… und Johannes sagte »Nein«.

Predigt am 18. Dezember 2011 (4. Advent) zu Johannes 1,19-26

19 In welcher Weise Johannes auf Jesus hinwies, macht folgende Begebenheit deutlich: Die führenden Männer des jüdischen Volkes schickten aus Jerusalem Priester und Leviten zu Johannes und ließen ihn fragen, wer er selbst eigentlich sei. 20 Johannes wies alle falschen Vorstellungen zurück; unmissverständlich erklärte er: »Ich bin nicht der Messias.« – 21 »Wer bist du dann?«, wollten sie wissen. »Bist du Elia?« – »Nein«, antwortete er, »der bin ich nicht.« – »Bist du der Prophet, ´der kommen soll`?« – »Nein«, erwiderte er. 22 Da sagten sie zu ihm: »Wer bist du denn? Wir müssen doch denen, die uns geschickt haben, eine Antwort geben. Was sagst du selbst, wer du bist?« 23 Johannes antwortete: »Ich bin, wie der Prophet Jesaja gesagt hat, ›eine Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!‹« 24 Es waren auch Abgesandte der Pharisäer gekommen. 25 Sie fragten ihn: »Wenn du weder der Messias bist noch Elia, noch der ´verheißene` Prophet, warum taufst du dann?« – 26 »Ich taufe mit Wasser«, erwiderte Johannes. »Aber mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt. 27 Es ist der, der nach mir kommt. Ich bin nicht einmal würdig, ihm die Riemen seiner Sandalen zu öffnen.« 28 Diese Begebenheit spielte sich in Betanien ab, einer Ortschaft auf der Ostseite des Jordans, wo Johannes taufte.

Man möchte nicht in der Haut der Priester und Leviten stecken, die von ihren obersten Chefs in die Wüste am Jordan geschickt worden sind, um sich ein Bild davon zu machen, was da los ist. Ein wilder Mann in der Wüste entwickelt eine enorme Anziehungskraft – von überall her strömen sie zu ihm, hören ihm zu und lassen sich taufen. Was passiert da? Das sollen sie rauskriegen.

Und also drängeln sie sich durch bis ganz nach vorn und fragen den Johannes selber: wer bist du eigentlich, dass du so einen Volksauflauf verursachst? Und das war keine harmlose Frage nach dem Motto: haben Sie Ihre Demonstration auch ordentlich angemeldet? Zeigen Sie mal Ihren Ausweis!

Sondern das war damals in Israel ein ganz heißes Thema. Alle paar Jahre ging damals irgendwer in die Wüste und sammelte einen Haufen Leute um sich herum, die dann irgendwann anfingen, mehr oder weniger offen gegen die bestehende Ordnung zu kämpfen: gegen korrupte Könige, gegen die römischen Besatzer, manchmal auch gegen die eigenen Leute. Normalerweise machte römisches Militär der Sache dann bald ein Ende, aber vorher wusste man nie, wie es ausgehen würde.

Also kommen sie an und probieren alle Möglichkeiten durch: »bist du der Messias?« »Nein.« »Bist du der Prophet Elia, der wiederkommen soll?« »Nein.« »Bist du der Prophet, den Mose angekündigt hat?« »Nein«. Schließlich sind sie so entnervt, dass sie auf die Idee kommen, die Frage anders zu formulieren: »Wer bist du denn? Sag schon, wir können hier nicht ewig warten, wir müssen zurück zu unserem Boss, sonst kriegen wir Ärger. In welche Schublade sollen wir dich stecken?«

Gut, sagt Johannes. Also, ich bin der, von dem es bei Jesaja heißt, in Kapitel 40: ‚Es ruft eine Stimme: in der Wüste bereitet dem Herrn den Weg‘. Johannes hat seine Bibel gelesen, und er hat dort etwas Neues gefunden, etwas, was die anderen noch gar nicht auf dem Schirm hatten.

Aber diese Stelle hat es in sich. Das Jesajabuch besteht aus mehreren Teilen, und in Kapitel 40 fängt der zweite Teil an. Im ersten Teil kündigt Jesaja das Gericht über Israel an: haltet euch an Gottes Gebote, unterdrückt die Armen nicht, macht keine Kriegspolitik, betet keine anderen Götter an, sonst wird Gott euch euer Land wieder wegnehmen.

