Das Weizenkorn und der Segen

Predigt im Vorstellungsgottesdienst der Konfirmandengruppe am 31. März 2019 mit Johannes 12,24

Vor der Predigt gab es im Gottesdienst einen Segnungsteil, bei dem die Konfirmandinnen und Konfirmanden an mehreren Segensorten die Gottesdienstbesucher segneten. An einem Tisch konnte man sich Bibelspruchkarten vorlesen lassen.

Ich weiß ja nicht, wie das jetzt eben alles gewesen ist. Wir sind ganz viele unterschiedliche Menschen, wir haben ganz viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht, und ich hoffe, es sind viele gute dabei gewesen. Als wir gestern jedenfalls noch einmal alles geprobt und vorbereitet haben, da habe ich mich zweimal auf einen von den Segensstühlen gesetzt und habe gesagt: so, jetzt übt mal an mir, macht einen Segenstest mit mir als Versuchsperson. Und auf einmal merkte ich: ich bin gar keine Versuchsperson mehr, ich werde wirklich gesegnet. Denn was wir hier mit euch machen, das ist keine pädagogische Versuchsanordnung, sondern das ist Ernst. Ernst nicht im Sinn von traurig und niederdrückend, sondern ernst und echt in dem Sinn, dass Gott wirklich etwas mit uns tut, wenn wir ihm die Chance dazu geben. Wir öffnen uns für ihn, und er nutzt die Chance, wenn wir sie ihm geben, und gibt uns etwas von seiner Lebenskraft, seinem Mut, seiner Güte, seinem Segen eben, von seinem Heiligen Geist. Oder wir hören hier vorn an dem Tisch mit den Bibelspruchkarten vielleicht ein Wort, das zu uns passt und uns etwas sagt, was wir jetzt oder auch in Zukunft brauchen.

Gottes segnende Macht durch die Hände schwacher Menschen

Und das ist nicht wirklich abhängig vom Wissen und Tun derer, die segnen. Klar, wir haben uns vorbereitet, und die Gruppen haben schöne Segensorte gebaut, aber am Ende hängt es daran, ob wir Gott nach bestem Können und Wissen eine Chance bei uns geben.

Dann ist es auch gar nicht mehr so wichtig, wie alt man ist und was man mitbringt an Erfahrung und Übung. Klar, meistens schadet das überhaupt nicht, aber Gott zieht es oft vor, mit Menschen zusammenarbeitet, denen man das nicht zutrauen würde. Deswegen heißt es im 8. Psalm: »Aus dem Mund der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet.« Das ist ein bisschen kompliziert und schwer zu übersetzen, aber gemeint ist: deine Macht entfaltet sich gerne durch den Mund von ganz jungen Menschen hindurch, damit deutlich wird, dass das deine Macht ist, die durch Menschen hindurch wirkt, und nicht die besonderen Fähigkeiten dieser Menschen.

Aber Gottes Macht besteht vor allem darin, dass er segnet. Er gibt uns etwas von seiner Güte und Nähe, er erinnert uns daran, dass er uns gewollt hat und uns alles schenken will, was wir brauchen. Und dann sollen wir alle solche Kanäle des Segens sein, jeder Einzelne, wir als Gemeinde, ihr als Konfirmandengruppe. Wir tun etwas und hoffen, dass Gott dazu Ja sagt und das dazutut, was wir nicht tun konnten.

Der Spruch vom Weizenkorn

Und nun muss ich euch noch etwas dazu sagen, und das hängt mit dem Wochenspruch dieser Woche zusammen. Wir haben ihn schon gehört, er war Teil des Evangeliums, das wir vorhin gehört haben. Er lautet:

»Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.«

Das sagt Jesus kurz vor seinem Tod, als er in Jerusalem ist und die internationale Presse um ein Interview nachfragt. Die wollen den Volkshelden sehen, den Mann des Jahres, der Leute heilt und segnet, der die Banker aus dem Vorhof des Tempels verjagt hat und die Machtverrhältnisse in Jerusalem umzustürzen droht: wird er sich als junge, dynamische Alternative zu den verknöcherten Tempelpriestern präsentieren, so wie Macron in Frankreich z.B.? Was hat er vor?

Aber Jesus sagt: ich hab keine Zeit dafür. Ich habe Wichtigeres zu tun. Aber das lass ich euch ausrichten: ein Weizenkorn muss sterben, bevor es zum Halm wird und neue Weizenkörner trägt. Und ich bin wie dieses Weizenkorn.

Was heißt das?

Die Ähren und die Wurzeln

Ich habe euch hier mal einen Weizenhalm mitgebracht, keinen echten natürlich, die gibt es ja zur Zeit nicht, aber ich habe einen nachgebaut:

Hier oben die goldene Ähre, die Körner, aus denen unser Brot wird und manchmal leider auch das Futter für die Tiere, von denen die Steaks kommen. Darunter der grüne Halm. Und ganz unten, das Schwarze, das ist das Wurzelgeflecht, das man normalerweise gar nicht sieht. Aber wir wissen: das Entscheidende passiert hier unten an den Wurzeln. Erst fällt ein Korn in die Erde und wird eingearbeitet, dann bilden sich die ersten feinen Wurzeln, dann kommen die Regenwürmer und andere Krabbelkäfer, wo wahrscheinlich einige laut »iiih« schreien würden, wenn ich ihnen die in die Hand geben würde. Aber die lockern den Boden auf und produzieren Nährstoffe, und dann kommt endlich der grüne Halm aus der Erde und wächst und bringt am Ende die goldenen Ähren, von denen wir satt werden.

