Neustart für Zachäus

Predigt am 20. März 2011 (Vorstellungsgottesdienst der Konfirmandengruppe) zu Lukas 19,1-10

1 Jesus ging nach Jericho hinein und zog durch die Stadt. 2 In Jericho lebte ein Mann namens Zachäus. Er war der oberste Zolleinnehmer in der Stadt und war sehr reich. 3 Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei. Aber er war klein und die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht. 4 So lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können; denn dort musste er vorbeikommen.
5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und redete ihn an: »Zachäus, komm schnell herunter, ich muss heute dein Gast sein!« 6 Zachäus stieg schnell vom Baum und nahm Jesus voller Freude bei sich auf. 7 Alle sahen es und murrten; sie sagten: »Bei einem ausgemachten Sünder ist er eingekehrt!«
8 Aber Zachäus wandte sich an den Herrn und sagte zu ihm: »Herr, ich verspreche dir, ich werde die Hälfte meines Besitzes den Armen geben. Und wenn ich jemand zu viel abgenommen habe, will ich es ihm vierfach zurückgeben.« 9 Darauf sagte Jesus zu ihm: »Heute ist dir und deiner ganzen Hausgemeinschaft die Rettung zuteil geworden! Auch du bist ja ein Sohn Abrahams. 10 Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.«

Was Zachäus erlebt, das ist ein Neustart. Ein Neustart in seiner ganzen Art zu leben. Er hat sich in eine ganz dumme Ecke manövriert, er hat sich sozusagen zwischen alle Stühle gesetzt, aber jetzt geht es noch einmal von vorn los. Jesus holt ihn raus aus der Sackgasse, in der er steckt, er geht zu Zachäus ins Haus, er riskiert es, dass die Leute sich das Maul über ihn zerreißen, und Zachäus bekommt eine zweite Chance.

Und das Schöne ist, dass Zachäus die auch nutzt. Er diskutiert nicht darüber, ob es denn wirklich so schlimm ist, was er getan hat, er verteidigt sich nicht damit, dass ihm doch gar nichts anderes übrig geblieben sei, er redet sich nicht heraus, so auf die Art: »wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte es doch ein anderer getan!« Nein, er redet nur darüber, wie er den Schaden ausgleichen kann.

Und wahrscheinlich hat er dann in den nächsten Wochen eine ganze Reihe peinlicher Gespräche vor sich, wo er zu Leuten hingehen muss, wo er zugeben muss, dass er ihnen Unrecht getan hat, und wo er anschließend einen erheblichen Teil seines Vermögens nicht mehr haben wird. Aber nach jedem dieser Gespräche wird er sich gut fühlen. Jedes Mal muss er etwas riskieren, und am Ende wird er wieder im Frieden sein mit den Menschen, die ihn vorher gehasst und verachtet haben.

Wir alle entwickeln unwillkürlich Respekt für Menschen, die einfach eine gerade, gute Sache machen. Wenn Menschen ihre Verfehlung aus innerer Überzeugung zugeben und wieder gut machen, nicht nur scheibchenweise, wenn es gar nicht mehr anders geht, sondern aus eigener Überzeugung, damit erwerben sie fast immer unsere Anerkennung.

Und ich glaube, dass Zachäus auf diese Weise auch seine Selbstachtung wiedergewonnen hat. Das ist ja zunächst ein harter Weg gewesen, all diese Bußgänge, jedes Mal wieder ein Herzklopfen, wenn er auf einen Klingelknopf drückt, jedes Mal wieder das Bangen: wie werden sie reagieren, wenn ausgerechnet ich einfach so vor der Tür stehe? Und jedes Mal geht er anschließend mit leichterem Herzen nach Hause, und vielleicht hat er sogar echte neue Freunde gewonnen.

Es gibt eine tiefe Verbundenheit, die entsteht, wenn Menschen gemeinsam die Erneuerung ihrer Welt erleben. Wenn Menschen im Großen wie im Kleinen mit dabei sind, wie unsere Welt geheilt wird, dann verschwinden die Trennungen zwischen Menschen, dann hat man Besseres zu tun als sich zu zanken und Vorwürfe zu kultivieren und die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Und das gute Gefühl dabei kommt dadurch, dass wir dann Gottes Herzen am nächsten sind. Gott will diese Heilung, und wenn wir das auch wollen, dann teilen wir seine Sehnsucht, auch seinen Schmerz über alles, was schiefläuft, und wir teilen seine Freude an der Wiederherstellung und Erneuerung. Und dadurch wird unser Herz groß und weit und lebendig.

Ich habe mal ein Buch gelesen, wo es darum ging, wodurch ein gutes Arbeitsklima entsteht in Firmen, in Schulen oder Krankenhäusern und anderen solchen Organisationen. Und der Autor ist auf die Suche gegangen und wollte wissen: wo läuft es eigentlich gut? Und dann ist er auf die Notaufnahme einer Klinik gestoßen, wo alle sagten: wir haben hier keine Probleme miteinander. Und warum? Ganz klar: wenn ein Mensch mit lebensgefährlichen Verletzungen eingeliefert wird, dann hat man überhaupt keine Zeit für irgendwelche Streitereien. Und wenn man dann gemeinsam um das Leben dieses Verletzten kämpft, dann zeigt sich das Beste in den Menschen. Und das verbindet.

