Durch die Umwelt mit Gott kommunizieren

Predigt am 23. August 2009 zu Lukas 10,25-37 (Predigtreihe Beten 6)

Wenn es im Gebet um Kommunikation mit Gott geht, dann gibt es tatsächlich eine Art dieser Kommunikation, die über unsere Außenwelt läuft, durch die Dinge, die uns begegnen und unsere Reaktion darauf. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Lesung vorhin (Römer 12,1-2), da war davon die Rede, dass es der wahre, der vernünftige Gottesdienst ist, wenn wir unser ganzes Leben Gott zur Verfügung stellen und es nach einem anderen Muster gestalten, als es der Gesellschaft entspricht, die uns umgibt.

Man kann diesen Satz überspannen, indem man das zur einzigen Art macht, um mit Gott in Verbindung zu kommen, und das ist in der Neuzeit geschehen, wo es viele Menschen gibt, die sagen: ich kenne zwar keine Kirche von innen und ich bete eigentlich auch nicht, das sind alles Sachen, die mir viel zu irrational sind, aber ich tue gute Taten, wahrscheinlich mehr als die Heuchler, die jeden Sonntag zur Kirche – laufen. Wir haben hinter uns ein Zeitalter, in dem die Wirklichkeit reduziert wurde auf das, was man messen, zählen und anfassen kann, und es steckt uns allen noch sehr in den Knochen. Und da werfen sich Menschen eben auf so einen Satz von Paulus und sagen: ja, die guten Taten, das ist es!

Aber auch wenn so ein Satz einseitig missbraucht wird, wird er davon doch nicht falsch. Und er bleibt erstaunlich genug: es gibt eine Kommunikation mit Gott auf dem Weg über die äußere Welt. Wir begegnen ihr in einer der – nicht zufällig – bekanntesten Geschichten des Neuen Testaments, der Geschichte vom Barmherzigen Samaritaner:

25  Ein Gesetzeslehrer wollte Jesus auf die Probe stellen. »Meister«, fragte er, »was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?« 26  Jesus entgegnete: »Was steht im Gesetz? Was liest du dort?« 27  Er antwortete: »›Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit aller deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand!‹ Und: ›Du sollst deine Mitmenschen lieben wie dich selbst!‹« – 28  »Du hast richtig geantwortet«, sagte Jesus. »Tu das, und du wirst leben.« 29  Der Gesetzeslehrer wollte sich verteidigen; deshalb fragte er: »Und wer ist mein Mitmensch?« 30  Daraufhin erzählte Jesus folgende Geschichte: »Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab. Unterwegs wurde er von Wegelagerern überfallen. Sie plünderten ihn bis aufs Hemd aus, schlugen ihn zusammen und ließen ihn halbtot liegen; dann machten sie sich davon. 31  Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab. Er sah den Mann liegen, machte einen Bogen um ihn und ging weiter. 32  Genauso verhielt sich ein Levit, der dort vorbeikam und den Mann liegen sah; auch er machte einen Bogen um ihn und ging weiter. 33  Schließlich kam ein Reisender aus Samarien dort vorbei. Als er den Mann sah, hatte er Mitleid mit ihm. 34  Er ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn in ein Gasthaus und versorgte ihn mit allem Nötigen. 35  Am nächsten Morgen nahm er zwei Denare aus seinem Beutel und gab sie dem Wirt. ›Sorge für ihn!‹, sagte er. ›Und sollte das Geld nicht ausreichen, werde ich dir den Rest bezahlen, wenn ich auf der Rückreise hier vorbeikomme.‹« 36  »Was meinst du?«, fragte Jesus den Gesetzeslehrer. »Wer von den dreien hat an dem, der den Wegelagerern in die Hände fiel, als Mitmensch gehandelt?« 37  Er antwortete: »Der, der Erbarmen mit ihm hatte und ihm geholfen hat.« Da sagte Jesus zu ihm: »Dann geh und mach es ebenso!«

