Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens

Predigt am 6. Dezember 2015 (2. Advent) zu Lukas 1,67-79

2015-12-06frieden

67 Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt und begann prophetisch zu reden:

68 Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen; 69 er hat uns einen starken Retter erweckt im Hause seines Knechtes David. 70 So hat er verheißen von alters her durch den Mund seiner heiligen Propheten. 71 Er hat uns errettet vor unseren Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen; 72 er hat das Erbarmen mit den Vätern an uns vollendet und an seinen heiligen Bund gedacht, 73 an den Eid, den er unserm Vater Abraham geschworen hat; 74 er hat uns geschenkt, dass wir, aus Feindeshand befreit, ihm furchtlos dienen 75 in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinem Angesicht all unsre Tage.

76 Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen; denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten. 77 Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken in der Vergebung der Sünden. 78 Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, 79 um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsre Füße zu lenken auf den Weg des Friedens.

Das erste Kapitel des Lukasevangeliums wird von der Geschichte des Zacharias umrahmt. Am Anfang hat er die Begegnung mit dem Engel, der ihm die Geburt des Johannes ankündigt, der später als Johannes der Täufer bekannt wird, der Vorläufer Jesu. Zuerst scheint Zacharias skeptisch zu sein, aber als das Kind schließlich geboren ist, da singt Zacharias einen Lobpsalm auf Gott, und in dem ist schon vorweggenommen, worum es im Lukasevangelium gehen wird. Alles läuft auf diesen letzten Vers hinaus: »unsere Füße zu lenken auf den Weg des Friedens«.

»Friede« – ein zentraler Begriff bei Lukas

Danach kommt Kapitel 2, das ist das Kapitel mit der Weihnachtsgeschichte, also der Geschichte von der Geburt Jesu, und wenn da auf dem Höhepunkt wieder die Engel auftauchen und den Hirten verkünden, was in dieser Nacht geschehen ist, dann hören wir auch da wieder das Stichwort vom Frieden: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Das Wort »Friede« erklingt auch noch an Höhepunkten des Evangeliums (19,38.42; 24,36). Frieden – Schalom – Salaam! Das ist ein zentraler Begriff der Bibel, und »Friede sei mit dir« ist in allen Religionen, die sich auf Abraham zurückführen, der wichtigste Gruß.

Wenn man sich ein bisschen umschaut bei Leuten, die über den Frieden nachgedacht haben, dann findet man oft, dass sie dabei unterscheiden zwischen dem Frieden, der das Gegenteil von Krieg ist, und dem Frieden, den man in seinem Inneren haben kann: den Seelenfrieden oder den Frieden mit Gott.

Welcher Friede ist gemeint?

Aber hier bei Zacharias kann man das gar nicht auseinandernehmen. Zacharias jubelt einerseits, dass Gott sein Volk aus der Hand der Feinde befreit – da sieht man äußere Feinde vor sich. Natürlich würde man zuerst an die Römer denken, die Israel unterworfen hatten; aber genauso an all die vielen anderen Herrscher, die im Lauf der Jahrhunderte auf dem Volk Gottes herumgetrampelt sind.

Andererseits kommt die Rettung Gottes zu denen, die immer noch im Schatten des Todes sitzen, und ausgerechnet deren Füße sollen auf den Weg des Friedens gelenkt werden. Da scheinen die Feinde noch obenauf zu sein. Sollte es also doch nur um einen inneren Frieden gehen? Aber trotzdem redet Zacharias von einem starken Retter. Was ist das also für eine komische Mischung aus stark und schwach?

Wir kommen mit der Unterscheidung von Außen und Innen nicht weiter. Die hängen offenbar ganz anders zusammen, als wir das normalerweise auseinandersortieren. Natürlich hat Israel äußere Feinde, und immer wieder mal hat Gott sie vor denen gerettet. Manchmal aber auch nicht. Und in der Zeit von Jesus ging es ihnen äußerlich gesehen immer schlechter, bis am Ende Jerusalem zerstört und das Land verwüstet wurde.

Worum es wirklich geht

Mit diesem Gegensatz von innen und außen landen wir anscheinend in einer Sackgasse. Lasst es mich so probieren: hinter dem ganzen Wirrwarr der Weltgeschichte, in all den Kämpfen, die in immer neuen, verrückten Koalitionen die Welt nicht zur Ruhe kommen lassen, da verbirgt sich die wirkliche Frontlinie, die kaum jemand sieht und versteht. Durch all die unübersichtlichen Konstellationen der Politik und der Propaganda hindurch, im Großen und im Kleinen, tobt ein Kampf um die Seelen der Völker und der Einzelnen.

