Der Zukunft eine Hoffnung geben

Predigt am 17. September 2000 (Eröffnungsgottesdienst der Ilseder KirchenGemeindeTage) mit Jeremia 29,11

Es drückt Menschen das Herz ab, wenn sie sich wie in der Tretmühle fühlen, und wenn ihre Seele verhungert und verdurstet. Eigentlich können Menschen ganz viel ertragen, aber nur dann, wenn sie eine Hoffnung für die Zukunft haben. Da muss irgendetwas sein, auf das sie hinleben können. Sonst geben Menschen auf oder werden ungemütlich. Hoffnung ist ein Lebensmittel. Für Einzelne und für ganze Orte und Regionen. Deswegen haben wir die Zukunft zum Thema der ersten Ilseder KirchenGemeindeTage gemacht, und deshalb heißt dieser Gottesdienst: »Der Zukunft eine Hoffnung geben«.

Die Idee zu diesem Titel stammt vom Propheten Jeremia. Jeremia sollte Menschen die Augen dafür öffnen, welche Perspektiven Gott für sie hatte. Und da sagt er ihnen (Jer. 29,11):

Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.

Was machen Menschen, die vor sich keine Perspektive sehen? Die suchen sich kleine Glücks-Kekse für heute, irgendwas, auf dem steht: Genuss sofort! Irgend einen kleinen Kick, auch wenn das die Seele nicht wirklich zufrieden macht.

Kennen Sie das, spät abends durch die Wohnung streifen auf der Suche nach irgendetwas Leckerem, was noch fehlt, damit der Tag irgendwie rund wird? Oder noch von einem Fernsehprogramm zum andern wechseln, in der Hoffnung, da noch was Tolles zu erleben, wenn es den ganzen Tag über so wenig zu leben gab? Oder die Befriedigung, die davon ausgeht, wenn man sich etwas Schönes gekauft hat? – aber sie bleibt nicht lange.

Glücks-Kekse für den Augenblick. Aber die können keine Hoffnung ersetzen.

Wenn Menschen keine Hoffnung sehen, dann werden sie ungemütlich. Dann haben sie Angst um die kurze Lebenszeit und streiten sich an der Kasse. Wer sich fühlt wie in der Tretmühle, der muss da raus, sonst wird er immer erschöpfter, immer zynischer, immer bitterer, aber er soll doch den Kopf heben können, damit er Ausschau halten kann nach dem, was kommt.

Zukunft, das ist ja vom Wortlaut her das, was zu-kommt, und das Bild dabei ist, dass die Zeit nicht einfach immer so weitergeht, sondern dass da in der Ferne etwas ist, was immer näher kommt, und wir schauen hin und freuen uns und sagen: lange dauert es jetzt nicht mehr!

Zukunft ist nicht selbstverständlich, so in dem Sinn, dass es doch ganz automatisch immer wieder weitergeht, sondern Zukunft ist ein Geschenk, und man kann es haben und man kann es verlieren.

Kennen Sie auch diese Killer-Sätze, die jeden Blick in die Zukunft versperren: »Das haben wir noch nie so gemacht« – »Das geht nicht«? Erstaunlicherweise gibt es inzwischen eine Firma, die mit dem Slogan wirbt »Geht nicht gibt’s nicht«. Da haben die Marketingleute gespürt, wie sehr sich Menschen das wünschen, nicht immer gehemmt und gebremst zu werden, sondern eine Hoffnung verwirklichen zu können, und wenn es einfach die Hoffnung auf einen neuen Wintergarten hinter dem Haus ist.

Zukunft ist nichts, was einfach von selbst kommt. Zeit spult sich von selbst ab, und irgendwann merkt man, dass man alt wird und nicht mehr viel Zeit vor sich hat. Aber damit aus der ablaufenden Zeit Zukunft wird, dafür muss einer sehen können, was Gott heranbringt.

Ich habe für euch Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.