Der entscheidende Satz in dieser Geschichte ist: » … und als er ihn sah, hatte er Mitleid mit ihm«. Das ist der Wendepunkt. Zwei Leute sind schon an dem verblutenden Mann vorübergegangen. Aus seiner Sicht ist das völlig unverständlich, der liegt da und jeder muss doch sehen, dass es jetzt nichts Wichtigeres gibt, als ihm zu helfen! Das ist so, wie wenn dein Arm halb ab ist und du kommst ins Krankenhaus in die Notaufnahme und denkst: jetzt werden sie hier Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit deine Schmerzen und das Bluten aufhören und der Arm wieder drankommt, und dann heißt es: Sie müssen warten, der Doktor hat gerade keine Zeit, und am besten fahren Sie erst wieder nach Hause und holen Ihre Chipkarte! Da prallen Welten aufeinander!

Und aus der Sicht der Leute, die an dem Verletzten schnell vorbeigehen, hat das schon seine Logik: sie hatten wahrscheinlich Angst, dass sie Ärger bekommen könnten, oder sie hatten so viel zu tun und so wenig Zeit, dass sie den Verletzten einfach ausblendeten. Nicht auch das noch! Das Leben ist auch so schon stressig genug!

Deshalb ist es der entscheidende Durchbruch, als schließlich einer kommt und hinschaut und Mitleid hat. Das Wort »Mitleid« oder »Erbarmen« kommt im Originaltext von einem Wortstamm, der Regungen im Bauch beschreibt. Da schaut einer so hin, dass es ihm an die Nieren geht, und aus dem Bauch heraus entscheidet er sich, dem Überfallenen zu helfen. Die anderen haben die Situation des hilflosen Opfers nicht an sich herangelassen, aber dieser eine lässt sich davon bewegen.

Und wenn man den ganzen Zusammenhang anschaut, in dem Jesus die Geschichte erzählt, dann muss man sagen: hier hat einer auf einen Ruf Gottes gehört, dem sich die anderen verschlossen haben. Durch den Verblutenden am Straßenrand hat tatsächlich Gott den Vorbeikommenden eine Botschaft gesandt, und zwei haben sich dem verschlossen und einer hat sie mit dem Bauch gehört und mit seinen Händen beantwortet.

Auch über die Außenwelt können wir mit Gott kommunizieren, und das können auch diejenigen, die merkwürdige Religionen und Weltanschauungen haben. Die Samaritaner waren eigentlich so eine Splittergruppe, die nur die 5 Bücher Mose anerkannten und nicht den Rest des Alten Testaments, sie hatten sozusagen einen reduzierten Glauben, aber trotzdem kann auch ein Samaritaner in der Not eines anderen Menschen diesen Ruf Gottes vernehmen. Genauso können das manchmal Atheisten, Finanzspekulanten, Terroristen und ganz normale Leute sein. Sie wissen vielleicht gar nicht, dass hinter so einer Situation, die ihr Herz berührt, Gott steht; und man kann vor her auch nicht wissen, wessen Herz sich berühren lassen wird, aber auf einmal ist dieser Ruf da, und der eine verschließt sein Herz und der andere öffnet es.

Der Zusammenhang, in dem Jesus die Geschichte erzählt, ist die Frage was das allerwichtigste Gebot ist. Und als Jesus zurück fragt: was meinst du denn? da nennt der Schriftgelehrte zwei Gebote: die Liebe zu Gott und die zum andern Menschen. Und Jesus bestätigt das und sagt: ja, das sind die beiden Kerngebote. An einer Parallelstelle (Matth. 22,39) sagt er sogar ausdrücklich: die Liebe zu Gott und zu den Menschen, das ist das gleiche Gebot. Es sind eigentlich nicht zwei unterschiedliche Gebote, sondern es sind zwei Ausprägungen, zwei Seiten eines einzigen, zentralen Gebotes.

