Hand ab, Auge raus

Predigt am 19. März 2017 zu Matthäus 5,21-30 – Predigtreihe Bergpredigt 4

Jesus sprach: 21 Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12): »Du sollst nicht töten«; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. 22 Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig. 23 Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, 24 so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.
25 Vertrage dich mit deinem Widersacher sogleich, solange du noch mit ihm auf dem Weg bist, auf dass dich der Widersacher nicht dem Richter überantworte und der Richter dem Gerichtsdiener und du ins Gefängnis geworfen werdest. 26 Wahrlich, ich sage dir: Du wirst nicht von dort herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlt hast.
27 Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 20,14): »Du sollst nicht ehebrechen.« 28 Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. 29 Wenn dich aber dein rechtes Auge verführt, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. 30 Wenn dich deine rechte Hand verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle fahre.

Erst hat Jesus am Anfang der Bergpredigt die Grundlagen seiner anderen, neuen Art zu leben benannt, jetzt kommen Beispiele dafür. Geistlich arm sein, also in der Kraft des Heiligen Geistes darauf verzichten, die Welt und seine Mitmenschen auszubeuten – was ist damit gemeint? Und wie verhält sich das zu den alten Geboten Gottes, die es schon lange gibt?

Bild: webandi via pixabay, Lizenz: creative commons CC0

Mord z.B. ist eigentlich überall verboten, und natürlich heißt es schon in den Geboten vom Sinai, die Israel seit langem lange kannte, »Du sollst nicht töten!«. Die Tötung eines Menschen ist in der Regel ein eindeutiger Tatbestand, und die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten ist ziemlich hoch. Ich glaube, ungefähr 90 %.

Ehebruch ist komplizierter, da sind ja mindestens zwei Personen beteiligt. In manchen Gesellschaften wird Ehebruch bestraft, in anderen nicht. Auch bei uns begibt sich die Justiz aus gutem Grund nicht in das schwer durchschaubare Kuddelmuddel menschlicher Beziehungen, sondern regelt nur die Folgen, vor allem im Familienrecht.

In den Gedanken fängt es an

Jesus zeigt nun an diesen Geboten, dass die schon immer in die Richtung weisen, in die er nun entschlossen weiter geht. Einen Menschen zu töten ist ein krasser Fall von Ausplünderung und Bemächtigung, da lässt man ihm ja gar keine Luft zum Leben mehr. Einem anderen den Partner oder die Partnerin auszuspannen, ist nicht ganz so zerstörerisch, aber immer noch schlimm genug. Aber das ist ja immer schon der Endpunkt eines längeren Weges, und der hat mit einem Gedanken angefangen, mit einer vorsichtigen Andeutung, mit einem zweideutigen Satz, und erst ganz am Ende steht die klar ersichtliche Tat. Aber erst die ist, wenn überhaupt, ein eindeutiger Tatbestand.

Deshalb tut sich die Justiz so schwer mit all dem, was man »Hasskriminalität« nennt, also mit dem Erzeugen einer feindseligen Stimmung im Großen oder im Kleinen. Wenn ich, um ein verrücktes Beispiel zu nehmen, sagen würde: »in den Seniorenheimen gibt es zu viele Internetbetrüger«, dann wäre das ziemlich unsinnig, aber natürlich gibt es unter Hunderttausenden oder Millionen von Menschen auch ein paar Internetbetrüger, und jeder einzelne ist natürlich einer zu viel. Ich hätte also nicht gelogen, aber wenn genügend Menschen diesen Satz immer von Neuem wiederholen, dann schaffen sie eine Verbindung zwischen Seniorenheimen und Internetbetrug, und am Ende gehen Menschen nur noch schaudernd an Seniorenheimen vorbei, weil sie dort eine kriminelle Hackerszene vermuten, die mit klappernden Tastaturen Tag und Nacht daran arbeitet, den Rest der Gesellschaft arm zu machen.

Ein gefährlicher Mechanismus

Das war jetzt natürlich ein völlig beklopptes Beispiel, weil es niemanden gibt, der ein Interesse daran hat, Senioren als kriminelle Szene zu brandmarken. Aber der Mechanismus selbst funktioniert leider nur zu gut: man bringt einen Menschen oder auch eine Gruppe von Menschen immer wieder mit negativen Vorstellungen in Verbindung, und das verschiebt das Bild, das andere von diesem Menschen oder dieser Gruppe haben. Irgendwas bleibt schon hängen, und manchmal ziemlich viel.

