Es ist gut, dass Jesus gegangen ist

Predigt am 23. Mai 2010 (Pfingsten I) zu Johannes 16,5-15

5  Aber jetzt gehe ich zu dem, der mich gesandt hat. Und keiner von euch fragt mich: ›Wohin gehst du?‹ 6  Denn ihr seid erfüllt von tiefer Traurigkeit über das, was ich euch sage. 7  Doch glaubt mir: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht von euch wegginge, käme der Helfer nicht zu euch; wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.
8  Und wenn er kommt, wird er der Welt zeigen, dass sie im Unrecht ist; er wird den Menschen die Augen öffnen für die Sünde, für die Gerechtigkeit und für das Gericht. 9  Er wird ihnen zeigen, worin ihre Sünde besteht: darin, dass sie nicht an mich glauben. 10  Er wird ihnen zeigen, worin sich ´Gottes` Gerechtigkeit erweist: darin, dass ich zum Vater gehe, wenn ´ich euch verlasse und` ihr mich nicht mehr seht. 11  Und was das Gericht betrifft, wird er ihnen zeigen, dass der Herrscher dieser Welt verurteilt ist.
12  Ich hätte euch noch viel zu sagen, aber ihr wärt jetzt überfordert. 13  Doch wenn der ´Helfer ` kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch zum vollen Verständnis der Wahrheit führen. Denn was er sagen wird, wird er nicht aus sich selbst heraus sagen; er wird das sagen, was er hört. Und er wird euch die zukünftigen Dinge verkünden. 14  Er wird meine Herrlichkeit offenbaren; denn was er euch verkünden wird, empfängt er von mir. 15  Alles, was der Vater hat, gehört auch mir. Aus diesem Grund sage ich: Was er euch verkünden wird, empfängt er von mir.«

Der rote Faden, der sich durch diese Sätze aus dem Johannesevangelium zieht, ist die weltweite, ja kosmische Umsetzung des Christusgeschehens. Als Jesus mit seinen Jüngern über die Straßen Israels zog, war das zwar für sie eine tief beeindruckende Zeit, aber so hätte er es nie geschafft, eine weltweite Bewegung zu gründen, die die Zeiten überdauerte. Jesus konnte eben nur mit 12 Jüngern zusammen sein und nicht mit 12 Millionen. Und das Ganze wäre auch begrenzt auf die Lebenszeit eines Menschen: denn Jesus lebte in den normalen Grenzen eines sterblichen Menschen. Auch wenn er nicht gekreuzigt worden wäre, hätte er doch eines Tages sterben müssen, und was wäre dann aus seiner Bewegung geworden?
Wenn Jesus wirklich eine weltweite Bedeutung haben sollte, dann musste das anders gehen. Und hier in diesen Sätzen versucht er, den Jüngern begreiflich zu machen, dass sein Tod nicht das Ende sein wird, sondern der Beginn eines neuen, größeren Abschnitts in seiner Geschichte. Sie schauen ja nur auf den Verlust und fragen überhaupt nicht darüber hinaus, was dann sein wird, und ob dann nicht vielleicht etwas Besseres kommen wird.

Immer, wenn etwas Neues beginnt, ist das auch ein Abschied und ein Verlust. Und es gibt Menschen, die sich überhaupt nicht auf Neues einlassen können, weil sie so sehr am Vertrauten hängen und es nicht aufgeben mögen. Und am Ende verlieren sie alles, das Alte, weil es auch ohne ihre Zustimmung zu Ende geht, und das Neue, weil sie sich nicht darauf einlassen wollen.

Jesus dagegen wusste, wann eine Sache zu Ende war. Drei Jahre lang hatte er öffentlich gewirkt, drei Jahre lang hatte er seine Jünger vorbereitet, und nun war etwas anderes dran. Und er zog ohne Zögern die Konsequenzen. Er versuchte nicht, etwas festzuhalten, dessen Zeit vorüber war.