Wir haben nämlich nur ein Herz, und mit diesem einen Herzen reagieren wir auf beide, auf Gott und die Menschen. Ja, wir müssen wahrscheinlich auch noch die Natur und uns selbst dazunehmen: so barmherzig oder unbarmherzig, wie wir die Menschen behandeln, so achtsam oder unachtsam behandeln wir vermutlich auch die Natur; und jemand, der keine Sensibilität für die Schönheit einer Blume hat, der wird wahrscheinlich auch Gott für eine Erfindung von Weicheiern halten; und wer Gott für überflüssigen Firlefanz hält, der wird wahrscheinlich auch lange brauchen, bis er die Signale seines eigenen Körpers und seiner Seele wahrnimmt. Wahrscheinlich ist diese Parallelität nicht bis in jede Einzelheit hinein exakt – wir sind ja widersprüchliche Wesen. Aber eine Grundhaltung des Herzens zieht sich doch durch die ganze Person, und es gibt schon einen Zusammenhang dazwischen, wie offen wir sind für die Not eines anderen Menschen, für die zarte Schönheit der Natur und für den leisen Ruf Gottes.

Ich habe mal die Geschichte eines Mannes gelesen, der das Gefühl hatte, dass er immer mehr an Gott zweifelte, und dass ihm Gott immer ferner rückte. Eines Tages gab es einen ganz unbedeutenden Zwischenfall: er hatte Geschirr abspülen sollen, hatte es aber nicht getan, und es war an jemand anderem hängen geblieben, der sich heftig darüber beklagte. Ein Vorfall, wie er wohl in fast allen Haushalten manchmal vorkommt. Aber als er später irgendwann darüber nachdachte, da ging dem Mann ein Licht auf: mir waren die Gefühle dieses Menschen völlig egal. Ich habe ihn schimpfen lassen und es ging mir zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Und dann fragte er sich: mache ich das vielleicht mit Gott genauso? Bin ich vielleicht gegenüber Gott ebenso zu wie ich es gegenüber meinem Mitbewohner war? Ist das vielleicht der eigentliche Grund meiner Glaubenskrise, dass ich ein hartes und verschlossenes Herz habe? Und er fing an, aufmerksamer für seine Mitmenschen zu werden, und binnen eines Jahres war seine Glaubenskrise verschwunden.

Wir haben nur ein Herz, nicht zwei: nicht ein edles und ergriffenes Herz für Gott und ein leider etwas weniger liebevolles Herz für unsere Mitmenschen. Und auch nicht andersherum: ein treusorgendes, gutes, offenes Herz für die Mitmenschen und ein verschlossenes und arrogantes Herz gegenüber Gott. Wir haben nur ein Herz, und das prägt unsere Einstellung zu Gott, den Menschen, der Natur und uns selbst.

Und so wie wir in der Neuzeit rücksichtslos mit der Natur umgegangen sind und nur unsere eigenen Bedürfnisse im Auge gehabt haben, so ist die moderne Zeit unglaublich ignorant gegenüber der Wirklichkeit Gottes gewesen. Generationen haben so gelebt, als könnten sie mit der Erde tun und lassen, was sie wollen und haben die Begrenzung unseres Planeten und seiner Ressourcen ignoriert. Und genauso hat man in dieser Zeit so gelebt, als könnte man Gott einfach ignorieren, ohne an der Seele Schaden zu nehmen. Und so erleben wir immer wieder ein großes Ignorieren all der menschlichen Opfer, die am Wegesrand liegen. Die Opfer von Hunger und Ungerechtigkeit und Krankheit werden zwar viel beklagt, aber sie berühren den normalen Ablauf in den reichen Ländern der Erde nicht, genauso wie sich Priester und Levit nicht in ihren Tagesgeschäften von dem zusammengeschlagenen Gewaltopfer am Straßenrand stören ließen.

Wir haben nur ein Herz, und das reagiert auf alles, was ihm begegnet, auf die gleiche Weise. Man kann auch sagen: unser Herz hat eigentlich nur ein Gegenüber, nämlich Gott, er steht hinter allem, alles spiegelt ihn wider, und durch alles, was uns begegnet hindurch, reagieren wir immer nur auf ihn. Und am Verhältnis zu den Menschen können wir ablesen, wie wir zu Gott stehen.