Im zweiten Teil hören wir einen Nachfolger Jesajas. Da ist alles eingetroffen, was Jesaja angekündigt hat. Das Volk ist nach Babylon verschleppt. Und als sie dort im Elend leben, da meldet sich Gott durch den zweiten Jesaja und macht ihnen Hoffnung, dass es nicht aus ist mit ihnen. Und ganz am Anfang seiner Worte stehen diese Verse von der Stimme, die sagt: in der Wüste bereitet dem Herrn den Weg! Mitten in der heißen, leeren, tödlichen Wüste, die das Volk von seiner Heimat trennte, da soll ein Raum vorbereitet werden für die Herrlichkeit Gottes.

Und im Grunde wartete Israel in der Zeit von Johannes immer noch darauf, dass das eintrifft. Sie waren zwar wieder in ihrem Land, aber es waren kümmerliche Zustände voller Unsicherheit und Zerrissenheit. Die großen Zeiten von König David kamen nicht zurück.

Aber nun dieser wilde Mann in der Wüste, der von sich selbst sagt: ich bin die Stimme, von der Jesaja spricht. Die Zeit, in der Gott sich verborgen hat, geht zu Ende. Ich rufe euch jetzt auf: »Bereitet dem Herrn den Weg! Bereitet alles für ihn vor! Gott kommt!« Und als sie noch einmal nachfragen: aber du taufst doch! Das ist etwas ganz Besonders – du hast gerade ein Sakrament erfunden! Und du behauptest, du wärst nur eine Stimme!? – da sagt Johannes: ach, meine Taufe ist doch nichts besonders, das ist doch bloß Wasser. Aber nach mir kommt einer, gegenüber dem bin ich nur ein Amateur! Und in den anderen Evangelien steht, dass Johannes in dem Zusammenhang gesagt hat: ich taufe mit Wasser, aber der kommt mit Feuer und dem Heiligen Geist!

Das ist das Besondere an Johannes, dass er seine Grenzen kennt: Ich mache nur die Vorarbeit! Ich bereite den Boden vor, ich rüttele die Menschen auf, ich feuere die Erwartung an. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Punkt, und danach muss Gott weitermachen.

Das heißt, Johannes wird als Großmaul dastehen, wenn Gott nicht weitermacht. Wenn Gott nicht bestätigt, was Johannes ankündigt, dann ist Johannes blamiert. Er hat nur diesen Auftrag Gottes: kündige mich an! Und dabei muss sich Johannes erstens darauf verlassen, dass er Gott richtig verstanden hat, und zweitens, dass Gott es sich nicht zwischendurch anders überlegt.

So geht es immer wieder Menschen, die auf Gott hören: man macht seinen Job, man tut, was man kann, und das ist ja nicht wenig, aber wenn Gott nicht seinen Job, macht, dann ist man blamiert. Das ist das Vertrauen, der Glaube, den wir aufbringen müssen: dass Gott uns nicht im Stich lassen wird, sondern dass er von seiner Seite aus ganz zuverlässig antwortet auf uns. Aus Gottes Sicht stellt sich das alles wahrscheinlich noch ganz anders dar: Gott hat eher ein Problem damit, dass Menschen nicht so handeln und reden, das er vernünftig darauf antworten kann. Er würde ja gern seine Rolle übernehmen, aber immer, wenn er eigentlich dran wäre, dann geben wir ihm das falsche Stichwort, und er muss dann sehen, wie er damit zurecht kommt.

Genau genommen ist alles, was wir tun, so ein Zusammenwirken mit Gott, und mal klappt es mal besser, mal schlechter. Wer Gärten bepflanzt und Felder einsät, der ist darauf angewiesen, dass Gott Wachstum und Gedeihen schenkt. Wer in der Schule für eine Arbeit lernt, hat keine Garantie dafür, dass es ein gutes Ergebnis gibt. Wer ein Konzert gibt, ist darauf angewiesen, dass der Funke überspringt. Wer Kinder erzieht, weiß nicht, was dabei herauskommt. Und wer einen Gottesdienst organisiert ist darauf angewiesen, dass der Heilige Geist dazukommt und Menschen anrührt. Das ganze Leben ist so ein Zusammenwirken mit Gott: du hast nie alle Faktoren unter Kontrolle, es gibt immer Überraschungen, aber zum Glück sind auch immer gute Überraschungen dabei. Das ganze Leben ist eigentlich ein Gemeinschaftswerk mit anderen Menschen und mit Gott, und wir haben nicht die Kontrolle darüber.

