Mach’s wie Gott!

Predigt am 14. Mai 2017 zu Matthäus 5,38-48 (Predigtreihe Bergpredigt 6)

Jesus sprach: 38 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. 39 Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.
40 Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. 41 Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. 42 Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.
43 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, 45 damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
46 Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? 48 Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.

Bild: OpenIcons via pixabay, Lizenz: creative commons CC0

An dieser Stelle sind wir deutlich im Kernbereich der Bergpredigt: wir sollen uns an Gottes Vorbild orientieren. Gott ist freundlich zu den Guten und zu den Bösen. Er beschenkt alle mit Sonne und Regen gleichermaßen. Gott ist vollkommen, weil er der Gott aller Menschen ist. Gott ist vollkommen, weil seine Liebe nicht vom jeweiligen Gegenüber abhängig ist, sondern Gottes Liebe hat ihre Quelle in Gott selbst.

Gottes Liebe war schon da, bevor Gott die Welt schuf, sie wird nicht erst geweckt durch das Verhalten seiner Geschöpfe. Oder um es ganz persönlich zu sagen: Gott hat dich gewollt und ins Leben gerufen, dieses große Ja stand ganz am Anfang, bevor du irgendetwas tun konntest, um es dir zu verdienen. Und deswegen kannst du es auch nicht rückgängig machen. Das Ja Gottes zu allen Menschen und allen Geschöpfen ist die Grundlage des Lebens in unserer Welt.

Vollkommenheit?

Hier bedeutet also Vollkommenheit etwas ganz anderes, als wir uns darunter vorstellen. Wenn wir hören, dass wir »vollkommen sein« sollen, dann bekommen wir reflexartig Beklemmungen und sagen: o nein, wie soll ich das schaffen? Immer alles richtig machen, kein einziger Fehler, das habe ich schon damals im Diktat in der vierten Klasse nicht geschafft, und im Schönschreiben schon gar nicht. Und wer kirchliche Vorkenntnisse hat, der fühlt sich gleich wie Luther im Kloster.

Aber ich glaube, es ist schon klar, dass die Vollkommenheit, von der die Bergpredigt spricht, kein Perfektionismus ist. Das Problem, das die Welt mit uns hat, besteht nicht darin, dass wir gelegentlich Fehler machen. Das Problem besteht darin, dass wir die Liebe Gottes begrenzen und sie nicht in der Fülle weitergeben, wie Gott sie schenkt.

Wir hier und die da?

In der Zeit von Jesus war dieses Problem ziemlich schnell konkret zu beschreiben: jeder Jude in Israel bekam es damals zu spüren, dass er in einem besetzten Land lebte. Jeder musste an den Zollstationen vorbei, wo die Zöllner im römischen Auftrag kassierten. Ein stetiger Strom von Geld floss aus der Provinz in die Zentrale nach Rom, für den Luxus der Oberschicht und für das Militär, aber natürlich bedienten sich auch viele andere Hände daran und machten ihre Geschäfte damit.

Das war die perfekte Situation für eine Zweiteilung der Welt in diejenigen, die zu uns gehören, alle patriotischen Juden also, und die anderen, die uns unterdrücken – die Römer und ihre einheimischen Erfüllungsgehilfen. Und es gab viele Strömungen, die von dieser Unterscheidung ausgingen: vor allem natürlich die Zeloten, die Terroristen der damaligen Zeit. Und es ist nicht so, dass Jesus die Unterdrückung und Ausbeutung bestritten hätte. Er hat sehr deutlich zu seinen Jüngern gesagt: die Herrscher dieser Welt unterdrücken ihre Völker – macht ihr es bitte anders!

In Jesu Augen war der Punkt nicht, dass die Römer gar nicht so schlimm waren und man immer beide Seiten in einem Konflikt verstehen muss, weil doch immer beide irgendwie auch Recht haben. Nein, die Römer waren schlimm, sie waren grausam, die Kreuzigung Jesu ist das beste Zeichen dafür. Die Zöllner waren gemeine Nutznießer und Agenten der Ausbeutung. Das sieht Jesus genauso wie die anderen damals.

Auch an die Bösen denken

Der Punkt, um den es Jesus geht, war die Frage: wie reagieren wir auf diese Lage? Und Jesus macht deutlich: Gott hat auch die Römer und die Zöllner im Blick und sucht einen Weg auch für die. Er ist nicht gegen sie, er ist für die ganze Welt. Und wenn ihr Söhne und Töchter Gottes sein wollt, dann müsst ihr einen Plan haben, der auch die Bösen mit einbezieht. Ihr könnt eure Solidarität nicht auf die eigenen Leute begrenzen, Gott tut es auch nicht. Gott will alle mit seiner Liebe erreichen.

