übrigens auch für finanzielle Schulden. Jesus lebte in einer Welt, in der Existenzen zerstört wurden über Schulden, von denen man nicht mehr loskommt. Und diese Schäuble-Energie, dass alles bis auf den letzten Heller bezahlt werden muss, und dass man nichts geschenkt bekommen darf, die führt geradewegs in den Zorn Gottes, der uns dann auch unsere Rechnungen präsentiert.

Aber egal, ob finanziell oder anderswie: All die aufgehäuften offenen Rechnungen jeder Art, die Vorwürfe und Aufrechnungen kommen nur aus der Welt, wenn wir uns davon lösen, sie aus der Hand geben und Gott überlassen. Nur so ziehen sie nicht immer länger eine Spur der Verwüstung über die Erde. Gott steht da jedenfalls nicht hinter. Er ist keiner, der nur darauf wartet, dass er endlich einen Schuldtitel in der Hand hat, mit dem er uns drangsalieren und zu irgendetwas zwingen kann.

Eine neue Denkweise

So beschreibt das Vaterunser in kurzen Sätzen ein gesundes Verhältnis zwischen Gott und uns. Es beschreibt die Art, wie Jesus und sein himmlischer Vater miteinander umgegangen sind. Und dabei entsteht eine neue Sprache, die unsere gewohnten Begriffe neu füllt, damit unsere beschädigten Denkmuster erneuert werden und in unseren menschlichen Worten doch die Wirklichkeit Gottes aufscheinen kann.

Und was auch immer wir mit dem Wort »Vater« verbinden – hier im Vaterunser ist beschrieben, wie wahre Vaterschaft aussieht, und alle menschlichen Väter, aber auch alle, die irgendeine Macht ausüben, bekommen hier ein Muster beschrieben, um ihre Berufung besser zu verstehen und zu leben.

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