Und Jesus sagt: ich bin wie dieser Weizen. Ich muss erst runter in den Tod, sterben und begraben werden, und dann gibt es neues Leben, und dann könnt ihr losgehen und die Menschen segnen. Unten im Dunkel, im Wurzelbereich beim Weizen, und im Reich des Todes bei Jesus, da geschieht das Entscheidende, damit der goldene Weizen wachsen kann und damit wir segnen können.

Warum ist das so?

Und jetzt kann einer fragen: warum geht das nicht einfacher? Könnte Jesus nicht einfach so weitermachen mit dem Heilen von Menschen, mit dem Trösten und Verkündigen, wie es es drei Jahre lang schon getan hat? Warum geht er nach Jerusalem und sucht den Konflikt mit den Priestern, in dem er elend zugrunde gehen wird? Warum muss er am Kreuz sterben? Warum muss das Weizenkorn sterben?

Aber das kennen wir doch auch von viel einfacheren Dingen: ihr musstet gestern nachmittag extra herkommen und aufbauen und nochmal üben, damit das heute gut wird. Und ich glaube, ihr wart nicht alle nur begeistert davon. Und unser Musikteam: dass die so schön singen, das liegt nicht nur daran, dass die musikalisch sind und tolle Stimmen haben, sondern die üben, Woche für Woche. Und ich kann mir vorstellen, dass da mancher schon mal gedacht hat: muss ich jetzt am Montagabend noch mal runter vom Sofa und zum Chor gehen? Aber dann haben sie sich aufgerafft und sind gekommen, weil sie wussten: wenn wir nicht ordentlich üben, dann werden wir nicht gut genug sein bei der Konfirmandenvorstellung.

Oder erinnert ihr euch noch, als ihr gerade geboren wart, und so als niedliches, unschuldiges Kindchen im Babybettchen lagt, da kam Tante Ottilie vorbei und sagte: ach, was für ein niedliches Kind! Und so süß! Eiteiteiteitei! So ein Goldkind! Wie heißt er denn? John Paul? Darren? Marleen? Was für ein schöner Name! So ein reizendes Kindchen!

Die verborgene Seite

Und ich vermute, eure Eltern haben dabei gestanden und gedacht: wenn du wüsstest, dass dieses reizende Kindchen nachts von zwei bis vier Uhr in einem durchschreien kann! Ich habe neulich eine Untersuchung gelesen, dass Eltern im Durchschnitt erst sechs Jahre nach der Geburt eines Kindes wieder so viel Schlaf bekommen wie vorher. Aber ich glaube, Eltern brauchen keine Studie, um das zu wissen. Die Frucht eines goldigen Kindchens wächst aus der dunklen Erde elterlicher Übermüdung.

Und wenn ihr das Glück hattet, ein Durchschlafkind zu haben, dann denkt daran, demnächst kommt dieses Ding, was sich Pubertät nennt, wo ihr wieder schlaflose Nächte habt, bis das Goldkind endlich wieder zu Hause ist am Samstagabend, und dann müsst ihr vielleicht noch bei Liebeskummer trösten. Weil wir nämlich oft erst einmal begeistert sind von einem goldigen Menschen, der in unser Leben getreten ist, die Traumfrau oder der Traummann, und eines Tages merken wir dann was von der versteckten dunklen Seite mit den Krabbeltierchen und Regenwürmern und fragen uns: an wen bin ich denn da geraten? Bei Erwachsenen dauert es bis dahin durchschnittlich zwei Jahre, in der Pubertät oft nicht viel mehr als zwei Wochen.

Erwachsene sehen das ganze Leben

In unserer Welt, wie sie ist, gehört zum Leben immer auch die dunkle Seite. Und wir möchten die möglichst vermeiden und nur den goldenen Weizen haben. Und als Kind ist das ok, da müssen Eltern sich um die dunkle Seite kümmern, auf Schlaf verzichten, Tränen trocknen, euch beschützen, vor was auch immer. Aber jetzt fängt es an, dass ihr selbst auch Verantwortung übernehmen müsst für das unter der Erde, da, wo das Entscheidende geschieht, für die Regenwürmer und Mistkäfer, aber auch für die Nährstoffe und die feinen Wurzelhaare.

Und wenn man das verstanden hat, dann ist man erwachsen. Erwachsen ist man, wenn man sich von der Illusion verabschiedet hat, man könnte immer den goldenen Weizen ernten und die dunkle Erde, den Tod und die Mühen den anderen überlassen, egal ob das die Eltern sind oder die Näherinnen in Bangla Desh, die für ein paar Dollar am Tag die tollen Klamotten nähen, die wir billig kriegen und dann dreimal tragen. Erwachsen ist man, wenn man bereit ist, nicht nur die goldenen Seiten des Lebens zu übernehmen, sondern auch die dunklen Schreinächte. Wer auch immer da weswegen schreien mag.

Jesus hat nicht die Dunkelheiten vermieden

Aber am Ende bleibt immer noch mehr übrig, als wir tragen können. Und deshalb ist Jesus mitten hinein gegangen in die Dunkelheit dieser Welt, dahin, wo sie am finstersten war, ans Kreuz, hat freiwillig auch die dunkelste Seite von allen auf sich genommen, weil nur er die verwandeln konnte. Nur er konnte das heilen. Das hätten wir nicht geschafft. Aber er ist in Gottes Auftrag da hineingegangen (»hinabgestiegen in das Reich des Todes«) und hat auch dort geheilt und Leben verbreitet.

Und jetzt sind wir beauftragt, dieses Leben weiterzugeben, mit vollen Händen, mit segnenden Händen, Kanäle des Lebens zu sein, die auch in die Dunkelheiten jeder Art Leben hineinbringen. Das ist die Aufgabe von Christen. Heute habt ihr damit angefangen. Jetzt könnt ihr wirklich konfirmiert werden.

Darauf freuen wir uns hoffentlich alle.

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