Gott sagt das zu Menschen, die irgendwo auf dem Abstellgleis der Weltgeschichte gelandet sind, verschleppt aus Jerusalem und gefangen in Babylon, der Stadt, wo es nichts neues gibt, wo man fern ist von der Geschichte Gottes mit den Menschen. Nicht umsonst war Babylon von Astrologie und Horoskopen geprägt, vom ewig gleichen Kreisen der Sterne. Aber Gott sagt: ICH schaffe die Zukunft. Für euch. Es wird noch dauern, aber ihr seid nicht vergessen. ICH habe für euch eine Perspektive. In MEINER Geschichte ist Platz für euch, da bekommt ihr wieder eine Rolle.

Gott gibt die Zukunft, und er sorgt dafür, dass Menschen die Augen geöffnet bekommen und sie auch sehen können. Gott sorgt dafür, dass wir immer wieder herausgerissen werden aus dem ewig gleichen Trott, der uns so schrecklich müde macht und abstumpft. Gott richtet unsere Augen auf das, was kommen soll. Und in der Zwischenzeit, in der Zeit, wo man warten muss und Ausschau hält, da soll die Kraft dieser Hoffnung uns tragen.

Gott sagt nämlich gleichzeitig zu dieser perspektivlosen Minderheit in der großen Stadt Babylon: und jetzt, in der Gegenwart, bis es soweit ist, dass meine Geschichte mit euch weitergeht, solange nehmt euer Leben in die Hand. Lebt von dieser Kraft der Hoffnung, damit es weitergeht, praktisch und jeden Tag. Ihr sollt lebensbejahende Leute sein. Seid dankbar für alle Möglichkeiten und nutzt sie. Baut euch Häuser, pflanzt Äcker an, lasst die jungen Leute sich lieben und Zukunft beginnen lassen.

Die kommende Zukunft, auch wenn sie noch ganz weit weg ist, die strahlt hinein in jeden Winkel der Gegenwart. Die kommende Welt Gottes erneuert schon jetzt immer wieder diese alte Welt, die manchmal so müde oder ärgerlich macht. Der Blick auf die neue Welt Gottes, wo es endlich keine Tretmühlen mehr geben wird und keine Tränen, nicht mehr die Mühen und täglichen Kämpfe, die Welt voll Freude und Musik, wo das Licht Gottes jede Dunkelheit vertreibt, – dieser Blick in die Zukunft hilft uns, die Gegenwart anders zu sehen. Nicht mehr mit Ärger, nicht mehr mit Trauer, sondern mit Blick auf die Möglichkeiten Gottes.

Gestern hier im Gospelkonzert – ich hoffe, viele von euch waren dabei -, da haben wir diese Lieder gehört und mitgemacht und mitgeklatscht, die Lieder von der wunderbaren Veränderung, die kommt, wenn wir Jesus aufnehmen in unser Leben, wenn wir ihm die Regie geben. Und die Menschen mögen das, auch wenn sie sonst nicht unbedingt zur Kirche gehen, auch wenn sie nicht wissen, wo diese Kraft herkommt, aber sie mögen das, weil sie merken, dass da drin genau die Lebenskraft und die Perspektive steckt, die wir brauchen, wenn wir nicht versacken wollen im zukunftslosen Einerlei.

Und wo sind diese Lieder entstanden? Unter den schwarzen Sklaven Amerikas, die nichts anderes hatten als die Hoffnung, dass dieser Gott für sie eine Zukunft hat und sie nicht stranden läßt, fern der Heimat, irgendwo in einem Land, in dem sie nur rechtlose Sklaven waren. Und sie haben sich wiedergefunden in den unterdrückten Minderheiten der Bibel, für die Gott eine Zukunft hat, sie haben den Gott ihrer weißen Herren besser verstanden als die, und sie haben diese Hoffnung immer wieder in ihren Liedern leben lassen, und wer das gestern im Konzert in dem kurzen Beitrag gehört hat, wie beinahe die ganze Popmusik des 20 Jahrhunderts irgendwie von diesen Wurzeln her inspiriert ist, der bekommt einen Eindruck davon, was die Hoffnung für eine Kraft ist, dieser Blick auf die kommende Welt Gottes, was diese Zukunft Gottes jetzt schon freisetzt an Kraft für die Gegenwart, und sie tut es besonders gern da, wo wenig ist, wo gar nichts ist, und da fängt sie an und läßt Menschen aufleben durch Freude und Hoffnung und Lebensbejahung und Fantasie und Mut.

