Der Sog des Krieges – für Frieden Verantwortung übernehmen

Predigt am 16. November 2014 (Besonderer Gottesdienst) mit Lukas 6,35

Der Gottesdienst war angestoßen durch die stärkere Präsent militärischen Denkens im Gefolge der verschiedenen Kriegsschauplätze vor den Toren Europas (Syrien, Ukraine). Ein Rückblick auf mehr als 35 Jahre der jüngsten afghanischer Geschichte zeigte, wie dort militärische Lösungen viele Probleme erst hervorgerufen haben, nicht zuletzt das Entstehen des militanten Islamismus.

In der Predigt stand Jesu Gebot der Feindesliebe und seine Wurzel im Gottesbild Jesu im Mittelpunkt.

Jesus sprach: Gerade eure Feinde sollt ihr lieben! Tut Gutes und leiht, ohne etwas zurückzuerwarten. Dann wartet eine große Belohnung auf euch, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.

Man kann Jesus alles mögliche vorwerfen, aber er war nicht naiv. Er hat nicht behauptet, die Menschen wären gar nicht so schlimm, man müsste nur ein bisschen nett zu ihnen sein, dann würde sich alles schon wieder einrenken. Jesus redet ausdrücklich davon, dass es undankbare und böse Menschen gibt. Aber er sagt etwas darüber, wie man gerade mit denen umgehen soll.

Die Basis der Feindesliebe

Zweitens ist Jesus auch nicht so naiv, zu glauben, man könnte für das Problem der undankbaren und bösen Menschen eine Lösung finden, bei der man Gott außen vor lässt. »Nehmt euch an Gott ein Beispiel und tut den Bösen und undankbaren Gutes« sagt er. An anderer Stelle spricht Jesus davon, dass Gott es auf die Felder der Bösen ebenso regnen lässt wie auf die Felder der Guten. Man kann die christliche Feindesliebe nur verstehen, wenn man weiß, dass sie verankert ist in diesem Bild des großzügigen Gottes, der seine Welt mit Segen erfüllt und dabei nicht spart. Und dieser großzügige Gott sorgt für alle, die nach seinem Vorbild handeln. Zuallererst hat er Jesus von den Toten auferweckt und hat mit dieser überwältigenden Gabe des Lebens den Tod besiegt. Mit diesem Gott im Rücken kann man dann seine Feinde lieben.

Das ist ja die moderne Naivität, dass Menschen glauben, man könnte einfach Werte und Tugenden propagieren, und die würden dann schon dafür sorgen, dass die Menschen sich gut verhalten. Aber das ist naiv, weil es ganz entscheidend darauf ankommt, wie die Welt aussieht, in der man diese guten Ziele verfolgt. Das ist ein bisschen so, wie wenn du gelernt hast: im Falle eines Brandes löscht man mit Wasser, und das ist ja auch meistens richtig, aber wenn du eine brennende Fritteuse mit Wasser zu löschen versuchst, dann kannst du was erleben.

Moderne Naivität

Du kannst noch so richtige, gute Werte haben, aber wenn du dich in der Welt nicht auskennst, kannst du auch mit den besten Werten riesigen Schaden anrichten. Wenn du die Menschen nicht verstehst, oder wenn du Gott ignorierst, dann gehst du möglicherweise durch die Welt wie der berühmte Elefant durch den Porzellanladen.

Naiv war Charlie Wilson, als er aus möglicherweise echtem Engagement für die afghanischen Flüchtlinge eine kriegerische Lösung suchte und glaubte, wenn die Russen aus dem Land vertrieben wären, wäre das Problem gelöst. Und während er Luftabwehrraketen für die Mudjaheddin organisierte, begannen sich in den Flüchtlingslagern die ersten Zellen der Taliban zu bilden, der wichtigste Ursprung der heutigen islamistischen Gewalt.

Natürlich konnte damals keiner wissen, was wir heute wissen. Hinterher ist die Chance immer größer, dass man klug wird. Aber auch damals hätte man ja die Warnungen Jesu vor der Gewalt kennen und beherzigen können, zumal Charlie Wilsons Geliebte, die ihn immer wieder angetrieben hat, eine wiedergeborene Christin war.

Wie wäre die Weltgeschichte wohl verlaufen, wenn das Geld, das für den Kampf gegen die Russen floss, stattdessen als Hilfe für die afghanischen Flüchtlinge in den Lagern verwandt worden wäre? Wenn man ihnen eine echte Zukunftsperspektive gegeben hätte, wenn man Krankenhäuser, Schulen und Werkstätten für sie gebaut hätte, statt sie den Taliban zu überlassen? Und, um es zuzuspitzen, wenn der Westen sogar noch der Sowjetunion geholfen hätte, heil und ohne Gesichtsverlust wieder aus dem Afghanistan-Schlamassel heraus zu kommen? Vielleicht wäre dann die Sowjetunion nicht zusammengebrochen? Vielleicht hätten wir dann aber auch heute keinen Putin, der um sich schlägt wie ein Tier, das in die Enge getrieben ist? Vielleicht hätten dann die freiheitlichen Kräfte in der russischen Gesellschaft mehr Rückhalt? Vielleicht wäre dann die russische Gesellschaft weniger gewalttätig? Das sind natürlich alles diese Wenn-Fragen, auf die man nie echte Antworten bekommt.

Der »Mythos der erlösenden Gewalt«

Was wir aber wissen können und was Fakt ist: die militärischen Lösungen des Charlie Wilson haben uns die heutigen Probleme beschert, gerade weil sie erst so erfolgreich waren. Wer militärisch denkt, der übersieht die Menschen, und er versteht nicht, dass langfristig der Kampf um die Herzen der Menschen geführt wird. Verzweifelte Menschen, die meinen, sie hätten nichts mehr zu verlieren und dann zur Gewalt greifen, sind kaum zu besiegen. Gewalt bringt Menschen hervor, die für jedes Problem nur eine Lösung kennen: neue Gewalt.