Die gute Nachricht dabei ist: wenn sich unser Herz an einer Stelle ändert, dann hat das Auswirkungen auf alle Bereiche. Wenn wir an einer Stelle blockiert sind, dann können wir an einer anderen ansetzen. Wenn wir unser Herz einem Menschen und seiner Not öffnen und uns das sogar Zeit kosten lassen, dann verbessert das auch unser Verhältnis zu Gott und zu uns selbst. Wir gehen dann auch mit uns selbst freundlicher um. Und andersherum: wenn wir uns in Zeiten der Stille für Gott öffnen, dann wird uns das weicher machen und nachdenklicher, und wir werden dann geduldiger und weniger zickig und angenehmer im Umgang werden. Wir werden nicht mehr alles aus dem Blickwinkel unserer Interessen sehen, sondern bekommen einen weiteren Horizont.

Das ist zum Beispiel das Geheimnis dahinter, weshalb Franz von Assisi es so unglaublich weit mit der Armut getrieben hat: er hat es als großes Privileg angesehen, nichts zu besitzen, weil er spürte, wie mit allem, was er verschenkte, die göttliche Liebe in ihm wuchs. Als er starb, da wollte er überhaupt nichts mehr haben, sondern nur noch nackt auf der Erde liegen. Ich sage das nicht, weil das jeder so machen sollte, sondern um das Muster zu erläutern: weil er alle Sorge um sich selbst aufgab, konnte er Gott widerspiegeln wie kaum ein anderer in der langen Geschichte des Christentums. Aber ich sage es auch, um deutlich zu machen, dass es doch immer ein bisschen heftig wird und den bisherigen Lebenszusammenhang sprengt, wenn man von Gott her verändert wird. So ganz zivilisiert und brav kann man dann nicht bleiben.

Deswegen gehört in diese Reihe über das Beten auch die Praxis des Lebens hinein: sie ersetzt nicht das Gebet im engeren Sinne, es ist nicht so, dass wir in Zukunft einfach nur Gutes tun und uns nicht mehr direkt an Gott wenden sollen. Wenn wir ihn auch aus der Bibel und dem Gebet im engeren Sinn kennen, haben wir es leichter, ihn zu verstehen. Dann gibt es weniger Missverständnisse. Aber manchmal geht es tatsächlich auch so. Ein Mensch versteht Gott aus dem Bauch heraus und antwortet ihm mit den Händen. Und wenn er dann das Evangelium in Klarheit hört, dann sagt er: das ist ja das, was ich schon längst kenne, nur eben jetzt im Gesamtzusammenhang!

Es gibt keine Trennung zwischen alltäglich und religiös mehr. Seit Jesus wissen wir, dass wir es immer mit Gott zu tun haben, dass er durch alle Dinge und Begegnungen hindurch zu uns sprechen will.

Es ist einfacher, ihn zu verstehen, wenn wir ihn schon aus der Bibel kennen. Aber auch dann wartet er auf die Antwort, die wir durch unsere Praxis geben. Nicht irgendwie Gutes tun, sondern, wie hieß es vorhin in der Lesung (Römer 12,2)? Richtet euch nicht länger nach ´den Maßstäben` dieser Welt, sondern lernt, in einer neuen Weise zu denken, damit ihr verändert werdet!

Gott, der ganz anders ist, will Menschen haben, die auf der Erde tatsächlich nach neuen Regeln leben. Alles was man nicht irgendwie umsetzt, geht verloren. Und man muss es fast immer gegen Widerstände umsetzen. Aber nur, wenn wir diesen Kampf auf uns nehmen, werden wir Gott wirklich glauben, dass er stark ist. Und wir müssen uns zusammenschließen, damit sich unser Spielraum ausweitet. Wo Zonen des alternativen Lebens freigekämpft und gefüllt werden, da sind Glaubenszweifel kein großes Problem mehr. Da wächst seelische Gesundheit. Da freuen wir uns an der Schönheit und Tiefe der Schöpfung.

Alles gehört zusammen, denn wir haben nur ein Herz.