Und auch wir in Europa haben ja unsere Hoffnungsgeschichte, unsere Geschichte der Aufbrüche und der entdeckten Möglichkeiten. Die ist bei uns in manchem komplizierter, weil sie schon viel länger ist und weil es da so viele Dinge gibt, wo wir nur traurig und beschämt sind, wenn wir uns daran erinnern, schreckliche Dinge wie die Kreuzzüge und den Sklavenhandel und den Holocaust. Aber trotzdem zeigt auch unsere eigene Geschichte immer wieder die Kraft der Hoffnung, auch wenn wir zu unserem Schaden zu oft die Quelle dieser Hoffnung vergessen haben.

Auch die Geschichte unserer Region ist ja eine Geschichte von Hoffnungen und Zukunftsperspektiven. Eine Geschichte vom Mut, hier mitten in der Prärie eine Industrie zu schaffen, die vielen Menschen Arbeit und Brot und Heimat gegeben hat. Das ist beste europäische Tradition, Möglichkeiten zu sehen – und Vertrauen zu haben, dass es richtig ist, etwas zu riskieren und zu unternehmen, weil Gott das Licht seiner Zukunft immer wieder in die Gegenwart fallen läßt.

Heute nachmittag wird uns Professor Schneider etwas erzählen von dieser Zeit der Unsicherheit und des Kämpfens und Hoffens, und vielleicht auch von den zerbrochenen Hoffnungen, von dem ersten Initiator der Hütte, Hostmann, nach dem in Ölsburg die Hostmannstraße heißt, der scheiterte und für sich keine Hoffnung mehr sah und sich das Leben genommen hat.

Versteht: Hinter der äußeren Geschichte, die dann zu solchen gewaltigen Bauwerken führt wie diese Halle hier, dahinter steckt noch eine Tiefengeschichte, davon, wie Menschen den Ruf Gottes gehört oder nicht gehört haben, wie sie ihn verstanden oder nicht verstanden oder halb oder falsch verstanden haben, Geschichten davon, wie Menschen ihre Berufung entdeckt oder verfehlt haben, und wie immer wieder neu die Zukunft Gottes ihr Licht in die Gegenwart hinein fallen läßt und Leben erneuert, damit es nicht alt und atemlos wird.

Hier aus dieser Halle, von hier aus kam der Wind für das Feuer in den Hochöfen, damit es heiß genug war, damit es die Kraft hatte, das Erz zu schmelzen, das Harte weich und flüssig zu machen. Wind und Feuer – das sind die Symbole des Geistes Gottes. Beim ersten Pfingstfest waren das die Zeichen des Heiligen Geistes, der die Verhärtungen in dieser Welt löst, der die Menschen beweglich und lebendig macht. Wind und Feuer – die Zeichen des Geistes, der den Weg Jesu in die ganze Welt verlängert.

Es ist die Kraft des Geistes, die ganze Länder und Landstriche umgestaltet, die offen oder verborgen am Werk ist, die Kraft, die uns den Blick öffnet für Gott und seine Pläne und Möglichkeiten. Die Kraft, in der wir auch für unsere Region und unseren Ort beten, für alle, die hier leben und arbeiten und Verantwortung tragen. Die Kraft, mit der wir neu in Berührung kommen wollen, damit wir für uns und für alle Zukunft und Hoffnung entdecken.