Die Revolutionäre und die Tradition

Predigt am 19. Februar 2017 zu Matthäus 5,13-20 – Predigtreihe Bergpredigt 3

13 Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.
14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 15 Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. 16 So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
17 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. 18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. 19 Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. 20 Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

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Jesus beschreibt in der Bergpredigt die Revolution des Reiches Gottes, die er mitbringt: eine neue Lebensart, die auf einer anderen Sicht der Welt basiert. Er hat das ganz am Anfang der Bergpredigt in den Seligpreisungen umrissen: wie man lebt aus dem Vertrauen auf die Güte dieser Welt, die im Verborgenen darauf wartet, dass Menschen sie entdecken. Ein Weg, das Leben als Geschenk zu empfangen und es nicht als Beute an sich zu reißen. Sich auf Gott verlassen, obwohl wir ihn nicht berechnen und kontrollieren können.

Wer macht die Revolution?

Und wie jeder, der eine Revolution anschiebt, braucht Jesus eine revolutionäre Bewegung, die das Neue voranbringt. Deshalb redet er im Anschluss an die Seligpreisungen von denen, die das Salz der Erde und das Licht der Welt sind, von der Stadt auf dem Berge und vom Leuchter, dessen Licht man nicht verbirgt. Mit diesen Bildern beschreibt er die Aufgabe seiner Leute:

  • Salz war damals vor allem Konservierungsmittel, und in zweiter Linie Gewürz. Eine kleine Menge Salz sorgt dafür, dass viele Lebensmittel genießbar bleiben. Es geht also um eine Minderheit, die aber für das Ganze total wichtig ist.
  • Licht ist nötig, damit man sich in der Dunkelheit orientieren kann – und damals, ohne elektrisches Licht, war es nachts wirklich so richtig dunkel. Aber schon ein kleines Licht verändert alles. Wer es anzündet, der wird es doch nicht verbergen, sondern er sorgt dafür, dass es gesehen wird. So, deutet Jesus an, wird auch Gott dafür sorgen, dass diese Minderheit sichtbar wird und dadurch die Lage in der Welt grundlegend ändert. Denn warum sollte Gott sich die Mühe machen, erst so eine Gemeinschaft ins Leben zu rufen und sie dann wieder zu verstecken? Nein, Gott wird dafür sorgen, dass sie sichtbar werden!

Wer ist aber mit dieser Gruppe gemeint? Jesus redete zu Israel, dem Volk, das Gott berufen hatte, das Licht der Welt zu sein, das Volk, dem Gott durch das Gesetz und die Propheten gesagt hatte, wer er ist und was sein Wille ist. In Israel hatte sich der wahre und lebendige Gott Menschen zu erkennen gegeben, damit alle Völker ihn durch Israel finden können.

Volk Gottes ohne Plan

Das Problem war nur, dass auch Israel ratlos war, wie man unter dem Druck des römischen Imperiums leben sollte, das die halbe Welt beherrschte, ausbeutete und prägte. Wie sieht unter den Bedingungen von Ohnmacht und Unterdrückung ein Leben nach dem Willen Gottes aus, an dem sich auch noch die anderen unterdrückten Völker orientieren können? Das war die offene Frage. In Israel paktierten die Oberschichten mit den Unterdrückern, die Frommen dachten intensiv über Details der religiösen Vorschriften nach, einige probten den bewaffneten Kampf, der nur in einem Desaster enden konnte, und die meisten versuchten einfach, irgendwie mit ihren Familien zu überleben. Nichts davon war eine wirklich Lösung.

Und dann kam Jesus und ging einen neuen Weg, und er musste einerseits deutlich machen, dass hier etwas wirklich Neues begann: die Revolution des Reiches Gottes, ein Weg, dem Druck des Imperiums zu widerstehen, und andererseits musste er zeigen, dass er gerade so dem Weg Israels treu bleibt, dass es sein neuer Weg war, durch den Israels Erbe und Auftrag endlich zu seinem Ziel kam. Und deshalb sagt er hier am Anfang der Bergpredigt: Glaubt nicht, dass ich vorhabe, unser großes Erbe auf den Müll der Geschichte zu entsorgen. Im Gegenteil, ich will es erfüllen, ich will seinen wahren Sinn sichtbar machen. Mein neuer revolutionärer Weg ist gleichzeitig das, worauf die uralten Worte Gottes an die Väter schon immer abzielten.

