Eine neue Zeit beginnt

Predigt am 15. Mai 2016 (Pfingsten I) zu Johannes 16,5-15

5 Jetzt aber gehe ich zu dem, der mich gesandt hat, und keiner von euch fragt mich: Wohin gehst du? 6 Vielmehr ist euer Herz von Trauer erfüllt, weil ich euch das gesagt habe. 7 Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.
8 Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist;
9 Sünde: dass sie nicht an mich glauben;
10 Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht;
11 Gericht: dass der Herrscher dieser Welt gerichtet ist.
12 Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. 13 Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. 14 Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. 15 Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.

Bild: Didgeman via pixabay, Lizenz: creative commons CC0
Bild: Didgeman via pixabay, Lizenz: creative commons CC0

Immer, wenn etwas Neues beginnt, geht auch etwas anderes, etwas Altes, zu Ende. Und es gibt Menschen, die sich überhaupt nicht auf Neues einlassen können, weil sie so sehr am Vertrauten hängen und es nicht aufgeben mögen. Und am Ende verlieren sie alles: das Alte, weil es auch ohne ihre Zustimmung zu Ende geht, und das Neue, weil sie es verschmähen.

Jesus dagegen wusste, wann eine Sache zu Ende war. Drei Jahre lang hat er öffentlich gewirkt, drei Jahre lang hat er seine Jünger vorbereitet, und nun war er fast am Ziel. Am nächsten Tag wird er sagen: es ist vollbracht. Anschließend kam etwas neues. Und er versuchte nicht, etwas festzuhalten, dessen Zeit vorüber war.

Wir hätten an seiner Stelle wahrscheinlich gedacht: eigentlich läuft gerade alles sehr gut, die Leute haben angefangen, auf mich zu hören, die Bewegung wächst – noch ein paar Jahre, und schauen wir mal, wo wir dann sind. Auch seine Jünger dachten, das könnte unbegrenzt so weitergehen. Aber Jesus wusste: das war es, meine Aufgabe ist erfüllt, jetzt kommt etwas anderes! Und er versucht seinen Jüngern diesen Abschied leichter zu machen, indem er ihre Gedanken auf das Neue richtet.

Warum der Abschied gut ist

Dieser Abschied ist gut für euch! sagt er. Denn nur wenn ich gehe, kann der Heilige Geist kommen. Schaut nach vorn und glaubt mir, dass das keine Verschlechterung bedeutet, im Gegenteil!

Wir denken ja oft: damals, als Jesus noch körperlich hier war, das war die beste Zeit des Christentums! Damals hätten wir dabei sein wollen! Und es ist ja richtig: jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. So wie Ehepaare nach vielen Jahren auf die Zeit der ersten Liebe zurückschauen und sagen; ja damals! Das war toll! Und es klingt fast so, als ob danach ein langer Niedergang begonnen hätte, den man mit Blumen, Fotos und Romantik-Urlauben vergeblich zu stoppen versucht.

An dieser Stelle müssen wir ernsthaft umdenken. Jedenfalls, wenn es um Jesus geht; wahrscheinlich aber auch bei der romantischen Verklärung anderer Anfänge. Jesus sagt: von jetzt an wird sich erst richtig entfalten, was ich hier begonnen habe. Das Beste kommt noch! Ihr werdet nur allmählich die wirkliche Dimension begreifen, im Augenblick geht das noch gar nicht, aber vertraut mir: es ist gut für euch, wenn ich gehe und etwas Neues beginnt.

Unmöglich, die Zukunft zu beschreiben

Wir heute können im Rückblick nachvollziehen, weshalb die Jünger damals überfordert gewesen wären, wenn Jesus ihnen einen Vorblick auf die Zukunft gegeben hätte. Hätten sie sich denn vorstellen können, dass das Evangelium die Grenzen von Israel überwinden würde, um sich in der heidnischen Welt des römischen Reiches auszubreiten? Hätte Petrus sich vorstellen können, dass er eines Tages in Rom vielen Menschen von Jesus erzählen würde, mitten in der Hauptstadt des Imperiums? Oder das Werk des Paulus, das jüdische Evangelium in die ganz neuen Begriffe der griechischen Kultur zu übersetzen – hätten die Jünger das begreifen können, wenn Jesus es ihnen vorausgesagt hätte?