Ich weiß nicht, ob das auf allen Notfallstationen so ist, es gibt sicher auch andere Beispiele, aber ich glaube, dass Menschen immer wieder die Erfahrung machen: wenn wir gemeinsam an der Heilung der Welt beteiligt sind, dann wachsen die besten und tiefsten Beziehungen. Das gibt es im kleinen und im großen Maßstab. Als im Januar und Februar der Umsturz in Ägypten war, da hat man in vielen Berichten etwas davon gespürt, dass da eine tiefe Verbundenheit unter den Menschen gewachsen ist, und wieviel Vertrauen, Opferbereitschaft und Freude da auf einmal präsent war. Unter ganz normalen Menschen, die auch nicht besser sind als wir. Aber sie haben etwas Besonderes erlebt. Und wenn wir wieder bessere Nachrichten aus Japan hören, dann werden wir auch Geschichten davon erfahren, wie Menschen Seite an Seite gearbeitet haben, um Leben zu retten und die Versorgung wieder herzustellen. Und wie da tiefe und vertrauensvolle Beziehungen gewachsen sind, viel tiefgehender als sie sonst in der alltäglichen Normalität vorkommen.

Das Schöne ist, dass die Fähigkeit zu solchen Beziehungen voller Leben und Tiefe in jedem Menschen steckt. Dafür hat Gott uns ja geschaffen. Aber normalerweise ist das alles verschüttet von der täglichen Banalität, von dem normalen Klein-Klein. Die meisten Menschen erleben eine Alternative nur sehr selten und verstehen dann gar nicht, was sie da erleben: Auf einmal stoppt die Normalität, auf einmal sind Menschen beteiligt an der Heilung der Welt, und sie spüren, dass das etwas sehr Befriedigendes ist. Aber dann hört es irgendwann auf, die Menschen gehen zurück in ihren Alltag und vergessen beinahe ganz, dass sie auch schon mal etwas ganz Anderes erlebt haben.

Es ist ja die Frage, ob es dazu immer erst etwas Schlimmes geben muss, einen Unfall, eine Katastrophe, einen Umsturz oder so etwas. An der Zachäus-Geschichte sehen wir: das geht auch einfach so. Jesus ist der, der dauernd für solche Neuanfänge sorgt. Jesus sorgt dafür, dass Menschen dauernd an der Heilung der Welt beteiligt sind. Was die meisten Menschen hin und wieder mal in Sondersituationen erleben, das ist bei Jesus die Grundlage, auf der er Menschen zusammenbringt: beteiligt zu sein an der Heilung der Welt. Beteiligt zu sein an dem, was Gott am Herzen liegt. Wenn Menschen auf dieser Basis zusammengehören, dann können sich Beziehungen entwickeln, die nicht mehr oberflächlich oder gar ausbeuterisch sind, sondern tief und vertrauensvoll. Beziehungen, wie es sie schon einmal im Paradies gegeben hat, aber sie sind verloren gegangen, weil misstrauische Menschen etwas ohne Gott und gegen Gott haben wollten.

Jesus verkörpert Gottes Aufbruch zur Rettung seiner Schöpfung. Er geht nach Jerusalem, um einen Neuanfang zu machen mit dem Weg seines ganzen Volkes, aber er nimmt sich auch die Zeit, um einem Einzigen die Tür zu einem Neustart zu öffnen. Es geht gar nicht darum, wie groß oder wie klein dieser Neuanfang ist. Wichtig ist, dass Menschen miterleben, dass es so ein anderes Leben gibt. Wir müssen nicht auf Ausnahmesituationen warten (und da gibt es ja leider nicht nur spontane Solidarität, sondern manchmal auch ganz hässlichen Egoismus), sondern wir können mitten in der Normalität beginnen, den Weg Jesu mitzugehen. Zachäus ist ein Vorbild, weil er das so konsequent getan hat: er nutzte jede Chance, er stieg auf einen Baum und machte sich lächerlich, er zahlte das erpresste Geld zurück und riskierte jedes Mal böse Worte, aber er nutzte seine Chance. Schon als er nur von Jesus gehört hatte, begann es schon, dass ihn das zu einem mutigen, aufrechten, klaren Menschen machte. Ein ganzer, neuer Mensch ohne Wenn und Aber.

Und da fängt im Kleinen die neue Welt Gottes schon an. Gott findet sich nicht damit ab, dass der sehr gute Zustand im Paradies verloren gegangen ist. Er macht alles neu. Und er will uns dabei haben. Das ist nicht bloß für Leute in anderen Jahrhunderten oder für besondere Menschen, von denen wir dann die Geschichten hören, sondern für jeden von uns ist dieser Neuanfang offen. In unserem normalen Leben soll er geschehen. Und dann gehören wir schon zur neuen Welt, die Gott am Ende in Fülle heraufführt.

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