Spielräume entdecken

Das bringt die Jesusleute zunächst einmal dazu, sich nicht mehr als die Opfer zu sehen, denen etwas angetan wird, wogegen sie hilflos sind. Nein! sagt Jesus, ihr habt Handlungsmöglichkeiten, ihr habt Optionen, ihr habt Alternativen, ihr seid nicht ohnmächtig. Und das gibt den Unterdrückten und Ausgebeuteten ihre Würde zurück und schützt sie davor, Verbitterung und Hass zu entwickeln, denn die sind zerstörerisch und machen alles schlimmer.

Das Problem ist ja, dass viele Menschen, denen wirklich oder auch nur angeblich Unrecht getan wird, dann selbst Zuflucht suchen in destruktiven Haltungen. Ich habe neulich gehört, wie ein Soziologie beschrieben hat, dass es in unserer Gesellschaft richtige Verbitterungsmilieus gibt, wie er das genannt hat. Menschen, die z.B. wenig attraktive Arbeiten für wenig Geld erledigen müssen, und wo es auch wenig Berufsstolz gibt, so wie vielleicht Handwerker einen Berufsstolz entwickeln und sagen: was ich hier mache, das kann nicht jeder Hobbyklempner mit ein paar Teilen aus dem Baumarkt nachmachen. Im Gegensatz dazu bekam dieser Soziologe von einer Reinigungskraft zu hören: »Putzen kann doch jeder Affe.« Ich finde, es ist eher bemerkenswert, wie viele Menschen trotz schlechter Bezahlung und Stress immer noch Menschen gut pflegen oder freundlich und korrekt ihre Waren ausliefern. Und das ist auch ein ganz wichtiger Schutz davor, bitter zu werden und Wut zu entwickeln, die einen am Ende selbst auffressen. Und das gibt es nicht nur bei schlecht bezahlten Dienstleistern, das gibt es auch unter gut ausgebildeten Leuten, die den Eindruck haben, dass ihnen der Status verwehrt wird, der ihnen eigentlich zustünde oder die als ganzer Berufsstand ihren Abstieg erleben müssen, wie die Stahlarbeiter in den USA, die dann ihre Stimmen bei der Präsidentenwahl grotesker Weise einem Milliardär gegeben haben.

Der Verbitterungsfalle entkommen

Wir erleben ja, wie aus solchen Erfahrungen des Ärgers und der Verbitterung richtige politische Strömungen werden können, die das Klima der ganzen Gesellschaft vergiften. Wenn eine Gesellschaft es zulässt, dass viele Menschen sich überflüssig vorkommen, nicht gebraucht, missachtet oder abgehängt, dann ist immer die Gefahr da, dass da eine Mischung aus Resignation, Wut, Neid und Hass entsteht. Und die einen zerkratzen aus Wut Autos, beschmieren Wände oder schlagen Menschen zusammen, die irgendwie anders aussehen oder ihnen vielleicht auch nur gerade über den Weg laufen. Und die anderen rächen sich mit dem Stimmzettel. Und immer ist die Botschaft: ihr werdet schon sehen, was passiert, wenn ihr mich im Stich lasst!

Im Unterschied dazu verbreitet Jesus keine Botschaft an »die da oben«, die das Problem endlich mal lösen müssten, sondern er sagt seinen Leuten: seid ihr die Lösung für das Problem dieser Gesellschaft! Jeder und jede kann ein Teil der Lösung sein, wenn sie die Liebe Gottes kennen und weitergeben. Das ist der Weg aus der Verbitterungsfalle.

Auch die Feinde erreichen

Jesus macht das an Beispielen deutlich, aber es geht ihm mehr um die Grundhaltung als um die konkreten Beispiele. Ein römischer Soldat durfte z.B. einen Provinzbewohner zwingen, ihm eine Meile weit das Gepäck zu tragen. Und statt mürrisch ihre Pflicht zu erfüllen, sollen die Leute Jesu diese Gelegenheit nutzen und stattdessen mit Freundlichkeit und Großzügigkeit die Situation gestalten, zwei Meilen mitgehen und so die Front der Ablehnung zwischen Juden und Römern durchbrechen. Das funktioniert natürlich nicht immer, aber es ist etwas im Menschen, das auf solche unerwarteten Gesten reagiert. Es ist ein Zeichen, durch das vielleicht auch ein römischer Soldat sich unwohl fühlt mit seiner gewohnten Willkür.