Man kann dabei auf zwei Seiten vom Pferd fallen: auf der einen Seite kann man versuchen, das Risiko so klein wie möglich zu halten und nichts dem Zufall zu überlassen. Aber das geht nicht, und wenn du es doch versuchst, wirst du zum Sicherheitsfreak, der alles 150%ig haben will. Dann stresst du dich selbst und nervst vor allem die anderen. Auf der anderen Seite kann man sagen: ich kann sowieso nichts erreichen, es ist alles außerhalb meiner Kontrolle, dann manche ich mir doch lieber ein ruhiges Leben und gehe erst mal Kaffee trinken. Aber auch dann spiele ich meine Rolle nicht richtig. Gott wollte ja gerade die Erde gemeinsam mit uns regieren. Und er arbeitet immer noch daran, dass wir auf unserer Seite unsere Rolle ausfüllen.

Deshalb hat er ja Jesus gesandt, damit uns hier ein Mensch zeigt, wie das geht. Und auch Jesus ist als Mensch immer von Gott abhängig geblieben und hat darauf vertraut, dass Gott seinen Teil übernehmen wird. Ganz deutlich ist das, als Jesus stirbt: er kann nichts mehr machen, es ist mit ihm aus und vorbei, und wenn Gott jetzt nichts tut, dann bleibt Jesus tot. Aber Gott ist treu und erweckt Jesus von den Toten und sorgt dafür, dass Jesus nicht scheitert. Es ist ein gemeinsames Projekt von Gott und Mensch, jeder muss sich auf den anderen verlassen, und so gelingt es am Ende.

So ist Johannes ein Mensch, der sich sicher ist in seiner Rolle: er weiß, was er selbst tun kann und was er Gott überlassen muss. Die Adventszeit betont genau dieses Warten: wir tun, was unsere Sache ist, wir tun es möglichst gut, aber dann muss Gott von seiner Seite aus seinen Teil tun. Aber wir sollen uns wirklich darauf verlassen, dass er das auch tut: denn Israel und die Christenheit, ja, die ganze Schöpfung: das alles war von Anfang an Gottes Projekt. Es ist sein Werk, das er zu einem guten Ende bringen will. Die Heiden glaubten immer, sie müssten ihre Götter mit vielen Tricks überreden, dass sie sich um die Menschen kümmern. Sie müssten sie mit Opfern bestechen oder mit Dauergebeten nerven. So ein Quatsch! Wenn irgendwer an einem Erfolg des Projektes »Schöpfung« interessiert ist, dann ist es Gott! Und deshalb können wir in aller Ruhe unseren Job so gut wie möglich tun, in der sicheren Erwartung, dass Gott es an seinem Einsatz nicht fehlen lassen wird.

Das konnten die Abgesandten vom Jerusalemer Tempel nicht verstehen. Alle religiösen Institutionen fangen irgendwann an zu glauben, dass sie den ganzen Job machen müssen. Jede Kirche, jeder Tempel glaubt irgendwann, dass Gott ohne ihn völlig hilflos wäre. Dagegen Johannes, der wilde Mann aus der Wüste, der die Menschen mehr bewegte als der geordnete Tempelbetrieb, der die Menschen mit seiner Taufe auch körperlich völlig in Beschlag nahm – unter Wasser mussten sie, als ob sie ertrinken sollten!, – und er blieb ganz ruhig in seinem Vertrauen: Nein, ich bin nicht der Messias. Nein, ich bin nicht Elia. Nein, ich bin nicht der Prophet. Ich bin nur eine Stimme. Ich bereite nur den Weg des Herrn, kommen muss er selber.

Johannes geht noch einen Schritt weiter. In Wirklichkeit ist er schon da, auf den wir alle warten. Er ist unter euch, und ihr erkennt ihn nicht. Ich habe ihn auch noch nicht gesehen, aber er ist schon da. Und am nächsten Tag kommt Jesus und Johannes weiß sofort: der ist es. Jetzt geht es los.

So ist Jesus auch jetzt unter uns. Oft erkennen wir ihn noch gar nicht, oft können wir ihm nur nach unseren Möglichkeiten einen Platz vorbereiten. Aber wenn wir das tun, dann nimmt er seinen Platz ein, wenn es soweit ist. Vierhundert Jahre haben sie in Israel gewartet, dass sich die Verheißung des zweiten Jesaja erfüllte. Wie sollten wir da ungeduldig werden? Gott wird zur richtigen Zeit seine Rolle übernehmen, und seit Jesus dauert das in der Regel auch nicht mehr so lange wie noch im Alten Testament.

Jesus ist in der Welt, die Alternative ist da, jetzt arbeiten an einer Stelle Gott und Mensch so zusammen, wie es sein soll. Und das strahlt aus. Das verändert alles. Und es gibt die einen, die es schon ganz früh spüren, und andere brauchen länger. Besser ist es, wenn wir vorbereitet sind.

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