Gott macht Revolution, und ich bin dabei

Predigt am 22. Dezember 2024 (4. Advent) zu Lukas 1,39-56

39 Nicht lange danach machte sich Maria auf den Weg ins Bergland von Juda. So schnell sie konnte, ging sie in die Stadt, 40 in der Zacharias wohnte. Sie betrat sein Haus und begrüßte Elisabeth.

41 Als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabeth mit dem Heiligen Geist erfüllt 42 und rief laut: »Du bist die gesegnetste aller Frauen, und gesegnet ist das Kind in deinem Leib! 43 Doch wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? 44 In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. 45 Glücklich bist du zu preisen, weil du geglaubt hast; denn was der Herr dir sagen ließ, wird sich erfüllen.«

Da sagte Maria:
Meine Seele preist die Größe des Herrn *
47 und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
48 Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. *
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
49 Denn der Mächtige hat Großes an mir getan*
und sein Name ist heilig.
50 Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht*
über alle, die ihn fürchten.
51 Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:*
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
52 er stürzt die Mächtigen vom Thron*
und erhöht die Niedrigen.
53 Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben*
und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er nimmt sich seines Knechtes Israel an*
und denkt an sein Erbarmen,
55 das er unsern Vätern verheißen hat,*
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.

56 Maria blieb etwa drei Monate bei Elisabeth und kehrte dann nach Hause zurück.

Am letzten Sonntag vor Weihnachten hören wir zur Einstimmung auf Weihnachten dieses Lied von Maria, der Mutter Jesu. Es steht im Lukasevangelium im ersten Kapitel und ist deshalb nicht nur ein Auftakt zur Weihnachtsgeschichte, die im zweiten Kapitel folgt; dieses Lied ist auch eine Überschrift für das ganze Evangelium. Maria jubelt vor Freude, und »Freude« ist ein Stichwort, das im Lukasevangelium immer wieder auftaucht.

Worüber freut man sich Weihnachten?

Wenn Sie jetzt also irgendwo etwas von der viel beschworenen Weihnachtsfreude hören, dann denken Sie daran: damit ist das gemeint, was hier in diesem Lied der Mutter Jesu beschrieben wird. Und bevor wir so tun, als ob wir alle schon wüssten, was mit der Worthülse »Weihnachtsfreude« gemeint ist, wollen wir uns die hier genauer ansehen.

Ich frage also: Worüber freut man sich eigentlich zu Weihnachten? Natürlich gibt es da all die Bräuche, vom Christbaum über den Lebkuchen bis zum Gabentisch, aber wir wissen natürlich, dass die eigentlich nicht der wirkliche Grund für die Freude sind. Die sollen daran erinnern, dass da mal was war, und sie sollen es besonders dem Nachwuchs plausibel machen, dass da etwas Schönes passiert ist. Aber ein Lebkuchenfest oder eine Tannenbaumfeier, ein Geschenkmarathon oder ein Familientag allein könnten nicht so eine Wirkung entfalten, wie es Weihnachten immer noch tut.

Bild von Heyli Jiménez auf Pixabay

Also noch einmal die Frage: Worüber freuen Sie sich zu Weihnachten? Könnten Sie das in ein paar Worten formulieren? Bei Maria fängt das so an: Gott hat Großes an mir getan, sagt sie. Gott hat mich angesehen, ich war ihm nicht zu unbedeutend, obwohl ich erstens eine Frau in einer männlich beherrschten Welt bin und zweitens als junge unverheiratete Frau auch in der weiblichen Hierarchie ganz unten stehe. Aber trotzdem will Gott durch mich etwas enorm Wichtiges erreichen. Durch mich soll der wahre Mensch geboren werden, der Mensch, der als allererster wirklich nach Gottes Willen lebt. Ich soll Mutter des Messias werden, des Befreiers, der uns endlich zeigen wird, wie man nach Gottes Willen lebt. In mir beginnt eine Zukunft, in der die Machthaber vom Thron gestürzt werden und der Reichtum der Welt umverteilt wird.

Oder sagen wir es kurz: Gott macht Revolution und ich darf dabei sein. Gott ist nicht die himmlische Spitze der Gesellschaftspyramide, sondern er stellt diese Pyramide auf den Kopf.