Die falsche Alternative

Bis heute ist es für Menschen schwierig, das beides miteinander in Verbindung zu bringen. Die einen sagen über Jesus: er hat etwas völlig Neues gebracht und auf die alten jüdischen Gesetze können wir in Zukunft verzichten. Aber hier in der Bergpredigt sagt Jesus, dass er genau das nicht will.

Die anderen haben behauptet: Jesus war ein Rabbi unter vielen, ein großer jüdischer Lehrer, der sich einfach nur bemüht hat, das Gesetz aktuell auszulegen. Und man fragt sich, wieso er dann solche Konflikte ausgelöst hat und gekreuzigt wurde. Aber die Pointe bei Jesus ist, dass er das beides zusammen hält: das große heilige Erbe und den Beginn von etwas ganz Neuem.

Und das ist kein Problem von damals, sondern bis heute müssen alle revolutionären Bewegungen irgendwie diesen Spagat hinkriegen, etwas Neues zu bringen, und doch nicht das Gute und Starke an den alten Traditionen über Bord zu werfen. Leider geht das meistens schief. Wenn die Revolutionäre erst einmal an der Macht sind und die Verbindung zu den traditionellen Tugenden kappen, dann werden sie ganz schnell korrupt und unterdrückerisch. Dann begehen sie im Namen des Fortschritt die schlimmsten Verbrechen. Wenn sie aber einfach nur die traditionellen Werte wiederherstellen wollen, dann werden sie scheitern und zu Heuchlern werden, weil die traditionellen Werte ja gerade nicht mehr hilfreich waren, weil sie keine Kraft mehr hatten, weil sie der Situation nicht gewachsen waren. Sonst würden sie ja heute noch gelten.

Besser sein als die Hüter der Tradition

Jesus löst das, indem er sagt: wenn ihr zu der neuen Bewegung gehören wollt, die ich mitbringe, dann dürft ihr unser heiliges Erbe nicht über Bord werfen, aber ihr müsst besser sein als die Traditionalisten. In der Bergpredigt wird Jesus dieses Muster immer wieder an einzelnen Beispielen deutlich machen, und darum geht es immer wieder auch in vielen anderen Passagen des Neuen Testaments. Stehlen ist natürlich verboten, schon in den 10 Geboten, und das bleibt auch so, aber die Christen teilen darüber hinaus sogar ihre Güter miteinander. Menschen zu töten ist natürlich verboten, das bleibt auch so, aber von den Christen geht stattdessen ein breiter Strom des Segens und der Heilung aus. Kaputte Sexualität und Ehebruch ist verboten und bleibt es auch, aber die Christen leben ein neues, freundschaftliches Verhältnis der Geschlechter, das weit über diese Minimalforderungen hinausgeht. Andere zu verleumden ist und bleibt natürlich verboten, aber die Christen sprechen darüber hinaus Worte, die heilen und Menschen in ein neues Licht stellen.

Entlarven ist simpel

Es ist leicht, die Schwächen der traditionellen Werte zu entlarven, weil das eben nur Moral ist, und Moral hat in der Regel eben nicht die Kraft, ein wirklich gutes Leben hervorzubringen. Wir alle wissen doch, wie schnell gerade die Moralprediger sich als die schlimmsten Heuchler entpuppen; immer wieder fliegen ja solche Leute auf, die sich als konservative Wertebewahrer geben, gegen die schlimme Unmoral wettern, und dann kriegen sie auf einmal außerehelichen Nachwuchs oder lassen sich scheiden oder auf ihrem Computer werden Pornos gefunden oder etwas von der Art. Diese Widersprüche und Heucheleien aufzudecken und anzuprangern ist einfach. Davon sind die Medien voll, damit wird Stimmung gemacht, damit kann man auch Wählerstimmen einsammeln. Aber im Grunde ist das Entlarven ein total langweiliges Geschäft.