Wir hätten an seiner Stelle wahrscheinlich gedacht: ich bin erst dreißig, ich habe noch soviel Zeit – über die Frage, was ist, wenn ich mal alt werde mache ich mir in zwanzig Jahren Gedanken. Aber Jesus wusste schon nach dieser kurzen Spanne von drei Jahren: genug jetzt, das war es, jetzt kommt etwas anderes! Und er versucht seinen Jüngern diesen Abschied leichter zu machen, indem er ihre Gedanken auf das Neue richtet. Ihr Blick reicht nur bis zum Abschied; Jesu schaut darüber hinaus in die Zukunft.

Dieser Abschied ist gut für euch! sagt er. Denn nur wenn ich gehe, kann der Heilige Geist kommen. Schaut nach vorn und glaubt mir, dass das keine Verschlechterung bedeutet, im Gegenteil!

Wir haben ja so den Eindruck: damals, als Jesus noch körperlich hier war, das war toll! Damals hätten wir dabei sein wollen! Was danach kam, das war nur noch eine schlechte Kopie.

Ernsthaft: an dieser Stelle müssen wir umdenken. Jesus sieht das nicht so. Er sagt: was jetzt kommt, das wird euch erst das volle Verständnis von dem geben, was ich hier begonnen habe. Das Beste kommt erst noch! Ihr werdet nur allmählich die wirkliche Dimension begreifen können, im Augenblick geht das noch gar nicht, aber vertraut mir: es ist gut für euch, wenn ich gehe und etwas Neues beginnt.

Wir heute können im Rückblick nachvollziehen, weshalb die Jünger damals überfordert gewesen wären, wenn Jesus ihnen einen Vorblick auf die Zukunft gegeben hätte. Wenn wir an der Stelle der Jünger gewesen wären: hätten wir uns denn vorstellen können, dass das Evangelium die Grenzen von Israel überwinden würde, um sich in der heidnischen Welt des römischen Reiches auszubreiten? Hätte etwa Petrus sich damals schon vorstellen können, dass er eines Tages in Rom vielen Menschen von Jesus erzählen würde, mitten in der Hauptstadt des Imperiums? Oder das Werk des Paulus, das jüdische Evangelium in die ganz neuen Begriffe der griechischen Kultur zu übersetzen – hätten die Jünger das begreifen können, wenn Jesus es ihnen vorausgesagt hätte?

Und wenn man weitergeht – hätten sie sich vorstellen können, das schon nach wenigen Jahrzehnten in Kleinasien z.B. die heidnischen Tempel echte Probleme bekamen, weil kaum noch einer mehr hin ging – so viele Leute waren inzwischen Christen! Und dass ein paar Jahrhunderte später rund um das ganze Mittelmeer und darüber hinaus die Menschen von Jesus aus dachten, wenn sie über die Welt nachdachten? Dass eines Tages das römische Reich zusammenbrechen würde und dass ausgerechnet die Kirche das Erbe dieser Zivilisation antreten würde? Dass die Impulse der Bibel überhaupt erst unsere moderne Neuzeit ermöglichen würden – usw., usw.!

Und wahrscheinlich werden eines Tages Menschen auf unsere Zeit zurückblicken und sagen: ach, die konnten sich ja damals noch gar nicht vorstellen, was wir inzwischen alles erlebt haben. Wenn denen einer erzählt hätte, was noch kommen würde, die hätten das nicht geglaubt!

Jesus wusste damals am Abend vor seinem Tod schon, dass seine Geschichte weitergehen und weltweite, ja kosmische Dimensionen annehmen würde. Aber das war nur dadurch möglich, dass Jesus zurück zum Vater ging und den Heiligen Geist sandte. Der Heilige Geist führt das Werk Jesu nun an vielen Orten der Welt gleichzeitig fort. Er stellt sich ein auf unterschiedliche Menschen und auf unterschiedliche Zeiten. Es bleibt dabei, es geht um das, was Jesus begonnen hat – aber der Heilige Geist übersetzt es, er setzt es um, er sorgt dafür, dass die Handschrift Jesu auch nach 2000 Jahren in einer völlig veränderten Welt immer noch erkennbar bleibt. Derselbe Jesus – aber auf eine ganz neue Weise.