Und wenn man weiter in die Zukunft schaut: hätten sie sich vorstellen können, dass eines Tages die heidnischen Tempel echte Probleme bekommen würden, weil kaum noch einer hinging – so viele Leute waren inzwischen Christen! Dass eines Tages das römische Reich zusammenbrechen würde und ausgerechnet die Kirche das gute Erbe dieser Zivilisation bewahren würde? Dass die Impulse der Jesusbewegung eines Tages unsere moderne Neuzeit ermöglichen würden?

Wahrscheinlich werden eines Tages Menschen auch auf unsere Zeit zurückblicken und sagen: ach, die konnten sich ja damals noch gar nicht vorstellen, was wir inzwischen alles erlebt haben. Wenn denen einer erzählt hätte, was noch kommen würde, die hätten das nicht geglaubt!

Flexible Wahrheit

Jesus wusste damals am Abend vor seinem Tod schon, dass seine Geschichte weitergehen und weltweite, ja kosmische Dimensionen annehmen würde. Aber das war nur dadurch möglich, dass Jesus zurück zum Vater ging und den Heiligen Geist sandte. Durch ihn kann Jesus sein Werk an unzähligen Orten in der Welt gleichzeitig fortsetzen. Es geht weiterhin um das, was Jesus begonnen hat – aber der Heilige Geist übersetzt es; er sorgt dafür, dass die Handschrift Jesu auch nach 2000 Jahren in einer völlig veränderten Welt immer noch erkennbar bleibt. Derselbe Jesus – aber immer wieder auf neue Weise.

Das geht nur deshalb, weil das Zentrum des Evangeliums eine Person ist, Jesus, und nicht irgendein Lehrsatz. Immer wieder hat man versucht, aus dem Christentum ein Gebäude von Lehrsätzen zu machen, aber das funktioniert nicht. Die Wahrheit besteht nicht aus Lehrsätzen, sondern Jesus sagt »Ich bin die Wahrheit«, und damit ist die Wahrheit so unergründlich und unvorhersehbar wie ein Mensch, aber gleichzeitig ist sie auch so beständig und zuverlässig, wie es Jesus war.

Vertraut mit Veränderungen

Alle Traditionen und Lehrsätze sind zeitbedingt und veralten irgendwann. Wir erleben das zur Zeit ja heftig. Früher hat es jede neue Generation anders gemacht als ihre Eltern, und dann hieß es: die heutige Jugend, o nein, wo soll das noch enden! Heute erlebt man selbst im Lauf des Lebens schon mehrere solcher Traditionsbrüche. Und man sagt sich: wie wir das früher gemacht haben, das kann man sich kaum noch vorstellen! Mit der Schreibmaschine haben wir geschrieben! Und was ich damals für Klamotten getragen habe auf den alten Bildern! Unglaublich! Und wir haben mit Film fotografiert, den man hinterher entwickeln musste. Weiß das heute noch einer?

In unserer rasanten Zeit merkt man erst, wie gut es ist, dass der Heilige Geist sich flexibel auf neue Situationen einstellt. Christen müssen keine Angst vor schnellen Veränderungen haben. Dass sich dauernd was ändert und wir nicht richtig nachkommen, das kennen wir doch schon von Jesus, und vom Heiligen Geist erst recht. Jesus blieb nirgendwo lange, spätestens am nächsten Tag zog er weiter in eine andere Stadt, und nach drei Jahren merkte er, dass seine Mission beendet war, und er ging zurück zu Gott und machte dem Heiligen Geist Platz.

Und der Heilige Geist, sagt Jesus, hat drei Aufgaben:

Neudefinition von Sünde

erstens: er wird den Menschen zeigen, was Sünde ist: nämlich nicht an Jesus zu glauben. Das ist eine grundlegende Neudefinition von Sünde. Vorher bestand Sünde in Regelverletzungen. Es gab Vorschriften, gegen die man nicht verstoßen durfte. Aber das wird immer schwieriger, je komplizierter die Welt wird. Gut, wenn einer eine Bank überfällt, dann ist klar, dass das verboten ist und er wird oft geschnappt und bestraft. Aber wenn einer ein ganzes Bankensystem zum Absturz bringt, und auch noch mit anderen zusammen – wie will man das mit Vorschriften verbieten oder gar bestrafen?