Jesus selbst hat ja mit der Art, wie er starb, den Kommandanten des Hinrichtungskommandos zum Innehalten gebracht. Am Ende sagte er: der, den wir gekreuzigt haben, das war Gottes Sohn. Hätte Jesus den Hauptmann beschimpft und beleidigt, das hätte nichts verändert, so was kannte der, aber dass einer für seine Feinde betete und ohne Hass starb, das hat ihn erreicht. Wir sehen daran, dass dieser Weg Jesu seinen Preis hat, aber der Preis bei Hass und vielleicht Krieg ist mindestens so hoch.

Wenn das im Prinzip klar ist, dann muss man aber auch dazu sagen, dass wir Liebe mit Klugheit verbinden müssen. Jesus selbst hat durch seine Wunder Gottes Barmherzigkeit verkörpert, aber er ist auch weitergezogen, obwohl noch nicht alle Kranken geheilt waren. Er ist mit seinen Jüngern im Boot weggefahren, weil er mit ihnen allein reden wollte und weil auch er mal eine Pause brauchte. Er hat sich verweigert, als man ihn in einen Erbschaftsstreit hineinziehen wollte.

Liebe bedeutet nicht Grenzenlosigkeit

So müssen wir auch unser Maß kennen. In dieser Welt gibt es mehr Probleme, als wir persönlich lösen können. Unser Beitrag ist begrenzt. Gut, vielen Leuten müsste man sagen: eigentlich könntest du schon ein bisschen mehr tun. In deinem Leben gibt es eine ganze Menge Zeit und Geld, mit der du sinnvollere Dinge tun könntest. Anderen muss man aber auch sagen: ein Tag in der Woche ist für Unterbrechung und Ausspannen da, da leg die Arbeit aus der Hand, auch die Arbeit für Gott, du brauchst Zeit, um dich zu regenerieren, auch geistlich. Gott hat nichts davon, wenn du irgendwann nicht mehr belastbar bist.

Wir kennen alle auch Situationen, wo man uns die Verantwortung für eine Situation zuschieben will, die wir nicht haben. Wenn eine Person anruft und sagt: die Welt ist so schrecklich, du musst mir jetzt zuhören, damit ich meinen Druck loswerde, und anschließend, nachdem wir stundenlang ihre Seele gestreichelt haben, ist endlich das Gespräch zu Ende, unser Tag ist gelaufen, aber er oder sie ruft den nächsten an und erzählt noch mal das Gleiche von vorn, wir fühlen uns ausgenutzt und unser Gesprächspartner kann weitermachen, ohne etwas an der Situation zu ändern – das ist nicht die Liebe Gottes, von der Jesus spricht. Ähnlich ist es bei Geld: einem chronischen Schuldenmacher oder gar einem Süchtigen immer wieder mit Geld auszuhelfen, macht die Sache nur schlimmer.

Natürlich appellieren Menschen dann an unser schlechtes Gewissen. Aber je mehr wir aus Gottes Liebe heraus leben, um so weniger sind wir für solchen Manipulationen empfänglich. Wenn du das immer wieder erlebst, wie Gottes Liebe durch dich hindurch zu Menschen kommt, dann wirst du unempfänglich für die Schlechtes-Gewissen-Macherei. Du weißt genau, wie es ist, aus Gottes Liebe heraus etwas zu tun. Und wenn dann einer sagt: was, du willst mir jetzt nicht helfen? Du bist unglaubwürdig! Ich schnippe mit dem Finger, und du springst nicht? Ihr seid mir schöne Christen! Diese Gemeinde besteht ja nur aus Heuchlern! Wenn dir einer so kommt – dann ist das sein Problem und nicht deins, und du solltest dir deine Energie für bessere Gelegenheiten aufsparen.

Feinde sind uns nahe

Gottes Liebe ist grenzenlos, aber er behält sich sein eigenes Urteil darüber vor, was gut für uns ist. Auch da sollte er unser Vorbild sein.

Unsere Feinde werden hoffentlich im Unrecht sein mit dem, was sie Böses über uns zu sagen haben. Aber es sind gerade die Feinde, die mit uns am intensivsten verbunden sind, sie achten besonders auf uns, sie sind mit am offensten für das, was wir von uns geben. Deswegen kann Gott sie durch uns besonders gut erreichen. Also sollen wir diese Chance nutzen, das Böse mit Gutem überwinden und für sie ein Zugang zur grenzenlosen Liebe Gottes werden.

Wir kämpfen gegen das Böse in der Welt, und das hoffentlich mit Entschiedenheit und Ausdauer. Aber wir kämpfen nicht gegen Menschen, nicht gegen Fleisch und Blut.

Schreibe einen Kommentar