Ein kluger amerikanischer Theologe (Walter Wink) hat darüber gesagt: es gibt einen »Mythos der erlösenden Gewalt«. Er meint damit: Menschen sind gefangen in einem Irrglauben, dass man Probleme durch Einsatz von Gewalt lösen könne. Obwohl es jede Menge Beispiele dafür gibt, dass genau das Gegenteil der Fall ist (siehe Afghanistan), glauben Menschen hartnäckig an diesen Mythos der erlösenden Gewalt. Und dieser Mythos ist so hartnäckig, dass auch sein permanentes Scheitern ihm nichts anhaben kann. Die Welt ist voller Länder, die nach einer Militärintervention schlimmer dran sind als vorher.

Ja, es ist dringend nötig, dass wir Verantwortung in der Welt übernehmen. Aber Verantwortung für Gerechtigkeit und für Barmherzigkeit. Verantwortung für die Millionen Flüchtlinge. Verantwortung für die Entwicklung von Impfstoffen für Krankheiten wie Ebola, aber bitte nicht erst dann, wenn diese Seuchen auch für uns gefährlich werden könnten. Verantwortung für Kleinbauern, denen ihr Land geraubt wird. Verantwortung für Tiere in Mastställen, denen es in anderen Ländern ja noch schlimmer geht als bei uns. Es gibt so viel zu tun: Verantwortung für den Frieden übernehmen. Großzügig sein wie Gott.

Kampf um die Gedanken

Der Kampf geht, um es zu wiederholen, um die Herzen der Menschen. Menschliche Herzen sind aber nur bis zu einem gewissen Grad durch Kühlschränke, Autos und Internet zu überzeugen, kurz durch Lebensstandard. Menschliche Herzen suchen Barmherzigkeit und Freundlichkeit, weil sie von einem barmherzigen Gott geschaffen sind. Wenn Menschen auf andere Menschen stoßen, in denen sie der Großzügigkeit und Freundlichkeit Gottes begegnen, dann ist das ein enormer Angriff auf verschlossene und feindselige Herzen. Wer diese Zusammenhänge nicht kennt und trotzdem Politik macht, der geht wie ein Elefant durch den Porzellanladen der menschlichen Geschichte. Der richtet mit besten Absichten enorme Schäden an.

Nun muss man sich eins klar machen: die Rolle von Christen und von Staaten ist nicht die selbe. Es gibt keinen christlichen Staat. Und deswegen kann es für Staaten manchmal dran sein, Soldaten zu schicken, um einen Völkermord zu stoppen. Nur tun genau das die Staaten meistens gerade nicht. Dem syrischen Bürgerkrieg hat die Welt genauso tatenlos zugesehen wie dem afghanischen, und der Völkermord in Ruanda hat auch keinen interessiert. Erst wenn die Ölversorgung gefährdet ist oder das Machtgleichgewicht mit der Sowjetunion berührt war, dann passiert etwas. Und dann sterben auch deutsche Soldaten, und es ist bitter, wenn Angehörige sich sagen müssen, dass der Tod ihrer Kinder kein Tod im Interesse des Friedens war.

Aber das Schwierige ist: im Prinzip gibt es diese Fälle, wo alle so lange tatenlos zugesehen haben, bis das Konfliktpotential kaum noch friedlich auszuräumen ist. Es kann sein, dass dann Menschen mit militärischen Mitteln vor Gewalt geschützt werden müssten, und manchmal geschieht das sogar. Dafür sind Staaten da, besser noch die Vereinten Nationen. Aber wenn so etwas tatsächlich nötig wird, haben sie meist schon lange vorher versagt.

Ein abschüssiger Weg

Aufgabe der Christen ist in jedem Fall, sich dem Sog des Krieges entgegen zu stellen. Wenn man erst einmal einen Schritt auf die Straße des Krieges gemacht hat, dann geht man schnell den nächsten. Die Straße ist ziemlich abschüssig, und auf einmal sehen dann Staaten und ihre Oberhäupter keine anderen Wege mehr als kriegerische Lösungen.

Aufgabe der Christen ist es, den Frieden zu verkörpern, der durch die Großzügigkeit Gottes in die Welt kommt. Deswegen hat Jesus seine Jünger als eine sichtbare Gruppe ausgesandt, nicht als Einzelne, die gelegentlich zu Veranstaltungen zusammenkommen, sondern als Gruppe, die eine gemeinsame Lebenspraxis entfaltet und in dieser Lebenspraxis Gottes Freundlichkeit repräsentiert. Und wenn es gut geht, dann strahlt diese Lebenspraxis auch in die Gesellschaft aus und macht die Gesellschaft klüger und friedlicher, und am Ende auch den Staat.

Die Autorität der Wahrheit

Mit einer starken Gruppe von Christen in ihrer Mitte ist es für Staaten leichter, sich dem Sog des Krieges zu entziehen. Und stark meint dabei gar nicht, dass es große Zahlen sein müssen. Stark meint, dass es klare Menschen sind, die wissen, was sie wollen, und miteinander auch komplizierte Probleme zu Ende denken. Stark meint: die Autorität der Wahrheit auf seiner Seite zu haben. Die Welt besser verstehen, weil man Gott und seine Menschen kennt.

Es nützt nichts, zu behaupten, dass man die Wahrheit kennt. Dann wird man nur zum Dogmatiker. Aber wenn man sie tatsächlich hat, dann wird die Autorität der Wahrheit sich ganz von selbst einstellen.

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