Eine neue Welt voller Gastfreundschaft

Predigt am 9. April 2007 (Ostermontag) zu Jesaja 25,6-9

6 Und der HERR Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. 7 Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. 8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat’s gesagt.9 Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.«

Lange, lange vor Jesus beschreibt der Prophet Jesaja Gottes Träume für die Völker dieser Erde. Es wird einen Tag geben wo alle Völker zum großen Fest Gottes kommen werden. Das wird sozusagen die Abschlussfeier für das erste Kapitel aus der Geschichte der Werke Gottes. Was danach kommt, das ist auch für einen Propheten kaum zu erkennen, aber dies eine sieht er schon: Gott wird ein großes Fest machen. So hart die Weltgeschichte auch war, und auch wenn die Völker sich so viel angetan haben in vielen blutigen Kriegen, aber am Ende wird es ein großes Fest geben.

Es kann eigentlich nicht anders sein, als dass das auch ein Versöhnungsfest sein wird, wo die Völker diese lange dunkle Zeit von Krieg und Gewalt hinter sich lassen. Wo sie miteinander an einem Tisch sitzen anstatt in Panzern und hinter Gewehren. Und sie sitzen auch nicht mehr in Büros und berechnen, wieviel sie an einem andern Volk verdienen werden. Sie lassen das alles hinter sich und fangen an, wirklich zu leben, und das beginnt mit Essen und trinken.

Als ich Student war, da stießen wir gelegentlich auf einen wissenschaftlichen Aufsatz, den einer unserer Professoren geschrieben hatte, und lachten über den Titel: »Essen und Trinken im Alten Testament«. Wie konnte ein ernsthafter Theologieprofessor so etwas schreiben! Wahrscheinlich hatte er sich da einfach einen Spaß gemacht. Ich habe den Aufsatz nie gelesen.

Heute ist mir klar, dass dieser Professor sehr viel mehr von der Bibel verstanden hat als ich damals ahnte. Wenn man ernsthaft darauf achtet, dann wird in der ganzen Bibel dauernd gegessen und getrunken, und da wird auch immer sehr ausführlich drüber erzählt. Angefangen bei der verbotenen Frucht, die Adam und Eva aßen, über das Linsengericht, mit dem sich Jakob die Erstgeburt erkaufte, über das Manna, das es in der Wüste zu essen gab, über die Festmahlzeiten im Tempel, die das Gesetz des Mose vorschreibt, über wirklich viel anderes bis hin eben zu unserer Stelle, wo mit viel Freude ausgemalt wird, dass Gott sich nicht lumpen lassen wird bei seinem großen Fest: es wird Weine erster Qualität geben und Speisen, wo mit dem Fett nicht gespart worden ist.

Nur als Anmerkung: die Bibel teilt überhaupt nicht unsere moderne Abscheu gegenüber dem Fett. Wir sind da heute so schrecklich heikel und sehen uns bei jedem Gramm Fett schon als Herzinfarktpatient am Tropf hängen. Das ist ein Wohlstandsproblem von Leuten, die viel zu viel haben und sich viel zu wenig bewegen. In Zeiten, wo das Essen nicht selbstverständlich ist, ist Fett ein Energiespeicher, und fette Speisen bedeuten: es gibt genug für alle, und keiner muss sparen. Das ist eine viel gesündere Einstellung zum Essen als unser Schwanken zwischen Kalorienzählerei einerseits und maßloser Gier andererseits.

Gott teilt nicht unsere Zimperlichkeit in Bezug auf Essen: natürlich gibt es fettes Essen. Natürlich gibt es Wein mit echtem Alkohol, ungepanscht, und von allerbester Qualität. Das alles ist dazu da, unser Herz zu erfreuen. Die Bibel ist geprägt von unbefangener Freude an den leckeren Gaben Gottes. Natürlich gehören die dazu, wenn das erste Kapitel der Schöpfung Gottes mit einem Fest beendet werden wird. Später haben sich fromme Askese und griechisch-philosophische Leibfeindlichkeit auch in die jüdisch-christliche Tradition eingeschlichen. Aber ursprünglich redet die Bibel wahrscheinlich mehr über das Feiern als über das Fasten. Ich habe es nicht nachgezählt, aber ich glaube, ich liege da nicht falsch.