Und am Ende wird einer gemobbt, ein Laden verliert seine Kunden, das Image einer öffentlichen Person ist beschädigt, Männer und Frauen betrachten einander misstrauisch, Flüchtlingsheime werden angezündet, religiöse oder nationale Minderheiten werden attackiert, Kriege brechen aus. Und alles hat mit Gedanken begonnen, die das Klima vergiften. Wenn erstmal eine Atmosphäre des Ärgers und des Beleidigtseins entstanden ist, wenn Wut und das Gefühl des Zu-kurz-gekommen-Seins um sich greifen, wenn alle gereizt sind und niemandem mehr vertrauen, dann endet das oft auch mit handfesten Angriffen. Das gilt für Familien genauso wie für Staaten.

Krasse Bilder

Das ist nicht die Art, wie Menschen miteinander leben sollen. Und deswegen fordert Jesus uns auf, diesen Entwicklungen so früh wie möglich entgegen zu treten und sich schon den ersten Gedanken zu verbieten, erst recht das erste böse Wort. Schon das wäre eigentlich ein Fall für das Schwurgericht, sagt er. Jesus benutzt in diesem Abschnitt öfter solche Bilder, die nicht wörtlich zu verstehen sind, sondern einfach zeigen, wie radikal er das meint. Ich kenne jedenfalls auch von Leuten, die darauf bestehen, dass die Bibel genau wörtlich zu nehmen sei, keinen Fall, wo sich jemand ein Auge ausgerissen oder eine Hand abgehackt hat.

Es geht tatsächlich darum, dass wir einigen Neigungen nicht erlauben dürfen, sich in uns breit zu machen. Wer Ärger und Erbitterung in sich nährt, der vergiftet zuerst sich selbst. Jedes Mal, wenn du dem Ärger, der Wut, der Empörung über die Fehler anderer Raum gibst, entfernst du dich ein Stück weit vom Weg des Lebens. Du bleibst hinter deiner Bestimmung zurück. Es ist ein Stein, mit dem du an deinem eigenen Kerker baust, in dem du am Ende ganz allein sein wirst mit Wut und Hass und Bitterkeit. Aber vorher hast du vermutlich auch noch genügend andere mit diesem Virus angesteckt. Denn das ist ein ziemlich infektiöses Virus.

Wer mit Menschen zu tun hat, die dauernd offen oder versteckt aggressive oder missbilligende Signale senden, der weiß, wieviel Kraft das kostet, sich nicht davon anstecken zu lassen, nicht ebenfalls die Meckerstimmung, die Gereiztheit zu verstärken.

Die sexualisierte Brille

Auf eine etwas andere Weise zerstörerisch ist es, wenn man das andere Geschlecht vor allem durch eine sexualisierte Brille anschaut. Männer und Frauen können in vielfältigen Beziehungen mit einander verbunden sein, sie können füreinander Eltern und Kinder, Kollegen, Nachbarn, Konkurrenten, Freunde, Kundinnen und Verkäufer, Vorgesetzte und Untergebene sein und noch vieles mehr, ganz unabhängig vom Geschlecht. Das alles wird schwierig, wenn wir uns die sexualisierte Brille angewöhnt haben. Erst recht, wenn wir in einer Gruppe oder Firma sind, die so einen sexualisierten Unterton in der Kommunikation hat. Vielleicht kennen Sie solche Milieus, wo dauernd irgendwie schlüpfrig gesprochen wird. Dann bekommen alle anderen Beziehungen eine unangenehme Beimischung, einen erotischen Unterton, der das Gegenüber vor allem durch sein Geschlecht definiert.

Natürlich ist das Geschlecht nicht unwichtig, und wir reagieren natürlich immer auch als Männer und Frauen aufeinander. Das ist nichts Schlimmes oder Schlechtes. Aber wir müssen dieser Sichtweise »Stopp!« sagen, wenn sie sich in uns ausbreitet und sich in alles einmischt. Wir dürfen ihr kein Futter geben. Wir müssen sie auf den angemessenen Platz verweisen. Wir bringen uns nämlich sonst um die Möglichkeit, mit der Hälfte aller Menschen in guten, freundschaftlichen und engen Beziehungen zu leben. Es gibt gute, enge und tiefe Freundschaften zwischen Männern und Frauen, Männern und Männern, Frauen und Frauen, die nicht erotisch sind und zu den guten und bereichernden Seiten unseres Lebens gehören. Das sind die großen Geschenke in unserem Leben, die uns manchmal völlig unverhofft anvertraut werden. Und wir machen sie kaputt, wenn wir sie sofort und vor allem als sexuell aufgeladene Beziehung einordnen.