In Wirklichkeit gibt es nur eine einzige Sünde, und die besteht darin, nicht an Jesus zu glauben. In Jesus wird sichtbar, wie Gott sich ein Menschenleben wünscht, und wer dazu Nein sagt, ist mit Gott im Konflikt. Wohlgemerkt, Glauben bedeutet nicht, dass du immer Jesus-gleich lebst. Das hat nur Jesus selbst hingekriegt. Es geht um die Grundausrichtung des Lebens, um die Überzeugung: dieser Weg ist richtig. Den will ich gehen, so gut ich irgend kann. Wenn du an Jesus glaubst, dann ist dein Herz von diesem Wunsch erfüllt, und dann lebst du als Teil der Gemeinde die Alternative Gottes.

Und dann stoßen Menschen auf eine Gemeinschaft, wo sie nicht den Tanz ums Goldenen Kalb mitmachen, wo man zusammenhält auch in harten Zeiten, wo nicht die üblichen Rangeleien stattfinden, wer das meiste zu sagen hat und die meiste Aufmerksamkeit bekommt, wo die Leute ein Gefühl für Würde haben, wo man einen ruhigen Durchblick hat, statt auf die ganze übliche Propagandaberieselung zu hören, und dann wird ihnen klar: da müsste ich eigentlich mitmachen! Dann würde ich ein besserer Mensch werden. Und selbst in unseren Zeiten kann man diesen Unterschied spüren, wenn man will – obwohl wir erst langsam wieder herausfinden, wie solche Gemeinschaften aussehen, in denen Jesus in der Gegenwart Gestalt annimmt. Zu dieser neuen Art von Leben Nein zu sagen, das ist die eigentliche Sünde.

Neudefinition von Gerechtigkeit

Die zweite Aufgabe des Heiligen Geistes ist es, Gottes Gerechtigkeit zu erklären: die besteht nämlich genau darin, dass Jesus geht und dem Heiligen Geist Platz macht. Gott will die ganze Schöpfung zurückholen auf den Weg, für den sie bestimmt ist, und das geht nur, wenn Jesus seinen kleinen Platz in Israel räumt, damit der Heilige Geist in die ganze Welt einschließlich Israels kommen kann. Gottes Gerechtigkeit besteht nicht darin, dass er jedem das gerechte Maß an Strafe oder Belohnung zuteilt, sondern Gott ist gerecht, indem er seiner Welt treu bleibt und sie durch seinen Geist erneuert. Dafür macht Jesus Platz.

Gericht: Isolation des Bösen

Schließlich soll der Heilige Geist neu definieren, was Gericht ist: das Gericht besteht darin, dass der böse Herrscher dieser Welt ansehen muss, wie überall Menschen auf neue Weise mit Gott leben. Sie werden ihm entrissen, sie gehen frei aus, und er, der eigentliche Urheber des ganzen Elends, der die Erde wieder und wieder in den Schmutz gezogen hat, steht endlich isoliert da.

So lange hat er daran gearbeitet, in die Herzen der Menschen Misstrauen gegen Gott zu säen, Erbitterung, Neid, Empörung, Faulheit. Er wollte menschliche Verbündete haben, die er in seinen Aufstand gegen Gott hineinzieht. Menschliche Schutzschilde sozusagen, hinter denen er sich verstecken kann, und die es Gott schwer machen, ihn der Gerechtigkeit zuzuführen. So wie Terroristen ein Umfeld brauchen, in dem sie sich verstecken, und wenn man sie zu treffen versucht, dann trifft man auch immer Unschuldige oder harmlose Sympathisanten und radikalisiert sie ebenfalls.

So hat auch der Böse versucht, Gott in die Zwickmühle zu bringen, indem er Gottes geliebte Menschen mit seiner Empörung infiziert. Und wenn er jetzt zusehen muss, wie Menschen einfach fröhlich mit Gott leben und sich an ihrer Tatkraft freuen, das tut ihm richtig weh. Diese Menschen, die ihn einfach ignorieren, die sind ein Stachel in seinem Herzen, wenn er eins haben sollte. Er hat rasende Angst, dass er am Ende doch allein dasteht mit seinem Aufbegehren.

Damit Menschen sich von ihm nicht mehr missbrauchen lassen, dazu ist der Heilige Geist gekommen, dazu bringt er Jesus in alle Zeiten und Situationen hinein, und wer da dabei ist, gehört zur neuen Welt Gottes.

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