Vielleicht wird es an Beispielen klarer: in Europa geht es z.Zt. darum, ob wir unsere christlichen Wurzeln neu entdecken mit all dem Erbarmen für die Opfer der Geschichte, der Hilfe für die Schwachen, und ob wir das Evangelium so neu durchzubuchstabieren lernen; oder ob wir unsere Herzen verhärten, den armen Lazarus an unserer Außengrenze auf Abstand halten und dann eines Tages vielleicht noch ein Abendland sind, aber kein christliches Abendland mehr.

In all den Ländern, in denen heute Krieg und Unterdrückung herrschen, ist wiederum die geheime Frage: werden sie sich von der Gewalt dort selbst in Hass und Gewalt hineintreiben lassen, obwohl die meisten Menschen ja irgendwie ahnen, dass das alles nur noch schlimmer macht? Wächst da eine Generation heran, die irgendwann gar nicht mehr weiß, wie Frieden geht?

Oder um ein ganz anderes Beispiel zu nehmen: 1618, also vor demnächst 400 Jahren, brach hier in Deutschland der Dreißigjährige Krieg aus, der das Land verwüstete und ungefähr 40% der Bevölkerung auslöschte, in manchen Gegenden bis zu 70%. Was hat das mit unserem Land gemacht, mit seiner Seele? Sind wir vielleicht deshalb manchmal so auf Sicherheit bedacht, weil wir die Erfahrung dieser schrecklichen Kriegszeit immer noch mit uns tragen? Und vermutlich hat die Erinnerung, dass dieser Krieg als Religionskrieg mindestens begonnen hat, das Vertrauen in die Kirche nachhaltig untergraben. Nach diesem Krieg hat man angefangen, lieber auf die Vernunft zu hören als auf die Bibel.

Vielleicht erleben wir ja im Augenblick anfangsweise, dass auch der Islam in solch eine Krise hineinkommt, wenn dort die Religion als Vorwand für so viel Gewalt dient – es ist aber noch zu früh für solche Schlüsse.

Gott erneuert sein Volk

Ich habe nicht auf all diese Fragen Antworten. Mir geht es jetzt darum, dass in den großen Fragen von Politik und Militär und Wirtschaft im Verborgenen immer noch viel tiefere Fragen mitlaufen als die oberflächliche Frage danach, wer gewinnt. Wenn wir darauf aufmerksam werden, dann verstehen wir Zacharias besser.

Denn Zacharias redet über den Kampf, der im Verborgenen abläuft, unterhalb der Ebene, auf der es um militärische oder politische Siege geht. Man kann nämlich einen Krieg gewinnen und trotzdem seine Seele verlieren. Gottes Volk kann aber auch eine schreckliche Niederlage erleiden, und trotzdem erhebt es sich anschließend stärker und klarer als vorher. Das hat es alles gegeben, und darauf schaut Zacharias. Die wirkliche Niederlage Israels war damals nicht die Unterwerfung durch die Römer, sondern dass die Besatzungsmächte nach vielen Jahrhunderten auch die innere Struktur Israels kaputt gemacht hatten, die Solidarität, den Tempel, die Regierungsform, die ganze Lebensart. Alles, was Israel als Volk Gottes ausgemacht hatte, die eigentliche Substanz, das lebendige Wort, alles war untergraben, fragwürdig geworden und in Gefahr.

Und in dieser Lage sieht Zacharias prophetisch, dass Gott kommen wird, um sein Volk zu erneuern und ihm einen neuen Weg zu eröffnen, obwohl es in Finsternis und im Schatten des Todes leben muss, der von den Großmächten über Israel gebracht wird. Der ganze Weg Jesu, der anschließend im Evangelium beschrieben wird, steht unter dieser Überschrift: dass er ihnen einen Weg des Friedens zeigen wird, den sie trotz dieser Übermacht gehen können. Und wenn die Engel den Hirten von Bethlehem die Geburt Jesu verkünden, dann bestätigen sie es noch einmal, dass es nun Friede auf Erden geben soll bei den Menschen, auf denen die Gnade Gottes ruht – bei den Menschen, die sich auf diesen Weg stellen lassen.

Das Problem ist das Freund-Feind-Denken

Sieg oder Niederlage entscheiden sich in Wirklichkeit daran, ob man den Weg des Friedens findet oder ob man sich in die Feindschaft hineinziehen lässt, die die Welt verwüstet. Das ist die Frage für alle Länder und Völker, vor allem aber für das Volk Gottes: Israel und die Christenheit. Jesus hat den Weg des Friedens neu formuliert: in der Bergpredigt mit der Betonung auf der eigenen Integrität und auf das Denken vom Anderen her, die Fürsorge sogar für den Feind. Und dann erzählt er Geschichten wie die vom barmherzigen Samariter, wo die Fronten und Einteilungen durcheinander geraten und der Fremde als der mögliche künftige Freund beschrieben wird. Immer geht es um die Kraft Gottes, die uns davor behütet, an die Freund-Feind-Schemata zu glauben. Nein, diese Schemata sind der eigentliche Feind.