Im Altertum waren ja in allen Gesellschaften die Götter die Garanten der Gesellschaftsordnung. Meistens führten die Könige ihre Abstammung irgendwie auf einen Gott oder eine Göttin zurück. In den Adern der Könige floss göttliches Blut. Sie standen hoch über den normalen Menschen, und von ihrem Glanz fiel dann auch etwas auf ihre Adligen und Beamten. Und ganz unten standen die gewöhnlichen Leute.

Die Hoffnung Israels

Nur in Israel war es anders. Da erzählte man sich die Geschichte vom Auszug aus Ägypten, als Mose im Auftrag Gottes das Volk aus der Sklaverei befreit und sie in ein gutes neues Land gebracht hatte, wo sie als freies Volk leben sollten. Irgendwann wollte das Volk dann doch Könige haben, es wollte endlich mal sein wie alle anderen, es war die Sonderrolle leid, aber Gott warnte sie: das geht nicht gut. Und tatsächlich brachten die Könige Israel nur Unglück. Am Ende lebte das Volk unter der Oberherrschaft fremder Eroberer, die Reichen wurden immer reicher, und für die Armen reichte es kaum zum Überleben.

Aber in manchen Kreisen und in vielen Familien blieben die Hoffnungen auf Gerechtigkeit lebendig. Immer wieder las man die Heilige Schrift, unser Altes Testament, man hörte auf die Verheißungen der Propheten und wartete darauf, dass Gott endlich seinem Volk vergeben und mit ihm einen neuen Anfang machen würde. So groß war diese Hoffnung, dass fast alle Männer lesen konnten, weil diese Hoffnung ja in den Schriftrollen lebte. Und selbst die Frauen, denen man in der Alten Welt sonst so etwas nie zugetraut hätte, hatten Anteil daran, und manche konnten tatsächlich lesen. Das war damals einmalig.

Man muss sich vorstellen, dass Maria aus so einer Familie kam, wo über Generationen dieser Hoffnungsfunke weitergegeben wurde, wo man die Propheten las und jedes Jahr wieder das Passafest feierte, die Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei. Man merkt an Marias Lied, wie sehr sie von dieser Hoffnung geprägt ist, dass Israels Gott für Gerechtigkeit sorgen wird. Und jetzt soll es endlich wahr werden, und Maria bekommt dabei zwar nicht die Hauptrolle (die spielt natürlich Gott und sein Messias Jesus), aber sie bekommt die wichtigste Nebenrolle.

Gott stürzt die Mächtigen vom Thron …

Liebe Gemeinde, das ist der Kern der Weihnachtsfreude. Gott macht Revolution, und ich darf dabei sein! Wenn man in diesen Tagen nach Syrien schaut, dann bekommt man eine Ahnung davon, was das für eine Freude ist, wenn so ein Tyrann endlich gestürzt ist, wenn die Kerkertüren sich öffnen und die Menschen sich wieder trauen zu sprechen, weil sie keine Angst mehr vor Spitzeln haben. Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Statuen der Herrscher werden gestürzt, und am Ende müssen sie selbst fliehen, wie all die vielen Unschuldigen, die sie mit Terror und Gewalt aus ihrer Heimat vertrieben haben. Darum geht es bei der echten Weihnachtsfreude.

Wir kennen das in Deutschland aus den Tagen, als die Mauer fiel und die Menschen jubelten über die neue Freiheit. So einen Jubel kann man nicht künstlich erzeugen, man kann ihn nicht kaufen, man kann ihn nicht planen. Aber es gibt ihn, und meistens kommt er ganz unerwartet, wenn kaum jemand damit gerechnet hat, dass so ein tyrannisches System einfach in sich zusammenfällt.

Maria erlebt keinen von diesen Momenten, wo ein ganzes Volk die neue Freiheit feiert. Aber sie erlebt ihren ganz persönlichen Augenblick der Freiheit, als sie zu ihrer Tante Elisabeth reist, und dort realisiert: es ist wirklich wahr, dass Gott mich für diese entscheidende Rolle haben will. Gott hat ausgerechnet mich ausgesucht, obwohl ich in der Rangordnung der Gesellschaft ganz am unteren Ende stehe. Und genau daran erkennt sie die Handschrift Gottes. Er hält sich nicht an die gesellschaftliche Rangordnungen, sondern stellt sie auf den Kopf.