Das geht nur deshalb, weil das Zentrum des Evangeliums eine Person ist, Jesus, und nicht irgendein Lehrsatz. Immer wieder hat man versucht, aus dem Christentum ein Gebäude von Lehrsätzen zu machen, aber das funktioniert nicht. Die Wahrheit besteht nicht aus Lehrsätzen, sondern die Wahrheit ist eine Person. Jesus sagt »Ich bin die Wahrheit«, und damit ist die Wahrheit so unergründlich und flexibel wie eine Person, aber gleichzeitig ist sie auch so beständig und zuverlässig, wie es Jesus war.

Alle Traditionen und Lehrsätze sind zeitbedingt und veralten irgendwann. Wir haben in unserer modernen Welt einen gigantischen Abbruch von Traditionen erlebt, wie es das vorher noch nie gegeben hat. Und die Entwicklung beschleunigt sich immer mehr: früher hat es jede neue Generation anders gemacht als ihre Eltern, und dann hieß es: also, die heutige Jugend, ts, ts, ts! Wo soll das noch enden! Heute erlebt man im Laufe eines Lebens schon mehrere solcher Traditionsbrüche. Und man sagt sich: wie wir das früher gemacht haben, das kann man sich kaum noch vorstellen! Was ich damals für Klamotten getragen habe auf den alten Bildern! Unglaublich! Und auf Film haben wir fotografiert anstatt mit der elektronischen Kamera! Das waren noch Zeiten.

Und manche sehnen sich immer noch zurück in eine Zeit, in der der Wandel langsamer vor sich ging und man ihn nicht so gemerkt hat. Aber das funktioniert nicht. In unserer rasanten Zeit merkt man erst, wie gut es ist, dass der Heilige Geist sich flexibel auf neue Situationen einstellt. Christen haben dieses Problem nicht, dass sich dauernd was ändert und wir nicht richtig nachkommen. Das kennen wir schon von Jesus, und vom Heiligen Geist erst recht. Jesus blieb nirgendwo lange, spätestens am nächsten Tag zog er weiter in eine andere Stadt, und nach drei Jahren merkte er, dass seine Mission beendet war, und er ging zurück zu Gott und machte dem Heiligen Geist Platz.

Und der Heilige Geist, sagt Jesus, hat drei Aufgaben:

erstens: er wird den Menschen zeigen, was Sünde ist: nämlich nicht an Jesus zu glauben. Das ist eine grundlegende Neudefinition von Sünde. Vorher bestand Sünde in bestimmten Regelverletzungen, und es gab Vorschriften, was man nicht tun darf. Aber das wird immer schwieriger, je komplizierter die Welt wird. Die Gesetze werden immer komplizierter, und kaum noch einer blickt durch. O.k., wenn einer eine Bank überfällt, dann ist klar, dass das verboten ist und er wird meistens geschnappt und eingebuchtet. Aber wenn einer ein ganzes Bankensystem zum Absturz bringt, und auch noch mit anderen zusammen, und am Ende schieben sich alle die Schuld gegenseitig zu und keiner ist es gewesen – wie will man das mit Vorschriften verbieten oder gar bestrafen?

Deswegen muss man Sünde ganz anders beschreiben: es gibt nur eine einzige Sünde, und die besteht darin, nicht an Jesus zu glauben. Wenn du an Jesus glaubst, dann ist dein Herz nicht von Gier erfüllt, und das behütet dich vor vielen bösen Dingen, und dann lebst du als Teil der Gemeinde die Alternative Gottes. Der Heilige Geist wirkt ja nicht irgendwie freischwebend, er kümmert sich auch nicht in erster Linie um isolierte Einzelne, sondern er wirkt durch Gemeinschaften, die im Namen Jesu zusammengehören und eine deutliche Alternative zum herrschenden Weltsystem bilden. Sünde ist, an dieser Alternative Jesu nicht teilzunehmen.