Ein neues Verhältnis der Geschlechter

Das passiert übrigens nicht nur in besonders liberalen und moralisch laxen Gesellschaften. Im Gegenteil, gerade in Gesellschaften, die Männer und Frauen aus Furcht vor der Sexualität voneinander isolieren, haben die ja gar keine Möglichkeiten, sich als harmlose Nachbarn oder gleichgesinnte Freunde kennenzulernen. Wenn Männer oder Frauen in mehr oder weniger abgeschlossenen Welten nebeneinander her leben, dann rückt gerade das Geschlecht in den Mittelpunkt, und dann gibt es fast nur noch die sexuelle Brille.

Jesus lebte ja in einer Gesellschaft, wo Männer und Frauen meistens in unterschiedlichen Welten lebten und wenig voneinander wussten. Um so bemerkenswerter ist es, dass es in der Umgebung Jesu ein für damalige Verhältnisse ziemlich ungezwungenes Miteinander von Männern und Frauen gab, man könnte vielleicht sagen: ein kameradschaftliches Miteinander. Und genauso in den ersten Gemeinden. »Hier ist nicht Mann noch Frau« heißt es bei Paulus. Wir sind durch Jesus Christus verbunden und nicht durch Geschlechtsbeziehungen. Kein Wunder, dass dann schnell Gerüchte die Runde machen, weil andere sich das gar nicht vorstellen können. Bis heute findet man das, z.B. wenn Schriftsteller und andere Jesus immer mal wieder eine Frau oder eine Geliebte andichten. Das sagt mehr aus über die Erfinder solcher Vermutungen als über Jesus.

Einschnitte und ihr schlechter Ruf

Beide Male, mit Blick auf die Mann-Frau Beziehung und mit Blick auf Ärger und Aggression, sagt Jesus: wenn du das volle Leben erreichen willst, zu dem Menschen bestimmt sind, dann darfst du einigen Anteilen deiner Persönlichkeit keinen Raum geben. Du musst dich davon trennen, ebenso radikal, als ob du dir ein Körperteil abschneiden würdest. Das kann auch ziemlich weh tun, wenn es schon ein wichtiger Teil deiner Person geworden ist. Nicht die Sexualität und sexuelle Regungen sind schlecht, nicht Aggression und ein klares Urteil über Gut und Böse sind schlecht, aber wenn daraus Gedankenkomplexe werden, die sich in alle anderen Bereiche hineinfressen, wenn dein Denken und das Klima in dir und um dich herum vor allem sexuell oder feindlich getönt ist, dann schneidest du dich langsam aber sicher von den Quellen des wahren Lebens ab. Deshalb stoppe das, lange bevor es einen Level erreicht, wo sich in Richter damit befassen muss.

Das klingt für uns ungewohnt – schließlich haben wir doch gelernt, dass es wichtig ist, authentisch zu sein und nichts in sich zu unterdrücken. Aber Hassprediger und Grabscher sind auch authentisch, sehr sogar. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass in uns selbst, in unserer Person, Anteile sind, die dem wahren Leben im Weg stehen, weil wir damit andere Menschen und das Leben selbst aussaugen und plündern. Das steht im Konflikt mit der neuen Art zu leben, die Jesus bringt: der Welt zu vertrauen, dem Leben zu vertrauen, Gott zu vertrauen.

Groß oder klein leben?

Wer lernen will, wie so ein Leben geht, kommt auch an Punkte, wo er sich von dem anderen Weg des Beutemachens verabschieden muss. Aggression und Sexualität sind nur Beispiele dafür, wenngleich nicht unwichtige. Wir bekommen das große Leben manchmal erst dann in Fülle, wenn wir zu dem kleinen Leben des Mangels, des Raffens und Verteidigens, Nein gesagt haben. Auch alle Verbote und Gebote weisen, richtig verstanden, in diese Richtung. Und in Jesus ist dieses neue Leben zum ersten Mal voll zu erkennen: Ja, das gibt es. Ja, so muss Leben eigentlich gehen. Gehen wir Jesus nach!

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