Jedenfalls ist das bei Jesus ganz deutlich: dem haben sie nie vorgeworfen, er wäre leibfeindlich und wäre zu ernst. Sondern vorgeworfen haben sie ihm, dass er kräftig zugelangt habe und immer dabei war, wenn gefeiert wurde. Vorgeworfen haben sie ihm sein mangelndes Engagement für das Fasten – speziell seine Jünger ließ er in den Augen der Kritiker viel zu lax leben.

Stattdessen sieht man bei Jesus, dass Liebe durch den Magen geht, und zwar auch Gottes Liebe. Immer wieder holt er die Leute zusammen, denen das Leben sauer wurde und lässt sie kosten vom neuen Leben. Er verbreitet um sich herum Festlichkeit. Sein erstes Wunder geschieht bei der Hochzeit in Kana, wo er 600 Liter Auslese spendiert. Es war eine normale Dorfhochzeit, aber zugleich war damals »Hochzeit« ein Bild für die Freude in der Zeit des Messias. Gleich am Anfang des Johannesevangeliums stellt sich Jesus als Gastgeber bei dem großen Fest am Ende des ersten Kapitels der Welt vor, und dabei wird es bleiben bis zum ersten Abendmahl am Vorabend seines Todes. Das Bild von dem großen Fest ist bei ihm wahrscheinlich das am meisten benutzte Bild für die kommende Zukunft Gottes. Und da ist er wahrscheinlich genau von unserer Stelle bei Jesaja inspiriert. »Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak im Reich Gottes zu Tisch sitzen.«

Und so hat er uns auch als einziges Ritual, dass er sich ausgedacht hat, eine gemeinsame Mahlzeit hinterlassen – das Abendmahl. Und erst viel später ist aus einem handfesten Essen wieder eine Handlung am Altar geworden mit einem Schlückchen Wein und einer dünnen Oblate, bei der normalerweise keiner an Brot denken würde.

Das Entscheidende dabei ist aber, dass Jesus nicht mehr abwartet, bis es irgendwann in der Zukunft mal so weit sein wird, sondern er veranstaltet schon jetzt überall solche Feste. Um im Bild zu bleiben: bei Jesus warten die Menschen nicht mehr darauf, bis das große Fest endlich beginnen wird, sondern holen sich jetzt schon etwas aus der Küche und kosten davon. Und wenn dann seine Jünger in alle Welt gehen, dann bringen sie sein Festmahl mit zu den Völkern, und so wird dann tatsächlich dieses Fest Gottes schon vorverlegt in die Gegenwart.

Diese ganze Festlichkeit, die Jesus um sich herum verbreitet, ist im Kern Auferstehungsfreude. So wie sich in seinem befreienden Handeln schon etwas spiegelte von seinem endgültigen Sieg über den Feind am Kreuz, so spiegelt sich in seinen Festen schon die Auferstehung. Sie feiern das Leben. Insofern ist es außerordentlich hellsichtig, dass Jesaja in seiner Prophezeiung das Fest am Ende des ersten Kapitels der Welt zusammenbringt mit der Ankündigung, dass Gott den Tod abschaffen wird. Ja, da gibt es einen Zusammenhang: diese Bejahung des Lebens, die in Gottes Fest deutlich werden wird, zu der gehört die Abschaffung des Todes. Gottes Liebe zum Leben schmeckt man in einem guten Wein genauso wie in der Auferstehung Jesu. Natürlich ist die Auferstehung viel zentraler, aber den Wein – oder was auch immer es sonst an Leckerem sein mag – sollte man deshalb nicht verachten. Der hat seinen Platz in der neuen Welt Gottes.

Jesus hat nicht gewartet bis zu einem Tag X irgendwann am Ende der Zeit. Er hat sein Volk der Auferstehung gegründet, und es kommt zusammen, um diesen Sieg des Lebens zu feiern. Unter allen Völkern, manchmal in Hütten und Bruchbuden, manchmal nur mit wenigen Leuten, aber da waren sie schon in der Küche und kosten jetzt von Gottes Mahl am Ende des ersten Kapitels dieser Welt. Sie feiern, dass alles, was im Namen Jesu geschieht, mit Sicherheit auftauchen wird bei diesem Fest. Dass wir jetzt schon Teil dieser Zukunft sind und dass das Leben am Ende siegen wird.