Und dann stoßen Menschen auf so eine Gemeinschaft, wo sie nicht den Tanz ums Goldenen Kalb mitmachen, wo man zusammenhält auch in harten Zeiten, wo nicht die üblichen Rangeleien stattfinden, wer das meiste zu sagen hat und die meiste Aufmerksamkeit bekommt, wo die Leute ein Gefühl für Würde haben, wo man einen ruhigen Durchblick hat, statt auf die ganze übliche Propaganda zu hören, und dann wird ihnen klar: da müsste ich eigentlich mitmachen! Dann würde ich ein besserer Mensch werden. Und selbst in unseren Zeiten kann man diesen Unterschied spüren, wenn man will – obwohl wir erst langsam wieder herausfinden, wie man solche Gemeinschaften aufbauen kann, in denen Jesus in der Gegenwart Gestalt annimmt. Und dazu Nein zu sagen, das ist die eigentliche Sünde.

Die zweite Aufgabe des Heiligen Geistes ist es, ihnen Gottes Gerechtigkeit zu erklären: die besteht nämlich genau darin, dass Jesus geht und dem Heiligen Geist Platz macht. Gott will die ganze Schöpfung zurückholen auf den Weg, für den sie bestimmt ist, und das geht nur, wenn Jesus seinen kleinen Platz in der Welt räumt, damit der Heilige Geist in die ganze Welt kommen kann. Gottes Gerechtigkeit besteht nicht darin, dass er jedem das gerechte Maß an Strafe oder Belohnung zuteilt, sondern Gott ist gerecht, indem er seiner Welt treu bleibt und sie erneuert. Damit das geschehen kann, klammert sich Jesus nicht an sein Leben und an die Menschen und Traditionen, mit denen er schon vertraut ist, sondern er sendet den Heiligen Geist und geht so neue Wege durch die ganze Welt.

Schließlich soll der Heilige Geist neu erklären, was Gericht ist. Auch bei Gericht denkt man an ein Strafgericht auf Erden oder im Himmel, bei dem jeder bekommt, was er verdient. Aber der Heilige Geist definiert auch das anders: das Gericht besteht darin, dass der böse Herrscher dieser Welt ansehen muss, wie überall Menschen auf neue Weise mit Gott leben. Das ist das Schlimmste, was ihm passieren kann: zu sehen, dass es ohne ihn besser geht.

Der böse Feind, oder wenn Sie lieber sagen: das böse Prinzip in der Welt, der Teufel, der Verwirrer, der Herrscher über dieses Weltsystem, der kann viel ertragen, aber eins nicht: wenn Menschen sich einfach unabhängig von ihm machen, Gottes Sache leben und sich nicht groß um ihn kümmern. Wenn einer gegen ihn kämpft, das ist o.k., denn wer gegen das Böse kämpft, wird schnell selbst böse. Aber wenn man ihn ignoriert und sich einfach am Besseren freut, das Jesus gebracht hat, und ganz ohne Empörung und Aufregung daran sein Herz hängt, das tut ihm richtig weh. So lange hat er daran gearbeitet, in die Herzen der Menschen Misstrauen gegen Gott zu säen, Erbitterung, Neid, Empörung, Faulheit. Und wenn er jetzt zusehen muss, wie Menschen einfach fröhlich mit Gott leben und sich an ihrer Tatkraft freuen, das tut ihm richtig weh. Er kann zwar noch viel Unheil stiften in der Welt, aber diese Menschen, die ihn einfach ignorieren, die sind ein Stachel in seinem Herzen, wenn er eins haben sollte. Das ist seine Strafe.

Damit solche Gemeinschaften weltweit entstehen, dazu ist der Heilige Geist gekommen, dazu bringt er Jesus in alle Zeiten und Situationen hinein, und das ist das eigentlich Spannende: da dabei zu sein.

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