Die eigentliche Aufgabe

Viel anspruchsvoller ist es, herauszufinden, wie die alten Werte so mit dem Neuen verbunden werden können, dass sie erst jetzt ihren vollen Glanz kriegen, dass sie eben nicht mehr Moral sind, sondern ein Wegweiser in die neue Welt Gottes. Erst im Zusammenhang mit der Revolution des Reiches Gottes bekommen die alten Werte ihren richtigen und angemessenen Platz. Wer das den Menschen plausibel machen kann, der wird groß heißen im Himmelreich.

Übrigens bedeutet »Himmelreich« nicht eine Zone über den Wolken, wo man Harfe spielt und Halleluja singt, sondern »Himmel« ist eine umschreibende Bezeichnung für Gott; deshalb ist das »Himmelreich« das gleiche wie das »Reich Gottes«, also der verborgene Bereich unserer Welt, wo jetzt schon Gottes Wille geschieht. Wahrscheinlich wissen das alle, aber ich sage es noch mal zur Sicherheit.

Und dort im Himmelreich ist groß, wer z.B. zeigen kann, dass Christen natürlich die Menschenrechte beachten, dass wir aber darüber hinaus wissen, dass das Recht jedes Menschen davon kommt, dass Gott ihn ansieht und mit Namen kennt und liebt, und dass Menschen auch so aufeinander schauen sollen. Im Himmelreich ist groß, wer für die Freiheit von Menschen eintritt, aber dabei weiß, dass Freiheit nicht dazu da ist, dass die Starken die Verbindung zu den anderen Schwächeren kappen und nur an sich selbst denken. Und wer das dann auch noch umsetzt in die Praxis einer Gruppe, in das Leben der Gemeinde. Damit dient man den sogenannten alten Werten viel besser als ihre ganzen selbsternannten Verteidiger. Damit ist man wirklich Salz der Erde und Licht der Welt, denn so können alle den Willen Gottes am Leben einer Gemeinschaft ablesen.

Gott ist nicht von uns abhängig

Eine Warnung baut Jesus hier ein, und er wird es im Lauf der Bergpredigt noch öfter tun: wenn das Salz keine Kraft mehr hat, dann nützt es nichts mehr. Dann kann auch Gott damit nichts mehr anfangen. Wer sich darauf beruft, dass er Israel ist oder die christliche Kirche ist, und dann nicht liefert, der verlasse sich nicht darauf, dass Gott ewig gute Miene zum bösen Spiel macht. Gott kann, so hat es Johannes der Täufer gesagt, Abraham aus Steinen Nachkommen erwecken, das heißt: Gott kann sich für seine Mission auch neue Menschen suchen, wenn die alten sich verweigern. Wenn Gott uns zu seinen Leuten erwählt hat, heißt das nicht, dass er jetzt von uns abhängig wäre.

Deswegen hat Jesus zu Israel gesprochen, aber nicht alle sind ihm gefolgt. Und so hat er um seine Jünger herum einen neuen Kern geschaffen, zu dem später sogar Heiden dazugestoßen sind. Niemand hat ein Recht darauf, dass Gott die neue Welt mit ihm baut, aber alle sind eingeladen, bei Jesus und gemeinsam mit all seinen Leuten die neue Welt zu entdecken und die Regeln und Muster, die da gelten.

Das Erbe zum Leuchten bringen

Alle sind eingeladen, miteinander zu lernen, wie man die Güte der Welt entdeckt und lebt, auch unter dem Druck der großen Weltmächte, umgeben von militärischen Todesmächten, von verlockender Propaganda und gewaltigen ökonomischen und technischen Kräften. Das beste und stärkste Erbe der Menschheit wartet darauf, dass Menschen in der Lage sind, es neu zum Leuchten zu bringen, indem wir es hineinstellen in die Revolution des Reiches Gottes, wo es seinen vollen und richtigen Platz findet.

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