Sogar in unseren Bestattungsbräuchen ist noch ein bisschen davon zu spüren, wenn man sich nach einer Beerdigung zum Essen trifft und nach einiger Zeit alles wieder etwas lauter und etwas fröhlicher wird und man manchmal sogar wieder vorsichtig lachen kann. Ernsthafte Leute finden das unpassend und unterstellen, dass die ja wohl gar nicht richtig traurig gewesen wären, wenn sie beim Leichenschmaus schon wieder lachen. Aber ich glaube, in Wirklichkeit ist nach so einem Abschied tatsächlich etwas Lebensbejahendes wie Essen und Trinken richtig, damit wir wieder zurückfinden zu Gottes Ja zum Leben, auch wenn das alles ganz unklar und wenig bewusst ist.

Gastfreundschaft gehört von Anfang an zu den zentralen Fähigkeiten des Volkes der Auferstehung. Gastfreundschaft ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Wege, wie Menschen hinein finden in die neue Welt Gottes. Jesus jedenfalls hat es so gemacht. Lassen Sie mich zum Schluss eine Geschichte davon aus unserer Zeit erzählen. Man kann das sicher nicht einfach nachmachen, aber sie zeigt sehr schön, worum es geht.

Da ist ein engagierter Christ auf Reisen und kann nachts nicht schlafen. Nennen wir ihn Tony. Tony steht auf, verlässt das Hotel und macht einen kleinen Spaziergang. Er findet irgendein Lokal, das noch auf hat und setzt sich da rein. Kurz danach füllt sich das Lokal, denn es ist die Kneipe, wo sich die ganzen Prostituierten der Stadt frühmorgens nach der Arbeit noch mal treffen. Und es geht da auch nicht besonders sanft zu; Tony hört, wie die eine zu der anderen sagt: »ach, morgen habe ich ja Geburtstag«, und die antwortet nur: »Agnes bilde dir bloß nicht ein, dass du dann eine Torte kriegst und alle singen Happy Birthday«. »Red nicht so einen Mist« sagt daraufhin Agnes, »das habe ich doch gar nicht erwartet. Ich hab noch nie im Leben eine Geburtstagsfeier gehabt. Ich hab mich einfach nur erinnert, dass ich morgen Geburtstag habe, deswegen musst du mich doch nicht runter machen«.

Als die Frauen wieder gegangen waren, fragt Tony den Wirt: »kommt Agnes jeden Abend hierher?« »Ja« sagt der Wirt. »Würden Sie mitmachen, wenn wir morgen hier eine Geburtstagsparty für sie machen?« fragt Tony. Und der Wirt findet das eine tolle Idee und verspricht, eine Geburtstagstorte beizusteuern. Also schmücken sie am nächsten Abend das Lokal, zünden auf der Torte die Kerzen an, bereiten alle vor, und als Agnes kommt, singen alle »Happy Birthday«. Und Agnes kann kein Wort sagen, und der Wirt bringt ihr die Torte und sagt mit rauer Stimme: »na los, puste die Kerzen aus«. Und Agnes fragt: »ist die wirklich für mich? Darf ich die haben?« Und als er nickt, da sagt sie: dann möchte ich sie ganz schnell nach Haus bringen, ich möchte sie aufheben, damit ich sie ansehen kann und wirklich glaube, dass ich eine Geburtstagstorte bekommen habe. Ich komme gleich wieder.« Und sie geht mit der Torte schnell raus.

Alle sind still und wissen nicht, was sie sagen sollen, schließlich rafft sich Tony auf und sagt: lasst uns doch für Agnes beten. Und er betet für sie, dass sie wirklich glauben kann, dass sie in Gottes Augen geliebt und wichtig ist und dass sie ihre Würde erkennen und leben kann. Und alle beten mit und sind sehr nahe am Wasser.

Hinterher sagt der Wirt: »Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie’n Priester oder so was sind. Zu was für ’ner Kirche gehören Sie denn?« Und Tony weiß nicht so recht, was er antworten soll, schließlich sagt er: »ich gehöre zu einer Kirche, die nachts um drei Geburtstagsparties für Prostituierte schmeißt«. »Das kann nicht sein« sagt der Wirt. »So eine Kirche kann es nicht geben. Wenn es so eine gäbe, dann wär‘ ich da schon längst Mitglied.«

Freunde, so lebt das Volk der Auferstehung. So sieht es aus, wenn Gott alle Tränen abwischt. Und ich glaube, es gibt eine ganze Menge Menschen, die da gern mitmachen würden, wenn sie eine Gelegenheit dazu bekommen.

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