Gerade heute ist das ja in der Politik mit Händen zu greifen, dass diese ganzen Einteilungen überhaupt nicht mehr funktionieren: auf der einen Seite wir, die Guten, und auf der anderen Seite die anderen, die Bösen. In Syrien weiß keiner mehr, wer die Guten sind, da weiß keiner mehr, wofür man eigentlich kämpft, wer die Verbündeten sind und wer die Feinde. Aber Hauptsache, es wird erstmal Krieg geführt, mit welchem Ziel eigentlich, das wird sich finden. Eines Tages werden die ersten deutschen Soldaten sterben, aber wofür, das müssen wir uns erst noch überlegen.

Eigentlich würde stattdessen alles für den Weg der Liebe, des Erbarmens und des Friedens sprechen, für die Unterstützung der verzweifelten Zivilisten zwischen den Fronten und in den Flüchtlingslagern, für den Stopp von Waffenlieferungen, für Versöhnungsarbeit. Das passiert ja schon, oft in kleinen Initiativen, als Zeichen, dass es möglich ist. Und es wäre toll, wenn die Staaten wenigstens so viel Geld für Versöhnungsarbeit ausgeben würden wie für Militär. Es gäbe so viel Gutes zu tun, für das Menschen dankbar wären.

Die Friedensalternative

Aber je offensichtlicher das wird, um so verzweifelter klammern sich viele an militärische Lösungen. Es kann doch nicht sein, was nicht sein darf: dass der Frieden mit immer mehr Waffen nicht zu gewinnen ist, sondern dass Glaubwürdigkeit und Erbarmen viel wichtiger sind, weil die das Herz der Menschen erreichen. Der Kampf geht um die Herzen, um die Seelen der Völker und Menschen, heute mehr denn je, und deshalb arbeiten die Propaganda-Abteilungen aller Seiten auf Hochtouren.

Eigentlich müsste heute allen klar sein, dass Menschen nicht ewig auf sich und ihrer Würde herumtrampeln lassen, und dass nur Gerechtigkeit zu dauerhaftem Frieden führt. Gott hat in die Menschen Würde hineingelegt, und die verteidigen sie, auch wenn sie nicht immer wissen, wem sie die verdanken. Wer Gott nicht kennt, der übersieht das schnell, dass Menschen um ihre Würde kämpfen: leider oft mit Hass und Beleidigtsein, manchmal rücksichtslos und brutal, nicht selten schlagen sie einfach nur blind um sich, als Völker und als Einzelne. Aber immer geht es um Gott, der Menschen Würde gegeben hat, der uns zu seinem Bild erschaffen hat, der uns beruft, als königliche Menschen die Dinge in die Hand zu nehmen und in Freiheit, ohne Furcht, für seine Erde zu sorgen. So lange das nicht gelingt, wird der Kampf nicht aufhören.

Zacharias hat verstanden, dass es nicht die Waffen sind, die Menschen stark machen. Waffen können sehr schnell auf der falschen Seite eingesetzt werden. Zacharias weiß, dass über der Welt die Verheißung des Friedens liegt, und er spürt, dass jetzt die Zeit ist, wo diese Verheißung anfängt, die Welt zurückzuerobern gegen alle Mächte der Finsternis. Wenn erst klar ist, dass es Gottes Alternative gibt zu dem Unfrieden der Menschen, dann wird es immer schwerer, dagegen am Krieg und Gewalt festzuhalten.

Der Weg Jesu ist der Weg zum Frieden

Deswegen wollen wir dabei bleiben, dass der wahre Kampf darum geht, ob wir uns in die Freund-Feind-Perspektive pressen lassen, wo wir alle zusammenhalten müssen gegen »die anderen« – egal, wer das dann jeweils ist. Gott bringt die Kraft in die Welt, die Fremde und sogar Feinde zu Freunden machen kann. Und er bringt die Kraft, der Gewalt zu widerstehen, ohne sich selbst in die Gewalt hineinziehen zu lassen. Jesus hat das am Kreuz bis zum bitteren Ende durchgehalten.

Wenn wir die Perspektive des Zacharias einnehmen, dann können wir verstehen, weshalb die Bibel sagt, dass Jesus gerade in seinem Tod gesiegt hat: ihn haben sie nicht zur Gewalt bekehren können; er war stärker als seine Feinde. Er ist den Weg des Friedens bis zum Ende gegangen, und Gott hat das bestätigt und ihn auferweckt.

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