Gottes Handschrift erkennen

Für diesen Glauben wird sie von ihrer Tante Elisabeth gepriesen. Glaube bedeutet, Gottes Handschrift wiederzuerkennen, sei es in einem großen Ereignis, das ein ganzes Volk aus dem Häuschen geraten lässt, oder im Lebensweg einer jungen Frau, die nach außen ein ganz unauffälliges Leben führt. Gott schreibt im Großen wie im Kleinen immer mit derselben Handschrift der Freiheit. Aber weil Maria diese Handschrift im Kleinen erlebt, deshalb rechnet sie damit, dass Gott treu ist und auch im Großen mit dieser Handschrift seine Geschichte weiterschreibt. Und so ist es ja wirklich gekommen: Jesus hat auch ganz äußerlich der Weltgeschichte eine neue Richtung gegeben.

Man muss zugeben, dass es auch für Maria später Zeiten gegeben hat, wo sie Gott und ihren erwachsenen Sohn Jesus nicht verstanden hat. Einmal kam sie mit der ganzen Familienbande an und wollte Jesus unter Druck setzen: Junge, du kannst doch nicht immer rumziehen und predigen, komm endlich wieder nach Hause, wir sind doch deine Familie, und die Familie ist wichtiger als dieser ganze fromme Kram, den du jetzt immer machst! Ist ja schön, dass du so fest glaubst, aber man muss es doch nicht übertreiben damit!

Jesus hat nicht auf sie gehört, und am Ende hat sie wohl auch selbst verstanden, dass sie da Mist gebaut hat. Aber das nimmt nichts weg von dieser Begeisterung der jungen Maria, die sich aus vollem Herzen freut, dass sie dabei sein darf, wenn Gott endlich die Tyrannen stürzt und den kleinen Leuten Gerechtigkeit verschafft.

Eine Revolution voll Menschenfreundlichkeit und Solidarität

Und dann erhebt sich natürlich die Frage, ob wir wenigstens ein bisschen von dieser Art der Freude kennen. Ob wir selbst das Gefühl haben: ich habe auch meinen Platz in Gottes großer Revolution, und ich bin froh und dankbar dafür, dass er mich berufen hat und dass ich seinen Ruf gehört habe. Ich darf dabei sein, wenn Gott die Hungrigen satt macht und die Reichen leer ausgehen lässt.

Das kann ja schneller passieren, als wir uns das so vorstellen. Die Ordnung der Welt ist gerade massiv in Bewegung, und keiner weiß, was als Nächstes kommt. Wer von uns hat mit der Corona-Pandemie gerechnet? Wer hat geahnt, dass der Klimawandel nicht einfach mehr Wärme bringt, sondern Extremwetter, Dürren, Stürme, Starkregen, der ganze Orte unter Wasser setzt? Wer hätte sich vorgestellt, dass ein ehemaliger Muslim aus Saudi-Arabien aus Islamfeindschaft ein Blutbad auf einem deutschen Weihnachtsmarkt anrichtet? Das ist so schräg, dass es in keine Schublade passt. Wer hätte sich das ausdenken können?

Und man kann jetzt natürlich sagen: darüber mag ich gar nicht nachdenken. Man kann sich aber auch neu mit Gott verbinden und sagen: in all diesem menschlichen Kuddelmuddel bist du der Treue und Beständige, und dein Wort ist wahrhaftig, und ich will dein Wort an mich hören und tun. Und dann bin ich auch Teil deiner großen Revolution, die anders funktioniert als Menschen sich das vorstellen, eine Revolution voll Menschenfreundlichkeit und Solidarität mitten in einer Welt, wo alle glauben, sie müssten sich mit Gewalt ihren Platz erkämpfen und ihre Macht sichern.

Gott kommt, und ich bin dabei

Das ganze Evangelium hindurch wird Marias Sohn Jesus den Menschen erklären, wie Gottes Revolution tatsächlich aussieht, und viele werden es nicht verstehen wollen. Aber das stellt nicht diese Freude Marias am Anfang in Frage: Gott kommt in die Welt, er stellt die Welt auf den Kopf und heilt sie, und ich darf an meinem Platz dabei sein. Ich bin nicht zu unbedeutend dafür.

Das ist die Freude, die an der Wurzel von Weihnachten steht. Ich werde nicht auf den sogenannten Weihnachtsrummel mit seiner billige Ersatzfreude schimpfen. Aber ich möchte diese ursprüngliche Freude groß machen, die in Marias Lied so klar zu hören ist: Gott kommt, er schafft Gerechtigkeit, und ich darf dabei sein. Gemeinsam wollen wir der Welt ihren ursprünglichen Glanz zurückgeben. Das ist das Beste, was Menschen erleben können.

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